27. Der gelernte Dieb.
Ein Mann hatte drei Söhne. Als sie so weit herangewachsen waren, daß sie etwas lernen musten, fragte er sie, zu welchem Handwerke sie Lust hätten. Der eine wollte Maurer werden, der zweite Tischler, der dritte aber erklärte, er wolle ein Dieb werden. Weil nun der Vater von diesem Handwerke durchaus nichts wissen wollte, so entlief ihm der Junge in der nächsten Nacht. Er ging in den Wald hinein und kam bald zu einer Stelle, wo ein großes Feuer brannte, um welches sich Räuber gelagert hatten. Diese fragten ihn, wie er hierher komme und was er wolle. Der Junge erzählte, daß er seinem Vater weggelaufen sei und ein Dieb werden wolle. Die Räuber sagten darauf, wenn das der Fall sei, so möchte er nur bei ihnen bleiben, das könne er bei ihnen auch lernen. So blieb der Junge bei ihnen und ward bald ein vollendeter Dieb. Nach vielen Jahren bekam er das Verlangen [316] seinen Vater einmal wieder zu sehen. Er reiste also zu ihm und traf ihn auch lebendig und gesund. Der Vater freute sich, daß er ihn wiedersah, und fragte ihn, was er denn gelernt habe. Der Sohn antwortete: »das Diebeshandwerk.« Der Vater fragte weiter, ob er denn auch etwas Tüchtiges darin gelernt habe. Das wolle er meinen, erwiederte der Sohn. Nun ging der Vater, der ihm doch nicht so ohne weiteres glauben wollte, zu dem Schulmeister des Dorfes, der zugleich sein Gevatter war, der sollte ihm auf den Zahn fühlen. Der Schulmeister kam nun zu seinem Gevatter ins Haus und fragte den Jungen, ob er ihm wohl sein Reitpferd stehlen könne; wenn er es ihm stehle, so solle er hundert Thaler von ihm haben, könne er es aber nicht stehlen, so müsse er ihm hundert Thaler geben. Der Junge ging die Wette ein und die nächste Nacht wurde zur Ausführung des Diebstahls bestimmt. Der Schulmeister stellte nun zwei Mann Wache an die Thür des Stalles und setzte sich, um ganz sicher zu sein, selbst auf das Pferd. Der Junge aber verkleidete sich so, daß er einem alten Weibe täuschend ähnlich sah. Darauf ging er am Abend zu denen, die im Stalle Wache hielten und bat, sie möchten doch erlauben, daß er sich in eine Ecke des Stalles setze und da die Nacht über bei ihnen bleibe. Jene erlaubten es. Nachdem sie eine Weile mit einander gesprochen hatten, meinte das alte Weib, sie müsten doch auch einmal trinken, und reichte ihnen eine Flasche, in der ein starker Schlaftrunk war, so daß sie bald alle drei schnarchten. Darauf brachte der Junge eine Winde unter der Decke an, befestigte die Stricke derselben an dem Sattel, den er losgemacht hatte, und wand so den Sattel mit dem Manne, der darauf saß, hinauf. Dann zog er das Pferd aus dem Stalle und ritt weg. Am anderen Morgen brachte er dem Schulmeister sein Pferd zurück, und dieser muste sich bequemen ihm die hundert Thaler zu zahlen. Doch der Schulmeister wollte sich damit noch nicht zufrieden geben und trug ihm daher eine zweite Wette an. Er hatte nämlich ein Gespann Pferde, von diesen sollte der Dieb an einem bestimmten Tage das Sattelpferd wegstehlen; gelänge es ihm, so sollte er wieder hundert Thaler erhalten, im entgegengesetzten Falle aber dem Schulmeister hundert Thaler zahlen. In Folge dieser Wette fuhr der Schulmeister mit seinem Gespann in den Wald, um Holz zu holen. Der Dieb war ihm aber schon dahin vorausgeeilt und hatte sich, völlig unkenntlich, [317] an einem Baume aufgehängt, an welchem der Schulmeister vorbei fahren muste. Dieser kam vorbei, sah den Erhenkten, wunderte sich darüber, fuhr aber weiter. Kaum war der Wagen weg, so machte sich der Dieb schnell vom Baume herunter, eilte auf einem Nebenwege dem Wagen wieder voraus, und hing, als jener mit dem Wagen ankam, schon wieder an einem anderen Baume. So machte er es fünfmal hinter einander. Der Schulmeister wunderte sich über die Menge der Erhenkten und glaubte zuletzt eine gewisse Aehnlichkeit derselben unter einander zu bemerken. Um sich nun darüber Gewisheit zu verschaffen, wollte er zunächst den ersten und fünften, die ihm am ähnlichsten erschienen waren, näher mit einander vergleichen. Er ließ also den Wagen stehn und lief zurück. Während dessen kam der Dieb schnell vom Baume herunter, schnitt das Sattelpferd vom Wagen ab und ritt davon. Am anderen Morgen führte er dem Schulmeister sein Pferd vor und erhielt von ihm die zweiten hundert Thaler. Dieser war jetzt von seiner Kunstfertigkeit überzeugt und verlangte nach keiner weiteren Probe. Ein anderer Mann aber meinte, ihn solle er doch nicht betrügen, und erbot sich ihm hundert Thaler zu geben, wenn er ihm beim Pflügen von dem Gespann Ochsen den Handochsen wegzustehlen vermöchte; könne er aber das nicht bewerkstelligen, so solle er ihm hundert Thaler auszahlen. Der Dieb war auch zu dieser Wette bereit. Der Bauer zog nun zur bestimmten Zeit mit seinem Ochsengespann hinaus und fing an ein Feld, welches an einem Walde lag, umzupflügen. Wie er damit beschäftigt war, hörte er auf einmal im Walde eine Stimme laut rufen: »o Wunder über Wunder, seht einmal, was ist das!« Anfangs kümmerte er sich nicht darum, doch als der Ruf sich wiederholte, dachte er bei sich, er wolle doch einmal sehen, was da wäre; er ließ also Pflug und Ochsen stehen und ging in den Wald, wo er aber nichts sah und auch nichts mehr hörte. Kaum war er aber von dem Pfluge weggegangen, so kam auch schon der Dieb blitzschnell aus dem Walde heraus, schnitt eins, zwei, drei! dem Handochsen den Schwanz ab, steckte diesen dem Nebenochsen (den benêften) ins Maul und brachte dann den Handochsen dem Bauern in den Stall. Als der Bauer aus dem Walde zurückkam, sah er, daß er betrogen war, und zog mit dem einen Ochsen nach Hause, wo er den ohne Schwanz schon im Stalle fand. Somit hatte er die [318] Wette verloren und muste dem Diebe die hundert Thaler zahlen. – Der Dieb starb aber zuletzt doch noch am Galgen.