[Ich hatte mir zwei Pforten]

Ich hatte mir zwei Pforten
Am Hause gemacht,
Und glaubt' an allen Orten
Mich trefflich bedacht.
Verschlossen war die eine,
Die andere nicht,
Und recht verschlossen keine,
Besehn beim Licht.
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Zur offnen Pforte flogen
Die Freuden hinaus,
Ein zur verschloßnen zogen
Die Sorgen ins Haus.
Die hatt' ich nicht verschlossen,
Durch die sie entflohn,
Was wußt' ich, daß verdrossen
Sie wollten davon?
Die hatt' ich wohl versiegelt,
Was hilfts, da sie nahn?
Sie haben sie entriegelt
Und weit aufgethan.
Nun mögen offen bleiben
Zwei Pforten am Haus;
Sie lassen doch sich treiben
Zu keiner hinaus.
Sie halten hier verschlungen
Im Mondschein den Tanz,
Wo aus Erinnerungen
Sie flechten den Kranz.
Man merket kaum im Hause
Die schwebende Schaar,
So still ist's, wo vom Brause
So laut einst es war.
[31]
Ihr weiten Räume schienet
So voll, nun so leer,
Seit euch zur Füllung dienet
Von Schatten ein Heer.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. [Ich hatte mir zwei Pforten]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-A19F-A