[71] Die wolfsklage über die bösen menschen

Hört ein wunderlich abenteuer!
als ich gieng im wolfsmonat heuer
einig allein weit über felt
an ein ort, einzunemen gelt,
es schneit, das ich schier war erblint;
auch war die straßen von dem wint
so gar verwehet mit dem schne,
das ich kein ban kunt finden me;
gieng also nur dahin mit wan
und het verfelet weit der ban
und hinein auf das wolfsfelt kam,
ein heulende stim ich vernam,
die laut: owe, owe, owe!
furcht, schreck und angst bracht mir herzwe;
doch weil die stim sam menschlich was,
faßt ich ein herz und gieng mein stras
hinzu; da saß in einem hag
ein wolf, der fürt ein schwere klag;
traurig er auf gen himel sach
und mit deutlicher stimme sprach:
o du höchster got Jupiter,
warumb hast mich erschaffen her,
das aller hartseligest tier,
weil iederman nachstellet mir?
fürsten, adel, burger und bauren,
tut alles auf mein unglück lauren
und mir nach meinem leben stelt;
hunt und jäger man auf mich helt;
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wo mich ein mensch erblicket nur,
so macht man im lant ein aufrur
und schreit; ein wolf, ein wolf, wolauf!
denn kumt zusam ein großer hauf,
denn tut man mir vil garen stellen,
die weitleut ire hörner schellen,
darvor mir armen wolf tut schauchzen;
dann kum die hunt mit irem jauchzen,
mich in die garen nein zu jagen
und zu schießen, stechen und schlagen.
auch machen mir die baurenbubn
im walt vil heimlicher wolfsgrubn,
darein mich armen wolf zu sprengen
und umb mein leben mich zu brengen;
dergleich die weitleut auf mich tichten
und mir vil scharpfer selbgschoß richten,
auch ser vil falstrick her und hin,
das ich schier niendert sicher bin,
als ob ich sei der ergest schalk,
ein mörder, dieb und lasterbalk,
und treib doch kein ander unfur,
den was mir einpflanzt die natur.
den bauren ich zu einer straf
hintrag schwein, enten, gens und schaf,
das tu ich auch zu keim geschleck;
geb mir ein baur gnug kuttelfleck,
kein ros wolt ich im fellen mer.
also ich mich im stegreif ner,
wan ich kan ie nit eßen gras,
mein vatter auch kein heu nie as.
ich kan nit dreschen, hackn noch reuten,
so leßt man mich gar nit bein leuten,
das ich ein hantwerk möcht geleren,
das ich mit arbeit mich möcht neren,
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das ich nicht also müßig gieng;
darzu nim ich nur eßent ding,
auf das ich nit gar hungers sterb,
hoff ie, mein schult sei nit so herb.
ich acht mich weder gwalt noch macht,
treib auch kein hoffart, preng noch pracht;
ich treib ie gar kein tyrannei,
mach kein aufsetz noch schinderei,
kein zol, maut, zehent noch frondinst,
ich nim kein ungelt, rent noch zinst,
tet auch mit meim wilt noch gejeit
nie keinem schaden an seim treit.
so hab ich nie kriegt, brennt noch gmört,
kein stat belegert noch zerstört,
so hab ich auch verfürt kein her,
kein schif versenket in das mer,
so felscht ich auch kein brief und sigel,
stieß für die warheit nie kein rigel,
auch half ich kein frommen verdrücken,
kein böswicht half ich fürher rücken,
hab auch kein recht nie aufgezogen,
gekrümt, verschrenket noch gebogen,
wart mit keim hellküchlein nie bstochen,
hab auch kein falsch urteil gesprochen;
auch hat nie falsch zeuget mein zungen,
hab nie kein von sein gütern drungen,
hab auch getriben kein finanz
und weiß nichts von keim alefanz.
so hab ich auch nie wucher triben,
noch vom hundert genommen siben,
hab nie fürkauft wein, treit und korn,
bin sonst auch kein fürkaufer worn,
münzfelschen hab ich auch vermitten,
so hab ich auch kein münz beschnitten
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und wusch auch darvon nie kein ünz,
trib nie wechsel mit grober münz,
keinerlei war ich felschet nicht,
het nie kurz eln noch leicht gewicht,
hab nie zu vil grechnet noch gschriben,
hab auf borg nie kein höher triben,
hab auch kein gvorteilt noch betrogen,
hab kein verraten noch verlogen,
tet keim dieblich sein er abschneiden,
tet auch nie kein haßen noch neiden,
hab auch kein menschen nie veracht,
auch keinen verspott noch verlacht,
auch kein mit stichworten gefatzt,
auch nie hin und wider geschwatzt,
die leut zu hader nie gereizt,
niemant gescholten noch verbeizt;
auch tet ich nie schmeichlen noch heuchlen,
half keinem abtragen noch meuchlen,
hab auch nie keinen lam gehauen,
nie geschwecht frauen noch junkfrauen,
half auch zu kupplerei nit vil.
so trib ich auch kein falsches spil,
auch tet ich nie keinen gotsschwur,
vol weins ich nie mein lebtag wur;
hab auch kein meineit nie geschworn,
bin auch nie kein mortbrenner worn,
braucht nie kein kirchenrauberei
und trib auch nie kein zauberei;
kein wetter hab ich nie gemacht,
fur auf dem bock nie bei der nacht,
gelaubt auch nie an kein wuntsegen,
nach dem liebtrank tet ich nit fregen;
kein waßer goß ich in kein wein,
das brot buch ich auch nie zu klein,
keinem sein ehalten verhetzt,
auch keinem kunden abgesetzt,
kein gsetz der herrschaft nie zerspalten,
hab auch kein litlon vorbehalten,
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hab nie kein hoch wiltpret geschoßen,
keins heimlich fischens nie genoßen,
bin auch gewesen nie aufrürisch,
mit meiner ler niemant verfürisch;
so braucht ich nie kein simonei,
macht kein rot, sect noch ketzerei;
kein falsche ler auch von mir kam,
auch richt ich auf kein ablaßkram,
nam kein annatn noch pallium,
verkauft kein pröbstei noch bistum,
het auch nie ein pfrünt oder drei.
so trib ich auch kein gleißnerei
und war auch kein stationierer,
kein kesjeger noch terminierer;
so war ich mein tag nit bäpstisch,
dergleichen auch nie lutherisch.
doch bin ich in der echt und ban,
wiewol ich der ding keins hab tan,
ganz unverhört sie mich verdammen,
als kum ich von eim schedling stammen
und hab verwürket wol den tot.
darumb, o Jupiter, du got,
gebeut alln menschen, man und frauen,
in irs herzen spiegel zu schauen,
so wirt sich ganz menschlich geschlecht
finden so bös und ungerecht
in allen stücken obbenamt,
so öffenlich und unverschamt,
so lesterlich, erlos und schentlich,
das es int leng nit sten kan entlich,
weil doch die ganz menschliche zunft
begabt ist mit sin und vernunft,
die in gibt underscheit so frei,
was erlich oder schentlich sei.
darüber hat der mensch auch mer
die heilig himlisch christlich ler,
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auch verheißung von got darneben,
ein himelisch ewiges leben.
solch ding doch alle manglen mir,
wo ich aber ein beßers west,
wolt ich erwelen noch das best,
das doch der mensch mit nichten tut,
strebt nach gwalt, wollust, er und gut,
als sei er töricht, dol und blint,
dardurch in alle laster rint,
darumb er vil streflicher wer.
derhalb, o höchster Jupiter,
bitt ich, mir ein geleit zu geben,
das ich fürwar mög sicher leben
bei menschlichem gschlecht auf ertrich,
das vil schentlicher lebt den ich;
derhalb straf sie und laß mich frei,
als lieb dir die grechtigkeit sei.
in dem schwang sich herr Jupiter
von oben auf eim adler her
und sprach: o wolf, es wirt auf erden
plötzlich ein große endrung werden;
denn sol dein werden auch gedacht,
das du kumst aus dem ban und acht.
frölich lief ein der wolf gen holz.
herr Jupiter schnell als ein bolz
fur wider auf zu seinem tron.
ich wut in tiefem schnee darvon,
gedacht: ach got, der großen schant!
ein iedes tier in seinem stant,
fisch, vögel und all creatur,
was ie von got erschaffen wur,
das lebt nach der natur allein,
die im got hat gepflanzet ein,
und in keim stück das übertrit;
allein der mensch tut solches nit,
sonder bleibt got nit undertenig,
ist sein geboten widerspenig,
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nach gwalt, er, gut und wollust strebet,
dardurch in allen lastern lebet
wider vernunft und christlich ler,
wider tugent, sitten und er.
des werden an dem jüngsten tag
all creatur mit großer klag
wider den menschen zeugnus geben
und wider sein süntliches leben,
die er mißbraucht hat allesamen,
im selb zu ewigem verdamen;
auch ist warhaftig zu vermuten,
das uns got wert mit seiner ruten
scharpf heimsuchen und gar behenz
mit krieg, teurung und pestilenz
und ander erschröcklicher plag.
got wöll, das dardurch vor dem tag
buß und beßrung bei uns aufwachs,
das wir from werden, wünscht Hans Sachs.

Anno salutis 1543. am 9. tag Augusti.

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TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Gedichte. Spruchgedichte (Auswahl). Die wolfsklage über die bösen menschen. Die wolfsklage über die bösen menschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B1DD-C