95. Der ewige Fuhrmann.

1.

Ein Bauer wollte am stillen Freitage in den Wald fahren und ein Fuder Heisterholz daher holen, weil er darauf rechnete, daß an diesem Tage der Förster nicht im Walde sein würde. Er befahl also seinem Knechte den Wagen anzuspannen. Dieser wollte Anfangs nicht mit und meinte, es wäre doch ein hoher Festtag, wo man im Walde kein Holz fällen dürfe, aber am Ende muste er sich doch dazu verstehn. Im Walde hauten sie Heister ab, und als sie ein Fuder aufgeladen hatten, muste der Knecht damit wegfahren. Der Bauer selbst blieb noch, setzte sich auf einen Baumstumpf (stûken), stopfte sich eine Pfeife und steckte sie sich an; als er aber wieder aufstehn wollte, saß er darauf fest und muste so sitzen bleiben. Der Knecht war unterdessen mit [67] dem Fuder nach Hause gekommen und hatte es abgeladen; als aber sein Herr gar nicht zurückkehrte, ging er wieder hin nach dem Walde und fand ihn hier noch auf demselben Baumstumpfe sitzend, wo er ihn verlassen hatte. Da er nun den Bauern auf keine andere Weise losmachen konnte, so nahm er seine Axt und hieb den Baumstumpf ab, wobei fortwährend das Blut aus dem Holze floß. Der Bauer wurde auf diese Weise wieder befreit und konnte mit ihm nach Hause gehn. Später wurde aber der Bauer an den Himmel versetzt und muß dort als Fuhrmann ewig den Wagen fahren. Sein Wagen ist der Siebenstern (sëben stëren); vier der Sterne bezeichnen die vier Räder, die drei andern sind die drei vorgespannten Pferde.

2.

Ein Fuhrmann war einst mit seinem Wagen stecken geblieben und alle Mühe denselben wieder loszumachen hatte keinen Erfolg, so tief war er gesunken. Die sechs Pferde, welche den Wagen zogen, waren in eine Reihe gespannt; von diesen nahm er nun zwei und spannte sie an die eine Seite, an jeden schinkel eins. Auf diese Weise gelang es ihm endlich den Wagen wieder herauszuschaffen. Dabei hatte er gesagt, er wolle für sein Theil am Himmelreiche ewig fahren (hei wolle vor sîn dël des himmelrîkes êwig fören). So ist er denn mit seinem Wagen an den Himmel versetzt, um da ewig zu fahren. Vor Mitternacht kommt er herauf, nach Mitternacht fährt er zurück (Vor middernacht kümt he rup, nâ middernacht mâkt he wêer torüe).

3.

Im Lenglernschen Holze lagen Nachts Hüter und hüteten die Pferde. Mit einem Male hörten sie in der Luft ein furchtbares Klappen, und der ewige Fuhrmann jagte durch die Luft daher. Die Bauern riefen ihm spottend nach, da kam aber der Fuhrmann zurück und rief, indem er ihnen »einen Füllenbraten« ins Feuer warf: habt ihr geholfen jagen, so sollt ihr auch mit nagen.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 95. Der ewige Fuhrmann. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BC16-7