Das Hexenkind

Das junge Ding hieß Ilse Watt.

Sie ward im Waisenhaus erzogen.

Dort galt sie für verstockt, verlogen,

Weil sie kein Wort gesprochen hat

Und weil man ihr es sehr verdachte,

Daß sie schon früh, wenn sie erwachte,

Ganz leise vor sich hinlachte.


Man nannte sie, weil ihr Betragen

So seltsam war, das Hexenkind.

Allüberall ward sie gescholten.

Doch wagte niemand, sie zu schlagen.

Denn sie war von Geburt her blind.


Die Ilse hat für frech gegolten,

Weil sie, wenn man zu Bett sie brachte,

Noch leise vor sich hinlachte.


In ihrem Bettchen blaß und matt

Lag sterbend eines Tags die kranke

Und stille, blinde Ilse Watt,

Lächelte wie aus andern Welten

Und sprach zu einer Angestellten,

Die ihr das Haar gestreichelt hat,

Ganz laut und glücklich noch »Ich danke.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Ringelnatz, Joachim. Gedichte. Kinder-Verwirr-Buch. Das Hexenkind. Das Hexenkind. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-952C-4