25. Das Räuberhaus.

A.

An einem Walde stand ein Schloß, darin wohnte ein reicher Mann, der drei schöne Töchter hatte. Zu diesem kamen einst drei vornehm aussehende und kostbar gekleidete Männer, die sich für Grafen ausgaben, aber nichtswürdige Räuber und Mörder waren. Diese fragten den Herrn des Hauses, ob er keine Töchter habe? O ja, sagte er, er habe drei Töchter, er wolle sie rufen lassen. Die Töchter erschienen, und die fremden Männer fragten sie, ob sie nicht Lust hätten sie zu heirathen? Anfangs erklärten alle drei, sie hätten noch keine Lust zum Heirathen, als aber jene die Schönheit ihres Schlosses schilderten, wie alles darin noch viel herrlicher sei als bei ihnen, und sie einluden, sie daselbst einmal zu besuchen, bekam die eine, der einer der Männer nicht übel gefiel, doch Lust und sagte, sie wolle sich die Sache überlegen und sie in ihrem Schlosse einmal besuchen. Der Tag des Besuches ward verabredet, und die Fremden reisten wieder ab. Das Mädchen, welches den Besuch zugesagt hatte, beschloß aber nicht an dem festgesetzten Tage, sondern schon eher zu reisen und die Besitzer des Schlosses zu überraschen. Sie ließ eine Kutsche anspannen und fuhr in den tiefen Wald hinein, worin das Schloß lag. Als sie eine Zeit lang gefahren waren, hörten sie ein seltsames Rauschen; dem Bedienten erschien alles im Walde so unheimlich, daß er seine junge Herrin um des Himmels willen bat umzukehren. Doch diese bestand darauf das Schloß zu sehen. So fuhren sie weiter und weiter, bis sie endlich das Ziel ihrer Reise erreicht hatten. Vor dem Schlosse standen weiße Pfähle, auf einem [304] derselben saß ein schwarzer Rabe. Als dieser das Mädchen erblickte, fing er an zu sprechen und sagte: »Schöne Dame, geh nicht in dieses Schloß, es ist ein Mörderhaus!« Von neuem fing der Bediente an zu bitten, sie möchte nicht hineingehn, sondern sogleich umkehren. Doch sie erwiederte: »wer wird sich an das Geschwätz eines unvernünftigen Thieres kehren? ich will hinein, damit ich weiß, wie es darin aussieht.« Der Bediente stellte ihr vor, Gott sende oft solche Thiere, um die Menschen zu warnen, darum möge sie auf des Raben Stimme hören. Doch sie beharrte auf ihrem Sinne, und ging – es war unterdes schon Nacht geworden – in das Schloß. Der Wagen mit dem Bedienten muste draußen bleiben. Leise und behutsam betrat sie das erste Zimmer; sie fand hier alles auf das schönste und prächtigste eingerichtet, so daß sie schon bei sich davon überzeugt war, es verhalte sich alles so, wie die angeblichen Grafen gesagt hatten. Das zweite Zim mer, welches sie darauf betrat, war noch kostbarer; der Fußboden, über den Teppiche gelegt waren, bestand aus Glas. In dem dritten Zimmer blitzte gar alles von Gold und Edelsteinen. Als sie aber das vierte Zimmer betreten hatte, erkannte sie sogleich, wie begründet die Warnung des Raben gewesen war, denn ringsum standen Tonnen mit eingesalzenem Menschenfleische. Sie schauderte zusammen, entschloß sich aber dennoch auch noch das folgende Zimmer zu öffnen. Hier fand sie ringsum an den Wänden Menschen hängen, von denen das Fleisch abgeschnitten war. Voll Furcht und Entsetzen eilte sie aus dieser Mörderwohnung, erreichte glücklich ihren Wagen, stürzte hinein und gebot dem Bedienten mit aller Macht auf die Pferde zu peitschen, um so schnell wie möglich fortzukommen. Der Kutscher that das auch, doch hatte das Geräusch die Bewohner des Schlosses wach gemacht. Es dauerte nicht lange, so hörte sie in der grösten Geschwindigkeit einen Wagen hinter sich her kommen, worin ihre Verfolger saßen, aber sie erreichte glücklich den Ausgang des Waldes. Die Verfolger schossen noch nach dem Wagen, trafen aber nicht. Als sie zu dem nächsten Dorfe gekommen war, ließ sie halten, um den Pferden Erholung zu gönnen. So kam sie glücklich wieder zu ihrem Vater und ihren Schwestern zurück.

Nicht lange nachher kam aus der benachbarten Stadt eine Freundin sie zu besuchen. Diese sagte ihr, sie wolle ihr einen merkwürdigen Vorfall erzählen, der ihr begegnet sei. Und nun [305] erzählte sie, wie drei Männer bei ihr gewesen seien und wie einer sie zu heirathen begehrt habe. Auf die an sie ergangene Einladung ihr Schloß zu besuchen habe sie sich auch dorthin begeben, jedoch zu einer anderen Zeit, als wo sie erwartet sei. Sie erzählte dann, wie sie es im Schlosse getroffen habe, und das stimmte ganz mit dem überein, was jene selbst gesehen hatte. Doch war sie auch in das sechste Zimmer gegangen. »Hier,« erzählte die Freundin weiter, »fand ich einen Hackeklotz, Beile und eine Säge, auch zerhackte Stücke von Menschen. Auf einem Tische lag ein Halsschmuck und ein goldener Ring, welche ich zu mir nahm. Während ich noch in dem Zimmer war, hörte ich mit einem Male die Mörder kommen, und weil es mir nicht mehr möglich war zu entfliehen, kroch ich schnell unter ein Bett, welches da stand, und versteckte mich. Als ich kaum in Sicherheit war, kamen die drei Männer herein und führten eine schöne Jungfrau mit sich. Diese warfen sie auf den Klotz und hackten ihr ein Glied nach dem anderen ab. Dabei sprang ein Finger, an dem ein Ring steckte, weg und flog unter das Bett, unter dem ich lag; ich nahm ihn und legte ihn zu dem Halsschmucke und dem Ringe, die ich schon hatte. Als die Räuber mit ihrer blutigen Arbeit fertig waren, vermißte einer den Finger mit dem Ringe und meinte, man solle diesen erst suchen, er würde wohl unter das Bett geflogen sein. Doch die andern beiden erwiederten: ›wir sind jetzt müde, das können wir ja morgen thun,‹ und so unterblieb es. Sobald die Räuber eingeschlafen waren, bin ich aus meinem Versteck hervorgeschlichen, habe ungesehen den Wald erreicht und bin wieder glücklich zu Hause gekommen.« – Nun erzählte auch die andere, die bis dahin still zugehört hatte, daß auch sie in dem Räuberschlosse gewesen sei.

Drei Wochen darauf erschienen die Räuber, die nichts ahnten, wieder im Schlosse, um einen Besuch zu machen und sich zu erkundigen, warum das Fräulein nicht zu ihnen gekommen wäre. Das Mädchen erwiederte, sie habe Abhaltung gehabt. Zugleich wurden im Hause alle Zubereitungen zu einem großen Gastmahle getroffen und die Räuber dazu eingeladen, was diese bereitwillig annahmen. Auch aus der Stadt und Umgegend wurden eine Menge Gäste dazu eingeladen. Außerdem wurden aber viele Bewaffnete aufgeboten, und von diesen das Haus umstellt, so daß kein Entrinnen möglich war. Als die Gäste alle bei Tisch versammelt [306] waren und sich die Speisen und den Wein wohlschmecken ließen, ward der Vorschlag gemacht, ein jeder solle eine Geschichte erzählen. Dieser Vorschlag ward angenommen. Als nun die Reihe zu er zählen an die Tochter des Hauses gekommen war, erzählte sie ihren Besuch im Räuberschlosse, indem sie vorgab dieß geträumt zu haben. Die Räuber, welche dabei doch etwas verlegen wurden, äußerten im Verlaufe der Erzählung, ja, das müsse ihr geträumt haben. Als sie aber geendigt hatte, sagte sie: »nein, nicht einen Traum, sondern die reine Wahrheit habe ich erzählt,« und wies zum Beweise den Halsschmuck, den Ring und den Finger mit dem Ringe vor. Der Halsschmuck und der Ring hatten einer Freundin der beiden Mädchen angehört, die in dem Räuberschlosse gewesen war, und deren plötzliches Verschwinden man sich nicht zu erklären vermocht hatte. Die Räuber waren so überführt, sie wurden gefangen genommen und dem Scharfrichter, der schon bestellt war, überliefert. Dieser hackte ihnen erst die Finger einzeln ab. Die Räuber schrieen in ihrer Wuth, wenn sie gewust hätten, daß jene eine Verrätherin sei, so würden sie dieselbe in einen Kessel voll Oel geworfen und darin gebraten haben. Das Fräulein entgegnete darauf, so solle es nun ihnen ergehn, und so geschah es auch. Bei einem der Räuber fand man im Stiefel ein langes Messer und eine goldene Pfeife, womit er seiner Bande pfiff. Diese Pfeife nahm ein Mann, ging damit vor das Schloß, wo die Bewaffneten standen, und that einen Pfiff. Alsbald erschienen auch einige von der Bande, die sogleich gefangen genommen und in Verwahrung gebracht wurden. Nach einer Weile wurde zum zweiten Male auf der Pfeife gepfiffen, und wieder erschien eine Anzahl Räuber und ward gefangen genommen. Als aber die goldene Pfeife zum dritten Male ertönte, da erschien die ganze Bande. So wurden sämmtliche Räuber von den zahlreichen Bewaffneten ergriffen und nach kurzem Prozesse hingerichtet.

B.

In einer einsam liegenden Mühle diente eine Magd. Einst war der Müller mit seiner Frau nach dem nächsten Dorfe zur Kindtaufe gegangen, und das Mädchen ganz allein in der Mühle [307] zurückgeblieben. Da sah sie mit einem Male, wie zwölf Männer um die Mühle herum schlichen, um den Ort zu erspähen, wo sie am besten hineinkommen könnten, und traf sogleich Vorkehrungen zu ihrem Empfange. Nachts hörte sie denn auch ein Poltern und stellte sich mit einem scharfen Beile an das Loch, worin die Mühlwelle geht. Als sie so da stand, sah sie eine Gestalt durchkriechen; sogleich nahm sie ihr Beil, hieb ihr den Kopf ab und zog den Körper dann ganz herauf. Die unten fragten: »bist du herauf?« »Ja,« antwortete das Mädchen. Nun kam der zweite, auch ihm schlug das Mädchen den Kopf ab. So machte sie es nach einander mit elf; der zwölfte aber hatte noch zeitig genug Unrath gemerkt und sie schlug ihm nur oben die »Platte« vom Kopfe, worauf er davon lief. Dann trug sie die Körper der elf Räuber in die Mühle und legte sie neben einander hin. Die Herrschaft wunderte sich nach ihrer Zurückkunft nicht wenig, als sie die todten Räuber sah und dann von dem Mädchen hörte, was geschehen war. Der zwölfte Räuber, welcher entkommen war, ging nach einiger Zeit Sonntags zu der Mühle und fragte das Mädchen, ob sie ihn heirathen wolle. Sie wies ihn aber zurück. Bald darauf kam er zum zweiten Male und wiederholte seinen Antrag, da sagte sie endlich Ja. Nach einigen Tagen kam der Räuber in einer stattlichen Kutsche vor die Mühle gefahren, um seine Braut abzuholen. Das Mädchen stieg ein und die Kutsche fuhr weg. Wie sie mit ihm allein in der Kutsche saß, bat er, sie möge ihn krauen, und nahm seinen Hut ab. »Du hast ja eine bloße Stelle auf dem Kopfe,« sprach sie zu ihm. »Ja, warte nur,« antwortete der Räuber; »weist du nicht, daß du mir ein Stück vom Kopfe gehauen hast?« Das Mädchen erschrack, sprang aus dem Wagen und lief fort, doch der Räuber holte sie wieder ein und sie muste mit in das Räuberhaus. Hier wollten die Räuber sie tödten, doch vorher legten sie sich alle zwölf in der Stube auf den Fußboden, um zu schlafen. Das Mädchen, welches in der Kammer neben der Stube war, benutzte die Gelegenheit und lief weg. Sie entkam glücklich und vermiethete sich in einem Wirthshause. Von hier aus schlich sie sich einst wieder hin nach dem Hause der Räuber; alle zwölf waren ausgezogen, nur eine Frau war daheim. Diese sagte zu ihr, sie möge machen, daß sie wieder fortkomme, denn die Räuber würden sogleich zurückkehren. Doch das Mädchen bat, sie möge sie an einer Stelle verstecken, wo sie [308] nicht gefunden würde. Da kein anderer passender Ort da war, so muste sie sich unter ein Bett legen. Bald darauf kamen die Räuber zurück und brachten ein schönes Mädchen mit; dieses tödteten sie und zerhackten es dann. Dabei flog ein Finger, woran ein goldener Ring steckte, weg und gerade unter das Bett. Die Räuber wollten nun sogleich nach dem Ringe suchen, doch die Frau hielt sie davon zurück, indem sie sagte, sie möchten doch bis morgen warten, da könnten sie ja besser sehen. Das Mädchen unter dem Bette hatte aber den Finger mit dem Ringe in ihre Tasche gesteckt. Nachts, als die Räuber alle schliefen, machte sie sich auf, muste aber zwischen den Räubern, die in der Stube auf dem Fußboden lagen, hindurch gehn. Dabei berührte sie den ersten mit dem Fuße; »stoß mich nicht!« sprach dieser zu seinem Nachbar. Ebenso berührte sie auch den letzten; »stoß mich nicht!« sprach auch dieser zu seinem Nebenmanne. Im Hinausgehn knarrte die Thür ein wenig. »Du, die Thür hat geknarrt,« sprach einer zu einem anderen. »Ei was, es ist eine Maus gewesen,« erwiederte dieser. Doch beruhigten sie sich dabei nicht, sondern standen auf, setzten sich zu Pferde und ritten in den Wald hinein, um zu sehen, wer da gewesen wäre. In der Ferne sahen sie das Mädchen und setzten ihr nach; doch diese versteckte sich in einer Höhlung im Boden. Einer der Räuber stieß zwar mit seinem Schwerte auch da hinein und stach das Mädchen in den Hacken, doch gab sie keinen Laut von sich. So zogen die Räuber weiter, um ihre Nachforschungen fortzusetzen; das Mädchen aber bat einen Fuhrmann, der da vorbei kam, er möge sie doch unter die Felle kriechen lassen, womit sein Wagen beladen war. Dieser erlaubte es ihr gern und trieb dann seine zwei Pferde zur Eile an. Nach einer Weile begegneten die zurückkehrenden Räuber dem Fuhrmann, fragten ihn nach dem Mädchen und stachen zugleich durch die Felle hindurch; doch der Fuhrmann bat sie das zu lassen, er habe den Schaden davon, denn sie zerstächen ja alle seine Felle. So zogen sie denn weiter, und das Mädchen kehrte glücklich zu dem Wirthe zurück, bei dem sie diente. Nach einiger Zeit kamen die Räuber alle zwölf in den Krug, und ihr Anführer, den das Mädchen gezeichnet hatte, hielt wieder um ihre Hand an; die elf anderen gab er für seine Brüder aus. Das Mädchen aber erkannte sie sogleich und sagte dem Wirthe, daß das die zwölf Räuber wären. Dieser entfernte sich [309] sogleich und ging ins Dorf, um die Bauern herbeizuholen und umringte mit diesen das Haus. Das Mädchen aber ging zum Schein auf den Heirathsantrag ein. Als sie nun mit ihm allein war, sagte sie, sie wolle ihm einmal einen Traum erzählen, den sie gehabt habe, und nun erzählte sie alles, was sie in dem Räuberhause gesehen und erlebt hatte. Beim Schlusse ihrer Erzählung sagte sie dann zu dem ganz bestürzten Räuber: »Der Traum ist wahr, und der Finger ist da.« Mit diesen Worten legte sie den Finger mit dem Ringe vor ihn auf den Tisch. Jetzt wollten die Räuber zu den Fenstern hinaus springen, aber das Haus war umstellt, und alle wurden gefangen genommen.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 25. Das Räuberhaus. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BB32-F