[330] Dritter Bezirk
Östliche Rosen

Zu Goethes westöstlichem Diwan

Wollt ihr kosten
Reinen Osten,
Müßt ihr gehn von hier zum selben Manne,
Der vom Westen
Auch den besten
Wein von jeher schenkt' aus voller Kanne.
Als der West war durchgekostet,
Hat er nun den Ost entmostet;
Seht, dort schwelgt er auf der Ottomane.
Abendröten
Dienten Goethen
Freudig als dem Stern des Abendlandes;
Nun erhöhten
Morgenröten
Herrlich ihn zum Herrn des Morgenlandes.
Wo die beiden glühn zusammen,
Muß der Himmel blühn in Flammen,
Ein Diwan voll lichten Rosenbrandes.
Könnt ihr merken
An den Stärken
Dieses Arms, wie lang' er hat gefochten?
Dem das Alter
[331]
Nicht den Psalter
Hat entwunden, sondern neu umflochten.
Aus iran'schen Naphthabronnen
Schöpft der Greis itzt, was die Sonnen
Einst Italiens ihm, dem Jüngling, kochten.
Jugendhadern
In den Adern,
Zorn und Glut und Mild' und süßes Kosen;
Alles Lieben
Jung geblieben,
Seiner Stirne stehen schön die Rosen.
Wenn nicht etwa ew'ges Leben
Ihm verliehn ist, sei gegeben
Langes ihm von uns gewognen Losen.
Ja von jenen
Selbst, mit denen
Du den neuen Jugendbund errichtet,
Sei mit Brünsten
Unter Künsten
Aller Art, in der auch unterrichtet,
Wie Saadi in jenem Orden
Über hundert Jahr' alt worden,
Und Dschami hat nah' daran gedichtet.

Einladung

O wie soll der Nachtigallen
Seele denn ins Ohr dir fallen,
Wenn dir immer noch vor Ohren
Summet das Geschwätz von Thoren.
[332]
Und wie soll dir Rosenblüte
Wirklich blühen ins Gemüte,
Willst du noch nach Schimmer gaffen,
Den nicht die Natur erschaffen.
Willst du aufgenommen werden
Aus dem Irrgewirr auf Erden
In des Frühlings heitre Chöre,
So nichts andres sieh und höre.
Suche bei uns nicht Zerstreuung,
Sondern ewige Erfreuung.
Komm und trinke ganzer Seele
Rosenduft und Philomele!

Die zwei Mächte

Wein und schöne Mädchen
Sind zwei Zauberfädchen,
Die auch die erfahrnen
Vögel gern umgarnen.
Becherrand und Lippen,
Zwei Korallenklippen,
Wo auch die gescheitern
Schiffer gerne scheitern.
Kommst du in die Schenke,
Auf ein Knie dich senke!
Denn hier sitzen Fürsten,
Die nach Ruhme dürsten.
Und die Liebeszettler
Schelte keine Bettler!
Jeder trägt von Schmerzen
Einen Schatz im Herzen.
Liebe und Herr Becher!
Freigeborner Zecher
[333]
Königin und König!
Eurem Throne frön' ich.
Helfet ihr zu Rechte
Menschlichem Geschlechte,
Wird es unter Trümmern
Niemals gar verkümmern.
Gestern trat ein Weiser
Vor des Himmels Kaiser,
Frug, wie lang' die närr'schen
Leute sollten herrschen?
Und Gott sprach: So lange
Eure Weisheit bange
Wird den Menschen machen,
Soll die Thorheit lachen.

Loblied auf den Wesir

Mönch! die Predigt schenk' ich dir,
Die mir nicht kann taugen;
Denn es winkt ein Becher mir
Und zwei schöne Augen.
Niemals hat mir Doppelrausch
Tadelswert geschienen.
Ist es nicht ein edler Tausch,
Lipp- und Wein-Rubinen?
Gott sei Dank, die Polizei
Ist heut nachts gestorben.
Um die Stell' hat frank und frei
Sich der Rausch beworben.
Sitz' in Schenken mit Verstand,
Sei nicht stumm beim Weine,
[334]
Nimm ein Liederbuch zur Hand,
Wenn du willst, das meine.
Wer nach leichten Melodien
Singet meine Töne,
Wird die Sorge sehn entfliehn
Und sich nahn die Schöne.
Liebchen! gib mir nur den Duft
Von des Bechers Schaume,
Und ich nähre bis zur Gruft
Mich mit Wonnetraume.
Lilien und Rosen sind
Schön durch deine Blicke.
Würze du den Frühlingswind,
Daß sein Hauch erquickte.
Wenn du einem Mann wie mir
Ursach' gibst zu klagen,
Werd' ich dich bei dem Wesir
Unsrer Zeit verklagen. –
Er, der Wesir, der Strebepfeiler
Des Reichs der Welt,
Ihn preist als Gnadenrechtserteiler
Die Blum' im Feld.
Saatfelder segnete durch seine
Verwaltung Er.
Im Schachte reifen Edelsteine,
Perlen im Meer.
Sein leichter Wink bringt in Bewegung
Der Räder Schwung,
Und der bewegten Herzen Regung
Ist Huldigung.
Der Himmel geht in stetem Kreise,
Und Mond und Jahr
[335]
Und Herbst und Frühling wechseln leise,
Unwandelbar.
Bis zu dem Tage des Gerichtes,
Wo Gott dir lohnt,
Sei hell vom Glanze deines Lichtes
Dein Haus bewohnt.
Dein Haus, der Weisen und der Dichter
Erdparadies,
Dazwischen Schenkenangesichter,
Schön wie Huris.
Hafis, der mit dem Glanz von Eden
Dein Lob verbrämt,
Thu'st du die Lippen auf zu reden,
Schweigt er beschämt.

Die Thränenbäche

Ich zanke mit Thränenbächen
Des Auges Tag und Nacht,
Die aus dem Hause brechen
Mit ungestümer Macht.
Ich frage sie immer und immer:
Wohin denn gehet ihr?
Und andres erfahr' ich nimmer,
Als daß sie gehen zu dir.
Und wollt ihr denn niemals wandern
Nach anderm Ziel, als dem?
»Befiehl, nach welchem andern
Wär' es dir angenehm?«
Ich weiß auch keins, das besser;
Geht nur zu ihrem Fuß
[336]
Und bringt auf euerm Gewässer
Ihr diesen seufzenden Gruß.

Liebe und Entsagung

Fülle Dschemschids Becher an
Bis zum höchsten Rande,
Höchsten Himmel bist du dann
Drin zu sehn im stande.
Kennst du nicht des Bechers Glanz?
Das Gefäß Dschemschidens
Ist dein Herz; du füll' es ganz
Mit dem Schaum des Friedens!
Bleibst du niemals ohne Wein,
Ohne Lieb' und Lieder,
Fehlt nicht Erdewüstenei'n
Himmlisches Gefieder.
Ihrer Liebe Schleier wird
Lüften deine Rose,
Ostwind! wenn du ungeirrt
Fortübst dein Gekose.
Sieh! kein Schleier deckt dein Bild;
Rege, wo du gehest,
Keinen Staub nur im Gefild,
Daß du klar mich sehest.
Ruf den Blitz auf deines Ichs
Dunkles Wohngebäude,
Und verklärt erweitre sich's
Zum Palast der Freude.
Zittre nicht, Verzicht zu thun,
Herz! auf deine Deinheit,
[337]
Wenn du aufgenommen ruhn
Willst in meine Meinheit.
Forderst du das volle Glas
Von der Freundin Lippen,
Fordre nicht noch dies und das
Von der Erde Klippen.
Geh zufrieden wie Hafis
Auf Entsagungs-Wegen,
Und es geht dir hier gewiß
Einst die Lieb' entgegen.

Glückliche Rettung

Die Liebe fiel ins Grübchen am Kinn
Und war unendlich erschrocken.
Sie langte mit entschlossenem Sinn
Nach einer der flatternden Locken
Und zog sich mit Geschicke
Heraus am artigen Stricke,
Sonst läge sie, glaub' ich, noch darin.

Liebesandacht

O sei in keinem Augenblick,
Mein Herz! von Rausch und Liebe leer.
O wirf die Welt dir vom Genick,
Und deine Ichheit wirf ins Meer.
Der Liebe Meer ist reich und tief,
Die Eigenlieb' ist kahl und seicht.
Der Gang der Welt ist dumpf und schief,
Der Flug der Lieb' ist hoch und leicht.
[338]
Sieh an den frommen Mönch, und nimm
Ein Beispiel dran, nicht so zu sein.
Der Herr läßt leben gut und schlimm,
Die Selbsucht nur verdammt allein.
Wenn du den Himmel hast in dir,
So ist dir Tod und Leben gleich.
Und hast du nicht den Himmel hier,
Was nützt dir dort das Himmelreich?
Lieb' etwas hier und bet' es an,
Vergöttre nur dich selber nicht –
Mir brach der Eigenliebe Wahn,
Als ich dir sah ins Angesicht.
Du hast mit deiner Locken Band
Der Ichheit Fesseln abgestrüpft,
Und an der Seelen Vaterland
Mit deinen Blicken mich geknüpft.
Es hätte mich Verzweifelung
Getötet über deinen Glanz,
Hätt' ich in Liebeshuldigung
Nicht dir mich hingegeben ganz.
Du hast die Welt in Licht getaucht
Und hast mich außer mich gestellt,
Von deinem Odem angehaucht,
In dir zu schauen Gott und Welt. –
Ein Götzendiener bist du zwar,
Hafis, doch dienst auch du dem Herrn;
Denn wessen Rausch die Liebe war,
Wie wär' dem Quell der Lieb' er fern?

[339] Anmeldung in der Schenke

Der Ostwind kam ans Schenkethor,
Mit lautem Gruß zu pochen;
Da trat der alte Wirt hervor,
Den hat er angesprochen:
»Ich wünsche dir Glück zu dieser Zeit,
Herr Frühling ist angekommen,
Auf Flur und Anger weit und breit
Ist neues Leben entglommen.
Nun ist die Luft ein Balsamhauch,
Ein Moschusreh die Erde,
Unter Blumen am Blütenstrauch
Froh spielender Gebärde.
Von meinem Weh'n ist der Kamin
Der Tulpen angefachet,
Und Blicke wärmen sich am Karmin,
Der Rosenwangen entlachet.
Nimm meinen Rat in kluges Ohr,
Nun fege die alte Schenke,
Steck' einen grünen Busch ans Thor
Und rüste frisches Getränke.
Schon sah ich draußen im Sonnenschein
Schmachten die lechzende Liebe,
Sie kommt zu stürzen in deinen Wein,
Ihre entflammten Triebe.
Wehr' einen Trunk der Labung nicht
Jedem aufrichtigen Zecher;
Doch kommt ein Heuchler, ein kluger Wicht,
So decke zu die Becher.
Versauern würde sogleich der Wein,
Wenn sauere Blick' ihn träfen;
Und flöss' unlautere Weisheit darein,
So würde der Trank zu Hefen.
[340]
Leb' wohl! ich will nun meinen Herrn
Hafisen sogleich dir schicken,
Du wirst den Freund von selber gern
Mit deinem Besten erquicken.
Sich wagt, wo er in der Schenke zecht,
Kein Heuchling, kein Mönch, kein Frömmling;
Denn der Hafis ist schlecht und recht
Der alten Treu' Abkömmling.«

Der Talisman des Weines

Wer trinkt soll reines Herzens sein,
Mit Wein ist nicht zu scherzen.
Der reine rote Edelstein
Veredelt zwar die Herzen;
Doch die Veredlung geht verloren,
Wo nicht ist Edles eingeboren:
Ihr Edlen, trinkt den edlen Wein!
Es ist das zarte Feenkind
Vor dumpfer Roheit schüchtern,
Und keinem ist es hold gesinnt,
Wer tobt, noch wer ist nüchtern.
Geheimnisse ihm abzulauschen,
Muß man sich mit Verstand berauschen
Und nicht sich zechen taub und blind.
Die Liebe ist als Talisman
Dem Weine unentbehrlich,
Und ohne Schönheit obenan
Ist ein Gelag gefährlich.
Drum trinkt nur ohne Fahr ein Dichter,
Weil er ruft schöne Augenlichter
Bei jedem Glas zu Zeugen an.

[341] Huldigungsruf

Du hast an lieblicher Herrlichkeit
Erstiegen die höchste Stufe;
Die ganze Seele sei dir geweiht
Zu einem Huldigungsrufe.
O liebentglommener Rosenstrauch,
Des Himmels Tau dich erquicke!
Beschirme dich Gott vor giftigem Hauch
Der Welt und schädlichem Blicke!

Beschwichtigter Zweifel

Über meinen eignen Kopf
Bin ich nicht im reinen,
Hab' ich, wie ein andrer Tropf,
Einen oder keinen?
In der Schenke, wann der Wein
Mir zu Kopfe steiget,
Fühl' ich erst der Kopf ist mein,
Und der Zweifel schweiget.

Reiseziel

Nun ist das Leben an seinem Ziel,
Und ohne Zweck war die Reise.
O Jüngling, rühre das Saitenspiel,
Schon morgen wirst du zum Greise.
Das lecke Schiff und der morsche Kiel
In Meeren ohne Geleise,
Der Winde Ball und der Wellen Spiel,
Unnütz gewirbelt im Kreise.
So viel gehofft und gewünscht so viel,
Getäuscht in jeglicher Weise,
[342]
Hindurch durchs ewige Widerspiel,
Gequält von Glut und von Eise.
Nun sinkt die Rose auf mattem Stiel,
Die Blätter fallen vom Reise,
Nun ist das Leben an seinem Ziel,
Und ohne Zweck war die Reise.

Rosengeschmeide

Die Rose meiner Liebe,
Der keine Sonne scheint;
Daß sie nicht schmucklos bliebe,
Hat Perlen sich geweint.
Sie trägt als Brustgeschmeide
Der Thränen Perlenschnur.
Des Schmuckes mich entkleide
Die hohe Sonne nur.
Die Perlen alle wollen
Vergehn vor Ungeduld,
Bis sie zergehen sollen
An Blicken deiner Huld.

Kehr' ein bei mir

Du bist die Ruh',
Der Friede mild,
Die Sehnsucht du
Und was sie stillt.
Ich weihe dir
Voll Lust und Schmerz
Zur Wohnung hier
Mein Aug' und Herz.
Kehr' ein bei mir,
Und schließe du
[343]
Still hinter dir
Die Pforten zu.
Treib andern Schmerz
Aus dieser Brust!
Voll sei dies Herz
Von deiner Lust.
Dies Augenzelt
Von deinem Glanz
Allein erhellt,
O füll' es ganz.

Lachens und Weinens Grund

Lachen und Weinen zu jeglicher Stunde
Ruht bei der Lieb' auf so mancherlei Grunde.
Morgens lacht' ich vor Lust;
Und warum ich nun weine
Bei des Abendes Scheine,
Ist mir selb nicht bewußt.
Weinen und Lachen zu jeglicher Stunde
Ruht bei der Lieb' auf so mancherlei Grunde.
Abends weint' ich vor Schmerz;
Und warum du erwachen
Kannst am Morgen mit Lachen,
Muß ich dich fragen, o Herz.

Die Spätlingsrose

Siehe, Verzicht
Wollt' ich nunmehr auf die Rosen leisten;
Hab' ich doch nicht,
Weil sie mir blühten, geträumt wie die meisten.
Glückliches Los!
Siehe, da ist noch ein Nachwuchs gekommen,
[344]
Sei auf den Schoß,
Spätlingsrose! mir dankbar genommen.

Erziehung

Wiewohl man dir vom Nutzen spricht,
Den andre edle Wissenschaften schafften,
Doch lasse du die Liebe nicht,
Sie ist die edelste der Wissenschaften.
Wenn die Begierde nicht die Ruh',
Die Stille stört, o Seele! die du brauchest,
So kommst du noch gewiß dazu,
Daß du dich ganz ins Licht der Liebe tauchest.
O du! von deren Angesicht
Der Frühlingsruf erging an mein Gemüte,
Verwirre du die Triebe nicht,
Und hilf erziehn die zarte Himmelsblüte!

Das bittere Kraut

O Scheiden und Meiden, du bittres Kraut!
Wer hat dich zuerst im Garten gebaut?
Konnt' er nichts Besseres ziehen?
Er hat dich mit seinen Augen betaut,
Davon bist du gediehen.
O Scheiden und Meiden, vom Himmel gesetzt!
Du bringest die süßen Früchte zuletzt,
Derselben muß ich nun warten;
Doch besser wär' es, ich hätte dich jetzt
Nicht pflanzen müssen im Garten.

[345] Erste und letzte Reise

Ich ging aus meinem Vaterland
Ein einziges Mal im Leben,
Und habe, weil ich dich draußen nicht fand,
Mich schleunig zurück begeben.
Ich werde nach keinem fremden Strand
Mich jemals wieder begeben
Und denk' einst auch nur an deiner Hand
Zu reisen ins andre Leben.

Geduld

Herz! wir haben manches Jahr
Nun gedient in Treuen,
Und gehofft wohl immerdar,
Lohn sollt' uns erfreuen.
Da die Hoffnung eitel war,
Soll es uns gereuen?
Nein, versuchen wir's fürwahr
Noch einmal vom neuen.

Weltnot und eigne

Wer die Weltnot heilen will,
Thu', was ich ihm gern erlaube,
Meine eigne muß ich still
Heilen mit dem Saft der Traube.
Glaubet mir, es ist kein Rat,
All den Jammer zu ertragen,
Als mit Trinken früh und spat
Ihn sich aus dem Kopf zu schlagen.
Sieh beständig in dein Glas,
Weiter gibt's kein Glück auf Erden.
[346]
Als ich in den Sternen las,
Fand ich dort auch nur Beschwerden.
Das ist meine größte Klage,
Daß ein Liebchen mir geworden,
Das, um ab des Lebens Plage
Mir zu nehmen, mich will morden.
Schämen solltest du dich doch,
Auch der schlechten Welt zu gleichen.
Floh ich nicht zu deinem Joch,
Um dem ihren zu entweichen?
Komm und laß in deinen Blicken
Mich den Himmel offen sehn,
In dem Becher deiner Lippen
Trinkend selig untergehn.

Wie die Ceder

Wie die Ceder will ich erheben
Über die Wolken hoch mein Haupt,
Still in Lüften des Himmels schweben,
Von Erdsorgen unangestaubt;
Wenn dereinst mir das Glück erlaubt,
Mich zur Einsamkeit zu begeben,
Zu entsagen dem Menschenleben,
Das den Frieden der Seele raubt.

Die Quelle in der Wüste

Wenn ich eine Quelle wüßte,
Die von lautrem Weine flösse,
Zu ihr zög' ich in die Wüste,
Daß ich ungestört genösse.
Eine Hütte wollt' ich baun,
So daß über ihre Schwelle
[347]
Flösse aller Wein der Quelle,
Ringsum baut' ich einen Zaun.
Menschen sollten mir nicht kommen,
Mir den reinen Quell zu trüben,
Doch erlaubt' ich's, daß die frommen
Tiere zu mir her sich hüben.
Die Gaselle sollte springen,
Nachtigall den Gruß erwidern,
Wenn ich trunken wollte singen
Stellen aus Hafisens Liedern.

Die Kerze

Wie die Kerze
Treu am Bette aller Schönen wach' ich;
Wie die Kerze
Jedem trunknen Nachtgelage lach' ich.
Wie die Kerze
Muß ich, mich verzehrend, Flammen saugen,
Und vor Schmerze
Kommt kein Schlaf bei Nacht mir in die Augen.
Wie die Kerze
Wein' ich still, wenn ich zu lachen scheine,
Und ich scherze
Lachend, wenn ihr glaubet, daß ich weine.
Wie die Kerze
Leuchtet in das Aug' der Welt mein Namen,
Seit im Scherze
Mich zwei Augen zu entflammen kamen.
Wie die Kerze
Will ich alle Welt in Flammen setzen,
Daß die Schwärze
Deines Aug's sich mög' am Brand ergetzen.
[348]
Wie die Kerze
Leuchtet mir dein Bild durch Grames Nächte;
O entschwärze
Mein Geschick durch deines Lichtes Mächte!
Wie die Kerze
Ist der Felsen der Geduld geschmolzen,
Weil die Erze
Deines Busens trotzen allen Bolzen.
Wie die Kerze
Ist Hafis in Liebesglut zerstoben,
Freimunds Herze
Hat die hellen Funken aufgehoben.

Vierzeilen in persischer Form

1.
Frühling ist, Verklärung schwebt um Busch und Strauch;
Kann so reine Schönheit blühn auf Erden auch?
Eine Himmelsunschuld jedes junge Blatt,
Noch unangerührt von des Verderbens Hauch.
2.
Eine Zauberin ist diese Erde,
Schon so alt, noch reizend von Gebärde,
In der Nacht des Winters treibt sie Künste,
Daß sie jung am Frühlingsmorgen werde.
3.
Vom Himmel kam geflogen eine Taube
Und bracht' ein Kleeblatt mit dreifachem Laube.
Sie ließ es fallen; glücklich, wer es findet!
Drei Blättlein sind es: Hoffnung, Lieb' und Glaube.
4.
Was du lieben kannst, mit Lieb' umfasse du's;
Und was du nicht lieben kannst, o lasse du's.
[349]
Überlasse du es dem, der alles liebt,
Was er schuf; und was er liebt, nicht hasse du's.
5.
Kein drückender Gefühl ist, als zu wissen,
Daß, wo du gehst, dich niemand wird vermissen.
Drum danke Gott, daß du ein Herz gefunden,
Das weinen wird, wenn du ihm wirst entrissen.
6.
Hoffnung wohnt bei Sterblichen hienieden,
Und bei Toten wohnt im Grabe Frieden.
Zage nicht, wie auch das Los dir falle,
Immer ist dir, was du brauchst, beschieden.
7.
O sei auf Gottes heller Welt kein trüber Gast!
Mach' Schande nicht dem milden Herren, den du hast.
Zeig' in Gebärd' und Wort und Blick, daß dem du dienst,
Der sagt: »Mein Joch ist sanft und leicht ist meine Last.«

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TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. Dritter Bezirk. Östliche Rosen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-A096-4