10. Märzlied

1784.


Nun, da Schnee und Eis zerflossen
Und des Angers Rasen schwillt,
Hier an roten Lindenschossen
Knospen bersten, Blätter sprossen,
Weht der Auferstehung Odem
Durch das keimende Gefild.
[264]
Veilchen an den Wiesenbächen
Lösen ihrer Schale Band;
Primelngold bedeckt die Flächen;
Zarte Saatenspitzen stechen
Aus den Furchen; gelber Krokus
Schießt aus warmem Gartensand.
Alles fühlt erneutes Leben:
Die Phalänen, die am Stamm
Der gekerbten Eiche kleben,
Mücken, die im Reigen schweben,
Lerchen, hoch im Ätherglanze,
Tief im Thal das junge Lamm!
Seht! erweckte Bienen schwärmen
Um den frühen Mandelbaum;
Froh des Sonnenscheins, erwärmen
Sich die Greise; Kinder lärmen
Spielend mit den Ostereiern
Durch den weißbeblümten Raum.
Sprießt, ihr Keimchen, aus den Zweigen,
Sprießt aus Moos, das Gräber deckt!
Hoher Hoffnung Bild und Zeugen,
Daß auch wir der Erd' entsteigen,
Wenn des ew'gen Frühlings Odem
Uns zur Auferstehung weckt!

Notes
Entstanden 1784. Erstdruck in: Göttinger Musenalmanach 1788.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Salis-Seewis, Johann Gaudenz von. 10. Märzlied. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B428-A