[545] Siegesfeier in Straßburg

Hallt, Glocken, hallt von Erwins Turm,
Und brausen mag der Jubelsturm
Von Berg zu Berg, von Strom zu Strome!
An jedes Ohr die Botschaft tragt:
In deutsche Luft nun wieder ragt
Der herrlichste der deutschen Dome!
Der alte Frevel ist gerächt,
Der von Geschlechte zu Geschlecht
Uns bittre Schmach vererbt und Schande:
Hallt, Glocken! Von des Nordens Meer
Bis zu den Alpen ruft sie her,
Die Söhne aller deutschen Lande!
Ja freier, wie gelöst vom Bann,
Aufatmet aller Brust; heran
Durchs Münsterthor seh' ich sie wogen,
Und wie ein himmlischer Orkan
Braust Orgelschall, indes sie nahn,
An Gurten hin und Strebebogen.
Und durch die Fensterrose bricht
Ein Farbenglanz herein, wie Licht
Des Regenbogens nach Gewittern;
Allhin bewegt sich's wunderbar,
Wie von Altare zu Altar
Die Strahlen durch den Tempel zittern.
Vom Mund der Cherubim von Stein,
Die oben längs der Pfeilerreihn
Und an den Marmorbecken hängen,
Tönt schmetternder Drommetenstoß,
Als wollt' im tiefsten Erdenschoß
Der Klang die Grabesriegel sprengen.
[546]
Der Beter jeder sinkt aufs Knie;
Und durch der andern Reihen, sieh!
Umklungen von den Dankchorälen,
Nahn sich Gestalten schattengleich;
Die sind nicht aus des Lebens Reich,
Sie kommen aus dem Land der Seelen.
Voran, die Locken silberweiß,
In Freudenthränen tritt ein Greis;
Um ihn erschallt von tausend Zungen –
Denn alle haben ihn erkannt –
Dein Lied vom deutschen Vaterland;
Nun ward erfüllt, was er gesungen.
Und rings knien sie, die opferfroh
Auf Leipzigs Feld, bei Waterloo
Um Tod fürs Vaterland geworben;
Lang wurde drüben in der Welt
Der Seligen ihr Glück vergällt
Vom Gram, daß sie umsonst gestorben.
Doch nun, verklärt im Morgenglanz,
Geschmückt mit ihrem Siegeskranz
Und mit der Wunden blut'gen Malen,
Begrüßen sie den hehren Tag
Nach langen Nächten dunkler Schmach
Und sonnen sich in seinen Strahlen.
Und hochher vom Gewölb herab,
Wie von den Engeln, die das Grab
Auf Golgatha erschlossen fanden,
Zu Glockenschall und Orgelklang
Ertönt ein himmlischer Gesang:
Deutschland ist aus der Gruft erstanden!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Lotosblätter. 5. Kampf und Sieg. Siegesfeier in Straßburg. Siegesfeier in Straßburg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B674-3