195. Die Walpurgisnacht.

1.

Eine Frau in Lüthorst hielt sich mit einem Dragoner, der bei ihr im Quartiere lag, und pflegte ihn aufs beste. Da sie immer so viel Geld hatte, so fragte der Dragoner sie einst, woher sie das viele Geld bekomme? Sie sagte ihm darauf, wenn er sie in der Walpurgisnacht begleiten wolle, so solle er auch so viel haben, daß es in seinem Leben nicht zu Ende ginge. Er willigte ein. In der Walpurgisnacht weckte sie ihn um elf Uhr und führte ihm dann ein recht mageres Kalb vor, worauf er sich setzen muste. So wie er sich aufgesetzt hatte, schlug sie das Bein um einen Besen und ritt so im Galopp voran, das Kalb immer hinterdrein. Nach kurzer Zeit kamen sie auf einem Kreuzwege an, wo eine große Versammlung von lauter Weibern war. Die einen kamen auf Ziegenböcken angeritten, andere auf Gänseküchlein, andere auf Hühnern, wieder andere auf Flachsbrechen (ribbebrâken) u.s.w. Als es zwölf schlug, war alles vorbei. Die beiden kehrten auf dieselbe Weise zurück, wie sie gekommen waren. Der Dragoner hatte sich aber auf dem Kalbe so zu Schanden geritten, daß er acht Tage lang nicht auf dem Pferde sitzen konnte. Er wollte nun mit der Sache nichts weiter zu thun haben und bekam daher auch kein Geld.

[177]

2.

Ein Mädchen, welches eine Hexe war, hatte einen Bräutigam. Dieser war neugierig einmal zu sehen, was die Hexen auf dem Brocken machten, und bat deshalb seine Braut ihn mitzunehmen, wenn sie in der Walpurgisnacht dorthin ritte. Sie versprach es ihm auch, und sagte ihm, er möchte sich nur mit auf ihr Pferd setzen; jedoch dürfe er kein Wort sprechen, sonst könne er nicht mit und müsse liegen bleiben. In der Walpurgisnacht ging nun das Mädchen mit ihm in den Stall, worin ein kleines Kalb stand, und bestieg dieses; er setzte sich hinten darauf; dann sprach sie einige Worte, und sofort lief das Kalb mit den beiden in der grösten Geschwindigkeit nach dem Brocken. Auf dem Brocken brannten viele große Feuer, die Hexen aber tanzten, aßen und waren sehr fröhlich. Als sie fort wollten, setzte sich der Knecht wieder mit seiner Braut auf das Kalb, und sogleich rannte dieses davon. Unterwegs kamen sie an ein großes Wasser; das Kalb sprang aber mit einem Sprunge hinüber. Da vergaß der Knecht die Warnung seiner Braut und sagte: »das ist ein gewaltiger Sprung für ein so kleines Kalb.« Kaum hatte er das gesagt, so fiel er auch schon hinten ab; das Mädchen ritt weiter, er aber muste zu Fuß nach Hause zurückkehren.

3.

Ein Schmied hatte eine Frau, die bei den Leuten in dem Verdachte stand eine Hexe zu sein. Man hatte dem Manne mehrmals gesagt, daß seine Frau eine Hexe sei, doch er wollte es nicht glauben. Zuletzt beschloß er sich von der Sache zu überzeugen. Als nun der letzte April gekommen und die Walpurgisnacht vor der Thür war, sagte er zu seiner Frau, er müsse in der nächsten Nacht ein Stück Arbeit machen, wobei sie ihm helfen müsse. Diese weigerte sich und sagte, sie habe sich den Tag über müde gearbeitet; doch er ließ nicht ab und sie muste wider ihren Willen den Blasebalg treten. So arbeiteten sie bis gegen elf Uhr, da erklärte die Frau, sie könne nicht mehr; der Mann aber ließ sich nicht irre machen. Als nun die Glocke elf schlug, da schlief die Frau ein. Jetzt gab der Mann der schlafenden eine Ohrfeige, doch siehe! es war ein Strohwisch.

4.

Ein Bauer in Wulften erbte von seinem Vater eine Egge. In der Walpurgisnacht nahm er dieselbe und ging damit in die »Wôrt,« legte sie auf einen Kreuzweg und trat hinein. Nachts elf Uhr kamen die Hexen vorbei; eine von ihnen, die auf einem Besenstiele ritt und ein Beil in der Hand hatte, sagte im [178] Vorbeireiten: »Hier steht ein Baumstumpf (stûke), da will ich mein Beil hinein hauen.« Damit hieb sie ihm das Beil in die Lende und ritt weg. Der Mann ging nach Hause, konnte aber das Beil nicht herausreißen; auch kein Arzt war dazu im Stande. In der Walpurgisnacht des nächsten Jahres ging nun der Mann wieder dahin; dieselbe Hexe kam wieder vorbei und sagte: »der Stumpf steht hier noch, ich will mein Beil herausnehmen, aber ein anderes Mal steht der Stumpf nicht wieder da.«


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 195. Die Walpurgisnacht. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BDA0-3