2.
Einst kam zu einem Leineweber ein Geselle und bat ihn in Arbeit zu nehmen. Der Meister sagte, wenn er in einer Woche ein Stück (6 stîgen) weben könne, dann wolle er ihn annehmen. Der Geselle ging auf die Bedingung ein und blieb bei dem Meister. Als nun der Montag kam, fing er nicht an zu arbeiten, sondern aß und trank und ging dann spazieren. Der Meister fragte ihn, ob er denn nicht arbeiten wolle; doch er erwiederte, er müsse erst alles Garn bei einander haben, Aufzug und Einschlag (schêrige und inslag), erst dann werde er anfangen zu weben, er wolle schon zur rechten Zeit das Stück fertig haben. Der Meister hatte aber nur das Garn zum Aufzuge. So verging [138] ein Tag der Woche nach dem andern bis zum Freitage; alle Tage aß und trank der Geselle im Hause und ging dann fort. Freitag Abends sagte er zum Meister, wenn jetzt alles Garn da wäre, so möge er nur zu Bette gehen. Der Meister antwortete, es wäre alles beisammen, und ging zu Bette. Nun fing es an in der Stube lebendig zu werden, als wenn viele Menschen auf einmal darin arbeiteten. Der eine peipet, der andereschîrt, ein dritter macht spûlen, ein vierter webt (wirket); genug der eine that dieß, der andere that das, und viele Hände waren geschäftig. Der Meister, der den gewaltigen Lärm hörte, stand auf und schaute durch das Schlüsselloch, um zu sehen, was es in der Stube gebe. Einer von den Leuten, die in der Stube arbeiteten, bemerkte ihn und sprach zu dem Gesellen, es gucke einer durch das Schlüsselloch. Darauf ging dieser hin und sagte, er solle sich wegpacken. Als es bald Tag war, kam der Geselle zum Meister und forderte noch Garn, er habe nicht genug; dieser aber sagte zu ihm: »ach nân düwel, slât strâ in!« und so thaten sie auch. Am anderen Morgen war das Stück fertig und lag hinter dem Webestuhl. Der Meister wollte aber den Gesellen nicht länger behalten und schickte ihn fort. Es mag wohl der Teufel selbst gewesen sein.