9. Die weiße Katze.

Es war einmal ein armer Bauernjunge, der war sehr einfältig, aber dreist und ohne alle Furcht. Dieser vermiethete sich bei einem alten Schweinehirten, welcher gerade krank war und deshalb nicht selbst seine Schweine austreiben konnte. Der Alte befahl ihm nachdrücklich vor Sonnenuntergange mit den Schweinen nach Hause zu kommen. Der Junge merkte aber in seiner Dummheit nicht, daß die Sonne untergegangen war und statt ihrer der Mond am Himmel glänzte; er wartete also noch immer auf den Sonnenuntergang und blieb mit den Schweinen draußen bis zum Morgen, wo der Mond unterging. Als der Junge am anderen Morgen mit den Schweinen zurück kam, war der Alte sehr zornig und drohte ihn fortzujagen. Da verlangte er trotzig seinen Lohn und ging damit weg. Weil er sich vor nichts fürchtete, so beschloß er, sich nach einem verwünschten Schlosse zu begeben, in dem, wie er gehört hatte, alle Nacht jemand wachen muste, dem aber am anderen Morgen jedes Mal der Hals umgedreht war. Es waren dabei schon so viele umgekommen, daß sich niemand mehr dazu finden wollte, obgleich der Graf, dem das Schloß gehörte, demjenigen eine große Belohnung verheißen hatte, der bereit wäre eine Nacht darin zu wachen. Der Junge kam nun zu dem Grafen und erklärte ihm, er sei bereit in dem Schlosse zu wachen, nur verlange er ein Spiel Karten, eine Geige und ein Spiel Kegel, um sich damit [272] die lange Weile vertreiben zu können. Es wurde ihm alles gegeben, was er gefordert hatte, und nachdem er sich erst noch recht satt gegessen hatte, ging er am Abend auf das Schloß und richtete sich in einem Saale wöhnlich ein. Da es kalt war, so heizte er in dem Ofen stark ein und fing dann an Karten zu spielen. Bald nach elf Uhr öffnete sich die Thür, und es kamen vier schwarze Männer herein, die trugen eine »todte« Leiche, setzten diese, ohne ein Wort zu sprechen, nieder und gingen dann wieder fort. Der Junge sagte nichts und bekümmerte sich nur um sein Spiel. Als die vier Männer fort waren, ging er zu der Leiche, richtete sie auf und sagte: »es ist kalt, du wirst wohl tüchtig gefroren haben, jetzt kannst du dich wärmen.« Damit stellte er sie an den Ofen. Nach einer Weile entstand aber ein entsetzlicher Gestank im Zimmer. Da sprang er zornig auf und sagte: »willst du hier einen solchen Gestank machen?« Mit diesen Worten gab er der Leiche eine Ohrfeige, so daß sie umfiel. Dann spielte er wieder ruhig weiter. Nicht lange nachher kamen die vier Männer wieder und trugen die Leiche fort, ohne daß er sich stören ließ. Ein Weilchen nachher kam einer der vier Männer wieder herein und setzte sich zu ihm an den Tisch. Sogleich lud ihn der Junge ein mit ihm zu spielen; er meinte, zu zweien spiele es sich doch besser, bemerkte aber zugleich, indem er auf die langen Nägel des schwarzen Mannes hinwies: »wenn du verspielst, so schneide ich dir jedes Mal einen Nagel ab. Mein König hat viel Land, um dieses umzugraben, bedarf er vieler Spaten und dazu will ich deine Nägel nehmen.« Jener schwieg und nahm auch die ihm vorgelegten Karten nicht an. Etwas später kam auch der zweite herein, dann der dritte. Nun, meinte der Junge, könnten sie Solo spielen. Endlich kam auch der vierte. Alle hatten sich um den Tisch herumgesetzt, allen bot er Karten an und forderte sie auf mit ihm zu spielen, nur machte er zur Bedingung, daß er ihnen, wenn sie verlören, die langen Nägel abschnitte. Sie nahmen aber die Karten nicht an, sprachen auch kein Wort, und als es zwölf schlug, gingen sie fort. Darauf kam eine weiße Katze herein und setzte sich zu ihm an den Tisch. Es war zwar eine weiße Katze, doch bemerkte er an den Vorderpfoten ganz deutlich menschliche Finger und an einem derselben einen dicken goldenen Ring. Der Junge sprach zu der Katze, er freue sich sehr, daß er Gesellschaft erhalte; doch die Katze sprach [273] kein Wort und ging nach einer Weile wieder fort. Bald nachher erschien sie wieder und öffnete eine Kammer, worin ein schönes Bett stand. Sie verwandelte sich dann in eine wunderschöne Prinzessin und legte sich in das Bett. Er aber blieb ruhig an seinem Tische sitzen und spielte, bis die Nacht zu Ende ging. Beim Anbruche des Tages öffnete er die Fensterladen, setzte sich in ein Fenster und spielte auf seiner Geige. Als der Graf das hörte, wunderte er sich nicht wenig darüber, daß er noch lebe, und versprach ihm noch mehr Geld, wenn er auch noch eine zweite und dritte Nacht in dem Schlosse wachen wolle. Der Junge war gern dazu bereit und bat nur, daß man ihm reichlich zu essen und zu trinken mitgeben möge. Es wurde ihm so viel Speise und Trank mitgegeben, wie er nur haben wollte, und so wachte er auch die zweite und dritte Nacht im Schlosse, worin sich alles das wiederholte, was er schon in der ersten Nacht erlebt hatte. Als er nun auch die dritte Nacht glücklich überstanden hatte, war im Schlosse die weiße Katze und alles, was darin bezaubert gewesen war, erlöst; und von allen Seiten kamen die entzauberten Menschen zum Vorschein. Man bat ihn dringend doch im Schlosse zu bleiben, allein er hatte dazu keine Lust, sondern wanderte, nachdem er reichlich belohnt war, weiter.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. B. Märchen. 9. Die weiße Katze. 9. Die weiße Katze. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C059-C