229. Der gespenstische Wagen.

1.

Auf dem Mândâlskope bei Kalefeld soll vor alten Zeiten ein Schloß gestanden haben. Zu gewissen Zeiten fährt noch [215] von da eine mit sechs Pferden bespannte Kutsche in der Mândâlsgrund herunter bis zu einer gewissen Stelle, wo sie wieder umkehrt. Unter dem Wagen ist ein Hund mit einer glühenden Kette angebunden, in demselben sitzt ein glühender Mann. Die Pferde werden von drei Männern mit schwarzen Gesichtern gelenkt, je zwei Pferde von einem Manne; ein vierter Mann, ebenfalls mit schwarzem Gesichte, steht hinten auf. Ein alter Mann hat die Kutsche Nachts zwischen elf und zwölf Uhr da fahren sehen, dann ist sie aber auch von mehreren Kindern am Mittage gesehen. Diese waren nemlich in den Wald gegangen, um Laub zu holen. Auf dem Rückwege hören sie plötzlich hinter sich einen Wagen rasseln und freuen sich schon, daß sie nun ihre Säcke aufwerfen können; als sie aber die schwarzen Männer erblicken, lassen sie ihre Säcke im Stiche und laufen davon.

2.

Leute aus Immensen waren nach Einbeck zum Jahrmarkte gewesen. Spät am Abend kamen sie zurück; auch die Inspectorkutsche aus Sülbeck kehrte von dort zurück. In der Nähe von Immensen begegnet ihnen die spoikekutsche; sie ist mit vier schwarzen Pferden bespannt, welche feurige Sträuße auf dem Kopfe haben. Diejenigen, welche sie sahen – nicht alle Menschen vermögen sie zu sehen – wichen ihr sorgfältig aus; diejenigen aber, welche sie nicht sahen, geriethen mitten dazwischen, doch geschah ihnen nichts zu Leide. Die Pferde der Inspectorkutsche, deren Kutscher nichts gesehen hatte, geriethen ebenfalls dazwischen und der Wagen zerbrach.

3.

Einem Manne träumte dreimal hinter einander, ein goldener Wagen fahre vor seinem Hause vorbei, er rühre ihn an und werde dadurch unermeßlich reich. In der Hoffnung, daß sein Traum erfüllt werden würde, ging er in der folgenden Nacht um elf Uhr vor sein Haus und wartete da bis zwölf vergebens. Als er eben wieder in sein Haus treten wollte, sah er einen goldenen Wagen, von vier Schimmeln gezogen, vorbei eilen. Auf dem Kutschbocke saß ein Kutscher ohne Kopf, dem das Blut aus dem Halse spritzte; im Wagen selbst saß ein schwarzer Hund, dem ein Feuerstrahl aus dem Munde schoß. An dem Wagen hingen lauter Hunde herum, welche armlange feurige Zungen hatten. Kurz, der ganze Aufzug war fürchterlich anzusehen. Der Mann war erst ganz erschrocken, dann sprang er aber doch auf den Wagen zu und rührte ihn mit einem Finger an. Er fiel sogleich in [216] eine Ohnmacht, aus der er erst am anderen Morgen wieder erwachte. Jetzt erzählte er die ganze Geschichte und starb am Tage darauf.

4.

In der Quatember-Nacht fährt zu Hildesheim Nachts zwischen zwölf und ein Uhr eine glühende Kutsche in's Goschenthor und durch alle Straßen bis auf den Markt, wo sie dann in der Erde verschwindet. Vor diese glühende Kutsche sind glühende Pferde gespannt, die Feuer und Flammen speien. Auch der Kutscher, der die Pferde lenkt, glüht wie ein Mann auf einer eisernen Ofenplatte und schlägt mit seiner Peitsche, aus welcher viele Funken sprühen, rechts und links nach den Fenstern. Wer dann aus dem Fenster sieht, dem schlägt der Kutscher ohne Erbarmen die Augen aus dem Kopfe. Der aber, der in der Kutsche sitzt, hat es am allerschlimmsten, er muß schreckliche Pein leiden. Das ist nemlich ein ganz vornehmer Graf, der in seinem Leben viel Böses gethan hat. Sonntag und Alltag sind ihm einerlei gewesen; immer fuhr er in Kutschen, und es war ihm gleichgültig, ob er Menschen oder Vieh überfuhr. Einige sagen, der Graf sei der wilde Jäger; das ist auch möglich.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 229. Der gespenstische Wagen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BE6D-2