Das wütent her der kleinen dieb

Vor jaren, als mir in Westphaln
ein edelman ein pfert solt zaln,
und gleich auf Osenbruck zu zug
durch einen walt, da mich abtrug
ein beiweg, auf ein pfinztag spat,
das ich gar weder dorf noch stat
erreichen kunt, biß mich mit macht
überfiel die stickfinster nacht.
ich nam mit mir den hindern fuß,
zu eilen aus diser wiltnus;
der mon her durch die wolken leucht,
von ferr hört ich, als mich bedeucht,
ein gschell; in solchem herzenleid
kam ich im walt an ein wegscheid;
da erhub sich ein sturmwint laut
ganz ungstüm gleich einer wintsbraut,
[62]
in dem sich nehet das getümmel
mit forchtsamen gereusch und prümmel,
samt eim großen geschrei der raben,
her an der straß über ein graben,
das greulich schröcklich wütent her,
bei dreihunderten oder mer,
ein zerhaderte galgen rot.
ich stunt beseits und rüft zu got,
das er mir bhüt vernunft und sin;
also praßlets bei mir fürhin.
einer seufzet, der ander wemert,
der drit grisgramet, der viert jemert;
oben auf in die raben saßen,
ir augen ausblickten und fraßen,
teten von irem antlitz zwacken
ir oren, lebsen, kin und backen.
des hettens jemerlich anblick;
ieder het an dem hals ein strick
samt einer klappereten ketten;
durch einander sie schwürmen teten,
mit bunden henden gar verdorret,
eins teils schwarz, grumpfen und verschmorret,
eins teils bleich als die totenleich,
eins teils den kernter köpfen gleich,
daran die totenbein nur glunkerten,
und als sie all für mich hin funkerten,
kam hinden nach hin einer gangen,
den man denselben tag het ghangen;
het noch sein augn und mich ersach,
der trat zu mir und mich ansprach,
wer mich gestellet het hieher.

[63] Der Dichter

Erst erschrack ich, sagt im, ich wer
irr worden und im holz benacht.
er sprach: du schalk, du hast verlacht
uns, diß ellende wütent her.
da schwur ich im bei treu und er,
ich het mit in gehabt erbarmen,
sprach: aus was ursach, o ir armen,
müst ir mit solcher ungestüm
bei nächtlicher weil ziehen üm?
er sprach: wir suchen weit und breit
die waren strengen grechtigkeit.
etlich sagen, sie sei vor jarn
wider gen himel aufgefarn,
ander sagn, sie sei wider kommen,
doch sei ir aller gwalt genommen,
die dritten sagn, sie sei gefangen.
nun hab wir in der welt durchgangen
stet, merk, dörfer und die baufelder,
gebirg, klingen und wüste welder,
noch könn wirs nirgent kommen an.
ich sprach: was wölt ir bei ir tan?
da wolt wir unser not ir klagen,
das man uns kleine dieb tut plagen,
iederman auf uns zeigt und pfeift
und henkt uns, wo man uns ergreift;
die großen hat man wert und lieb.
ich fragt: wer sein die großen dieb?
tu mir die sach lautrer erklärn.
er sprach: die lant und leut beschwern
als rauber, lantzwinger, finanzer,
aufsetzmacher und alefanzer,
die fürkaufer und wucherer,
die warfelscher und trügener,
[64]
falsch juristen und rechtverkerer,
simoneier und falsche lerer
und ander on zal gleich der sum,
die gen nur mit dem tausent umb,
bleiben darbei groß herren noch;
wir kleinen dieb zalen das gloch
und tun dem lant doch wenig schaden,
das doch ist überschwer beladen
mit solchen großen schweren dieben,
weil schier kein creatur ist blieben
von in unbeschwert in den tagen;
das wolt wir der grechtigkeit klagen,
nit unsern diebstal uns zu schenken,
sonder die großen zu uns henken;
denn würt es baß sten in der welt,
all ding wolfeil umb ringes gelt,
und möcht aufwachsen gmeiner nutz,
als denn würt folgen alles gutz,
die grechtigkeit künt unser klagen
billicher weis gar nit abschlagen,
sie müst üben ir straf und rach.
derhalben so leßt auch nit nach
zu suchen sie das wütent her,
und find wirs auf ert nimmermer,
so find wirs doch am jüngsten tag,
da sich niemant verbergen mag
vor der strengen gerechtigkeit,
welche hat gar kein underscheit
noch ansehen keiner person;
sie straft, wer unrecht hat geton.

Der beschluß

In dem der arm von mir verschwint,
hinrauschet wie ein scharpfer wint,
ich aber forcht mich inniglich
und macht wol hundert kreuz für mich
und dacht an den Diogenem,
der eines mals lachet ob dem,
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das man ein kleinen dieb wolt henken,
und sprach: er muß am galgen schwenken;
die großen dieb gar niemant scheucht,
die hüt man wol, vor in abzeucht.
als ich das gsicht nach dreien tagen
in der stat Osenbruck tet sagen
von anfang, mittel, ent und trum,
wurdn mir etlich reich feint darumb
und wünschten, das das wütent her
die grechtigkeit fünt nimmermer.
ich aber samt der armen rot
wünsch von herzen, und wolt auch got,
das grechtigkeit mit irem schwert
vil böser stück strafet auf ert,
so nem ein ent vil ungemachs.
got wends zum besten, wünscht Hans Sachs.

Anno salutis 1539. am 29. tag Januarij.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Das wütent her der kleinen dieb. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B250-D