Ode

Ein jeder suche, was ihn glücklich macht,
Den Reichtum der und der den edlern Schacht,
Dem er des Wissens Erz entringe;
Ich wähle mir dein lichtes Flügelpaar,
Begeistrung, daß ich aufwärts wie der Aar,
Der sonnentrunkene, mich schwinge,
Den Becher ich, der mit dem Rebenblut,
Dem geistverklärten durch die Sommerglut,
Randvoll an meiner Lippe schäume,
Und ich das Saitenspiel, das, wie der Wald
Dem leisen Windeshauche, wiederhallt
Beim Atemzuge meiner Träume.
Komm, Göttliche, die schon das Kind beglückt
Und auf die Lippen ihm den Kuß gedrückt,
Der es zu hohen Dingen weihte;
Die meiner Jugend Dämmrung dann erhellt
Und um den Pfad mir eine Wunderwelt
Von Träumen und Gesichten reihte!
[364]
Der Quell bist du, dem alles Sein entfließt;
Ein Tropfen deiner Flut nur, und es sprießt
Der Winter auf in Frühlingsprangen;
Das Seelenlose selbst im öden Raum
Erhebt sich atmend aus dem dumpfen Traum
Der Körperwelt, die es befangen.
Glücklich der Staubgeborne, den du liebst,
Du Einz'ge, die du Licht und Leben giebst
Vom Kelch, um den die Bienen summen,
Bis zu der Mark des letzten Sonnenballs,
Wo in der Nacht des abgrundtiefen Alls
Die Töne, graunerfüllt, verstummen.
Wer einmal nur geruht in deinem Arm,
Stets sehnt er sich vom lauten Menschenschwarm
In deine heil'ge Stille wieder,
Und, sanft bewegt von deinem Atemzug,
Trägt hoch und höher ihn im Himmelsflug
Der Dichtung göttliches Gefieder.
Aufs Auge hast du Sehkraft ihm getaut,
Daß ungeblendet er zur Sonne schaut
Und sicher in des Abgrunds Tiefen;
Was künftig ist, erschließt dein Zauberstab
Vor seinem Blick und weckt ihm aus dem Grab
Geschlechter, welche lang entschliefen.
Ja, alle stehn sie um ihn her im Chor,
Sie alle müssen ihm von dem Zuvor
Und von dem künft'gen Einst erzählen;
Er preßt sie an sein Herz in Liebesglut,
Sie tränken ihn mit ihrer Lebensflut
Und strömen in ihn ihre Seelen.
[365]
Wie junge Sonnen an dem Schöpfungsherd,
Wo fort und fort das große Werden gärt,
Sich in der Flammenglut entzünden
Und bis zum fernsten Raum mit Sturmesmacht
Begeistert taumeln, um der alten Nacht
Des Lichtes Herrlichkeit zu künden;
So seine Lieder. Ihre Bahn entlang,
Die große, rollen sie mit Donnergang
Im Schwung der flatternden Kometen,
Doch lächeln wieder milde dann und hold,
Den Sternen gleich, die durch des Abends Gold
Zuerst, als Friedensboten, treten.
Bei ihrem Schein furchtlos durch Grab und Tod
Schreitet er hin zum großen Morgenrot;
Die Zeit legt ihre Sichel nieder;
Fernab versinkt der Erde Lust und Leid,
Und in der wandellosen Ewigkeit
Jauchzt die befreite Seele wieder.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Gedichte. 4. Vermischte Gedichte. Ode. Ode. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B74C-8