Band I

Vorwort zur Revolutionären Theaterbibliothek

Die jetzt erscheinenden ersten sechs Bände dieser Bibliothek sind nicht in der Reihenfolge entstanden, in der sie herausgegeben werden. Die 21 Stücke in Band II-VI entstanden mit Ausnahme von 2 kleinen in den Jahren 1901 und 1902, der »Rübezahl« im Anfange des Jahres 1903.

Da es auch in diesen Theaterstücken mein Bestreben war, aus den Vorstellungskreisen des Irdischen immer weiter herauszukommen, so musste diese kleine Bibliothek natürlich eine »revolutionäre« werden.

Das revolutionäre Element zeigte sich zunächst bei der Ausgestaltung des äusseren Bühnenbildes. Es war ja ganz selbstverständlich, dass mir die bislang üblichen Bühnenbilder mit dem gesamten Kulissenmaterial für meine Zwecke nicht tauglich erschienen. Aber die weitere Ausgestaltung der einfachen, von mir eingeführten Bühnenbilder führte schliesslich so weit von dem ab, was man sonst auf dem Theater zu sehen gewohnt war, dass mir doch allmählich die Kluft zwischen dem Alten und dem, was ich als Neues bieten wollte, zu gross erschien.

Von dieser Erwägung sind nun die meisten der in Band II-VI zum Abdruck gelangten Stücke lebhaft beeinflusst; es lag mir immer wieder daran, sogenannte »Uebergangsstücke« zu schaffen, um nicht den Zusammenhang mit dem bestehenden Theaterwesen gänzlich zu verlieren.

Und so kam es, dass das schwere Geschütz im Hintergrunde blieb – und dass ich denjenigen, die mit mir in der Theatekunst das Neue haben wollen, nicht revolutionär genug erscheinen dürfte.

Aber es geht nicht Alles auf einmal, und ich muss schon bitten, zunächst diesen »Anfängen« ein geneigtes Ohr und Auge entgegenzubringen, wenn diese Anfänge auch nicht so markig das [7] Theaterleben revolutionieren, wie mans wohl wünschen möchte.

Ich hoffe, dass es mir später gelingen wird, auch den extravaganten Ansprüchen Genügendes gegenüberzustellen.


Was nun über das äussere Bühnenbild gesagt ist, das ist auch über die von mir behandelten Themata zu sagen; ich konnte auch den inneren Gehalt nicht gleich so frei zur Geltung bringen, dass er eine revolutionierende Kraft im radikaleren Sinne auszuströmen vermochte. Auch bei der Wahl und der Behandlung meiner neuen Themata, die zumeist eine Revolution in unsern Lebens- und Weltanschauungen anbahnen sollten, dürfte man mir mit Recht vorwerfen, dass ich noch lange nicht revolutionär genug vorgegangen sei. Ich bitte aber auch hierbei zu berücksichtigen, dass nicht Alles auf einmal geht, und bitte auch dem, was ich inhaltlich biete, wenns auch nur wie Anfänge anmutet, ein geneigtes Ohr und Auge entgegenzubringen. Ich hoffe, dass es mir später gelingen wird, auch inhaltlich so neu zu sein, dass man das Eigenschaftswort »revolutionär« für diese Theaterbibliothek als ein berechtigtes ansehen könnte.


Der in diesem ersten Bande zum Abdruck gelangte »Rübezahl« geht in der Ausgestaltung des äusseren Bühnenbildes ganz in den bislang gewohnten Bahnen und eignet sich zur Einführung in diese »revolutionäre« Theaterbibliothek besser als jedes meiner anderen Stücke; dieser »Rübezahl« ist auch inhaltlich so gehalten, dass das revolutionäre Element nicht als gravierender Bestandteil zur Geltung kommt.

Selbstverständlich soll ein derartiges Experiment mit den alten Formen nicht zum zweiten Male in dieser Bibliothek zur Ausführung gelangen.


Der Verfasser

Charlottenburg

18. Dezember 1903

[8] Rübezahl
Schauspiel in fünf Aufzügen

Personen

Personen.

    • Rübezahl, ein Berggeist.

    • Quiwi, eine Granitfee.

    • Rüffel, ein Gnom.

    • Raxer, auch ein Gnom.

    • Betty Braun, Kammerjungfer.

    • Victor von Schmalz, ein Steuerbeamter in grüner Uniform.

    • Paschke, ein Hausknecht.

    • Ein Milchmann.

    • Ein alter Schornsteinfeger.

    • Ein junger Schornsteinfeger.

    • Erster Tourist.

    • Zweiter Tourist.

    • Dritter Tourist.

    • Zwerge, Feen, Dorfjugend.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Rübezahl. Zwerge.

RÜBEZAHL
einfach gekleidet in grüner Joppe und grauen Beinkleidern – roter, schmaler, sehr langer Vollbart – gestickte Hausschuhe.

Bringt mir die ältesten Stiefel; es sind immer noch die bequemsten. Die Zwerge laufen geschäftig mit verschiedenen Stiefeln umher. Rübezahl setzt sich auf den Divan und die Zwerge bringen nun auch einen grossen Schafspelz, Knotenstock, weisse Pelzmütze und Pelzhandschuhe von links herbei und legens auf die Fellsessel rechts – bürsten und klopfen an den Sachen. Zu einem Zwerge der Zigarren in eine Zigarrentasche steckt und sie dem Rübezahl übergibt, sagt dieser. Ja, mein Sohn, je mehr Du über die Unendlichkeit nachdenkst, um so deutlicher wird Dir klar werden, dass wir, die wir in dieser Unendlichkeit leben, in einer sehr unbegreiflichen Sache leben. Die Welt ist kein A b c- Buch. Er steckt die Zigarrentasche ein und zieht mit Hilfe der Zwerge seine ältesten sehr langen Stiefel an. Und der grosse Zauber, der in dem Unaufhörlichen lebt, sollte auch die Menschen bezaubern Er steht auf. Aber dieses Schweinepack – gebt mir meinen Schafspelz! – lebt lieber wie das liebe Vieh in einer möglichst »beschränkten« WeltEr zieht den Pelz an und geht nach hinten rechts, wo er mehrmals mit seinem Knotenstock heftig auf den Boden stampft.

[10]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Rübezahl. Zwerge. Raxer.

RAXER
steigt hinten rechts blos mit dem Oberkörper hinter einem Felsstück aus dem Boden heraus.

Schwarzes wirres Haar und dicker schlecht gepflegter Bart. Blaues Kattunhemd. Heil Dir, Rübezahl! Soll es schon losgehen?

RÜBEZAHL
stampft mit dem Fuss auf.

Ja! Und ich will, dass diesmal Alles zittert. Und zehn Tausend Menschen müssen mindestens totgeschlagen werden.

RAXER.

Also: Vulkanausbruch mit grösserem Erdbeben! Jawohl – sie werden alle vergiftet, verbrüht und erstickt! Er versinkt – pfeifend in einem Tone.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Rübezahl. Zwerge. Rüffel.

RÜBEZAHL
zieht die Handschuhe an und setzt die Pelzmütze auf, während Rüffel langsam die Wendeltreppe herunterkommt.
Lebt wohl, Kinder! Jetzt will ich mir mal die Oberfläche der Erde ansehen.
Die Zwerge verbeugen sich linkisch mit Kratzfuss.
RÜFFEL
hellblonde Haare.

Spitzbart. Braune Sammetjoppe. Gelbseidenes Halstuch. Dunkle Beinkleider. Nachlässig. Na? Soll schon wieder mal der Spektakel losgehen? Willst Dir wohl den Schaden ansehen – was?

RÜBEZAHL.

Ja, lieber Rüffel! Gleich gehts los! Pass auf! Er hebt seinen Stock und horcht. Plötzlich furchtbares Gekrache und Getöse – lang andauernd und sehr heftig. Rübezahl steigt währenddem Knotenstock schwingend die Wendeltreppe hinan. Die Zwerge halten sich die Ohren zu und laufen links ab, wahrend Rüffel ganz erschrocken neben dem Divan dem fortgehenden Rübezahl nachblickt.

[11]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Rüffel. Quiwi.

QUIWI
erscheint hinten links und bleibt nach zwei hastigen Schritten stehen.
Ganz feine mattfarbige Schleiergewänder, sehr bleiche Gesichtsfarbe. Rüffel!
RÜFFEL
erschreckend.
Quiwi! Du siehst ja so bleich aus! Was fehlt Dir?
QUIWI
sie spricht zuweilen sehr schnell – und dann wieder stockend – als wenn ihr der Atem ausginge – mit längeren und kürzeren Pausen – aber niemals stotternd.
Ich fühle schon – das andere Leben in mir – ich werde nicht – mehr lange – bei – Euch – sein.
RÜFFEL.
Jetzt schon? Aber Quiwi! Er geht zwei Schritte auf sie zu. Willst Du hinunter? In den Granit?
QUIWI.

Ja, ich will wieder – für lange tausend – Jahre – hinunter – in den Granit – und da – zu Stein werden. Mir fällt es schon – so schwer – zu sprechen. Mir ist so – als würge man mich. – in den Granit – und da zu Stein werden. Mir fällt es schon – so schon – so schwer – zu sprechen. Mir ist so – als würge man mich.

RÜFFEL.
Soll ich was tun für Dich? Sehr weich. Kann ich was für Dich tun?
QUIWI
sehr schnell.

Ja! Ich möchte Dich bitten, mir einen sehr grossen Gefallen zu tun. Kann ich mich – auf Dich – verlassen?

RÜFFEL.
Ja! Sprich!
QUIWI
zwei Schritte hastig nach vorn gehend, sodass sie hinter dem Divan ungefähr in der Mitte zwischen der linken Seitenkulisse und der Mitteltreppe steht.

Rüffel setzt sich im Folgenden rechts auf einen Fellstuhl. Du weisst – ich muss tausend Jahre tief unten im Gestein leben. Aber Du weisst auch, dass ich da in der langen Zeit nicht tot bin – ich führe da nur ein anderes Leben, das vielleicht ähnlich ist – dem Traumleben der Menschen. Aber dasselbe ist es nicht. Es ist sehr viel mehr. Ich weiss da sehr wohl, wo ich bin – und – werde – mich sehr einsam[12] – fühlen – in der langen Zeit. Und deshalb – ach – es eilt so – ich muss Dich bitten – nein – bleib da – setz Dich wieder! Rüffel, der aufgestanden war, setzt sich wieder. Und deshalb – weil ich mich da unten so einsam fühle, möchte ich, dass Ihr Alle unten in meiner Nähe wäret – ich möchte, dass Rübezahl mit seinem Felsenpalaste in die Tiefe sinkt – in die grossen Granitadern hinein – die den Mittelpunkt der Erde – umklammern.

RÜFFEL.
Aber Rübezahl will doch die Menschen – nicht verlassen.
QUIWI.
Und er hasst die Menschen.
RÜFFEL.
Das tut er – weil sie ihm zu beschränkt sind.
QUIWI.
Weil sie – sich nicht – ihm zu Liebe ihren Horizont erweitern lassen.
RÜFFEL.

Ja – aber Rübezahl wird nicht aufhören, sie dafür zu hassen – und zu quälen Getöse von Erdbeben in der Ferne. Und man hört es nur zu oft, wie er sie quält!

QUIWI.
Es ist – aber – doch – sehr einfach, ihn abzulenken; man muss ihm blos – den Menschenhass verekeln.
RÜFFEL
aufspringend.
Allerdings! Wenn du das fertig brächtest –
QUIWI.

Menschen brauchen wir dazu. Ich werde ihm erzählen, dass er in neuer Form die Menschen zwiebeln muss. Und um nun die empfindlichste Art der Menschenzwiebelung kennen zu lernen, müsste er nichtswürdig veranlagte Menschen hier unten ausforschen. Und solche Menschen muss uns Raxer besorgen. Raxer versteht das. Verstehst Du, wie ichs meine?

RÜFFEL.
Ja – ich soll den Raxer vorbereiten – nicht wahr?
QUIWI.
Richtig, aber Du darfst ihm nicht sagen, dass ich dem Rübezahl den Menschenhass – abgewöhnen möchte.
RÜFFEL.

Keineswegs! Aber Raxer geniesst Rübezahls Vertrauen – allerdings – er muss die Menschen besorgen – herbringen – und das kann er auch.

QUIWI.

Fahr hinunter zu ihm – und mach Deine Sache recht gut; Rübezahl kommt bald zurück – mit ihm muss ich allein sprechen.

[13]
RÜFFEL.

Ich werde dem Raxer auseinandersetzen, dass wir die Menschen noch viel empfindlicher treffen müssen – und einen Menschenhass heucheln! Oh – er soll ganz verblüfft sein. Ich gehe mit Dir zusammen! Steht auf, reicht ihr die Hand. Du weisst, mir ist Rübezahls Art auch nicht recht; er sollte seine agitatorischen Allüren ablegen. Was geht ihn das ganze Menschengeschlecht an? Wozu muss er immer seine kosmische Weisheit den Menschenköpfen aufdringen? Wozu? Er will ein geistiger Potentat sein – auch da oben auf der Rinde – und das gelingt ihm nicht – und daher ist er Menschenfeind. Das geistige apostolische Potentatentum hat aber doch sehr komische Seiten. Man sollte sich mehr um sich selber kümmern – und schliesslich nur bei sich selber bleiben, Er küsst ihre Hand und lässt sie los, geht nach hinten rechts hinter den Felsblock und sinkt im Folgenden langsam in die Tiefe. Auf Wiedersehen, liebe Quiwi! Bleibe fest! Du sollst nicht einsam unten sein.

QUIWI.
Sei schnell!
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Quiwi. Feen.
Quiwi setzt sich auf den Divan und drückt auf eine Tischglocke, die tief in einem Tone ertönt.

ERSTE FEE
wie die andern von hinten links herbeikommend.
Was wünschest Du?
QUIWI.
Die Fingerspitzen werden mir so kalt.
DIE FEEN
reiben die Fingerspitzen und hauchen sie an – dabei durcheinander schwatzend.

Die sind ja schon so kalt. Arme Quiwi! Willst Du noch etwas? Sollen wir immer bei Dir bleiben? Wirst Du uns auch nicht vergessen? Erzähle uns doch, wie Dir unten zu Mute ist.

QUIWI.
Das erzähl ich Euch später.
ERSTE FEE.
Aber wenn Du früher starr wirst?
QUIWI.

Plötzlich kommt es nicht. Ich merks vorher. Ich danke [14] Euch für die Erwärmung. Wenn Rübezahl kommt, so geht gleich fort. Ich will mit ihm allein sein.

ERSTE FEE.
Er kommt ja schon! Hör doch!
DIE ANDERN FEEN
durch einander.

Wir gehen schon. Lebe wohl, Quiwi! Vergiss uns nicht, wenn Du unten bist. Ruf uns nur, wenn Du was willst.Links ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Quiwi. Rübezahl.

RÜBEZAHL
polternd die Treppe runterkommend.
Quiwi? Du hier? Du siehst ja so bleich aus!
QUIWI.

Ich werde nicht mehr lange in Deiner Nähe sein. Ich muss wieder hinunter. Die Fingerspitzen werden mir schon so kalt. Und – mit – der Sprache – wills zuweilen – garnicht mehr gehen. Auch in den Füssen hab ichs – und dann zuckts oft durch den ganzen Körper.

RÜBEZAHL.
Aber warum hast Du das nicht früher gesagt?
QUIWI.
Ich habs erst vor ein paar Stunden bemerkt.
RÜBEZAHL.
Ja – willst Du denn schon hinunterfahren – zum Mittelpunkt?
QUIWI.
Noch nicht – aber bald.
RÜBEZAHL
setzt sich, ohne abzulegen, vor ihr auf einen Fellstuhl.
Armes Kind! Wenn ich Dir eine Erleichterung schaffen könnte!
QUIWI.
Lass nur! Du hast ja so viel mit den Menschen zu tun.
RÜBEZAHL.
Oh, du wirst bitter.
QUIWI.
Du irrst Dich; ich möchte Dir vor – meinem Fortgange – noch einen – Gefallen – tun.
RÜBEZAHL.
Aber Quiwi! Willst du auch anfangen, die Menschen zu hassen?
QUIWI.

Dazu werde ich unten keine Zeit haben – aber ich könnte Dir sagen, wie Du Deinen Menschenhass schärfer zum Austrage [15] bringen könntest.

RÜBEZAHL.
So? Na wie?
QUIWI.

Menschen selber wissen es am besten, wie Menschen am heftigsten gequält werden. Du musst Dir ein paar Menschen herbringen lassen und von ihnen zu erfahren suchen, wie man am stärksten die Menschen verwundet.

RÜBEZAHL.
Der Einfall ist gut.
QUIWI.

Doch die Sache eilt. Ich kann nicht mehr lange hier sein – und ich möchte Dir doch – beim Ausforschen der Menschen – etwas – behilflich sein.

RÜBEZAHL.

Quiwi, ich danke Dir! Du weisst, was mir fehlt! Du weisst, wie mich die Wut zernagt. Ich habe vergeblich mich bemüht, den Menschen grössere Welträume aufzutun. Die Menschen sind gemein und erbärmlich, und meine Freundlichkeit ist zum wilden Hass geworden. Sie sollen jetzt mit Gewalt aufgerüttelt werden. Wo die guten Worte nicht mehr ziehen wollen – da soll die Peitsche ziehen. Ich muss wirklich – Du hast ganz Recht – schärfer vorgehen – und wie man das macht – Du hast wirklich ganz Recht – das kann man am besten von den Menschen selber erfahren.

QUIWI.
Von den erbärmlichsten schlechtesten Menschen.
RÜBEZAHL.
Und die willst Du hier empfangen?
QUIWI.

Sage dem Raxer, er möchte mir die Menschen bringen – ich werde ihm hier sagen, wie ichs haben möchte.

RÜBEZAHL.
Gleich?
QUIWI.
Ja – gleich!

Rübezahl klopft hinten rechts mit dem Stock und Raxer erscheint wie im ersten Auftritt.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Quiwi. Rübezahl. Raxer.

RAXER.
Heil Dir, Rübezahl! Was giebts Neues?
RÜBEZAHL.
Tu Alles, was die Quiwi Dir sagen wird – und tus [16] gleich – so schnell Du kannst – komm rauf.
QUIWI.
Ich danke Dir.
RÜBEZAHL.

Ich habe Dir zu danken Küsst ihr die Hand und geht hinten links ab, während Raxer in die Mitte kommt und sich dort auf einen Fellstuhl setzt – der Quiwi gegenüber, die auf dem Divan sitzen bleibt wie im vorigen Auftritt.

8. Auftritt
Achter Auftritt
Quiwi. Raxer.

RAXER
schüttelt den Kopf.
Dir geht's nicht gut.
QUIWI.
Meine Zeit ist um.
RAXER.
Da tu' ich Dir gerne jeden Gefallen.
QUIWI.
Ich danke Dir!
RAXER.
Sprich nur!
QUIWI.

Die Sprache – fällt – mir – schon schwer. Sieh – wenn ich unten bin, wird mirs zuweilen schmerzhaft sein, wenn ich was von den Erdbeben höre. Und deshalb möchte ich, dass Rübezahl die Menschen in anderer Weise quält – in einer empfindlicheren Weise.

RAXER.

Oho! Bist du auch zum Menschenfeinde geworden? Vor zwei Minuten hörte ich den Rüffel in derselben Tonart blasen. Denke nur: Rüffel! Rüffel, der sonst nur Welten schaffen will – der dazu fortwährend neue Wesen – mit neuen Leibern – in Ton knetet! Dieser Rüffel will jetzt auch blos die Menschen hassen! Die Sache kommt mir beinahe verdächtig vor.

QUIWI.

Garnichts ist daran verdächtig; ich habe mit Rüffel bereits gesprochen – und zu Dir sprach er in meinem Auftrage.

RAXER.

Ach so! Na – denn entschuldige! Ich gebe im Uebrigen zu, dass die Erdbeben den Menschen garnicht empfindlich genug treffen; das einfache Totschlagen macht den Hass nicht kühl.

QUIWI.
Also: Du weisst schon!
[17]
RAXER.

Ja – ich soll Menschen besorgen, von denen wir das Menschenschinden besser lernen können. Etwas demütigend, dass wir das nicht selber besser wissen. Aber mir leuchtet wohl ein, dass die Gnome nicht so genau die menschliche Natur kennen dürften – wie die Menschen selbst.

QUIWI.

Und wir brauchen Dich, denn Du bist Sammler! Du sammelst nicht blos schöne Steine – sondern auch schöne Menschencharaktere.

RAXER
holt einen Rubin vor.
Ja – und nun braucht Ihr meine Sammlungen! Schenkt ihr den Rubin.
QUIWI.

Ich danke Dir! Ich danke Dir! Drückt ihm die Hand. Aber – hast Du auf Lager, was ich meine? Und – kannst Du mir so was – Schauderhaftes – herbringen?

RAXER.
Willst Du Leute, die Millionen unterschlugen?
QUIWI.
Sie sind besser als ihr Ruf.
RAXER.
Massenmörder?
QUIWI.
Oft blos Produkte krankhafter Liebe.
RAXER.
Machthaber? Echte Machthaber?
QUIWI.
Die sind mir alle – nicht raffiniert genug.
RAXER.
Ah – vielleicht unechte Machthaber?
QUIWI.
Also: Pseudopotentaten! Ja – das wäre was.
RAXER.
Mit Beamtencharakter oder Spekulanten?
QUIWI.
Mit Beamtencharakter.
RAXER.
Ich kenne einen Steuerbeamten.
QUIWI.
Gut! Und ausserdem?
RAXER.
Ausserdem? Ich empfehle Dir den Gegensatz – einen Stiefelputzer – Hausknecht – gemeine Dreckseele –
QUIWI.
Gut! Nun noch was Verrücktes!
RAXER.
Ein Weib!
QUIWI.
Gut! Ein brutalisiertes – fortgeworfenes!
RAXER.
Aber gesellschaftlich geschliffen muss es sein.
QUIWI.
Gut! Gut! Das wären Drei – bitte – bitte – bring sie mir!
RAXER.
Gleich?
QUIWI.
Gleich – ja!
RAXER.

Gut! Lebe wohl! Er drückt ihr die Hand und geht eilig [18] mehrere Stufen zugleich nehmend die Wendeltreppe hinauf-pfeifend.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Quiwi allein.

QUIWI.

Er tut – was ich will! Sich aufstützend. Das ist ein gewandter Gnom! Und er sieht – immer – so ruppig aus! Aber von den – geistigen Potentaten – sprach er nicht! Natürlich! Die sind ja auch nicht böse! Sie sind anders. Rübezahl! Rübezahl ist ein geistiger Potentat und – ein schöner Wüterich! Und der – soll nicht böse sein? Lacht. Ich danke schön! Er ist voll Ingrimm – und der – ist auch – böse. Jetzt fallen mir – die Augen zu! Wer ist – hier – bei – mir? Rüffel steigt rechts aus der Versenkung heraus.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Quiwi. Rüffel.

QUIWI.

Wenn ich auch nicht sehe – so weiss ich doch, was vorgeht. Rüffel starrt sie, ohne mit dem ganzen Körper nach oben zu kommen, weit vornüber gebeugt mit grossen Augen an. Schon beginnt – für mich – das andre Leben. Die ersten Fieberschauer – kommen schon. Ich bleibe – nicht mehr lange – bei Euch. Und ich sehe doch durch alle Felsen durch – und sehe, was Ihr wollt und tut: Rübezahl wütet – Raxer tut, was ich will – und Rüffel tut, was er will. Und in der grossen Welt – zerfliessen wieder – tausend Schleier. Und viele viele Wesen lernen tiefer hineinschauen – in die grosse weite Welt. Und ich sehe, wie sie das lernen – langsam, aber mit Beharrlichkeit tun sies. Und die Schleier zerfliessen – und die Augen sind nicht mehr nötig – andre Tastsinne recken sich auf – und die tasten noch weiter [19] hin Mit erhobenen Händen. in die Welt hinein – durch alle Sterne durch – in manches Geheimnis – und in neue Dinge – über die sich Alle wundern. Dass aber so sehr viel Neues näher rückt – so sehr viel – immer näher! Ich fürchte mich – es rückt mir – zu nah! – das Neue! – Es drückt mich!


Sie sinkt zurück. Zwei kleine Zwerge steigen – mühsam eine Stange Gold tragend – die Treppe runter. Rüffel ist unbeweglich.
Vorhang.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Rüffel. Raxer.

RAXER
dessen Kopf hinterm rechten Fenster dicht überm Fussboden erscheint.
Die drei Menschen sind schon da.
RÜFFEL
am runden Tisch sitzend, sich umdrehend.
Wo sind sie?
RAXER.
Sie werden Euch feierlichst hinter einander vorgestellt werden.

Legt sich mit dem Oberkörper auf den Fussboden, ohne aus dem Fensterrahmen herauszukommen.
RÜFFEL.
Weisst Du auch, Raxer, dass ich lieber Sammler sein möchte, so wie Du es bist?
RAXER.
Das weiss ich nicht, glaubs auch nicht.
RÜFFEL.
Du glaubst sehr selten, immer bist du misstrauisch.
RAXER.

Ja, dazu haben wir doch Ursache! Wir, die wir so vieles durchschauen, uns selber und uns gegenseitig durchschauen wir doch nicht; Du durchschaust mich nicht – und ich durchschaue Dich nicht. Das musste wohl so kommen; der weite Blick, den wir hier unten haben, ist in der Nähe nicht zu gebrauchen.

RÜFFEL.

Dann will ich Dir sagen, was ich dachte: ich dachte an Rübezahl und Raxer und an die Quiwi und an mich selbst, und dabei kams mir so vor, als ob ich selbst das schwerste Leben führen musste – denn ich will neue Ideen nicht blos hervorbringen, ich will sie auch festhalten, ausgestalten und plastisch niederlegen – während Ihr Alles ruhig im Kopfe herumwälzet und nichts Neues zur äusseren Erscheinung macht. Rübezahl und Du – Ihr macht Euch die nötige Bewegung blos durch den einfachen Hass.

RAXER.

Ha! Ha! Dacht' ichs mir doch! Der »einfache« Hass! Lieber Rüffel, ich hatte also doch Recht, Quiwi erscheint von links. als ich an die Ehrlichkeit Deines Menschenhasses nicht glauben mochte.

[21]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Rüffel. Raxer. Quiwi.

QUIWI.

Von Ehrlichkeit des Menschenhasses ist bei uns auch nie die Rede gewesen; es erschien uns aber der Menschenhass als gutes Mittel, stärkere Erregungen auf der Erde zu erzeugen – und darum ...

RAXER
setzt sich im Fensterrahmen auf den Fussboden.
Und darum? Also Euch ist der Menschenhass eigentlich blos Mittel zum Zweck?
QUIWI
setzt sich links an den Tisch.
Allerdings!
RÜFFEL.

Der Hass schafft, wie ich schon bemerkte, Dir und dem Rübezahl die erwünschte Bewegung – der Hass kann also auch an andern Stellen die erwünschte Bewegung hervorrufen.

RAXER.

Na – wir reden darüber später noch einmal. Ich traue Euch nicht, aber ich schicke Euch trotzdem die erbetenen Menschen zu. Versinkt hinter dem Fenster.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Rüffel. Quiwi.

RÜFFEL.
Er merkt was.
QUIWI.
Das scheint mir auch so.
RÜFFEL.
Was ist da zu machen?
QUIWI.
Garnichts.
RÜFFEL.
Ob wir ihm die Wahrheit sagen?
QUIWI.
Er ist zu hart. Aber ich wills mir überlegen. Raxer tut, was ich will. Rüffel – tut – was – er will.
RÜFFEL.
Ich tue nicht, was Raxer will.
QUIWI.
Nein, Du tust, was Du selber willst.
RÜFFEL.
Doch unsre Wünsche begegnen sich.
QUIWI.
Also: Interessengemeinschaft!
RÜFFEL.
Nu ja! Aber die knüpft oft fester an einander als die – simple – Sympathie.
[22]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Rüffel. Quiwi. Viktor v. Schmalz. Zwei Feen.

QUIWI.
Ah! Sie kommen!

Durch den Eingang in der rechten Seitenkulisse kommt eine Fee herunter, der Herr von Schmalz folgt – hinter diesem die zweite Fee.
RÜFFEL.
Wollen wir mit dem Menschen allein verhandeln?
QUIWI.
Oh! Meine Feen können ruhig zugegen sein.
VON SCHMALZ
wirft unmutig den Kopf zurück, legt die Hand militärisch grüßend an seine Mütze und sagt scharf.
Mein Name ist von Schmalz, mit wem habe ich die Ehre?
QUIWI
während sich die Feen links auf zwei Stühle setzen und sich eifrig im Folgenden gegenseitig was ins Ohr flüstern.

Ja, setzen Sie sich zunächst auf jenen Stuhl. Von Schmalz setzt sich rechts vom Tisch der Quiwi gegenüber, neben Rüffel.

RÜFFEL.
Haben Sie schon im Zuchthaus gesessen?
VON SCHMALZ
aufspringend.
Mein Herr, ich bin es nicht gewohnt, mich beleidigen zu lassen.
QUIWI.
Setzen Sie sich zunächst wieder.

Er tuts zögernd.
VON SCHMALZ.
Meine Gnädigste, ich verstehe garnicht – bin ich hier unter Räubern und Dieben?
QUIWI.
Sie sind in Rübezahls Felsenpalast.
VON SCHMALZ.
Sie sind scharmant, meine Gnädigste.
QUIWI.
Und Sie sind sehr dreist. Aber das schadet unter den obwaltenden Umständen keineswegs.
VON SCHMALZ.
Jetzt möchte ich aber wissen, was Sie eigentlich von mir wollen.
QUIWI.
Sie sollen uns erzählen, wie man die Menschen in der infamsten Weise malträtieren kann.
VON SCHMALZ.

Ich? Sie verwirren mich. Ich verstehe nicht – soll ich als Steuer-Beamter Ihre – Schmuggelgeschäfte – fördern?

RÜFFEL.
Der Herr von Schmalz ist ziemlich gewandt. Wir werden uns später schon verständigen.
VON SCHMALZ.
Mein Herr, bevor Sie mir nicht Satisfaktion gegeben haben, spreche ich mit Ihnen kein Wort.
[23]
RÜFFEL.
Herr von Schmalz, ich bin ein Gnom.
VON SCHMALZ.
Und ich bin königlicher Beamter.
RÜFFEL.
Sie können das ruhig bleiben.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Paschke und mehrere Zwerge.

QUIWI.
Herr von Schmalz, warten Sie doch die Aufklärung ab.

Paschke wird von den Zwergen auch von rechts wie von Schmalz eingeführt.
VON SCHMALZ.
Ihnen, mein Fräulein, stehe ich jederzeit zu Diensten.
QUIWI
zu Paschke.
Wie heissen Sie und was sind Sie?
PASCHKE.
Ich heisse Paschke und bin eigentlich ein verbummeltes Genie.
RÜFFEL.
Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?
PASCHKE.
Momentan bin ich Hausknecht – Hausknecht im vornehmsten Hotel meiner Vaterstadt.
QUIWI.
Setzen Sie sich an unsern Tisch.
VON SCHMALZ
aufspringend.
Meine Gnädigste, mit einem Hausknechte sitz ich nicht an einem Tisch. Ich bedaure sehr.
QUIWI
zu den Feen.

Führt Herrn von Schmalz in ein Nebenzimmer und nehmt die Zwerge gleich mitDie Feen gehen mit Herrn von Schmalz und den Zwergen links ab in die Seitenkulisse nach unten, während sich Paschke aus den Stuhl des Herrn von Schmalz setzt.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Quiwi. Rüffel. Paschke.

PASCHKE.

Meine sehr verehrten Herrschaften! Ich erkläre Ihnen gleich ohne alle Umstände, dass Sie ganz frei über mich verfügen [24] können. Die gradezu glänzende Maskerade in diesem unterirdischen Schlosse hat mich einfach geblendet. Sagen Sie, was ich tun soll – ich tus – und wenns auch gefahrvoll ist.

QUIWI.

Sehr gut! Sie brauchen sich aber unsertwegen nicht in Gefahren zu stürzen. Sie sind hier in Rübezahls Palast.

PASCHKE.
Oh! Ich verstehe – verstehe ganz genau.
QUIWI.

Ach, Sie missverstehen blos. Denken Sie mal darüber nach, wie man den Menschen die intimsten Schmerzen bereiten könnte.

PASCHKE.
Allen die Zähne einzeln ausziehen.
QUIWI.
Das geht zu schnell – etwas, das länger weh tut.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Rüffel. Quiwi. Paschke. Raxer. Betty Braun.

RAXER
der mit der Betty Braun von unten aufsteigend wieder hinter dem rechten Fenster erscheint und der Betty behilflich ist, durchs Fenster ins Zimmer hineinzuklettern.
So! Da wären Sie also auch an Ort und Stelle. Ist der Herr von Schmalz schon wieder fort?
QUIWI.
Fortgeschickt.
RAXER.
Taugt er nichts?
RÜFFEL.
Eine vortreffliche Nummer.
RAXER.
Na – das freut mich! Fräulein Betty Braun steht vor Euch – eine Kammerjungfer!
BETTY
sich verbeugend mit schwedischem Knix.
Aufzuwarten!
QUIWI.
Setzen Sie sich an unsern Tisch.

Betty tuts mit dem Rücken gegen das Publikum.
RAXER.
Drüben sehe ich den Herrn Rübezahl in den Goldadern herumwühlen.
QUIWI.
Bring ihn her, lieber Raxer. Ich sage Dir übrigens vorläufig meinen allerschönsten Dank.
RAXER.
Hat nichts zu sagen.

Versinkt wieder rechts.
[25]
BETTY.
In den Goldadern? Ach hier ist es herrlich!Blickt umher.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Quiwi. Rüffel. Betty. Paschke.

QUIWI.
Lieber – Rüffel – ich bekomme – plötzlich wieder – einen Krampf. Die Finger reiben!

Sinkt zurück.
BETTY.
Oh! Die Finger spitzen?

Hat Quiwis Hände ergriffen und reibt sie.
RÜFFEL
aufstehend.
Quiwi! Geht es vorüber?
QUIWI.
Es – wird schon wieder – besser!

Erholt sich.
RÜFFEL
ans linke Fenster tretend.
Rübezahl kommt schon.
QUIWI
zu Betty.
Ich danke Ihnen.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Rüffel. Betty. Paschke.

RÜBEZAHL
durchs linke Fenster rasch und behende einsteigend – gekleidet wie am Anfange des ersten Aufzuges.
Also: das Gesindel ist schon in meinem Palast? Zu Paschke. Wer bist Du?
PASCHKE
aufstehend und sich nachher wieder setzend.
Ich bin der Hausknecht Paschke.
BETTY
auch aufstehend und sich dann wieder hinsetzend.
Ich bin die Kammerjungfer – die Betty.
RÜBEZAHL.
Da soll ja noch son grüner Kerl sein – wo ist der denn?

Er setzt sich hinten an den Tisch, so dass sein Gesicht dem Publikum zugekehrt ist. Vom Publikum aus gesehen sitzt Rüffel rechts vom Rübezahl, Quiwi links, Betty neben der Quiwi, Paschke neben Rüffel.
RÜFFEL.
Der Grüne ist im Nebenzimmer.
Raxer steigt durchs linke Fenster auch herein.

[26]
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Die Vorigen. Raxer.

RAXER.
Den Grünen werde ich holen – ich schick ihn gleich her.

Links durch die Seitenkulisse nach unten ab.
RÜFFEL.
Ich begleite Dich. Folgt dem Raxer.
11. Auftritt
Elfter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Betty. Paschke.

RÜBEZAHL
zu Quiwi.
Nun? Bist Du zufrieden mit dem Menschenpack?
QUIWI.
Ich danke Dir, Rübezahl!
RÜBEZAHL.

Ein Hausknecht und eine Kammerzofe in meinem Felsenpalast! So was ist auch noch nicht dagewesen. Und was ist der Grüne?

QUIWI.
Ein Steuerbeamter, der uns für eine Räuberbande hält.
RÜBEZAHL
auf den Tisch schlagend.
Donnerwetter! Im Ernste? Na, die Geschichte wird gut. Lacht.
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Betty. Paschke. Von Schmalz.

VON SCHMALZ
von links hereinkommend und gleich auf Rübezahl zugehend – schneidig.
von Schmalz!
RÜBEZAHL.
Setz Dich, mein lieber Schmalz!
VON SCHMALZ
bleibt stehen und dreht sich wütend den Schnurrbart.
Ich bin ein königlicher Beamter.
RÜBEZAHL.

Du bist mir als Bösewicht und Menschenschinder gut empfohlen. V. Schmalz setzt sich. Ich will hoffen, dass Du [27] der Empfehlung Ehre machst. Sonst könnte Dirs schlecht gehen.

QUIWI.
Entschuldige mich – mir ist nicht wohl Geht nach rechts oben ab.
13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Rübezahl. Betty. Von Schmalz. Paschke.

RÜBEZAHL.
Sag mal, edler Schmalz, Du denkst, Du wärst hier in einer Räuberhöhle?
VON SCHMALZ.
Das soll ich gesagt haben?
RÜBEZAHL.
Ach so! Du hast das garnicht gesagt?
VON SCHMALZ.
Ist mir nicht eingefallen.
RÜBEZAHL.

Eine saubere Gesellschaft! In meinem Palast – ein Steuerbeamter! Steht auf und geht nach links. Wartet hier – ich komme gleich zurück! Raxer! He! Raxer! Links nach unten durch die Seitenkulisse ab.

14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Betty. Von Schmalz. Paschke.

VON SCHMALZ
zu Paschke.

Herr Paschke, entschuldigen Sie bitte mein Benehmen von vorhin – aber ich wollte versuchen – mit Schneidigkeit – durchzudringen.

PASCHKE
der rechts am Tische sitzt, während von Schmalz links ihm gegenüber sitzt.
Begriff sofort – aber Schneidigkeit hier ganz verfehlt.
VON SCHMALZ.
Mit den Wölfen muss man heulen.
PASCHKE.
Mitgefangen – mitgehangen.
VON SCHMALZ.

Sie spassen noch – aber mir wird unheimlich zu Mute. Wir sind hier in die grösste Schmugglerbande hineingeraten – und ich weiss garnicht wie.

[28]
BETTY.

Meine Herren, mir kommt die Geschichte sehr romantisch vor. Steht auf. Gestatten Sie, dass ich mich auf Rübezahls Stuhl setze, Tuts. Ich will mal sehen, wie ers aufnimmt. Der rotbärtige Kerl ist auch so romantisch. Und ich liebe die Romantik.

VON SCHMALZ.
Wenn wir diese Gesellschaft an den Galgen bringen könnten! Das gäbe eine schöne Belohnung!
BETTY.

Aber, meine Herren! Sehen Sie sich doch lieber die Goldadern an! Rechts und links neben mir Goldadern! Was bedeutet dagegen eine staatliche Belohnung? Machen Sie gute Miene ...

VON SCHMALZ
dreht sich um zum linken Fenster.
Goldadern? Springt auf. Alle Wetter!
PASCHKE
springt auch auf und legt sich vor dem rechten Fenster lang hin auf den Bauch, so dass er mit dem Kopf über den Fussboden hinunterblicken kann in die Bergwerke.
Das sieht so wie Gold aus. Hier ist ein Stück. Langt mit den Armen runter. Das Gold ist echt.
VON SCHMALZ
hat sich ebenso wie Paschke vor dem linken Fenster hingelegt.
Da kann man ja – den Verstand verlieren.
BETTY.
Verlieren Sie nur nicht das Gleichgewicht.
15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Betty. Von Schmalz. Paschke.

RÜBEZAHL
der mit Raxer von links heraufkommt.
Liegenbleiben! Weh dem, der sich rührt!
BETTY
sitzend hastig.

Die beiden Männer sehen nach den Goldadern – sie wollen sich wahrscheinlich die Taschen vollstecken. Ich aber, Herr Rübezahl, verachte das Gold – und deswegen habe ich mich mit dem Rücken gegen diese Wand gesetzt. Entschuldigen Sie nur, dass ich mich dabei aus Versehen auf Ihren Stuhl gesetzt habe.

[29]
RAXER.
Nein – so was! Die Betty will wohl mehr als Gold.
RÜBEZAHL.
Scheint mir auch so – Brillanten sind wertvoller.
BETTY.
Ich verachte auch die Brillanten.
RAXER.
Hier hast Du einen.

Gibt ihr einen Brillantring.
BETTY.
Ich nehme ihn für meine Mutter.

Nimmt.
RAXER.
Ein gutes Kind!
RÜBEZAHL.
Steht alle auf!

Alle drei springen auf.
VON SCHMALZ.
Herr Rübezahl, ich bitte um ein Gespräch unter vier Augen.
RÜBEZAHL
zögernd.

Na – meinetwegen! Raxer, führ die beiden andern Menschen nach unten. Ich klopfe nachher. Raxer mit den Beiden nach links ab.

16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt
Rübezahl. Von Schmalz.

RÜBEZAHL
setzt sich rechts an den Tisch, von Schmalz im Folgenden links.
Also: möglichst kurz!
VON SCHMALZ
eilfertig.

Nur kurz und schnell möchte ich Ihnen, Herr Rübezahl, sagen, dass ich jetzt verstehe, was sie von uns wollen. Es liegt Ihnen, der sie ein ausserordentlich reicher Mann sind, sehr viel daran, Ihre Macht in schärfster Weise zu betätigen. Und man betätigt seine Macht dadurch, dass man die Niedrigergeborenen die ganze Schwere seiner Faust fühlen lässt. Und darum wollen Sie, Herr Rübezahl, immer neue Ideen haben, das niedrigergeborene Volk zu malträtieren. Ihre Frau Gemahlin sagte mir das so nebenbei, dass ichs anfänglich für einen Scherz hielt. Aber jetzt bin ich meiner Sache sicher, und ich erkläre Ihnen hiermit unter vier Augen, dass ich Sie in vorzüglicher Weise bedienen kann und will. Ich verstehe vollkommen, dass der Reichtum leicht eine grosse Reizbarkeit erzeugt, die – sagen wirs einfach – grausam macht. Und ich stehe auch ganz auf dem Standpunkte, dass der Machthaber allein das Recht hat, sich auszuleben. Ein Machthaber[30] muss zunächst das Selbstbewusstsein der Menschen zerbrechen; straffe Tonart ist nötig. Der Boden ist heute gut vorbereitet – und ich kenne die besten Düngemittel. Es dreht sich darum, die Menschen so zu drillen, dass ihnen garnicht mehr – ein grösseres Gesichtsfeld – übrigbleibt.

RÜBEZAHL
steht auf und stampft mit dem Stuhl auf.

Sie müssen, Herr von Schmalz, über die radikale Zerstörung des menschlichen Gesichtsfeldes weiter nachdenken.

VON SCHMALZ.
Mein Losungswort heisst: die Gedankentätigkeit der Menschen ständig kontrollieren und unfrei machen.
17. Auftritt
Siebzehnter Auftritt
Rübezahl. Von Schmalz. Raxer.

RAXER
von links herauf.
Was beliebst Du zu befehlen?
RÜBEZAHL.
Sei so gut und gib dem Herrn von Schmalz ein Zimmer zum Nachdenken und schicke mir den Paschke.
RAXER.
Soll geschehen! Geht mit von Schmalz rechts nach oben ab.
18. Auftritt
Achtzehnter Auftritt
Rübezahl allein.

RÜBEZAHL
während er die Stühle, auf denen die Menschen gesessen haben, mit seinem blauseidenen Taschentuch abstäubt und abwischt – mit kürzeren und längeren Pausen – leise murmelnd.

Dieses Erbärmliche – in meinem Palast? Die Gemeinheit – hier? Da könnte ich ja rasend werden. Was hat die Quiwi getan? War das ein Attentat? Ist das eine Verhöhnung meines Menschenhasses? Oder – soll wirklich eine Steigerung meines Menschenhasses erfolgen? Diese Brut sollte man – ja – natürlich – allerdings – es genügt nicht – einfach –[31] durch Erdbeben – zu töten. Paschke von links unten – anfangs von Rübezahl nicht bemerkt. Man sollte grausamer vorgehen. Ja – sollte man grausamer vorgehen? Sind sie auch die Aufregung noch wert? Allerdings – man sollte – ah! – der Herr Hausknecht. Sehr erfreut!

19. Auftritt
Neunzehnter Auftritt
Rübezahl. Paschke.

PASCHKE
stramm stehend, während Rübezahl zuweilen noch halb in Gedanken mit seinem blauen Taschentuch die Stühle berührt.
Gestatten Sie mir, zu sprechen?
RÜBEZAHL.
Ja, Du Schuft.
PASCHKE
lächelnd.

Wie süss das klingt! Herr Raxer hat mich schon informiert. Sie wünschen, wie ich annehme, die Unruhe in der Welt zu vermehren. Sammeln Sie – die verkommenen Existenzen, die vom Schicksal einfach – zu Krüppeln gemacht sind. Mit einer Gesellschaft von diesen Leuten, die zu Allem fähig sind, können Sie auch Alles machen. Die Saat ist heute reif – nur schnell zupacken. Ich bin nicht so anmassend, dass ich mir einbilde, ganz alleine die schärfsten Infamitäten ausbrüten zu können. Aber – gestatten Sie mir, die Unterdrückten – die Leute, die ihr Selbstbewusstsein verloren haben – die eine sogenannte Würde nicht mehr kennen – hierherzubringen. Sie werden dann bedient werden, dass Ihr Temperament –

RÜBEZAHL.
Dass meine Wut – meinen Sie – zur Raserei wird – nicht wahr?
PASCHKE.
Ganz richtig! Eine Gesellschaft von Schweinhunden –
RÜBEZAHL.
Raxer! Raxer! Raxer!
[32]
20. Auftritt
Zwanzigster Auftritt
Rübezahl. Paschke. Raxer.

RAXER
der von unten links kommt und die Betty zurückhält, sodass im Folgenden blos zuweilen ihr Kopf hinter der Treppenbrüstung zu sehen ist.
Ich komme ja schon!
RÜBEZAHL.

Dieser Schuft will, dass ich die grössten Schweinhunde zu Gaste lade! In meinem Palast sollen sie Tag und Nacht – Infamitäten ausbrüten! Zum Donnerwetter! Da könnt' ich ja gleich die ganze Menschheit hier aufnehmen – als wärens meine Freunde! Wollt Ihr mich rasend machen? Fort mit diesem Schuft! Bring den Kerl ins Eiszimmer, damit er sich abkühlt! Raus mit ihm!


Raxer packt dem Paschke ins Genick und rennt mit ihm rechts nach oben ab, während die Betty von links ganz heraufkommt und der Rübezahl erschöpft auf einen Stuhl sinkt und den Kopf zwischen den Armen auf den Tisch legt.
21. Auftritt
Einundzwanzigster Auftritt
Rübezahl. Betty.

BETTY
langsam zu Rübezahl schleichend und sich ihm zu Füssen werfend.

Vergib mir! Vergib mir! Ich war vorhin so – herausfordernd. Ich setzte mich auf deinen Stuhl, um Dich zu reizen. Oh – vergib mir! Du kannst machen mit mir, was Du willst. Ich bin nicht mehr das gebrochene Weib – ich bin ganz umgewandelt – und will nur noch das, was Du willst. Ich gehe für Dich in den Tod. Ich will für Dich morden und stehlen, betrügen und lügen – hassen und lieben – so wie Du befiehlst. Peitsch mich! Töte mich! Tu mit mir, was Du willst! Dich suchte ich! Du bist voll ewiger Wut – denn Du bist auch verwundet und zurückgestossen wie ich. Und so gehören wir zusammen. Wir wollen uns zusammen Rache verschaffen. Ich will jeden [33] an mich ketten und ihn dann langsam – vergiften – bis – bis er – wahnsinnig wird. Unter tausend Küssen will ich jedem erzählen, wie süss der Menschenhass ist. Oh – der Menschenhass ist heute schon so modern – sie werden drauf reinfallen – und dann – sollen sie toben – und wir werden lachen dazu – ein erquickendes Lachen.

22. Auftritt
Zweiundzwanzigster Auftritt
Rübezahl. Betty. Quiwi.

QUIWI
die von rechts oben erscheint und das Letzte gehört hat – hastig zur Betty.
Steh sofort auf! Und laufe da drüben fort – so weit Du kannst.
BETTY
langsam aufstehend.
Warum?
QUIWI
mit erhobenen Fäusten.
Verfluchte Natter! Ich wills! Sie kommt runter, und die Betty geht langsam rückwärts.
BETTY
sich plötzlich umdrehend und links nach unten davon laufend.
Ihr seid ja alle verrückt – verrückt!
RÜBEZAHL.

Was war das? Es zuckte was durchs Zimmer – wie Blitze – komm her – setz Dich still hin – die Blitze sind fort.

23. Auftritt
Dreiundzwanzigster Auftritt
Rübezahl. Quiwi.

QUIWI
setzt sich links vom Tisch dem Rübezahl gegenüber – der sie während des Folgenden unbewegt anblickt.

Wenn Du wüsstest – was mich bewegt! Schon geht Alles, was ich sehe, langsam zurück – und es wird bald kleiner und dann wieder grösser. Und ich möchte, dass Du das, was ich empfinde, mitempfinden könntest. Meine Ohren hören schon anders als sonst – viel mehr – ferne Melodieen – und viel Fremdes – Weites. Und ich höre auch, was Du sagst – in Dir – ohne dass Deine [34] Lippen es verraten. Dich ekeln die Menschen an. Du willst sie ganz fort haben – weit – weit fort. Und Du zürnst mir, dass ich Dir die Drei herbringen liess. Aber ich habs so gut gemeint.

RÜBEZAHL.

Mich schmerzt es, dass der Mensch, wenn er die Menschheit hasst, so garkeinen Begriff von Grösse hat – dass der Menschenhass der Menschen immer soviel Niedrigkeit in sich schliesst – das Keiner dabei das Weite will. Ja, Du hast recht – diese drei Menschen, die Du mir hergebracht hast, ekeln mich an. Und ich möchte, dass alle Menschen zu Grunde gehen – alle Menschen! Höre, Quiwi, was ich will: Neue Erdbeben sollen mein Herz erleichtern – die Menschen sollen alle zu Grunde gehen – alle! Aber rasch solls geschehen, damit ich sie schnell vergesse.

QUIWI
zitternd.
Und wie lange wird es dauern – bis sie fort sind?
RÜBEZAHL.
In tausend Jahren wirds gehen.
QUIWI.
Tausend Jahre – muss ich unten – fern von Euch – allein leben – im Granit leben.
RÜBEZAHL.
Auch die Jahre werden vorübergehen.
QUIWI.

Für mich gehen sie so langsam hin, dass ich sehr – sehr leiden werde. Keinen werde ich haben, der mein grosses Weltleben da unten mitempfinden wird. Ich bin zu schwach, das Grosse – allein zu tragen. Und so wird das Grosse nur eine grosse grosse Qual für mich sein.

RÜBEZAHL
ergreift ihre Hand.
Sei stark, Quiwi! Wir vergessen Dich nicht. Das Grosse ist doch so herrlich.
QUIWI
mit geschlossenen Augen.

Ich sehe durch die Erde nach allen Seiten – und – ich höre mich, Rübezahl! – ich sehe bereits viele Menschen, deren Blick sich weitet. Menschen sinds – in einsamen Räumen – diesen Menschen wird der Himmel immer grösser – und ihr Leben wird ihnen auch immer grösser. Diese Menschen – wenige sinds nur – aber sie sind auf jener Seite Nach oben zeigend. und auch dort Nach hinten zeigend. – diese Menschen – empfinden immer mehr – vom grossen Weltleben – sie leben mit mir – als wärens – meine Kinder. Und ich weiss nicht, ob Du diese auch hassen darfst – wenns auch [35] blos Menschen sind! Ihr Blick wird doch schon weiter – so gross und frei – so – hell.


Rübezahl nimmt Quiwis Hand mit seinen beiden Händen und drückt sie fest zusammen.
Vorhang.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Feen.

FEEN
gehen auf der oberen Galerie langsam von rechts nach links – leise durcheinander redend.

Und diese wütenden Blicke! Und dann denken sie immer noch, wir bilden eine Räuberbande! Und dann wollen sie immerzu Gold haben! Recht dickes Gold! Zu komisch!

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Quiwi. Raxer.

QUIWI
von links kommend auf der unteren Galerie, auf der sie bleibt, ohne die kleine Treppe herunterzusteigen – langsam im Folgenden bis zu dieser hingehend – mit Rubin vorn im Stirnband.
Ah! Raxer! Es ist gut, dass ich Dich treffe! Du – zürnst – mir.
RAXER
von rechts kommend auf der unteren Galerie – ganz so allmählich vorgehend wie die Quiwi.
Ich zürne nicht – aber ich bin misstrauisch.
QUIWI.
Weswegen?
RAXER.
Der drei Menschen wegen.
QUIWI.
Rübezahl ist wohl sehr zornig.
RAXER.
Das ist er so oft, dass es nicht mehr viel bedeutet.
QUIWI.
Aber –
[37]
RAXER.
Aber Du scheinst was Besondres mit den drei Menschen zu bezwecken.
QUIWI.
Darf ich Dir vertrauen?
RAXER.
Ja!
QUIWI.
Dein Misstrauen – ist – berechtigt; ich – wollte – dem Rübezahl – den Menschenhass – verekeln.
RAXER.
Ach so! Herrlich! Und warum?
QUIWI.

Damit Rübezahl – mit diesem Felsenschloss – in die Tiefe – fährt – dorthin – wo ich – in den Stein muss und – für tausend Jahre selbst zu Stein werden muss.

RAXER.
Du fürchtest Dich vor der Einsamkeit?
QUIWI.
Ja!
RAXER.
Ich verstehe Dich!
QUIWI.
Wirst Du mich verraten?
RAXER.
Nein!
QUIWI.

Diese Uebergangszeit – ist – für mich – so qualvoll – dass ich mir – selber bald – unangenehm – werde. Ich bin noch – so wie sonst – doch dabei fühl ich schon – ganz – wie die hohen Felsen – die über uns – immer – Schnee auf ihren Häuptern tragen. Mir wird so oft schon – oben – weit über mir – so kalt – so eiskalt. Und das ist so scharf – und schneidend. Wirst Du mir helfen – auch wenns anders kommt?

RAXER
mit der Hand am Ohr.
Ja! Aber – Rübezahl kommt!
QUIWI.
Er darf uns nicht zusammen finden.

Beide gehen langsam rückwärts und verschwinden in den Seitenkulissen.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Rübezahl. Zwerge.
Die Holztüre geht auf, und eine Anzahl Zwerge zieht mit grossem Lärm einen ganz kleinen Handwagen mit gelben, blauen und roten Säcken herein, während Rübezahl von rechts auf der oberen Galerie erscheint und sich über die Brüstung beugt.

[38]
RÜBEZAHL.
Was lärmt Ihr denn so?

Die Zwerge bleiben erschrocken stehen und blicken nach oben.
EIN ZWERG.
Der Wagen ist so schwer.
RÜBEZAHL.
Was ist denn in den Säcken?
DIE ZWERGE
durch einander.
Gold!
RÜBEZAHL.
Ruft mir mal den Rüffel her.

Ein paar Zwerge eilen vorne nach links ab und rufen laut hinter der Szene: Rüffel! Rüffel! – während die andern Zwerge die Holztüre zuschliessen und mit dem Handwagen auch unten nach links abgehen.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Rübezahl. Rüffel.

RÜFFEL
unten von links rasch vorkommend.
Sei gegrüsst! Warum bleibst Du denn oben? Warum kommst Du nicht runter?
RÜBEZAHL.
Es hat seine Ursache.
RÜFFEL.

Ja – Du willst damit andeuten, dass Du immer oben bleiben möchtest. Und damit willst Du Deine Menschenliebe oder Deinen Menschenhass als etwas Höheres – was oben bleibt – hinstellen. Ist es nicht so?

RÜBEZAHL.
Ich bin in so schlechter Laune, dass ich garkeine Lust habe, meinen Witz spazieren zu führen.
RÜFFEL.

Das tut mir recht leid, denn ich hätte Dir gerne Manches gezeigt. Ich arbeite jetzt nur an neuen Organen. Auf der Erdoberfläche entstehen doch auch so viele neue Organe – und das regt so an – zudem: da ich meine neuen Lebewesen mit lauter seltsamen Gliedmassen ausstatte, – so müssen an diesen seltsamen Gliedmassen auch seltsame Organe zu finden sein.


Er kramt in seinen Papieren und Landkarten.
RÜBEZAHL.
Ja lieber Rüffel, mich interessieren aber augenblicklich blos die Menschen.
RÜFFEL
auffahrend und in die Mitte gehend – mit dem Rücken zum Publikum.

Das ist ja gerade das, was ich an Dir schrecklich [39] finde. Du gibst zu, dass die Menschen sehr unbedeutend sind, und trotzdem interessierst Du Dich für sie.

RÜBEZAHL.
Jawohl – aber in besondrer Art.
RÜFFEL.

Ach was! Im Grunde genommen möchtest Du sie blos bekehren. Wie ein Apostel der kosmischen Fernsicht kommst Du mir vor. Dein Apostelspielen scheint mir aber etwas oberflächlich zu machen – denn Du kommst nicht zu mir runter.

RÜBEZAHL.
Ich habe doch Ursache, hier oben zu bleiben.
RÜFFEL.

Selbst leben ist wichtiger als leben lehren.Er setzt sich links auf die Bank. Es wäre doch besser, wenn Du mehr danach strebtest, Deine Ideen plastisch auszuarbeiten – als agitatorisch zu verbreiten. Sonst könntest Du schliesslich dahinterkommen, dass Deine ganze agitatorische Potentatentätigkeit blos eine Propaganda für ein Schattenreich darstellt, was mir schon der zwei Dimensionen wegen nicht behagt – ich bin doch Bildhauer.

RÜBEZAHL.

Lieber Rüffel, ich möchte blos unsre drei Menschen beobachten – belauschen. Und ich bitte Dich daher, sie dort unten, wo Du sitzest, zusammenzubringen. Schick sie mir her und lass sie da unten warten. Ich möchte die Menschen mal da unten so ungestört neben einander sehen. Ueber Deine Worte will ich nachdenken.

RÜFFEL.
Na ja – tu das! Ich schicke Dir unsre drei Menschen her. Das hättest Du doch gleich sagen können.

Ab rechts unten.
RÜBEZAHL.
Dich wollt ich auch belauschen. Rüffel lacht hinter der Szene.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Zwerge.
Rübezahl verbirgt sich oben in der rechten Seitenkulisse, und die Zwerge kommen von links unten teilweise Arm in Arm und leise flüsternd – sie öffnen die Holztüre, gehen [40] durch und verschliessen sie von innen – man hört die Schlüssel klappern und das Schloss laut knarren.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Von Schmalz. Paschke. Rübezahl – dieser nicht sichtbar oben.

VON SCHMALZ
von rechts unten mit Paschke zusammen möglichst leise sprechend.

Ich bitte Sie, wir sollten Hand in Hand gehen, das Schicksal hat uns zusammengeführt – und darum – Handgeschüttel.

PASCHKE.
Gewiss – deswegen hat uns auch der Herr Rüffel gebeten, hier mit einander zu plaudern.
VON SCHMALZ.
Vielleicht werden wir belauscht.
PASCHKE
laut.

Daran denkt hier kein Mensch! Sieht ihn schmunzelnd an – sie setzen sich links und rechts auf die Bänke, sodass sie neben dem Eingange sitzen, der zur Holztüre führt.

VON SCHMALZ.

Der gewöhnliche Menschenfeind ist gewöhnlich ein dummer Kerl, der von Andern mit Leichtigkeit ausgequetscht werden kann.

PASCHKE.

Solch ein dummer Kerl befindet sich aber in diesem Palaste nicht – wir müssen daher unsern ganzen Witz aufbieten, dem Herrn dieser Herrlichkeit zu Diensten zu sein.

VON SCHMALZ.
Glauben Sie, dass er ein Räuberhauptmann ist?
PASCHKE.
Ich glaube nur, dass er ein reicher, mächtiger Mann ist.
VON SCHMALZ.
Ich auch.
PASCHKE.

Hm! Also: Sie sind meiner Meinung?Von Schmalz nickt. Hm! Ich bin eigentlich auch ein grosser Menschenfeind – wie – dieser – Rübezahl.

VON SCHMALZ.
Ich auch!
PASCHKE.

Hm! Sie, Herr von Schmalz, hassen aber blos das dumme Volk – und das ist unserm Rübezahl noch nicht genug.

[41]
VON SCHMALZ.
Richtig! Daher machten unsre Vorschläge nicht den genügenden Eindruck.
PASCHKE.
Wir waren nicht kühn genug.
VON SCHMALZ.
Wir wollens nachholen.
PASCHKE.

Die Sache ist einfach; wir haben uns blos die Arbeit zu teilen. Geteilte Freude ist doppelte Freude; wir werden den doppelten Lohn erhalten.

VON SCHMALZ.
Der Herr Rübezahl ist kein Knauser.
PASCHKE.
Nein! Das merkt man an der märchenhaften Einrichtung – dieses unterirdschen Schlosses.
VON SCHMALZ.
Sagen Sie schnell und kurz, wie Sie sich die Sache zurechtgelegt haben.
PASCHKE.

Sie müssen den Wohlhabenden Furcht einjagen – Furcht vor dem Neuen. Und mit dieser Furcht müssen Sie lauter freche Tyrannen machen. Dann werden durch die Tyrannei die Minderbegüterten aufgestachelt und wütend werden. Und so werden alle Menschen in Jahr und Tag zu Menschenfeinden werden und sich gegenseitig fuchswild kurz und klein schlagen.

VON SCHMALZ.

Leuchtet ein! Brillanter Vorschlag! So wird plötzlich Allen geholfen! Es lebe der Menschenfeind! Dem Herrn von Rübezahl wird es kolossalen Spass machen, wenn er bemerkt, wie er grade durch uns die beste Propaganda für seinen Stand als Menschenfeind machen kann.

PASCHKE.

Wir haben nur öfters scharf zu betonen, dass wir alle Menschen gerade durch einen »blinden« Menschenhass ganz dumm und beschränkt machen können, sodass sie vor »blinder« Wut nicht mehr die Katze von der Maus unterscheiden können – und so leicht zu regieren sind – wie das liebe Vieh.


Betty erscheint rechts auf der unteren Galerie und lauscht.
VON SCHMALZ.
Früher spekulierte man mit der Dummheit – jetzt spekuliert man mit dem Hass.

Rübezahls Kopf ist einen Augenblick oben links sichtbar.
PASCHKE.

Aber merken sie sich das, Herr von Schmalz: Hass und Dummheit wachsen nicht »immer« auf demselben Ast – es gibt Ausnahmen!

[42]
VON SCHMALZ.

Ja: drei Ausnahmen gibt es! Der Herr von Rübezahl – Sie, Herr von Paschke – und meine Wenigkeit – diese drei sind auszunehmen.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Von Schmalz. Paschke. Betty. Rübezahl. dieser nicht sichtbar.

BETTY
plötzlich mit kleinem Revolver im Eingange vor der Türe.

Der Teufel soll Sie holen, meine Herren! Wenn Sie mich nicht auch als Ausnahme betrachten – so verrate ich Sie – oder ich schiesse Sie nieder. Ich hasse die Menschen auch, »ohne ein dummes Schaf zu sein.«

PASCHKE
mit von Schmalz aufstehend.

Verzeihen Sie, mein Fräulein, dass Herr von Schmalz sich verrechnet hat – aber ich kann wirklich nichts dafür.

VON SCHMALZ.

Wir hatten doch gar keine Ahnung, dass grade »Sie« uns belauschen würden. Wer hätte denn so was gedacht!

BETTY.

Schwören Sie mir, meine Herren, dass Sie nichts ohne mein Mitwissen und ohne meine Mitwirkung unternehmen werden?

VON SCHMALZ UND PASCHKE
mit erhobenen Händen.
Wir schwören!
PASCHKE.
Stecken Sie die Waffen ein.
VON SCHMALZ.
Reichen Sie uns freundschaftlich die Hand!

Es geschieht. rechts auf der unteren Galerie erscheint Raxer, links auf der unteren Galerie ihm gegenüber Rübezahl.
PASCHKE.
Wir wollen uns treu bleiben!
BETTY.
Wenns uns auch schwer fällt. Es lebe der famose Menschenhass!
PASCHKE.

Es lebe die wütende Borniertheit der Menschen da oben! Von der Borniertheit kann man immer ganz famos leben.

[43]
VON SCHMALZ.
Die bornierte Wut! Die aber wird in drei Herren und einer Dame nicht leben.Lacht sehr laut.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Rübezahl. Raxer. V. Schmalz. Paschke. Betty.

RAXER
sich ganz rechts über die Brüstung der unteren Balustrade lehnend – was Rübezahl auch ganz links tut.
Wollen mich die Herrschaften nicht auch als Ausnahme betrachten?
BETTY.
Himmel! Sie, meine Herren, sind belauscht!
VON SCHMALZ.

Oh! Oh! Verzeihen Sie uns, Herr von Rübezahl! Wir sind ja mit der Bauart dieses Palastes nicht vertraut.

PASCHKE.

Herr von Schmalz, dieser Pseudopotentat, hat ganz alleine gezählt – er verrechnet sich immerzu – aber ich kann wirklich nichts dafür.

VON SCHMALZ.
Herr von Rübezahl!
RÜBEZAHL.

Ruhe da unten! Sie haben Ihre Rollen ganz vorzüglich gespielt. Sie wussten ganz genau, dass Sie Zuhörer hatten. Aber wenn Sie sich für klug hielten, so geben Sie sich einer Täuschung hin. Ihre Worte haben bei mir das Gegenteil Ihrer Absicht bewirkt. Jetzt hab ich genug vom Menschenhass. Ich danke Ihnen. Raxer, bring diese drei Menschen, die so famos den Menschenhass in ihre Geschäftskalkulationen zu ziehen verstehen, in die grossen Kristallsäle – damit sie da weiter nachdenken können – mal über was Andres – vielleicht zur Abwechslung mal – über die Bedeutung des besten Bedientenverstandes. Der Hausknecht und die Kammerjungfer haben schon von Geburt an einen ganz vortrefflichen Bedientenverstand, sie werden gern von ihrem Ueberschuss Herrn von Schmalz, der das Zählen noch nicht ordentlich versteht, abgeben. Raxer hat währenddem mehrmals an die Holztüre geklopft, die jetzt von innen von Zwergen geöffnet wird. Leben Sie wohl, meine Herrschaften.


Raxer bittet die Drei höflich [44] durch Handbewegung, durch die Türe zu gehen. Er folgt ihnen, und die Zwerge verschliessen wieder die Türe von innen – die Schlüssel rasseln – das Schloss knarrt.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Rübezahl. Feen gehen am Anfange auf der oberen Galerie von links nach rechts. Rüffel unten rechts – hinter der Scene nicht sichtbar – auch wenn er spricht.

RÜBEZAHL
nachdem er langsam von der unteren Galerie durch die Mitte heruntergekommen ist und sich vorn rechts auf der Bank an den ganz rechts stehenden Tisch gesetzt hat.
Rüffel! Hast Du Zeit?
RÜFFEL
hammert zuweilen wie ein Bildhauer.
Nicht viel! Aber sprich doch. Ich höre sehr gut.
RÜBEZAHL.
Lieber Rüffel, mir ist der ganze Menschenhass einfach ekelhaft geworden.
RÜFFEL.

Na ja – Du wolltest aber doch über meine Worte nachdenken – über meine Worte vom flach machenden Aposteltum.

RÜBEZAHL.

Nachdenken! Ja – darüber kann ja auch Herr von Schmalz nachdenken. Warum soll ich denn darüber nachdenken? Ich habe über den Menschenhass nachzudenken – das geht vor. Ich habe darüber nachzudenken, wie es gekommen ist, dass ich auch zum Menschenhasser wurde.

RÜFFEL.
Weil die Menschen Dein potentatliches Aposteltum nicht genügend würdigten.
RÜBEZAHL.
Also wäre mein Menschenhass eigentlich – nur der verletzten Eitelkeit entsprungen.
RÜFFEL.

Na – ob das so »einfach« hingesagt werden darf – das ist wohl wieder eine Sache für sich. So einfach kannst Du doch nicht durch Deine apostolische Tätigkeit geworden sein. Hammert sehr heftig. Das würde mich doch beinahe zum Rübezahlhasser machen.

[45]
RÜBEZAHL.
Du bist grob – aber Deine Verhöhnung der Einfachheit – hat ja wohl einen gewissen Sinn –
RÜFFEL.
Jedenfalls wird sich die Quiwi freuen.
RÜBEZAHL.

Freuen? Worüber denn? Die Quiwi erscheint auf der unteren Galerie links und lehnt sich da über die Brüstung – so wie Rübezahl vorhin.

RÜFFEL.
Nicht freuen! Ich meinte, sie wird sich ärgern. Wir ärgern uns ja alle – wies scheint.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Rüffel; der auch jetzt unsichtbar bleibt.

QUIWI.

Grade freuen werde ich mich! Warum sollte ich mich über »Menschen« ärgern? Lieber Rüffel, wir wollen – uns nicht – mehr ärgern. Rübezahl will sich – auch nicht mehr ärgern. Er geht uns mit gutem Beispiel voran. Ich hörte schon, dass die drei Menschen – Rübezahls Hass nicht gesteigert – sondern vernichtet haben.

RÜBEZAHL.
So ist es.
QUIWI.
Aber ich freue mich darüber. Warum sollte ich mich ärgern?
RÜFFEL.

Freut mich ebenfalls! Das vom Aerger entschlüpfte mir so wider Willen. Ich fürchte, dass ich momentan der einzige bin, der sich ärgert. Ja – die Quiwi!

RÜBEZAHL.
So lass mich mal erst mit der Quiwi allein reden; ich komme nachher zu Dir.
RÜFFEL.
Freut mich ebenfalls.
QUIWI.
Soll ich hinunter kommen?
RÜBEZAHL.
Fällt es Dir schwer?
QUIWI.
Ja – augenblicklich – sehr.
RÜBEZAHL.

Dann bleibe nur oben. Höre nur: Du sagtest mir neulich, dass es oben auf der Erdrinde schon einzelne Menschen gäbe, deren Blick sich weitet.

QUIWI.
Das hab – ich – allerdings – gesagt.
[46]
RÜBEZAHL.

Und nun will ich diese einzelnen Menschen auf der Erdrinde aufsuchen und in ihren Bemühungen unterstützen.

QUIWI.
Oh weh!
RÜBEZAHL.
Was ist Dir?
QUIWI.
Ich leide so.Aber bleib da – Du kannst mir nicht helfen.
RÜBEZAHL.
Wirklich nicht?
QUIWI.
Nein – geh nur zum Rüffel!
RÜBEZAHL.

Arme Quiwi! Na – ich gehe, komme bald zurück. Es eilt – auch mit den armen Menschen. Wenn Raxer kommt – so wartet hier. Ab unten rechts.

11. Auftritt
Elfter Auftritt
Quiwi. Raxer der durch die Holztüre kommt, die gleich wieder hinter ihm von innen zugemacht wird.

QUIWI.
Lieber Raxer, bleib da stehen.

Sie geht hinunter zu ihm, sodass beide im Folgenden dicht vor der Holztüre stehen.
RAXER.
Du siehst so verstört aus! Du hast doch gesiegt!
QUIWI
leise-eindringlich-rasch.

Nein! Er will jetzt grade bei den Menschen bleiben – sein Hass ist urplötzlich in Mitleid verwandelt. Bei seinem Eigensinn ist Alles möglich. Ich hab ihm leider gesagt – sagen müssen – dass einzelne – Menschen – jetzt schon – einen weiteren Blick bekommen. Und diesen Einzelnen will er jetzt – förderlich – und nützlich sein. Jetzt, lieber Raxer, musst Du helfen – ein Andrer kanns nicht – Du musst ihm auch die Guten – so zeigen – dass er – sie nicht mehr – mag.

RAXER.
Könntest Du ihm nicht offen erklären –
QUIWI.

Das könnte doch Alles verderben. Er lässt sich nicht lenken, wenn er entschlossen ist. Sein Eigensinn – oh!

RAXER.

Dann will ich tun, was ich kann. Sie kommen nach vorn, Raxer setzt sich an den Tisch rechts vom Mittelgange, Quiwi an den Tisch links vom Mittelgange.

[47]
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Rüffel. Quiwi. Raxer. Rübezahl.

RÜBEZAHL
mit Rüffel von rechts unten kommend setzt sich an den Tisch, der ganz rechts steht, während sich Rüffel an den setzt, der ganz links steht.
Raxer, kannst Du uns Menschen zeigen, deren Blick sich weitet?
RAXER.
Ja! Aber allzu weit sind die Blicke noch nicht.
RÜFFEL.
Raxer kann doch Alles.
RÜBEZAHL.
Was hätten wir zu tun?
RAXER
nach kurzer Pause.
Wir müssten uns wie Wegelagerer kleiden und Waffen mitnehmen. Ich werde Euch führen.
RÜBEZAHL
steht auf, die andern tuns auch.
Leb wohl, Quiwi! Sehen wir uns wieder?
QUIWI.
Einen Tag und eine Nacht hab ich noch vor mir.
RÜBEZAHL
während Raxer an die Holztüre klopft, die von den Zwergen gleich geöffnet wird.

Dann sehen wir uns noch! Ab mit Rüffel und Raxer durch die Holztüre, die offen bleibt, während die Zwerge auf der unteren Galerie und ganz unten neben der Quiwi sich aufhalten, da sie denken, dass die Quiwi auch durch die Holztüre gehen wird.

13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Quiwi. Zwerge. Zum Schluss eine von den Feen.

QUIWI
sieht durch die offene Tür den Dreien nach und horcht, die Zwerge legen die Hand ans Ohr und horchen auch.

Lasst die Tür offen. Ich – fürchte mich so. Fasst einen Zwerg an die Hand. Sprecht kein Wort! Lasst niemand heran! Lasst die Tür auf! Mit geschlossenen Augen. Die Einsamkeit ist zu gross. Bleibt bei mir. Steht ganz still. Horcht! Sie gehen hinauf – zu den Menschen – verkleidet. Aber da – da kommen die grossen Geister – sie kommen auf mich zu! Ich verstehe nicht, was sie wollen[48] – und ich fühle – mich – Schreiend. ganz allein! Die Geister – sie sind so gross – und ich bin allein – im Granit. Der Granit ist hart – und ganz kalt. Da – da – ein grässliches Gesicht – kommt näher! Eine Fee erscheint oben rechts auf der oberen Galerie und blickt hinunter – gleich nachher ist sie rechts auf der unteren Galerie und blickt da auch mit grossen Augen über die Brüstung. Bringt das entsetzte – Gesicht – fort! Nein – bleibt hier – dass ich nicht allein bin. Da – da – noch mehr Gesichter – ich hab Angst – Angst – schreckliche Angst. Ich fürchte mich. Bricht weinend auf der Bank zusammen – sie hat so lange gestanden. Ich fürchte mich – vor der furchtbar grossen – Einsamkeit Leise unheimlich. Ich fürchte mich vor dem Grossen – vor der furchtbaren Grösse – der grossen – furchtbar grossen – Welt. Zusammengekauert, ohne die Hand des einen Zwerges, der auf die Knie fällt, loszulassen. Ich fürchte mich. Heftig und mit schriller entstellter Stimme. Lasst die Tür auf!


Vorhang.

4. Akt

1. Auftritt
[49] Erster Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Raxer. Alle Drei als Wegelagerer gekleidet mit Flinten, Dolchen und Pistolen. Grosse Mäntel und grosse Schlapphüte. Karierte Reisetücher über der Schulter.

RÜBEZAHL
geht nach links vorn zu den beiden Baumstümpfen, während Rüffel und Raxer auf dem Landwege rechts stehen bleiben und in die rechte Seitenkulisse hineinblicken.

Hier oben auf der Erde kann man, wenn man müde ist, sich nicht einmal hinsetzen, wo man will. Man kann es eigentlich den Menschen nicht übel nehmen, wenn sie zuweilen über die verblüffenden Unbequemlichkeiten des irdischen Daseins ungehalten werden.

RÜFFEL.

Rübezahl denkt sich so ins Menschenleben hinein, dass er uns auch verblüffende Unbequemlichkeiten bereiten könnte.

RÜBEZAHL
während die beiden Andern in die Mitte kommen.
Hier habe ich aber zwei Baumstümpfe gefunden.
RÜFFEL.
Auf den Dingern kann man sich aber nicht hinsetzen.
RAXER
nach rechts den Fahrweg hinunterdeutend.

Warten wir einen Augenblick. Verbergen wir uns.Mit Rüffel nach vorne rechts, während Rübezahl sich vorne links auf seine Flinte stützt.

RÜBEZAHL.
Zwei Schwarze kommen langsam näher.
RÜFFEL.

Rübezahl, weisst Du auch, was unter den Menschen sehr oft aus denen wird, die Andern immer helfen wollen?

RÜBEZAHL.
Na sags nur.
RÜFFEL.
Wuchrer werden sehr oft aus solchen hilfsbereiten Leuten.
RAXER.
Still! Rührt euch nicht!
[50]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Raxer. Ein Schornsteinfeger mit seinem Sohne. Jeder von diesen Beiden mit einer Leiter – der Sohn mit einer kleineren. Der Alte trägt einen Zylinder und raucht eine Zigarre.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER
lacht, erschrickt und steht still.
Vater, da steht ein Räuber!
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Dummer Junge, uns werden sie nichts nehmen. Guten Abend, Herr Hauptmann! Zigarre gefällig?

Reicht dem Rübezahl eine Zigarre.
RÜBEZAHL.
Nehmt lieber von meinen und gebt mir Feuer.

Beides geschieht.
RAXER.
Und verkauft uns Eure Leitern.
DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Vater, das sind garkeine Räuber!
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Naseweiser Schlingel, wirst Du wohl still sein. Gib Deine Leiter her.

Nimmt beide Leitern zusammen und gibt sie dem Raxer.
RAXER
gibt ihm zwei Goldstücke und legt die grosse Leiter über die Baumstümpfe und dann Decken darauf, während die kleine Leiter rechts liegen bleibt.
So, mein lieber Rübezahl, jetzt setz Dich.
DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER
herumspringend und Beine schwenkend.
Siehst Du, Vater! Ich hab doch recht. Das ist der alte Rübezahl.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER
während die drei Geister lachen.
Mein Sohn, wenn Du jetzt nicht still bist, so gibts was.
RÜBEZAHL
sitzend, während Raxer und Rüffel auf dem Landwege nach beiden Seiten mit der Hand über den Augen hinausblicken.
Alter Schornsteinfeger, gehörst Du zu den Leuten, die einen weiten Blick haben?
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Ih! Ihr wollt wohl wissen, ob ich andern Leuten in den Geldschrank sehen kann.

Raucht hastig.
[51]
RÜBEZAHL.

Nein – ich meine, ob Ihr einen Blick habt, der über alles Unglück und über alles Leiden hinwegblicken kann.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Das kann der Vater.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER
gibt dem jungen eine Maulschelle.

Das ist der naseweise Schornsteinfeger, mich nennt man den weisen – und ich habe wohl den Blick, von dem Ihr sprecht.

RÜBEZAHL.
Was denkt Ihr Euch dabei?
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.

Ich denke, wenn ich Unglück sehe oder selber habe, an den alten Sensenmann. Der alte Herr, der kein Fleisch hat und zuletzt kommt, macht Alles wieder gut. Und das tröstet mich.

RÜBEZAHL.
Und weiter seht Ihr nicht?
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Wozu weitersehen wollen, wenn man getröstet ist!
RÜBEZAHL.
Ich möchte Euch aber so gerne weiter – helfen.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.

Sie mir helfen? Sie? Was wissen sie denn von dem, was nach dem Tode kommt? Komm, mein Sohn! Gib mir Deine Hand. Der junge Schornsteinfeger tut es. Der Herr will sich über uns lustig machen. Dazu suchen Sie sich nur einen Andern, mein lieber Herr! Ich brauche Sie nicht. Ab mit Sohn links.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Rüffel.

RÜFFEL
auf dem Landwege nach rechts blickend.
Das war jedenfalls ein wirklich guter Mensch.
RÜBEZAHL.
Leider war sein Blick nicht weit genug.
RÜFFEL.
Und solchen Leuten willst Du helfen?
RAXER.
Die können sich nach ihrer Meinung so gut selber helfen.
RÜBEZAHL.
Ob er sich auch für klüger halten würde, wenn er wüsste, dass ich kein Mensch bin wie er.
RAXER
nach links rufend.

He! Schornsteinfeger! Glaubst Du, [52] dass der alte Rübezahl klüger ist als Du selbst? Schallendes Gelächter aus der Ferne von links her – mit Echo.

RÜBEZAHL.
Der hält sich ganz bestimmt für den klügsten Menschen aller Zeiten. Beinah beneidenswert!
RÜFFEL.
Und glaubt garnicht an den alten Rübezahl. Nach rechts. Da kommt ein Schlitten ohne Pferd.
RAXER.

Diese Dorfphilosophen darf man um alles in der Welt nicht merken lassen, dass man irgend etwas besser wissen könnte; jede Meinung, die sie nicht selber aussprechen, ist ihnen ein Greuel – sie glauben oft, dass sie das Denken Andrer für eine Kränkung ihrer Ehre halten müssten – – sie denken doch und das genügt doch.

RÜFFEL.
Wozu die Rede?
RAXER.

Ein Beitrag zur Schulstubenpotentatenpsychologie. Ich sammle doch auch so was und kann doch auch mal von meinen Sachen reden.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Rüffel. Ein Milchmann. Erster Tourist. Die beiden Letzteren ziehen und schieben einen kleinen Schlitten, auf dem ein toter Esel liegt – neben leeren Milchkannen, die klappern.

MILCHMANN.
Mein Esel ist tot.

Bleibt stehen, sodass der Schlitten in der Mitte der Bühne bleibt.
RÜFFEL.
Das ist wohl ein grosser Verlust für Dich, nicht wahr?
MILCHMANN.

Ach, wenn man nur nicht die gute Laune verliert. Er ist etwas angetrunken. Und deshalb seh ich immer in die Zukunft – ganz tief – in die Zukunft hinein. Dass mein Esel mal sterben würde, das hab ich immer vorausgesehen. Und wie viel ich noch mal trinken werde, das seh ich auch voraus. Mein Leben ist eine grosse Allee, in der rechts und links volle Biergläser statt der Bäume dastehen. Und ich muss all die vollen Gläser austrinken; es bleibt mir nichts Andres übrig. Aber das [53] erhält mir die gute Laune. Das Gestrüpp der Schnäpse in den Chausseegräben muss ich auch austrinken. Wer so wie ich immer den Blick in die Zukunft ....

RÜBEZAHL.
Wieviel willst Du für Deinen toten Esel und für Deinen Schlitten haben?
MILCHMANN.
Eine neue Allee oder sonen kleinen Seitenweg.
RÜBEZAHL.
Hier hast Du zweihundert Mark Gibt ihm zwei Scheine. Jetzt geh rasch ins nächste Wirtshaus.
MILCHMANN.

Ich danke Ihnen, mein Herr! Ich sehe wieder in die Zukunft. Lebe wohl, mein liebes, gutes Tierchen. Streichelt des Esels Kopf und geht ab nach links.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Rüffel. Erster Tourist.

RÜBEZAHL.
Raxer, wozu haben wir unsre Waffen?
RAXER.
Damit wir harmlos aussehen und nicht zu erkennen sind.

Legt die kleine Leiter mit dem einen Ende auf den hinteren Baumstumpf und mit dem andern Ende auf den Schlitten und setzt sich auf die kleine Leiter. Rübezahl sitzt auf der grossen Leiter.
ERSTER TOURIST
setzt sich auf den Schlitten.
Meine Herren, Sie scheinen sehr viel Geld zu haben.
RÜFFEL.
Das brachte Keinen weiter. Setzt sich neben Raxer – auch auf die kleine Leiter.
RAXER.
Der tote Esel wird auch Keinen weiterbringen.
ERSTER TOURIST.
Der Esel hat Manchen rauf- und Manchen runtergebracht – was heisst aber: weiterbringen?
RÜBEZAHL.
Können Sie gut sehen?
ERSTER TOURIST.
Oh ja!
RÜBEZAHL.
Weiter als Andre?
ERSTER TOURIST.
Ja! Sehr weit!
RÜBEZAHL.
Was sehen Sie?
ERSTER TOURIST.

Soweit ich sehen kann, sehe ich nur, dass überall [54] in allen Welten nur Jammer und Elend ist – und dass es geradezu lächerlich wirkt, wenn jemand glauben möchte, paradiesische Zustände könnten jemals entdeckt werden.

RÜBEZAHL.
Das Unglück ist aber nur dazu da, den Menschen zu höheren Lebensinteressen – zu erziehen.
ERSTER TOURIST.

Schöne Erziehung! Man wird doch grade durch die Not des irdischen Lebens von den höheren Lebensinteressen abgelenkt – und nicht zu ihnen hingelenkt. Wer hat denn heute soviel Zeit ....

RÜBEZAHL.
Sagen Sie mal: Sie wollen weiter sehen als Andre?
ERSTER TOURIST.
Gewiss! Ich sehe weiter.
RÜBEZAHL.

Also: die Menschen haben heute keine Zeit, an ein grösseres Leben zu denken? Man zwingt die Menschen, das Elend so ohne Weiteres nur auf der elenden Seite zu betrachten? Zwei andere Touristen erscheinen rechts. Man ist wirklich der Meinung, das jedes Elend nur die eine – die jämmerliche Seite besitzt? Aber meine Herren, jedes Ding hat doch zwei Seiten.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Raxer. Drei Touristen.

ZWEITER TOURIST.
Sie entschuldigen, meine Herren! Wissen Sie, ob hier in der Nähe ein Wirtshaus ist?
RÜFFEL.

Setzen Sie sich, meine Herren! Benutzen wir den toten Esel als Fusswärmer! Er wirft den Esel mit dem Kopf nach vorn vor den Schlitten und setzt sich neben Rübezahl auf die grosse Leiter – doch so, dass Rübezahl der Lampenreihe zunächst sitzt. Der zweite Tourist setzt sich neben Raxer auf die kleine Leiter, der dritte Tourist auf den Schlitten neben den ersten Touristen.

RÜBEZAHL.
Raxer, gib uns einen Kognak

Raxer schenkt im Folgenden öfters in kleine silberne Becher Kognak ein – und gibt mal diesem und mal jenem.
RÜFFEL.
Jetzt sehe ich auch in die Zukunft.
[55]
RÜBEZAHL.
Was siehst Du?
RÜFFEL.
Ich sehe, dass Rübezahl auch den Geschmack an den besseren Menschen verlieren wird.
DRITTER TOURIST.
Ah, wir habens mit Herrn Rübezahl zu tun?
ZWEITER TOURIST.
Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Herr Rübezahl!
RÜBEZAHL.
Ich möchte mich auch freuen, Sie kennen zu lernen.
ZWEITER TOURIST.
Dürfen wir unsre Namen..
RÜBEZAHL.
Behalten Sie nur Ihre Namen. Sagen Sie lieber, ob Sie ihr Leben sehr hoch schätzen – oder nicht.
DRITTER TOURIST.

Sehr drollige Frage! Na – ich führe schon seit vielen Jahren ein Leben, in dem ich immerzu den Tod sehe – überall. Und was ich tue, tu ich mit dem Messer am Halse. Und dem entsprechend bemerke ich überall nur Wutkrämpfe. Und so, wie's auf der Erde ist, ist es auch in der ganzen, unendlichen Welt.

ZWEITER TOURIST.
Und das mal ich – das ist die neue Kunst.
ERSTER TOURIST.

Da haben Sies, Herr Rübezahl! Wir leben alle in den Armen des Todes, sollen wir da das Leben sehr hochschätzen?

ZWEITER TOURIST.
Das wäre beinahe leichtsinnig, deswegen möchten wir auch – Räuber werden.
DRITTER TOURIST.

Jawohl – denn es ist gleichgiltig, wie man lebt. Wesen, die immerzu mit Vernichtung bedroht werden, müssen naturgemäß auch zu Vernichtern werden.

RÜBEZAHL.

Wut und Verzweiflung! Glauben Sie denn, dass das menschliche Leben nur deshalb so lächerliche und beängstigende Formen annimmt, um Sie und die Menschheit einfach zu Tode zu quälen?

DRITTER TOURIST.
Ja – das glaube ich. Soweit ich sehe, finde ich das bestätigt.
ZWEITER TOURIST.
Ich glaube, dass nur diejenigen, die geistig beschränkt sind, daran nicht glauben.
RÜFFEL.
Wie unvorsichtig! Glauben kann man an Alles.
[56]
RÜBEZAHL.

Wir wollen nicht schimpfen. Hören Sie: nehmen Sie mal an, Sie befänden sich in Ihrer Haut sehr wohl – würden Sie da mal raus wollen? Würden Sie sich, wie man so sagt, um Gott und die Welt bekümmern? Nein! Sie würden bleiben, wo Sie sich wohl fühlen – in dem engen Kreise Ihrer kleinlichen Lebensverhältnisse. Und darum muss es Ihnen schlecht gehen in diesen kleinlichen Lebensverhältnissen, damit Sie rauskommen und grosse Lebensverhältnisse kennen lernen – in weiten, himmelgrossen Sternwelten – und in erhabenen Geisterwelten. Beide wären Ihnen verschlossen für ewig, wenns Ihnen ewig gut ginge in – Ihrer Haut.

DRITTER TOURIST.
Sehr lustig! Sehr lustig!
ZWEITER TOURIST.
Und der Tod? Was sagt der dazu?
RÜBEZAHL.
Ja – Sie leben doch noch! Kümmern Sie sich doch nicht um den drohenden Tod. Drohen Sie wieder.
ERSTER TOURIST.
Der Humor zieht nicht mehr – damit machen Sie nichts besser.
DRITTER TOURIST.
Der Humor ist verletzend geworden.
RÜBEZAHL.

Ja glauben Sie, dass die Todesangst nicht mit derselben Absicht wie alle anderen Uebel an Sie herantreten möchte? Sie sollen Ihren Blick von der Kleinlichkeit abkehren – Sie sollen weiter und grösser werden. Und dann! Was wissen Sie vom Tode? Sie können niemals beobachten, wie es ist, wenn Sie abends einschlafen – ist das nicht Zeichensprache genug? Glauben Sie, dass Sie empfinden werden, wie es ist, wenn Sie sterben? Sie sind rings von Wundern umgeben, und Ihr Leben ist so, dass es Sie blos immer wieder in andere grössere Kreise hinausdrängen soll. Ist das nicht so natürlich? Wenn plötzlich die Sterne des Himmels in irdischer Sprache, die Sie verstehen, zu reden begännen, dann würden Sie vor Staunen nicht zu atmen wagen. Aber – dass Sie schlafen können und träumen – ist das nicht ein noch viel grösseres Wunder? Wenn Sterne reden, so reden doch nur Lebewesen, die grösser sind als Sie. Wenn Sie aber schlafen und träumen – dann leben Sie plötzlich in Ihrem Leben noch gleich ein andres – ein noch viel grösseres Leben. Ist das nicht ein Ungeheuerliches für Sie? Ebenso gut [57] wie Sie sich vor dem Tode fürchten, ebensogut könnten Sie sich auch vor dem Schlafe fürchten. Die Todesfurcht ist eins der stärksten Mittel, Sie zu einem höheren, grösseren, gewaltigeren Lebensgenuss hinzureissen – Sie sollten also die Todesfurcht jedesmal mit Entzücken willkommen heissen.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Die Vorigen. Der junge Schornsteinfeger.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER
kommt hastig von links.

Herr Rübezahl, entschuldigen Sie nur – aber ich wollte nur fragen, ob Sie mir nicht noch eine gute Lehre mit auf den Weg geben könnten?

RÜBEZAHL.

Ja, mein Sohn! Wenns Dir schlecht geht, so sieh Dir eine halbe Stunde ohne Unterlass den Himmel an – ohne auf die Erde runterzublicken. Dann wirds Dir immer gut gehen.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Das will ich tun. Ich danke auch schön, Herr Rübezahl.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Die Vorigen. Der alte Schornsteinfeger.

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.

Du Schlingel, was machst Du hier? Was für Lehren hast Du hier anzunehmen? Bei mir bist Du in der Lehre.


Ohrfeigt ihn.
DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Vater, ich will mir blos eine halbe Stunde den Himmel ansehen.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER
haut ihn wieder, dass er heult.

Dummer Junge, nach Hause kommst Du. Bei überspannten Stadtleuten hast Du nichts zu suchen – die wollen sich blos über uns lustig machen.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Vater, der da drüben ist der alte [58] Herr Rübezahl.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Lass Dich nicht auslachen. Geht mit seinem Sohne links ab.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Rüffel. Die drei Touristen.

ERSTER TOURIST.

Wenn man aber von ewigen Sorgen gequält wird und nicht weiss, wie mans machen soll – dann hat man doch keine Zeit ...

RÜBEZAHL.

Mein lieber Freund, Sie können doch nicht verlangen, dass ich das, was ich sagte, wiederhole! Zieht den toten Esel zu sich, hebt seinen Kopf auf und streichelt ihn – auch im Folgenden.

ERSTER TOURIST.

Na – zwischen dem Leben in der Phantasie und dem Leben in der Wirklichkeit – ist doch noch ein grosser Unterschied.

RÜFFEL.
Wenn Sie das im Ernste behaupten, so ist ihre Bildung nicht weit her.
RAXER.

Was Sie Wirklichkeit nennen, ist doch ebenfalls nur eine Konglomerat von Sinneseindrücken – wie die Phantasiewelt.

ERSTER TOURIST.
Das will ich ja zugeben – aber ...
RÜFFEL.
Mit Ihrem Aber! Was man sich denken kann, das erlebt man auch.
DRITTER TOURIST.
Aber durch Philosopheme ist doch noch kein Mensch glücklich geworden.
ZWEITER TOURIST.

Ach, wir habens hier doch nicht mit Philosophemen – sondern mit burlesker Lebensweisheit zu tun. Herr Rübezahl meint so: Wenn ein Mensch bemerkt, dass ihm all sein Geld gestohlen worden ist, so muss sich dieser Bestohlene gleich trösten und sich sagen, dass das nur gestohlen wurde, um ihm, dem Bestohlenen, Gelegenheit zu geben, stille Betrachtungen über die Grossartigkeit der unendlichen Welt [59] anzustellen. Und wenn ein andrer Mensch plötzlich den Fuss bricht und ein halbes Jahr zu Bett liegen muss, so sagt er sich dasselbe wie der Bestohlene. Und wenn sich Einer über die Verwahrlosung der modernen Gesellschaft beklagt, so muss er sich auch das sagen, was sich der Bestohlene sagen musste. Und wenn Dir der Arzt sagt, dass Du morgen sterben musst, so sagt er Dir das blos, damit Du die Grandiosität alles Daseienden mit gefalteten Händen anbetest und herrlich findest – bis zum letzten Tag. So kann also passieren, was da will und wie es will – Hungersnot und Pest – Erdbeben und Zahnweh – Krieg und Tyrannei – Dynamitattentate und Bankrotts – tiefster Lebensüberdruss und höchste Langeweile – das Alles ist blos dazu da, damit der einzelne Mensch seine Gedanken vom Irdischen abkehre und höheren kosmischen Träumen ein verklärtes Angesicht zuwende.


Die drei Touristen lachen.
RÜBEZAHL
zum Eselskopf.

Mein lieber, scheinbar nicht mehr lebendiger Freund! Du lebst für mich – ich seh es. Du sprichst zu mir – ich hör es. Du behauptest also, dass Du nicht berechtigt bist, ein grosses grosses Weltleben zu geniessen? Das behauptest Du? Aber Grauchen! Wie? Wie? Du behauptest, dass Du immer wieder blos grüne Weide, Disteln und Stroh beanspruchen darfst? Du lehnst alles Grosse Unbeschränkte Freie feierlich ab? Du sagst, Du möchtest keine Organe haben – für die überspannten Ideen der modernen Stadtmenschen? Aber Grauchen! Wenn Du so grob bist – hör ich nicht mehr auf Dich! Er lässt den Esel fallen und trinkt einen Kognak.

RÜFFEL.

Aber Raxer, gib doch den drei Herren auch einen Kognak Es geschieht, die drei Touristen danken sehr höflich und trinken einander zu.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Die Vorigen und der kleine Schornsteinfeger mit scheuer Dorfjugend im Hintergrunde.

[60]
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER.
Ach, Herr Rübezahl, könnten Sie mir nicht den toten Esel schenken?
RÜBEZAHL.
Ja, mein Sohn! Nimm auch Deine Leiter mit und den Schlitten auch.

Der kleine Schornsteinfeger springt vor Vergnügen, die Touristen und Raxer stehen von Schlitten und kleiner Leiter auf und schlagen mit den Armen um sich, um sich warm zu machen.
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER.
Ich danke auch schön, Herr Rübezahl!
RÜBEZAHL
während der Esel auf den Schlitten gepackt wird.
Was macht denn Dein Vater?
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER.
Der trinkt mit dem Milchmann Bier und Schnaps – und feine Zigarren rauchen sie dazu.

Ab mit Esel, Leiter, Schlitten und Dorfjugend.
RÜBEZAHL.
Grüsst vom alten Rübezahl.
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER
mit Dorfjugend schon hinter der Szene.
Danke schön! Ich wünsch auch einen schönen guten Abend.
11. Auftritt
Elfter Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Vorn links auf der grossen Leiter sitzend. Raxer und die drei Touristen stehend und trinkend.

RÜBEZAHL.

Ihr drei Menschen seid von der Unermesslichkeit der Welt überzeugt – einen weiten Blick habt Ihr schon – das ist nicht zu bestreiten. Aber Ihr denkt noch garnicht daran, die unermessliche Welt grossartig zu finden – und denkt auch garnicht daran, dass diese grossartige Welt es wert sein könnte, durch ein bischen Unglück und Unbequemlichkeit umkrustet zu sein – zum Schutze – damit nicht jeder Hansnarr so ohne weiteres an das Grosse rankann. Ihr wagt es, ganz einfach zu verzweifeln. Ihr wagt es.

RAXER.
Bei den Menschen entwickelt sich Alles sehr sehr langsam.
[61]
RÜBEZAHL.
Der weite Blick nutzt ihnen also noch nichts?
RAXER.
Man merkt noch nicht viel vom Nutzen.
RÜFFEL.
Wie willst Du da den Menschen helfen?
RAXER.

Sie leben noch immer blos im Augenblick – und vergessen Alles so schnell wie die lieben Tiere auf der grünen Weide.

DRITTER TOURIST.
Meine Herren, wir verstehen Sie garnicht.
RÜFFEL.

Das merkt man. Die drei Geister lachen, plötzlich aber steht Rübezahl auf und geht in die Mitte des Bühnenraumes – in die Mitte des Landweges.

RAXER.
Der Lebensrausch wirkt bei Ihnen immer blos so wie ein Kognak, nicht wahr?

Giesst noch ein Mal für die Drei ein.
RÜFFEL
auch aufstehend.

Meine Herren, Sie begreifen also immer noch nicht, dass alles Unglück und alles Unbequeme nur ein Segen für Sie sein soll?

RAXER.
Sie begreifen schliesslich wohl Alles – aber sie können nichts damit anfangen.
RÜFFEL.
Dann fehlt ihnen die Praxis.
RÜBEZAHL.

Raxer! Rüffel! Stellt Euch neben mich! Es geschieht und die Touristen kommen in den Vordergrund mit dem Rücken gegen das Publikum. Ihr drei Menschen, Ihr seid es garnicht wert, dass ich Euch helfe. Und die ganze Menschheit ist es nicht wert, dass ich mich um sie bekümmere!

RAXER.
Die Menschen sind zu weit ab.

Es wird ziemlich dunkel; die roten Wolken hinter den Bäumen sind schon vorher verschwunden.
RÜFFEL
freudig erregt.
Rübezahl! Mein Rübezahl!Berührt leise seine Schulter.
RÜBEZAHL.

Jetzt will ich Euch aber zeigen, wie erbärmlich Ihr seid! Kniet nieder! Wir werden Euch totschiessen. Die drei Geister legen die Flinten an und bleiben in dieser Stellung. Kniet nieder! Kein Wort! Die drei Menschen sinken zitternd rechts links und in der Mitte auf beide Kniee – mit dem Rücken gegen das Publikum. Wisst Ihr, wozu Ihr so oft eine furchtbare Traurigkeit empfindet, ohne zu wissen, wie's kam? Es sollte [62] auch in Eurer Brust ein Weltleben entstehen. Ihr aber seid es nicht wert – und noch zu unreif dazu. Und deshalb sollt Ihr sterben. Die drei Menschen heben ängstlich die Arme auf. Ja – jetzt – sehen wir – dass Ihr Euch nicht aufraffen könnt! Aber ich – ich will Euch – nicht mehr helfen. Erde! Erde! Heilige Erde! Tu Dich auf! Sehr laut. Feuer! Flammen schlagen rings um die drei Geister aus dem Erdboden, und die drei Geister versinken sehr schnell. Die drei Menschen springen erschrocken auf, während die Flammen hoch emporlodern.


Vorhang.

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Quiwi. Zwerge.

QUIWI
sitzt auf dem Diwan und liest aus einem Buche vor.

Die Zwerge ringsum auf dem Fussboden – liegend oder sitzend. Da hatten die alten Leute grosse Angst und wollten alle nicht sterben. Aber der starke Riese lachte. Und wie er lachte, mussten auch alle Kinder lachen. Und da fragte der starke Riese die Kinder, ob sie auch Angst vor dem Tode hätten. Aber die Kinder lachten und schüttelten mit dem Kopfe. Da waren die alten Leute empört über die Kinder. Doch der starke Riese sagte freundlich: die Kinder wissen nicht, wie das Sterben tut, darum haben sie keine Furcht vor dem Tode. Aber Ihr alten Leute wisst auch nicht, wie das Sterben tut, warum habt Ihr denn Furcht?

EIN ZWERG
mit der Hand am Ohr.

Rübezahl kommt! Die Zwerge stehen langsam auf und gehen zur Mitteltreppe, vor der sie unregelmässig Spalier bilden; die Quiwi macht das Buch zu.

[63]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Quiwi. Zwerge. Rübezahl. Rüffel. Raxer. Die drei Letzteren gekleidet wie im vierten Aufzuge.

RÜBEZAHL
der langsam von Rüffel und Raxer gefolgt die Mitteltreppe runterkommt – schweigend in die Mitte – während Quiwi auf dem Diwan sitzen bleibt.

Ja, Quiwi! Es gibt schon Menschen, deren Blick allmählich weiter wird – aber sehr grossartig ist nicht das Panorama, das vor ihnen auflebt.

QUIWI
hastig.
Erregen sie Dein Mitleid?
RÜBEZAHL.
Die mich verhöhnen, soll ich bemitleiden?
RÜFFEL.
Expansion! Expansion!

Setzt sich rechts auf einen Fellstuhl.
RAXER.
Das Wort haben die Menschen noch nicht ordentlich begriffen.
RÜFFEL.
Vielleicht begreifen sie's in tausend Jahren.
QUIWI
aufstehend – sehr erregt.

Da drüben – auch hier – Sterne – lachende – die sprühen – Glanz – heissen Glanz durch alle – Geister – Welten. Ich fühls! Die Furcht – da unten – krümmt sich – zuckt – flammt auf – und zerfliesst – wie – plätschernde Quellen. Meine Furcht – zerfliesst so. Heissen Glanz – den sprühen – rings umher – die grossen – lachenden – Sterne. Ich fühls!


Setzt sich wieder und blickt scheu zu Boden.
RÜBEZAHL
setzt sich auch rechts auf einen Fellstuhl, während Raxer hinten links von der Türe stehen bleibt.

Die Zwerge an verschiedenen Stellen – bewegungslos. Die – bessern Menschen ahnen nicht blos die Grösse kosmischer Verhältnisse – sie sind sogar von der Unermesslichkeit des Grossen fest überzeugt – und dabei brechen sie doch bei jeder Kleinigkeit zusammen – wie arme Würmer. Von der Erkenntnis bis zu dem Leben, das der Erkenntnis entspricht, ist doch ein verflucht weiter Weg.

RÜFFEL.
Wie gesagt: Spaziergang für tausend Jahre.
RÜBEZAHL.

Ich glaube, die Menschen ahnen noch nicht einmal, dass sie eigentlich ebensolche Geister sind wie wir; die Menschen halten sich immer noch für weniger.

[64]
RÜFFEL.
Eine ihrem sonstigen Wesen ganz entgegengehende Selbstverkleinerungssucht.
RAXER.

Das ist mir eigentlich recht sympathisch. In dem Sichkleinfühlen liegt so viel Empfangendes – Freundliches.

RÜFFEL.

Was man Dir – aber nicht den Menschen nachsagen darf. Du willst nicht schaffen – Du willst nur aufnehmen und aufbewahren – das, was Andre hervorgebracht haben.

RAXER.
Viel Mangel an eigenem Willen.
RÜFFEL.
Der Mangel ist Dir aber selber angenehm.
QUIWI.

Raxer tut – was ich – will. Dafür danke – ich – ihm. Jetzt aber – müsst Ihr – eilen. Ich – muss – fort.

RÜBEZAHL.
So wollen wir Dich denn hinunterlassen.
QUIWI.

Nein! – Nein! – Die drei Menschen, die ich – durch Raxer hierher – bringen liess – müssen erst raus – raus aus diesem – Palast.

RÜBEZAHL
schickt ein paar Zwerge, denen er was zuflüstert, nach links ab.
Was haben sie getan?
QUIWI.

Dieser Schmalz will mich oben heiraten, der Paschke will mir oben die vornehmsten Liebhaber verschaffen – und die Betty will mir überall helfen – überall helfen – sodass sie mich beinah – an Rübezahl erinnert, der auch immer überall helfen will.

RÜBEZAHL.
Schöner Vergleich.
QUIWI.
Aber ich weiss ja, lieber Rübezahl – jetzt willst Du den Menschen nicht mehr helfen, nicht wahr?
RÜBEZAHL.
Nein.
QUIWI.
Den Menschen helfen jetzt nur noch ihre Schmerzen. Würdest Du jetzt nur mir helfen wollen?
RÜBEZAHL.
Ja!
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Von Schmalz. Paschke. Betty.
Die drei Menschen kommen von hinten links und bleiben hinter der hinteren Schmalseite des Diwans stehen.

[65]
RÜBEZAHL.
Ihr drei Menschen, merkt Ihr, dass Ihr verzaubert seid?
DIE DREI MENSCHEN
leise.
Ja!
RÜBEZAHL.
Na – ich will Euch wieder befreien – von dem Zauber. Herr von Schmalz, treten Sie vor.
VON SCHMALZ
in die Mitte.
Ich stehe zu Diensten. Verfügen Sie über mich.
RÜBEZAHL.
Ah, Sie wollen mein Apostel sein? Ein Apostel meines geistigen Potentatentums wollen Sie sein?
VON SCHMALZ.
Sie haben zu befehlen – ich gehorche.
RÜBEZAHL
holt seinen Knotenstock aus einer Ecke hervor und nimmt ihn szepterartig in die Hand.

Ich wollte die Entwicklung des Menschengeschlechtes beschleunigen. Aber es ging nicht, weil ich den Herrn von Schmalz noch nicht kannte. Er hat mir erst klar gemacht, dass es den Menschen immer noch viel zu gut geht. Wenn die Menschen tatsächlich weiter kommen wollen, müssen sie noch viel mehr Jammer und Elend geniessen. Jammer und Elend sind die besten Freunde der Menschheit. Alle Grandiosität wuchs aus der Armseligkeit heraus. Hier. mein Schmalz, hast Du meinen Knotenstock! Regiere mit ihm im eben angeführten Sinne! Wenn Du diesen Zauberstab hoch hältst, wird er zum Szepter und zwingt allen Menschen den Kopf runter – bis zum Fussboden Gibt ihm den Stock. Zwerge, leitet den Herrn hinaus.


Von Schmalz verbeugt sich vor Rübezahl, die Zwerge verbeugen sich vor Herrn von Schmalz, und einzelne von den Zwergen leiten ihn auf der Mitteltreppe nach oben. Schmalz hebt den Stock hoch und verschwindet, während die vier Geister lächeln.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die vier Geister. Zwerge. Paschke. Betty.

QUIWI.
Ein böser Geist ging fort.
RÜFFEL.
Der böse Geist des geistigen Potentatentums.
[66]
RÜBEZAHL.

Paschke, komm näher! Hier hast Du ein langes Messer. Gibt es ihm. Wenn Du das scheuerst, werden die Menschen auf einander böse – selbst die ältesten Freundschaften kriegen einen unheilbaren Knax. Die Zwerge, die Herrn von Schmalz fortbrachten, kommen schon wieder eilig die Treppe hinunter. Somit bist auch Du mein Apostel. Du wirst den Menschen auch noch mehr Jammer und Elend bereiten. Jammer und Elend fördern die Entwicklung der Menschheit am allerbesten – besser als alle Kobolde und Märchenprinzen.

PASCHKE.
Das Messer wird mir gute Dienste leisten. Ich danke Ihnen, Herr Rübezahl!
RÜBEZAHL.
Zwerge, leitet auch diesen Menschen an die Luft der Erdrinde zurück!

Paschke wird abgeführt wie der Herr von Schmalz.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die vier Geister. Zwerge. Betty.

BETTY
vortretend.
Mein edler Prinz!
RÜBEZAHL.

Seien Sie ganz still! Es geht hier wie im Märchen zu. Sie bekommen auch was! Hier – einen Fingerhut! Gibt ihn. Wenn Sie den drehen, wird Jeder, auf den Sie's gemünzt haben, in wahnsinniger Liebe zu Ihnen entbrennen. Sie werden, wenn Sie fleissig sind, den Menschen eine sehr grosse Portion Jammerbraten zubereiten – ich weiss es. Sie können den Fingerhut auch verleihen.Betty dreht den Fingerhut. Ach nein, meine Leibe! Der Fingerhut hat nur oben auf der Erdrinde Wirkungskraft.

BETTY.
Oh! Das tut mir leid.
RAXER.
Sie wären wohl noch gerne hier unten geblieben – wie?
BETTY.
Ich gäbe mein Leben dafür, wenn ich bleiben könnte.
RÜFFEL.
Wann?
QUIWI.
Das ist – ein altes – Lügenmaul.
[67]
BETTY
zu Quiwi.
Hab ich das – verdient? Weint.
RÜBEZAHL.

Zwerge, bringt sie schnell fort, sonst glauben wir schliesslich noch, dass sie ihr apostolisches Amt da oben nicht gut verwalten könnte.


Die Zwerge tun wie bei den beiden andern Menschen.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Die vier Geister. Zwerge.

RAXER.
Die wird wohl den Fingerhut garnicht nötig haben.
QUIWI.
Ist doch ein Talisman! Da kennst Du die Frauen schlecht.
RÜFFEL.
Dass die Betty gerne hier geblieben wäre, schien mir doch sehr natürlich.
RÜBEZAHL.
Quiwi! Ich habe Dir jetzt alle Deine Wünsche erfüllt.
QUIWI.
Da kennst Du meine Wünsche schlecht.
RÜFFEL.
Jetzt bin ich neugierig.
RÜBEZAHL.
Ich auch.
QUIWI.

Rübezahl – was willst Du – jetzt – mit Deinem Palast – hier oben – in der Nähe der Menschen? In der Nähe der Menschen hast Du doch nichts mehr, was Dich halten könnte.

RÜBEZAHL.
Ganz richtig!
RÜFFEL.
Quiwi, Du bist grossartig. Zwerge von oben zurück – sehr behutsam auftretend.
QUIWI.
Muss ich denn noch mehr sagen, lieber – lieber – Rübezahl?
RAXER.
Rübezahl, hast Du noch immer nicht gemerkt, worauf Alles hinauswill?
RÜBEZAHL.
Habt Ihr denn ein Komplott gegen mich geschmiedet?
QUIWI.
Gegen Dich? Gegen Dich, den wir alle vergöttern?
RÜBEZAHL.
Ah so – also für mich.
QUIWI.
Verstehst Du nun meinen letzten Wunsch?
[68]
RAXER.
Sie fürchtet die Einsamkeit.
RÜBEZAHL.

Ich verstehe schon – verstand wohl schon längst. Raxer, führe den Palast hinunter – in den Granit – wir wollen – tausend Jahre – unten – in Quiwis Nähe wohnen. Sie soll sich nicht – so einsam fühlen.


Raxer geht langsam hinten links ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Zwerge. Rübezahl. Rüffel. Quiwi.

RÜBEZAHL
gibt den Zwergen seine Waffen und seine Räuberkleidungsstücke, sodass er wieder so gekleidet ist wie am Anfange des ersten Aufzuges.
Die Zwerge gehen mit den Sachen links ab und kommen nicht wieder.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Quiwi.

RÜFFEL.
Jetzt wirds herrlich.
QUIWI.
Und ich – ich habe – nicht mehr Furcht – vor der ungeheuren Grösse – der Welt.
RÜBEZAHL.
Du hast Furcht gehabt?
RÜFFEL.
Du – und Furcht?
QUIWI.
Ja – wie Ihr weg wart – nach oben gegangen – da hatte ich – Furcht – vor dem – Grossen. Es ist wahr.
RÜBEZAHL.
Und jetzt?
QUIWI.

Rübezahl – ich kann Dir nicht – mehr deutlich machen – wie herrlich jetzt Alles in mir rauscht. Ich danke Dir – auch nicht – für Deine Freundlichkeit. Ich fühle nur den Dank – und sags nicht. Es taumelt in mir – und wogt – und etwas ist schon weit – weit über mir – ganz fern – hinter vielen vielen Schleiern.

RÜFFEL.

Jetzt wirds herrlich. Rübezahl kümmert sich nicht mehr [69] um die Menschen und baut – die Weltenträume – selber aus.

QUIWI.
Verlangt es nicht mehr – von Andern.
RÜFFEL.

Das geistige Potentatentum bleibt da oben bei Herrn von Schmalz. Ich gehe – neue Organe schaffen! Rübezahl – besuch mich bald. Quiwi! Du hast Alles grossartig durchgeführt. Jetzt wirds herrlich. Schnell hinten links ab.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Rübezahl. Quiwi.

QUIWI
während die Treppe plötzlich verschwindet und an ihrer Stelle Licht- und Farbenerscheinungen furchtbar rasch von unten nach oben schiessen – brennend rotes Glutlicht kommt am häufigsten im Folgenden durch.
Wir versinken! Rübezahl! Komm näher!

Feines fernes Summen und Sausen, Rübezahl setzt sich auf einen Fellstuhl, der nicht weitab vom Diwan steht.
RÜBEZAHL.

Der Rüffel nimmt jetzt alles einfach – und dabei stellt er gelegentlich die Einfachheit als eine Art von höherer Niedrigkeit hin.

QUIWI.

Er hat den Kopf – so voll. Lass ihn! An mich – denkt er – auch nicht mehr – nicht mal – Abschied – nahm er. Seine neuen Organe – die gehn – ihm – über Alles.

RÜBEZAHL.

Als obs nicht auch – Schöpferträume gäbe Das Summen und Sausen wird für ein paar Augenblicke heftiger als sonst. die blos – aus dem Daseienden – ganz leicht – was Andres machen möchten! Ich schaffe nicht das Neue – wie Rüffel. Ich hänge mich an das, was ist – oder zu sein scheint – ich biege daran und drücke daran und ziehe daran – sodass es langsam anders wird.

QUIWI.
Und – willst Du – unten – das grosse Weltganze – so biegen – drücken – ziehen?
RÜBEZAHL.
Nicht das ganze Weltganze – nur das eine – in das wir[70] – hineinragen.
QUIWI.

Ich muss fort! Steht auf. Aber – wir Beide – tun – ein Aehnliches. Ich – nehme nur – das Ganze – in das ich als Stein – so tief – hineinrage – in mich auf – und – fühls.

RÜBEZAHL.
Das ist beinah genug.
QUIWI.
Nein, nein! – Bleib Dir treu – biege – drücke – ziehe daran.

Die Lichterscheinungen verlöschen und an Stelle der Treppe ist ein Gang und tiefe Dunkelheit. Auch von den Lampen im Zimmer brennen nur wenige. Rechts steigt Raxer aus der Tiefe und lehnt sich über den Stein wie im Anfange des ersten Aufzuges.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Raxer.

RÜBEZAHL.
Wir sind im Granit.
QUIWI
während sie aufsteht und nach hinten in den dunklen Gang hineingeht, in dem sie sehr bald unsichtbar wird, während ihre Stimme einen ganz anderen Klang erhält, der sehr stark – aber so wie aus weiter Ferne klingt – auch stellenweise etwas Rauhes und Hartes bekommt.

Rübezahl dreht sich auf seinem Stuhle um und starrt der Quiwi nach – Raxer bleibt rechts und horcht nur. Es ist jetzt ganz still. Mächtige Wellen kommen heran – sie umrauschen mich – ziehen mich nieder – ich versinke. Ich fühle – Welten – die gross sind – so gross – so ohne Erbarmen – gross. Und ich – fürchte mich nicht mehr. Rübezahl! – biege! – drücke! – ziehe! Es ist sehr schwer. Der Stein lastet auf mir, als wollt er uns Alle zerdrücken! Aber ich fühle – schon – ganz anders! – alle Sternwelten – und alle Geisterwelten – ungezählte – ich fühle sie alle. Jetzt wird die Brust mir – frei – nicht mehr gepresst – jetzt jauchze ich – raus – hinaus – hinüber. Fest gehen alle Weltadern und die Weltsehnen – durch einander – und schlingen sich – mächtig – krallig – rauh um meinen Hals – dass ich – nicht mehr – reden kann. [71] Rübezahl! Biege sie – biege sie – all die starken Adern und Sehnen der Welt! Bleib Dir treu, Rübezahl! Tausend Jahre biege dran – zerre dran – verändre sie – drehe sie – dann sprechen – wir – weiter – über – das – Weite! – Weiter – hinein! – Das Starre – macht – nicht mehr – Furcht.


Man hört hinten in der Tiefe längere Zeit ein leises Knirschen – wie von Felsen, die fernab in einander gehen.
Vorhang.
[72]

Band II

Der Wetterfürst
Ein Schauspiel zwischen hohen Bergen

Personen

Personen.

    • Jarrimo, ein alter Wetterfürst.

    • Lisabella, seine Tochter.

    • Roderich, ein Oberzwerg.

1. Akt

Erster Aufzug

Altdeutsches Holzzimmer. Links – etwas weiter ab von der linken Seitenwand – ein grüner Ofen mit der Schmalseite nach vorn. Vor dieser ein Lehnstuhl mit Kopflehnen. Die hohe Rückenlehne links im rechten Winkel zur Schmalseite des Ofens. Hinter der Rückenlehne in der entsprechenden Entfernung Thüre in der linken Seitenwand. Vor dem Lehnstuhl grosser Tisch mit Kugelfüssen auch mit der Schmalseite nach vorn. Hinter der hinteren Schmalseite des Tisches ein zweiter Lehnstuhl in derselben Stellung wie der vordere, so dass seine Rückenlehne die halbe Breitseite des Ofens deckt. Hinter dem hinteren Stuhle breites, nicht sehr hohes Fenster mit Aussicht auf weisse Bergkuppen, Gletscher und blauen Himmel. Rechts hinten quer vor der hinteren Wand ein alter Diwan mit dunkelgrünem Tuch. Vorne rechts vor der rechten Seitenwand ein altdeutsches Buffet. Hinter dem Buffet in der rechten Seitenwand eine zweite Türe. Auf dem hellen Fussboden an einzelnen Stellen weisser Sand. Die Seitenwände rechtwinklig zur hinteren Wand.
Im vorderen Lehnstuhl sitzt der alte Jarrimo vor einer alten, [73] sehr grossen Chronik, im hinteren Lehnstuhl am Fenster sitzt seine Tochter Lisabella.

JARRIMO.
Heute ist es ruhig draussen.
LISABELLA.
Ja – wenns doch so bliebe!
JARRIMO.
Es ist aber die Ruhe vor dem Sturm.
LISABELLA.
Väterchen! Du bist doch ein Wetterfürst! Kannst Du den Sturm nicht verhindern?
JARRIMO.
Warum?
LISABELLA.
Es kommen dann wieder so viele Menschen um – und das tut mir so leid.
JARRIMO.
Warum?
LISABELLA.
Väterchen! Ich leide so mit.
JARRIMO.

Das solltest Du nicht, denn Du weisst, dass Alles seine Gründe hat. Das Unwetter muss sein – sonst verweichlichen die Menschen.

LISABELLA.

Wenn ich aber höre, was die Menschen unter dem Unwetter leiden, so leide ich das Alles mit. Väterchen, bestell den Sturm ab!

JARRIMO.
Du weisst: Ich handle auf höheren Befehl.
LISABELLA.
Väterchen, hast Du mich nicht lieb?
JARRIMO.
Ja.
LISABELLA.
So bestell den Sturm ab – ich leide so sehr mit.
JARRIMO.
Ich will nicht, dass du leidest.
LISABELLA.
So bestell den Sturm ab, liebes Väterchen!
JARRIMO
nach langer Pause.

So hole den Roderich. Lisabella springt auf und geht hinten rechts ab und kommt gleich mit Roderich wieder, der sich auf den Diwan setzt.

JARRIMO.
Lisabella, lass uns allein!

Lisabella ab vorne links.
RODERICH.
Was willst Du von mir?
JARRIMO.
Ich will, dass der nächste Sturm verhindert wird.
RODERICH.
Können wir tun – es kostet Dich aber das Leben.
JARRIMO.
Tu, was ich will!
RODERICH.
Gut! Ich werds besorgen. Hinten rechts ab.

Es wird ganz dunkel.
[74]

2. Akt

Zweiter Aufzug

Es wird wieder hell. Die Scene ist wie vorhin. Jarrimo sitzt im Lehnstuhl allein. Lisabella kommt von links.

LISABELLA.
Nun, Väterchen, hast Du den Sturm abbestellt?
JARRIMO.
Ich habs getan.
LISABELLA.
Ach, Väterchen, wie dank ich Dir!

Kniet vor ihm nieder und küsst seine Hand.
JARRIMO.
Ich fühle, dass ich sterbe.
LISABELLA.
Aber – Väterchen!
JARRIMO.
Gieb mir noch ein Glas Wein.
LISABELLA
läuft zum Buffet und giesst ein Glas Wein ein.
Hier, Väterchen! Aber sterben darfst Du nicht.
JARRIMO.
Ich muss.

Er trinkt das Glas halb aus.
LISABELLA.
Warum?
JARRIMO.
Weil ich Dir den Willen getan habe.

Er sinkt zurück, das Glas fällt und zerbricht.
LISABELLA.
Vater! Roderich! Roderich!

Sie hebt des Vaters Kopf und hält ihn, Roderich kommt.
LISABELLA.
Der Vater stirbt.
RODERICH.
Das wusste ich. Er hats so haben wollen.
LISABELLA.
Weil er den Sturm abbestellt hat? Deswegen?
RODERICH.
Deswegen musste er sterben.

Setzt sich auf den Diwan, Lisabella liegt wieder vor ihrem Vater auf den Knieen und streichelt seine Hände.
LISABELLA.
Väterchen, warum hast Du mir das nicht gesagt? Ich hab das doch nicht gewusst.

Weint.
RODERICH.
Weisst Du, Kind, warum Dein Vater starb?
LISABELLA.
Warum?
RODERICH.
Er wollte Dir durch seinen Tod zeigen, dass es nicht gut ist, Mitleid zu haben – mit den Menschen.
LISABELLA.
Und warum ist es nicht gut?
RODERICH.
Weil den Menschen des Mitleid garnichts nützt.
LISABELLA
aufstehend.
Und um mir diese Weisheit beizubringen – dazu musste mein Vater sterben?
[75]
RODERICH.
Er war Dir wohl zu gut; er hatte wohl Mitleid mit deinem Mitleiden.
LISABELLA.
Und so bestrafte er sich selbst?
RODERICH.
Vielleicht.
LISABELLA
setzt sich auf ihren Stuhl am Fenster.
Ich habe kein Mitleid mehr – mit Keinem. Sieht starr hinaus.

Vorhang!
[76]

Okurirasûna
Grosse Weltkomödie in fünf Akten

Personen

Personen.

    • Okurirasûna, erhobene Weltgebieterin.

    • Lekafolirâm, abgesetzte Weltgebieterin.

    • Mesmeimônio, zukünftige Weltgebieterin.

    • Erster geheimer Weltrat.

    • Zweiter geheimer Weltrat.

    • Dritter geheimer Weltrat.

    • Vierter geheimer Weltrat.

    • Fünfter geheimer Weltrat.

    • Sechster geheimer Weltrat.

    • Graf Abgrund, siebenter geheimer Weltrat.

    • Scharen von Dienern und Beamten.

1. Akt

Erster Akt

Weltbalkon des Stern-Palastes.
Rechts eine weisse Wand und links eine weisse Wand – rechtwinklig zum Vordergrunde.
Ein Teppich von hellblauer Farbe ohne Muster bedeckt den ganzen Bühnenboden.
Hinten eine meterhohe weisse einfach rechteckige Mauerbrüstung.
[77] Freie Eingänge rechts und links von der Brüstung – zwischen dieser und den hinteren Wandrändern.
Den Hintergrund bildet ein schwarzer Himmel mit vielen Sternen, die aber grösser sind als die Sterne, die von der Erde aus sichtbar werden; die Formen der Sterne sind zumeist eckig; einzelne Nebelflecken wirken bunt.
Ein grosser runder Stern von hellblauer Farbe steht in der Mitte. Zwei blutrote Schweifkometen stehen rechts und links oben.
Es ist so hell wie in einer irdischen Dämmerstunde.
Arm in Arm erscheinen hinten links die beiden ersten Welträte; sie sind weissbärtig, tragen Gehrock, Lackschuhe und schwarzen Zylinder. Der Zylinder des ersten Rats ist mit einem breiten roten Bande umbunden, der des zweiten mit einem gelben Bande. Glacéhandschuhe in Bandfarbe.

ERSTER RAT.

Die Feierlichkeit ist zu Ende. Die Erhebung hat bereits stattgefunden. Wir haben wieder eine gnädige Frau Gebieterin. Endlich!

ZWEITER RAT.
Wie heisst denn nur die Dame?
ERSTER RAT.
Okurirasûna! Okurirasûna!
ZWEITER RAT.
Okurirasûna! Ganz hübscher Name! Und – man wird ihn sich merken müssen.
ERSTER RAT.
Die Dame ist nur noch etwas jung.
ZWEITER RAT.
Wie alt ist sie denn?
ERSTER RAT.
Ach! Ihre Jugend ist das Merkwürdigste an ihr; sie lebt erst sieben und zwanzig Jahrhunderte.
ZWEITER RAT.

Du lieber Himmel! Wenn das blos nicht Misshelligkeiten giebt. Erst zwei Tausend sieben hundert Jahre ist dieses Weibchen alt. Das ist ja noch das reine Kind.

ERSTER RAT.
Ja, das kann eine schöne Geschichte werden.

Die andern fünf Welträte erscheinen. Alle tragen Zylinder, in deren sieben Bändern sich die sieben Regenbogenfarben einzeln zeigen. Handschuhe immer in Bandfarbe. Graf Abgrund hat ein violettes Zylinderband. Alle Herren in Gehröcken und Lackschuhen.
[78]
GRAF ABGRUND
mit fuchsroten Bart-Cotelettes.

Meine Herren! Uralter Sitte gemäss werden wir uns hier auf dem Weltbalkon unsres Sternpalastes der neuen Gebieterin vorstellen. Bereiten Sie sich daher auf kurze Ansprachen vor. Machen Sie's aber kurz. Die holde Dame wird uns, wie ich fürchte, sehr viel zu schaffen machen.

ALLE ANDERN RÄTE.
Ah! Warum?
GRAF ABGRUND.
Sie wills mit ihren Geschäften sehr ernst nehmen.
ERSTER RAT.
Sie trägt wohl ein sehr kindliches Wesen zur Schau, nicht wahr?
GRAF ABGRUND.

Ja, sie sagte mir noch gestern, sie fände es empörend, dass alle Weltgebieterinnen schliesslich ihren Verstand einbüssten – und sie wolle der Welt schon beweisen, dass sie ihren Verstand in ihrer hohen Stellung behalten könnte.


Die Räte lachen herzlich.
ZWEITER RAT.

Bislang hat jede unsrer Weltgebieterinnen nach einigen Jahren ihren schönen Rappel bekommen, und dieser Donna Oku –

ERSTER RAT.
Okurirasûna!
ZWEITER RAT.

Und dieser Donna Okurirasûna wird es nicht besser ergehen. Der schöne Rappel gehört nun mal zum Geschäft.


Die Räte lachen noch herzlicher als vorhin.
GRAF ABGRUND.
Meine Herren! Sind ihre Blendlaternen in Ordnung?

Die Räte leuchten sich mit ihren Blendlaternen, die sie auf der Brust vorgeschnallt haben und für gewöhnlich dunkel halten, gegenseitig ein bischen ins Gesicht und flüstern sich dabei einige Neuigkeiten zu.
GRAF ABGRUND.
Meine Herren! Ich muss um die Feiertagsmiene bitten. Die gnädige Frau Weltgebieterin – naht.

Die Räte stellen sich links vor der Wand in einer Reihe auf; der Graf Abgrund steht dem Vordergrunde am nächsten. Von den Blendlaternen ist nichts mehr zu bemerken. Und hinten rechts erscheint die Okurirasûna. Die rechte Seite ihrer zweiteiligen Schleppe wird von Lekafolirâm, die linke Seite von [79] Mesmeimônio getragen. Die Okurirasûna ist ganz in Weiss gekleidet, und ihre Kleider sind mit Brillanten gradezu übersäet. Brillanten auch an den Fingern und in den Ohren. Keine Handschuhe. Auf dem Kopfe sieben Ringe in den sieben Regenbogenfarben übereinander – so angeordnet, dass jeder höher liegende Ring immer einen grösseren Durchmesser hat. Die Ringe sind in kleinen Abständen von einander entfernt und werden innerlich durch ein Drahtgestell zusammengehalten. Lackartig glänzen müssen die
Ringe. Die männliche und weibliche Dienerschaft in beliebigen phantastischen Kostümen – einzelne mit Hörnern auf dem Kopfe. Lekafolirâm trägt Gürtelgewand à la Morgenrock in Hellblau, Mesmeimônio ein solches in Hellgrün. Kleider ungemusterter Stoff. Die weibliche Dienerschaft hat grosse brennende Laternen, die den Stalllaternen des Erdballs nicht unähnlich sind, in den Händen. Die männliche Dienerschaft setzt einen umfangreichen, mit Federn geschmückten Korbsessel mitten vor die rechts befindliche Wand.
OKURIRASÛNA.
Leuchtet den Herren ins Angesicht!

Die Mädchen tuns, und die sieben Räte heben ihre Zylinder mit steifem Arm in die Höhe.
OKURIRASÛNA.
Bedecken Sie sich, meine Herren!

Die Herren tuns, die Weltgebieterin setzt sich auf ihren Sessel. Lekafolirâm und Mesmeimônio halten die Schleppe rechts und links etwas hinter dem Sessel. Die Dienerschaft gruppiert sich hinten um die Mauerbrüstung, auf der die Laternen in einer Reihe hingestellt werden.
OKURIRASÛNA.

Ich erlaube mir, meinen werten Welträten meine beiden Kolleginnen vorzustellen. Zu meiner Rechten steht die Ihnen ja wohl längst bekannte Donna Lekafolirâm – sie ist die Weltgebieterin der Vergangenheit. Zu meiner Linken steht meine liebe Freundin Mesmeimônio – die Weltgebieterin der Zukunft. Und ich, die kühne Okurirasûna, sitze auf dem alten Balkonsessel und bin die Weltgebieterin der Gegenwart. Jetzt, meine Herren, stellen Sie sich vor! Ganz so wie's der uralte Brauch gebietet – ganz so soll's auch jetzt sein!

[80]
ERSTER RAT
vortretend – den Zylinder in beiden Händen – zwei Frauen beleuchten den Rat mit den Stalllaternen rechts und links und gehen dann wieder nach hinten, wo sie bis zum Vortreten des zweiten Rates bleiben; die andere Dienerschaft verschwindet später allmählich, ohne die übrigen Laternen, die auf der Mauerbrüstung stehen, mitzunehmen.

Gnädigste Frau Weltgebieterin, zu meinem grössten Vergnügen habe ich die Ehre, mich Ihnen als Ihr erster geheimer Weltrat vorzustellen. Ich arrangiere die gesamten astralen Verhältnisse, die sich in unsrer nächsten Nähe befinden – bin gleichsam der Direktor des Zentralsonnendienstes. Jener blaue Stern da drüben gehört noch in mein Ressort.

OKURIRASÛNA.
Auch der Blaue? Ih, das ist ja ein ganz ausgedehnter Wirkungskreis.

Erster Rat geht wieder an seinen Wandplatz.
ZWEITER RAT
vortretend und beleuchtet wie der vorige.

Ich, meine Gnädigste, bin die Seele des zweiten Ringes – oder richtiger: der zweiten Schale, in die sich unsre dunkle Sonne eingekapselt hat. In meinem astralen Distrikt befinden sich nur Nebelsterne, die für unsre gewöhnlichen Augen, die für das Nebulose kein rechtes Organ sind, nicht sichtbar werden. Trotzdem zeichnen sich meine Bücher und Karten durch grosse Übersichtlichkeit aus. Wieder an den Wandplatz.

OKURIRASÛNA.
Die Sache geht ja so schnell und beinahe formlos.
GRAF ABGRUND
von seinem Wandplatz aus.
Es ist ja blos eine Vorstellung. Wir treten genau so auf, wie es die alte Sitte vorschreibt.
DRITTER RAT
wie die beiden ersten Räte.

Die alte Sitte dürfen wir nicht umwandeln, Frau Okurirasûna. Ich stehe an der Spitze der dritten Zone, in der sehr viel leerer Raum ist. Mein Amt ist leicht und lässt mir Zeit, mich auch im Klavierspielen zu üben – was ich aber nur so nebenbei gesagt haben möchte. Auf seinen Wandplatz zurück.

OKURIRASÛNA.
Gehört auch diese Bemerkung zur alten Sitte?
GRAF ABGRUND.

Ward vorgeschrieben vor drei hundert Tausend Jahren und bezieht sich auf eine Angelegenheit, die wir [81] nicht mehr ganz genau kennen und zudem vor Damen nicht erzählt werden kann.

OKURIRASÛNA.
Ich bitte, die Zeremonie zu beschleunigen.
GRAF ABGRUND.
Beschleunigt kann hier nichts werden. Wir können doch nicht die uralten Gebräuche mit Füssen treten.
OKURIRASÛNA.
So befehle ich – fortzufahren – wie's die Sitte gebietet.
VIERTER RAT
wie die Andern, aber bis zum Schluss seiner Rede beleuchtet, nach der die beiden Dienerinnen in der Mitte stehen bleiben.

Ich bin so glücklich, der Vierte zu sein. Meine Zone ist sehr gross, und die Sterne, die in meiner Zone leben, sind nur mit den feinsten Apparaten wahrzunehmen. Meine Sterne, deren Bahnen ich dirigiere und korrigiere, sind die sogenannten traurigen Sterne. Einst wird sich die Melancholie meines Bezirkes auflösen und zu Weihrauch werden. Ich empfehle mich Ihnen, gnädige Frau.


Auf seinen Wandplatz mit Jammermiene.
FÜNFTER RAT
mit einem Sprunge vor – Zylinder schwenkend – wobei er mit dem an eine Laterne stösst.

Meine Zone, vielgeliebte Dame, ist die Zone des grossen Blödsinns. Mein Reich ist nicht von dieser Welt – ich harmonisiere die kosmische Idiotie – und lache nie! Ich bin die fünfte Nummer – vergessen Sie das in Ihrem ganzen Leben nicht mehr! An die Wand zurück – springend.

OKURIRASÛNA.
Dieses Zeremoniell ist ja einfach lächerlich.
GRAF ABGRUND.

Verehrte Weltgebieterin! Sie werden es doch nicht wagen, alte Sitten mit Füssen zu treten, nicht wahr? Darum sage ich kraft meines Amtes: Seien Sie ganz ruhig!

SECHSTER RAT
wie die andern vortretend – aber zögernd.

Ich bin der sechste Geheime! Ich lächle, denn meine Sterne sind nicht zu sehen. Und ich weise ihnen die Bahnen – mit einer innerlichen Kraft – die noch Keiner kennt. Die beiden Dienerinnen mit den Lampen gehen nach hinten und verschwinden. Diese innerliche Kraft spiegelt sich äußerlich nun in meinem Lächeln wieder. Ich begrüsse Dich, Du holde Weltmamsell! Langsam zurück an die Wand.

[82]
OKURIRASÛNA
aufspringend.
Wie? Schreibt das Zeremoniell auch das Wort Weltmamsell vor?
GRAF ABGRUND
vortretend wie die ersten Räte ohne beleuchtet zu werden.

Allerdings! Nehmen Sie wieder Platz! Okurirasûna setzt sich wieder. Ich bin der siebente Rat und bedeutender als die Andern, deshalb werde ich auch nicht beleuchtet wie die Andern – das Bedeutendste muss immer im Dunkeln bleiben; der Ring, den ich bearbeite, dehnt sich, wie Sie das wohl vermutet haben, bis ins Unendliche hinein – ja – umfasst das Unendliche von oben bis unten und nach allen andern Dimensionen – durchaus. Darum heisse ich auch der Graf Abgrund. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Ich darf, Frau Okurirasûna, wohl anitzo nur noch bemerken, das hiermit der erste Akt Ihrer anstrengenden Welttätigkeit zu Ende ist.

OKURIRASÛNA
steht auf – mit Würde.

Jawohl, ich begreife den Sinn Ihrer alten Sitten sehr gut. Nach diesem Vorgang kommt Ihr Abgang – aber dann kommt die – Arbeit!

GRAF ABGRUND
verbeugt sich, geht an seinen Platz und ruft laut.
Hut hoch! Links um Kehrt! Marsch!

Und im Gänsemarsch mit hochgehobenem Zylinder marschieren die sieben Räte wie preussische Soldaten hinten raus.
Vorhang!

2. Akt

Zweiter Akt

Konferenzzimmer im Sternpalast.
Rechts eine weisse Wand und links eine weisse Wand – beide aber in der Mitte geteilt und so weit von einander gerückt, dass ein Durchgang entsteht.
Hinten auch eine weisse Wand, die fast dicht an die Seitenwände stösst.
[83] Die weissen Wände stehen immer rechtwinklig zu einander. Vorne links ein glatter niedriger Diwan mit kleinem runden Tonnentisch. Vorne rechts ein Himmelsglobus mit bunten Punkten und Linien und Figuren. Sieben kleine runde tonnenartige Stühle ohne Lehne. Hellgrüne Stoffbezüge mit silbernen Kometen an Tisch und Stuhl; auch die hellgrüne Diwandecke zeigt vorne silberne Kometen.
Auf dem Fussboden hellblaue Decke ohne Ornament wie im ersten Akt.
Die hintere Wand wird von hinten und von den Seiten durch Licht, das sich hinter farbigen Gläsern befindet, an einzelnen Stellen bunt gemacht, sodass rote blaue grüne oder andersfarbige Kreise Ringe und andere Farbenflecke entstehen; die Formen können stellenweise auch wolkenartig wirken, dürfen aber nichts Gesichtsartiges haben.
Auf den sieben Stühlen, die unregelmässig über das ganze Zimmer verteilt sind, stehen die sieben
Zylinder der Welträte, die beim Aufgehen des Vorhanges sämtlich ihre Handschuhe anziehen.
Die Okurirasûna sitzt in einen weiten gelben Mantel gehüllt auf dem Diwan in europäischer Manier; auf dem Mantel ist ein grosser himbeerroter Komet mit sieben Schweifen zu sehen.
Die Kopfbedeckung mit den sieben Ringen steht auf dem Diwantisch.

GRAF ABGRUND.
Wir wünschen Euer Gnaden eine angenehme Siesta!

Die Herren ergreifen ihren Zylinder, drücken ihn mit beiden Händen an ihre Brust und verbeugen sich dabei vor der Weltgebieterin, die freundlich nickt. Während die Herren rechts abgehen, kommen von links Lekafolirâm und Mesmeimônio herein.
OKURIRASÛNA.
Seid mir willkommen. Ich danke Euch, dass Ihr sofort gekommen seid. Setzt Euch.

Lekafolirâm setzt sich auf [84] einen Stuhl, Mesmeimônio auf eine Fussbank, die neben dem Diwan steht – sodass Mesmeimônios Kopf Okurirasûnas Knie berühren kann. Die Kleider von beiden wie im ersten Akt.
LEKAFOLIRÂM.
Armes Kind!
OKURIRASÛNA.
Warum Arm? Ich bin nicht zu bedauern. Ich bin sehr glücklich.
MESMEIMÔNIO.
Ist das wahr? O, erzähle!
OKURIRASÛNA.

Das kann ich garnicht so rasch erzählen. Es ist zu viel. Vor drei Tagen glaubte ich noch, dieser ganze Sternpalast sei blos ein grosses Tollhaus und meine Welträte seien veritable Herren. Aber nun haben mir meine Welträte drei Tage hindurch fast ohne Unterbrechung Vorträge gehalten – und jetzt bin ich einfach toll vor Begeisterung


Springt auf und geht herum.
LEKAFOLIRÂM.
Armes Kind!
OKURIRASÛNA.

Wie kannst Du mich nur immerfort bedauern? Lass das! Ich verstehe dich nicht. Mesmeimônio, höre blos auf mich.

MESMEIMÔNIO.
Ich höre mit beiden Ohren. O, erzähle!
OKURIRASÛNA.

Liebe liebe Freundin! Es ist zu viel! Sieh nur! da drüben die geheimnisvolle Wand – sie zeigt Dir ein Bild aus der vierten Zone, in der die traurigen Sterne sind, die lieber nicht leben möchten – oder vielmehr immer anders leben möchten.

MESMEIMÔNIO.

Das sind also traurige Sterne? Wundervoll sehen sie aus. Wie schön müssen dann erst die heiteren Sterne sein!

OKURIRASÛNA.

Ja! Ja! Die ganze Welt ist schön! Und wenn ich bedenke, dass ich jetzt dieser ganzen Welt – allen sieben Zonen – zu gebieten habe, dann begreife ich zuweilen, dass die Weltgebieterinnen wohl mal ihren Verstand verlieren können.Sie umarmt die Lekafolirâm, die gleich aufsteht. Meine liebe liebe Lekafolirâm! nenne Dich nicht arm und nenne mich auch nicht arm! Wir haben das herrlichste Glück genossen! Vergiss das nicht! Sei glücklich, dass Du mal der Welt gebieten durftest – allen diesen unzähligen Trillionen von Sternscharen! [85] Solch ein Glück kann doch nicht ewig dauern – das kanns doch nicht! Genug, wenn wir's ein paar Jahrzehnte aushalten!

LEKAFOLIRÂM.

Dass die Welt herrlich ist – das glaube ich schon. Dass ich aber damals, als ich Deine Rolle zu spielen hatte, der Welt gebieten durfte – das glaube ich nicht. Man hat mir, als ich daran zweifelte, gesagt, dass ich meinen Verstand verloren hätte. Nun – ich habe nichts davon gemerkt. Nur traurig bin ich geworden. Und frei reden darf man hier nicht – denn die Wände könnten Ohren haben.

OKURIRASÛNA.

Wie meinst du das? Ich verstehe Dich nicht. Meinst Du, all die kolossalen Sternkarten und all die kolossalen Rechnungen und die weit ausschauenden Untersuchungen der astralen und kosmischen Verhältnisse, mit denen hunderte unsrer Beamten ihr Leben ausfüllen – diese grossen Dinge sollten blos zum Spasse da sein?

LEKAFOLIRÂM.
Ich – weiss es nicht.
MESMEIMÔNIO.
Die Okurirasûna ist doch zur Weltgebieterin erhoben worden – also ist sie's doch.
OKURIRASÛNA.
Ich fühle, dass ichs bin – und das genügt mir.
LEKAFOLIRÂM.
Armes Kind!
OKURIRASÛNA.

Ich verbitte mir, dass Du mich so nennst. Sie setzt sich wieder auf ihren Diwan. Aber ich habe Euch rufen lassen, um Euern Rat zu hören. Haltet Ihrs nicht für richtig, dass ich jetzt vor die Völker unsrer Sonne trete und in einer gewaltigen Rede kurz und klar sage, wie ich mein Amt ausfüllen will? – Mein Amt als Weltgebieterin? Was meint Ihr?

MESMEIMÔNIO.
Das musst Du tun.
LEKAFOLIRÂM.
Das kannst Du tun.

Laut aufschluchzend.
OKURIRASÛNA.

Flenn hier nicht! Ich verbitte mir das! Sie klingelt, und es erscheint ein rot gekleideter Diener mit Hörnern auf dem Kopfe. Hole mir den Grafen Abgrund her! Diener ab. Sieh, Mesmeimônio, die grünen Flecke da hinten an der Wand sind astrale Organe, mit denen es den Sternen möglich ist, alle Gedanken, die im Weltraume gedacht werden, sofort aufzunehmen. Mit diesen grünen Organen können die Sterne ohne Weiteres mit jeder Weltpartie mitleben – indem sie dasselbe[86] denken wie diese. Die Organe können, wenn sie auf unsere Centralsonne gerichtet sind, ohne Weiteres wissen, was ich denke und was Du denkst.

GRAF ABGRUND.
Ich stehe zu Diensten.
OKURIRASÛNA.

Ich danke Euch für Eure Bereitwilligkeit. Ich möchte vor die Völker unsres Sterns treten und in einer Rede sagen, wie ich mein Amt als Weltgebieterin zu verwalten gedenke. Darf ich die Rede halten?

GRAF ABGRUND.
Da muss ich erst die andern Räte fragen.

Er klingelt, der rote Diener erscheint wieder, der Graf schreibt was auf einen Zettel und giebt ihn flüsternd dem Diener, der eilig verschwindet.
OKURIRASÛNA
die aufgestanden ist und erregt umhergeht und sich Luft fächelt mit einem schwarzen Fächer.
Ich danke Euch, Herr Graf.
GRAF ABGRUND.
O, bitte! keine Ursache! Sehr gern geschehen. Darf ich Euer Gnaden allein sprechen?
OKURIRASÛNA.
Gewiss!

Lekafolirâm und Mesmeimônio nahen ehrfürchtig der Okurirasûna, küssen ihr die Hand und gehen
links ab.
GRAF ABGRUND
auf und abgehend, die Handschuhe ausziehend und seinen Zylinder bald auf den einen Stuhl und bald auf den andern legend.
Das Wetter – ist heute – draussen – etwas neblig.
OKURIRASÛNA
setzt sich wieder auf den Diwan.
Wollt Ihr damit etwas Symbolisches sagen?
GRAF ABGRUND.

O Du heilige – Okurirasûna! Wohl gibt es in der Welt einen grossen Rausch – einen Rausch, der grösser ist als alles Andre – in dem wir uns so viel einbilden können – dass schlechterdings das Diesseits und Jenseits der Welt vergeht – und Wir nur da sind – Wir – Wir – und alles Andre Nichts – tatsächlich Nichts ist. Versteht Ihr mich?

OKURIRASÛNA.

Noch nicht ganz. Sprecht Ihr von Zuständen, die mir bekannt sein sollen – oder von Zuständen, die ich kennen lernen soll?

GRAF ABGRUND.
Glaubt Ihr, dass man lenken kann, was man [87] noch nicht kennt?
OKURIRASÛNA.

Wie soll ich das verstehen? Ihr kennt doch die Welt, und durch Euch kenne ich die Welt doch auch. Demnach ist sie mir doch bekannt, und folglich kann ich sie auch lenken.

GRAF ABGRUND.

Seid Ihr auch ganz gewiss, das Ihr im Ernste den Spass und im vollkommensten Spasse die Ernstfalten zu allen Zeiten herausfindet?

OKURIRASÛNA.
Das klingt ja so geheimnisvoll.

Der rote Diener bringt einen Brief, den der Graf gleich liest.
GRAF ABGRUND.

Die geheimen Welträte erklären sich mit Eurer Rede einverstanden. Ihr könnt auf dem Weltbalkon vor die Völker unsrer Centralsonne hintreten und dort reden, so viel Euch beliebt.

OKURIRASÛNA
drückt ihm die Hand.
O, wie danke ich Euch! Wie danke ich Euch! Ich werds ganz kurz machen.
GRAF ABGRUND.

Freut mich, zu hören! Jedenfalls werden übermorgen die gesamten Völker unsrer dunklen Sonne zusammengetrommelt sein. Aber –

OKURIRASÛNA.
Nun? Was ist?
GRAF ABGRUND.
Nehmt Ihr Euer Amt auch nicht zu ernst?
OKURIRASÛNA.
Das kann doch nicht ernst genug genommen werden.
GRAF ABGRUND.

Und wisst Ihr auch schon ganz genau, was Ihr eigentlich wollt? Ihr könntet uns in Ungelegenheit bringen, wenn Ihr nicht klar sprechen würdet. Es ist doch immer eine fatale Angelegenheit, gleich so die ganze Welt – verbessern zu wollen! Das wollt Ihr doch – nicht wahr?

OKURIRASÛNA
mit starker Stimme.
Herr Graf, ich weiss, was ich zu tun habe.
GRAF ABGRUND.

Donnerwetter! Eine solche Weisheit ist ja noch garnicht dagewesen. Da gestattet gütigst, dass ich mir erlaube, Euch, Frau Weltgebieterin, einfach anzubeten – auf meinen Knieen!


Er stürzt vor ihr auf beide Kniee und faltet die Hände – sie lächelt.
Vorhang!
[88]

3. Akt

Dritter Akt

Die Szene des ersten Aktes.
Vor der Mauerbrüstung, zwei Meter über dem Fussboden, befindet sich eine weisse Schallglocke, aus der oben ein dicker weisser Schlauch herausragt, der in grossem Bogen hinter der Mauerbrüstung nach unten führt. Die Glocke kann aus Papier sein und von dem kompakten Schlauche gehalten werden.
Es erscheinen wieder wie im ersten Akt zuerst die beiden ersten Welträte.

ERSTER RAT.
Das Benehmen unsrer gnädigen Frau ist in der Tat höchst seltsam.
ZWEITER RAT.

Jetzt wieder diese Ansprache an die dummen Völker! Wirklich, die gute Oku ist zu jung – zu jung! Das hab ich ja gleich gesagt.

ERSTER RAT.
Und der Abgrund wird immer giftiger.
ZWEITER RAT.
Ja, es steigen die reinen Weltdünste aus unsrem Abgrund heraus.
ERSTER RAT.
Sehr ungesund – auch für uns!

Graf Abgrund erscheint mit den vier anderen Herren.
GRAF ABGRUND.

Sei gegrüsst, vieledle Schallglocke! Du wirst uns schon mit den Völkern in Verbindung bringen: durch Dich werden wir wieder mal unsern Völkern so recht verständlich werden. Meine Herren, entblössen Sie vor diesem technischen Wunder – diesem Volkssymbol – Ihr Haupt!


Alle tuns.
ZWEITER RAT.
Wo sind denn die Völker?

Die Herren bedecken sich wieder.
GRAF ABGRUND.

Fragen Sie doch nicht so, als ob sie meine Worte ernst nehmen möchten; die Völker sind, wo sie immer sind – zu Hause.

ERSTER RAT.
Ja! Die liebe Häuslichkeit!
GRAF ABGRUND.

Wir haben fast unsre gesamte Dienerschaft und Beamtenschaft unten im grossen Karossenhof antreten lassen – und diesen Herrschaften wird es ein Kleines sein, die Stimmen des Volkes täuschend nachzuahmen.

[89]
SECHSTER RAT.

Dann wollen wir doch mal probieren, Herr Graf, ob diese Völkerimitation pflichtschuldigst den üblichen Beifall zum Ausdrucke bringen kann. Frau Okurirasûna ist noch bei Ihrer Toilette. Reden Sie mal, Graf, in die Nachtmütze hinein! Ich werde die Stimme des Volkes dirigieren.


Er beugt sich über die Brüstung und klatscht in die Hände.
GRAF ABGRUND.
Schön! So wollen wir mal eine Rede improvisieren.

Er stellt sich unter die Schallglocke mit dem Gesicht dem Publikum zugekehrt, nimmt den Hut mit beiden Händen und presst ihn an die Brust und wirft nun den Kopf ins Genick und spricht nachher nach oben in die Schallglocke hinein.
ZWEITER RAT.
Wir wollen den Redner zunächst mal beleuchten

Sie tuns mit ihren Blendlaternen.
GRAF ABGRUND.

Eine Erleuchtung überkommt mich! Ehrwürdige Völker unsrer ehrwürdigen Centralsonne! Wir sind Euch für Eure heilige Einfalt zu grossem Danke verpflichtet – denn Eure heilige Einfalt giebt uns zu essen und zu trinken und zu leben, wie's Welträten zukommt. Glaubt mir, Völker, ich bewundre Euch! Der sechste Rat hinten schwenkt seinen Zylinder über der Brüstung und ein Beifallsgeschrei dringt aus grosser Tiefe dumpf empor. Ihr seid klüger als die andern Völker auf den andern Sonnen und Sternen! Abermals Beifall. Ihr habt Euch frei gemacht und habt Euch auf Euch selbst gestellt! Beifall. Niemand hat Euch was zu sagen! Beifall. Und trotzdem Ihrs nun garnicht nötig habt, lasst Ihr uns doch einen guten Tag leben – ganz freiwillig! Das ist brav von Euch! Ihr lasst Euch von uns weissmachen, dass wir die Sterne lenken – und dafür ernährt Ihr uns und gebt uns Alles, was uns Spass macht! Völker, ich bewundre Euch!


Tosender Beifallssturm.
ERSTER RAT.
Meine Herren, beenden Sie Ihre Scherze; die gnädige Frau kommt mit Eilschritten herbei.
GRAF ABGRUND
setzt wieder den Zylinder auf.
Na? Wie wars?

Die sechs Räte rufen: »Herrlich!« »Entzückend!« »Süperb!« »Meisterhaft!« »Ueberraschend!« »Skurril!« und schütteln dem Grafen gratulirend die Hände. Danach erscheint die Okurirasûna von rechts genau wie im ersten Akt – nur tragen diesmal[90] die Diener und Dienerinnen auf zwei Meter hohen Stöcken brennende Kerzen in grossen flachen Schalen.
OKURIRASÛNA.
Wo sind denn nun die Völker? Und was soll diese weisse Glocke?

Lekafolirâm und Mesmeimônio ordnen die beiden Hälften der Schleppe.
GRAF ABGRUND.

Sofort will ich Euer Gnaden alle Fragen beantworten. Ich muss nur zunächst die Dienerschaft auffordern, sich an beiden Wänden in Reih und Glied zu stellen.


Die Dienerschaft tuts.
OKURIRASÛNA.
Jetzt bin ich neugierig. Wo sind die Völker?
GRAF ABGRUND.

Ja, glaubten Euer Gnaden, die Völker hätten hier auf dem Weltbalkon sich versammeln können? Die Völker sind unten vor den tausend Toren des Sternpalastes versammelt und warten, dass Euer Gnaden reden werden.

OKURIRASÛNA.
Ja, wie soll ich das denn machen?
GRAF ABGRUND.

Nichts einfacher als das! Diese Glocke ist eine Schallglocke, ein technisches Wunder. Sprechen Sie da von unten hinein, so wird der Schall Ihrer Stimme nach tausend Seiten übertragen – und alle Völker hören Ihre Stimme so laut – dass die Ohren der Völker nur so dröhnen. Passen Sie auf, ich will Ihnen mal die Sache vormachen.


Der sechste Rat verschwindet hinten rechts, die anderen Räte bleiben stehen, wo sie gerade stehen – mit den Zylindern auf dem Kopfe.
OKURIRASÛNA.
Machen Sie's kurz, Herr Graf!
GRAF ABGRUND
wie vorhin nach oben sprechend.

Hört, Völker der dunklen Centralsonne! Begrüsst Eure neue Weltgebieterin! Sie ist da und wird gleich reden. Rauschendes Beifallsgebrüll. Ich will Euch mal was sagen! Ihr braucht mir keinen weiteren Beifall raufzubrüllen! Spart Eure Lungenkraft für Eure grosse Okurirasûna! Gedämpftes Stimmengemurmel. Wisst Ihr, wie gross die Welt ist? Ich wills Euch sagen: Die Welt ist so gross, dass in ihr auch alle Tollheiten Platz haben; alle Tollheiten, die wir und Andre ausbrüten, haben in der Welt Platz. Auch dieTollheit, in der sich ein Madenwurm für ein Allwesen hält, hat in der grossen Welt Platz. Gemurmel. Kraft meines Amtes sage [91] ich Euch: Seid ganz still! Wenn Ihr Euch über dem All fühlt, so ist das ebenso verzeihlich, als wenn Ihr Euch unter dem All fühlt – auch ebenso verzeihlich, als wenn Ihr Euch in dem All oder als All oder hinter dem All fühlt. Ihr könnt Euch die grössten Dinge einbilden – es schadet das Alles nichts. Die Grandiosität der Welt wird durch Euren Einbildungseifer nicht im mindesten tangirt. Vergesst das nie: Selig sind, die sich recht viel einbilden können! Der Graf setzt wieder seinen Zylinder auf, kommt vor und verbeugt sich vor der Okurirasûna. Haben Sie mich gehört?

OKURIRASÛNA.
Nein! Ich musste an meine eigene Rede denken.
GRAF ABGRUND.

So! Das muss ich aber bedauern. Na, dann reden Sie, Madam! Stellen Sie sich so hin, wie ich's gemacht habe.


Sie tuts. Rechts und links stehen die Schleppenträgerinnen. Die fünf Räte, zu denen sich jetzt auch der sechste gesellt, stehen, wo sie standen und legen die Hand ans Ohr, um besser hören zu können.
ZWEITER RAT.
Graf Abgrund, gehen Sie in den Hintergrund?
GRAF ABGRUND.
Sofort!

Er verschwindet hinten rechts.
OKURIRASÛNA
mit nach oben gekehrtem Gesicht; ihr Kopfgestell mit den sieben Ringen wird von ihr fester auf den Kopf gedrückt.

Ich sehe diese ganze Welt bis in die fernste Tiefe, und ich fühle die Bedürfnisse dieser ganzen Welt. Ich sehe, dass viel überflüssiger Zorn in dieser Welt ist, der die Harmonie des Ganzen stört. Diesen Zorn will ich ausrotten – denn ich will nicht blos dem Namen nach Eure Weltgebieterin sein. Ich will die Sterne, die Zwietracht säen, vernichten. Und ich will die Sterne, die Alles herrlich machen, erheben – so hoch – wie ich selbst erhoben bin. Wilder Beifall. Ich will all die Leiden ausmerzen. Abermals Beifall. Sie ziemen sich nicht für ein grosses Weltendasein. Ich will den Abscheu vernichten, den viele Sterne vor ihresgleichen haben. Stärkster Beifallssturm. Ich will, dass Alle einander achten und sich nicht umbringen, da ich die Wut verachte und verabscheue, Sehr lange anhaltender Beifall. Ich will, dass überall Friede und Freude herrsche [92] und nicht Zank und Gemeinheit. Murmeln und Bewegung in der Tiefe. Das will ich – und als WeltgebieterinSchreiend. werde ich das durchsetzen. – Ich wills! Und Kreischend. ich werde ausführen – das, was ich will! Ich kann nicht mehr!


Graf Abgrund kommt schnell vor, sie sinkt ohnmächtig in die Arme ihrer Schleppenträgerinnen, die sie unter grosser Erregung der Räte hinten rechts abführen. Die Dienerschaft folgt ohne jede Ordnung, und die Räte sehen sich entsetzt und sich hinter den Ohren krauend an.
GRAF ABGRUND
als die Dienerschaft auch weg ist.

Setzen wir uns, meine Herren! Er setzt sich wie ein Orientale mit untergeschlagenen Beinen unter die Glocke. Die andern Herren setzen sich rechts und links ebenso hin – im Halbkreise.

ZWEITER RAT.
Ja!
GRAF ABGRUND
die Arme mit gespreizten Fingern in die Höhe reckend.
Ach ja!

Vorhang!

4. Akt

Vierter Akt

Scene wie im zweiten Akt.
Aber auf der hinteren Wand sind jetzt nur hell- und dunkelblaue Flecken von unregelmässiger Form sichtbar. Okurirasûna stehend und die sieben Räte, die auch stehen, bereits die Handschuhe an und die Zylinder in der Hand haben.

OKURIRASÛNA
in einem weiten zinnoberroten Mantel mit Goldkometen.

Meine Herren, was Sie von mir verlangen, ist denn doch zu viel. Die ganze Sache ist doch keine pure Vertrauensangelegenheit. Wenn ich Befehle erteilen darf, so will ich doch auch wissen, ob meine Befehle ausgeführt werden – oder nicht.

[93]
GRAF ABGRUND.

Gnädige Frau, wir haben schon in aller Form erklärt, dass unser Auftreten durch Traditionen bestimmt wird, die durch Jahrtausende geheiligt sind. Wir müssen so handeln – wie wir handeln.

OKURIRASÛNA.

Dann können Sie mir ja Vieles erzählen. Gesetzt, ich würde der Meinung sein, dass alle Sterne, die von unsrer Sonne aus sichtbar werden, zu vernichten seien. Würden Sie die Vernichtung arrangieren? Ich frage den ersten meiner Räte.

ERSTER RAT.
Ich bezweifle, gnädige Frau, dass Sie jemals einen so grausamen Befehl erlassen könnten.
OKURIRASÛNA.
Das ist keine Antwort auf meine Frage.
GRAF ABGRUND.

Wir Alle nehmen an, dass die gnädige Frau zufrieden ist, wenn blos die astralen Friedensstörer vernichtet werden.

OKURIRASÛNA.

Gewiss würde ich dadurch zufriedengestellt sein – aber ich möchte auch die Gewissheit haben, dass die Friedensstörer tatsächlich vernichtet werden. Vor Monaten habe ich den Befehl gegeben, jenen blauen Stern der ersten Zone zu vernichten. Ich möchte nun sehen, wie weit der Vernichtungsprozess gediehen ist. Man müsste heute bereits eine Veränderung in der Farbe des Sterns wahrnehmen; die hellblauen Partieen haben sich, wie Sie mir das an den dort befindlichen Wandfiguren Weist auf die hintere Wand. erklärten, in dunkelgrüne verwandelt.

GRAF ABGRUND.

Es ist unsre Pflicht, die Weltgebieterin nicht an die Teleskope ran zu lassen. Die persönliche Besichtigung der astralen Vorgänge strengt Sie, gnädige Frau, derart an, dass Sie auf Wochen hinaus die weiteren kosmischen Verhältnisse in ihren Zusammenhängen nicht mehr verfolgen und somit auch nicht mehr lenken können.

OKURIRASÛNA.

Sie sind wirklich so schlau, dass es mir schwer fällt, Sie nicht für die gemeinsten Betrüger zu halten – die mit mir blos eine lächerliche Komödie aufführen.


Die Räte schreien entrüstet: »Aber!« »Was ist denn los?« »Unerhört!« und Aehnliches.
[94]
ZWEITER RAT.
Das ist ein Vorbote des schönen Rappels – ist Ihnen das nicht klar?
ERSTER RAT.

Ich mache die gnädige Frau in allem Ernste darauf aufmerksam, dass Sie sich die Gesundheit Ihres Verstandes bewahren wollten.

SECHSTER RAT.
Zu den Worten aber, die Sie zu äussern beliebten, könnten wir nur lächeln.

Die sieben Räte lächeln.
OKURIRASÛNA
nach einer Weile.
Verzeihen Sie mir – es war nur ein Scherz.
GRAF ABGRUND.
Wir wünschen Euer Gnaden eine angenehme Siesta.

Alle Räte lächelnd mit Bücklingen rechts ab. Von links erscheinen wieder wie im zweiten Akt Lekafolirâm und Mesmeimônio, die erstere in Schwarz, die letztere in Weiss.
OKURIRASÛNA
aufgeregt in ihrem Mantel auf und ab gehend, während sich die beiden andern Frauen auf den Diwan setzen.
Kinder, das war wieder eine Scene! Da hättet Ihr dabei sein sollen!
LEKAFOLIRÂM.
Was war los?
OKURIRASÛNA.
Ich wollte mich mit meinen eigenen Augen davon überführen, dass meine Befehle ausgeführt werden.
MESMEIMÔNIO.
Und was sagten sie?
OKURIRASÛNA.

Sie sagten, das widerstrebe den Traditionen – und ausserdem würden mich die Beobachtungen an den Teleskopen derart anstrengen, dass ich in meinem Amte gestört und behindert werden dürfte.

MESMEIMÔNIO.
Ja, brauchst Du denn die Teleskope dazu? Könntest Du Dich nicht mit blossem Auge überführen?
LEKAFOLIRÂM.
Ich würde doch Alles ruhig so gehen lassen. Glaube mir, es ist das Beste.
OKURIRASÛNA.

Oho! Da bist Du aber im Irrtum. Mesmeimônio, ich danke Dir für Deinen Rat. Aber zunächst muss ich denn doch ein ganz ernstes Wort mit Dir, Lekafolirâm, sprechen.

LEKAFOLIRÂM.
Bitte! Sprich nur!
OKURIRASÛNA.

Wenn, wie ich leider Grund habe zu vermuten, die Weltgebieterin einfach eine lächerliche Figur ist – so halte [95] ich's für lächerlich, wenn sich eine Weltgebieterin etwas Derartiges gefallen lassen wollte.

LEKAFOLIRÂM.
Und weiter?
OKURIRASÛNA.
Was denn? Verlangst Du noch mehr?
LEKAFOLIRÂM.
Was willst Du denn tun?
OKURIRASÛNA.

Diesen Gaunern hier die Larve vom Gesichte reissen und die Völker darüber aufklären, dass sie in diesem Sternpalaste blos schlaue Schmarotzer auffüttern.

LEKAFOLIRÂM.
Das Eine wird Dir nichts nützen, und das Andre wird Dir nicht gelingen.
OKURIRASÛNA.
So? Nun – das werden wir sehen.
LEKAFOLIRÂM.
Du wirst unklug handeln.
OKURIRASÛNA.
Sag doch lieber, ich sei eine dumme Gans.
LEKAFOLIRÂM.
Das sage ich nicht. Tu, was Du willst! Ich bin es müde, Dein Vertrauen – zu erkämpfen.
OKURIRASÛNA.
Und ich bin es müde, Deine apathischen Grobheiten zu hören.
MESMEIMÔNIO.
Nun wollen wir aber zusehen, was sich tun lässt.
OKURIRASÛNA.

Ja, liebe Mesmeimônio! Sieh, da drüben ist der blaue Stern der ersten Zone, wie er sich im grössten Teleskope zeigen soll. Nun habe ich befohlen, diesen Stern zu zerstören. Und meine Räte haben mir erklärt, dass dieses möglich ist – durch Mittel, die ich allerdings nicht beurteilen kann. Denn um diese Mittel zu beurteilen, müsste ich über tausend Jahre Dinge studieren, die mir doch etwas zu – trocken erscheinen. Also: der blaue runde Stern wird nach Angabe meiner Räte durch sehr komplizierte Apparate jetzt wirklich zerstört; die hellblauen Flecke sollen jetzt schon dunkelgrün sein.

MESMEIMÔNIO.
Das muss sich mit blossem Auge wahrnehmen lassen.
OKURIRASÛNA.
Auch die Form des Sternes hat sich in der Mitte nach beiden Seiten auseinandergezogen.
MESMEIMÔNIO.
Das muss sich ebenfalls mit blossem Auge wahrnehmen lassen.
LEKAFOLIRÂM.
Das hat ja Alles keinen Zweck.
[96]
OKURIRASÛNA.
Liebe Freundin, würdest Du mich verraten?
LEKAFOLIRÂM.
Nein – das hätte auch keinen Zweck.
OKURIRASÛNA.

Gut, so wollen wir auf den Weltbalkon gehen und sehen, ob wir eine Veränderung an dem blauen Stern bemerken.

LEKAFOLIRÂM.
Handle aber nicht unvorsichtig.
MESMEIMÔNIO.
Wollen wir nicht sofort hingehen?
OKURIRASÛNA.
Liebe Lekafolirâm, ich weiss, was ich zu tun habe. Noch bin ich die Weltgebieterin.
MESMEIMÔNIO.
Kommt! Lasst uns eilen! Aber auf den Zehen! Ganz leise! Dass Niemand was merkt!

Die drei Frauen schleichen leise auf den Zehen links hinaus. Ein paar Sekunden hindurch ist Niemand auf der Bühne. Dann kommt von rechts der rote Diener mit den Hörnern, blickt sich um, geht – auch auf den Zehen – zum Globus, betastet ihn, geht zum Diwantisch und betastet dort die sieben Ringe auf Okurirasûnas Kopfputz – lächelt, schüttelt mit dem Kopf und geht wieder rechts ab – und wieder ist ein paar Sekunden hindurch Niemand auf der Bühne.
Vorhang!

5. Akt

Fünfter Akt

Dieselbe Scene wie im ersten Akt.
Statt der beiden roten Kometen steht aber jetzt nur einer am Himmel und zwar einige Handbreiten über dem runden blauen Stern in der Mitte mit nach oben gerichtetem Schweif.

ERSTER RAT
wie im ersten Aufzuge von links mit dem zweiten Rate zusammen auftretend.
Was wollen wir denn hier? Ich dächte, wir hätten schon genug über die Sache geredet.
[97]
ZWEITER RAT.

Durchaus nicht! Es ist kein Spass. Gesetzt, wir hätten kein so dummes Volk – so würden wir doch wahrhaftig nicht im Stande sein, den ausserordentlich grossartigen Geschehnissen im Reiche der kosmischen Grandiosität zu folgen. Meinst Du, man würde uns um rein idealer Zwecke willen hier durchfüttern? Oh nein – man muss die Völker mit kitzelnden Machtphantasieen zu ködern wissen. Und darum ist ein Betrug einfach anständig. Oder – meinst du das Gegenteil?

ERSTER RAT.

Ich meine, dass es immerhin bedenklich sei, diese Komödie von der sogenannten Sterndirektion aufzuführen.

ZWEITER RAT.

Bedenklich! Natürlich ist das ganze Leben bedenklich! Aber mir erscheint es wichtiger, in unsrem Sternpalast die grossen Vorgänge im kosmischen Weltall zu verfolgen – als – weniger wichtige Angelegenheiten in Betracht zu ziehen. Bist du nicht auch der Meinung?

ERSTER RAT.
Allerdings – der Meinung schliesse ich mich vollkommen an.

Beide Räte wieder rechts ab, während Okurirasûna, Lekafolirâm und Mesmeimônio von links hereinkommen.
LEKAFOLIRÂM.
Jetzt glaube ich, dass auch mich der schöne Rappel ergreifen wird.
OKURIRASÛNA.
Was erlaubst Du Dir? Ich habe noch meinen Verstand.
LEKAFOLIRÂM.
Wenn ich Deinen Verstand ansehe, so habe ich bald meinen Verstand nicht mehr.
OKURIRASÛNA.
Schweig! Mesmeimônio, sage mir: hat sich an dem blauen Stern irgend etwas verändert?
MESMEIMÔNIO.
Keine Spur! Der ist, wie er war!
OKURIRASÛNA.
Nun, dann bitte ich Euch, mich zu verlassen.
LEKAFOLIRÂM.
Wir wünschen Euer Gnaden eine angenehme Siesta.

Beide ab.
OKURIRASÛNA
allein, beugt sich über die Brüstung, klopft an die Wände und rennt mit den Füssen stampfend herum – währenddem schreit sie in kurzen Absätzen das Folgende.

Heda! Kommt heran! Ihr verfluchten Betrüger! Ihr Schwindelnarren! Ihr gemeinen Schufte! Ihr erbärmlichen Halsabschneider! Ihr! [98] Kommt heran! Ich werde Euch die Wahrheit geigen: Heraus! Ihr Schmarotzer! Hierher!

ERSTER RAT.
Der gnädigen Frau ist wohl nicht wohl! Darf ich die Aerzte rufen?
OKURIRASÛNA.
Ersparen Sie sich die Mühe, Sie altes Ochs.

Die andern sechs Räte erscheinen nach einander von beiden Seiten. Lekafolirâm und Mesmeimônio, die zurückkamen, werden gleich wieder hinausgedrängt.
ZWEITER RAT.
Na ja! Der Ausbruch des vollendeten Rappels ist zum Ereignis geworden.
SECHSTER RAT.

Wir hörten schon die nötigen Dokumente. Halten Sie gefälligst Ihr gnädigstes Maul, gnädigste Okurirasûna! Sie werden sofort für verrückt erklärt werden.


Geht nach hinten und pfeift gellend über die Mauerbrüstung in die Tiefe hinunter.
OKURIRASÛNA.
Ihr Hallunken, Ihr habt mich betrogen; der blaue Stern sieht so aus, wie er immer ausgesehen hat.
GRAF ABGRUND.

Man binde diesem rabiaten Frauenzimmer Arme und Beine und stopfe ihm einen Knebel in den etwas zu kühnen Mund.

FÜNFTER RAT.
Ich finde es urkomisch, dass immer die Frauen den grossen Mund riskieren.
SECHSTER RAT
während Okurirasûna von drei Räten, ohne Widerstand zu leisten, gefesselt wird.
Ich lächle über diese ganze Weltgebieterei.
GRAF ABGRUND.

Mein lieber Herr Weltrat, es ist durchaus nicht geistreich von Ihnen, dass Sie unsre Institutionen belächeln. In offiziellen Augenblicken wenigstens könnten Sie sich das gefälligst abgewöhnen.

OKURIRASÛNA
plötzlich kreischend.
Hilfe! Sie wird geknebelt.

Der sechste Rat fängt sie, während sie in Ohnmacht fallen will, geschickt auf und hält sie von hinten an den Armen fest. Die sechs andern Räte ziehen ihren Zylinder und verbeugen sich vor ihr. Aus der Tiefe ertönt Wehgeschrei.
GRAF ABGRUND.

Gnädigste Frau Weltgebieterin, wir erklären [99] Ihnen hiermit, dass das Wehgeschrei der Völker nichts Andres bedeutet, als dass Sie auch verrückt geworden sind. Sie waren eben für den Sternpalast der dunklen Centralsonne noch nicht reif.

ZWEITER RAT.
Sie waren eben noch zu jung.
GRAF ABGRUND.
Arrangiert gefälligst das althergebrachte Arrangement der Absetzungszeremonie.

Die sechs ersten Räte fallen, während jetzt der Graf die Okurirasûna vor sich festhält, auf beide Kniee vor ihr hin, schwenken die Zylinder und leuchten ihr mit ihren Blendlaternen ins Angesicht.
ERSTER RAT
aufstehend.
Wir sind tatsächlich nicht Euretwegen da. Bravorufen der andern Räte.
ZWEITER RAT
aufstehend.
Wir sind tatsächlich nur unsretwegen da.

Gelächter der Räte.
DRITTER RAT
aufstehend.
Wir haben ein heiliges Recht, die Völker zu betrügen.
VIERTER RAT
aufstehend.
Die Völker können glücklich sein, dass wir sie betrügen.
FÜNFTER RAT
aufstehend.

Wenn wir die Völker nicht betrügen würden, hätten die Völker von der Grandiosität der Welt keine blasse Idee.

SECHSTER RAT
aufstehend.
Ich lächle blos.

Die sechs Räte umwandeln die Okurirasûna in grösseren und kleineren Kreisen, beleuchten sie mit ihren Blendlaternen, lächeln und lachen und
strecken vor ihr die Zunge raus und schneiden Grimassen und tanzen und springen dazu, während hinten aus der Tiefe jämmerliches Wehgeschrei ertönt.
Vorhang!

[100] Der Schornsteinfeger
Constantinopolitanische Offizierstragödie

Personen

Personen.

    • von Mohrenheim,
    • Ibn Bullak, , Beduinenleutnants.

    • Bimmelmann, ein türkischer Soldatenbursche.

    • Polizisten, alte Weiber und Handlungsgehilfen.

[Stücktext]

Rauchzimmer in der Wohnung des Leutnants von Mohrenheim. Glatte Wände rechts, links und hinten mit kopfbreiten weissen und ebenso breiten roten Querstreifen. Hinten in der Mitte europäische Doppeltüre. Verschiedene Teppiche auf dem Fussboden. Diwane und daneben kleine Tische mit Rauchutensilien im türkischen Geschmack. Vorne rechts ein grosses Kanonenrohr auf einem Diwan. Vorne links liegt der Leutnant von Mohrenheim auch auf einem Diwan und raucht Wasserpfeife.

VON MOHRENHEIM
in weissem Burnus – sehr laut.
Bimmelmann!
BIMMELMANN
in türkischer Infanterieuniform – eiligst durch die Türe herein – Hände gleich an der Hosennaht.
Alles in Ordnung.
VON MOHRENHEIM.
Gut, mein Sohn! Nu mal bischen europäische Kultur markieren.
[101]
BIMMELMANN
brüllend.
Zu Befehl!
VON MOHRENHEIM.
Mal Redensarten aufsagen, die bischen Weltschliff zeigen.
BIMMELMANN
einförmig.

Ueb immer Treu und Redlichkeit! Sperr die Augen auf! Immer feste mang gehauen! Karline, gib den Hammel her. Hurrah! Hurrah! Jetzt kommt er schon. Es ist im Hintergrunde eine Hausglocke zu hören. Es hat gebimmelt.

VON MOHRENHEIM.
Aufmachen!

Bimmelmann ab.
BIMMELMANN
eiligst erschrocken zurück.
Herr Beduinenleutnant Ibn Bullak – vom Wüstenregiment No.17 – ganz voll Russ.
VON MOHRENHEIM.
Was heisst das: ganz voll russ?
IBN BULLAK
im weissen Burnus, der vorn ganz voll Kienruss ist.
Bimmelmann ab, macht die Türe heftig zu. Mohrenheim!
VON MOHRENHEIM.
Mensch, wie siehst Du denn aus? Gehört der Russ jetzt auch zur europäischen Kultur?
IBN BULLAK.
Frage mich nicht nach meinem Aussehen. Ich bin ins Herz getroffen.
VON MOHRENHEIM.
Du bist verwundet? Bimmelmann, Charpie!
IBN BULLAK.
Ich sprach vom Herzen nur figürlich.
BIMMELMANN
mit einem weissen Bettlaken.
Soll ich dies zerreissen?
IBN BULLAK.
Aus meinen Augen, Du Lump!

Bimmelmann ab.
VON MOHRENHEIM.
Ibn Bullak, setz Dich! Rauch 'ne Zigarette!
IBN BULLAK
setzt sich auf das Kanonenrohr und steckt sich mit wild gerunzelter Stirn eine Zigarette an.
Constantinopel!
VON MOHRENHEIM.
So! So! Nu bin ich aber neugierig.
IBN BULLAK.
Oh! Sieh mich nicht so fragend an!
VON MOHRENHEIM
setzt sich auf den Diwan links und seine Wasserpfeife wieder in Brand – qualmt.
Deine letzte Redensart kann Bimmelmann auch schon.
IBN BULLAK.
Ein Schurke hat mein Weib verführt.
VON MOHRENHEIM.

Na – das hab ich mir ja gleich gedacht. Jetzt [102] heisst es also: schneidig auftreten und europäische Kultur markieren. Laut. Bimmelmann, bring die neuen Pistolen. Bimmelmann steckt den Kopf durch die Türe, nickt und verschwindet wieder.

IBN BULLAK
mit den Fäusten dem Himmel drohend.
Ein Schurke hat mein Weib verführt.
VON MOHRENHEIM
eifrig umherrennend.

Mensch, die Geschichte ist ja ganz klar. Ich gehe hin, fordre den Schurken auf neue Pistolen – und dann geht die Schiesserei los. Wir wollen den Europäern schon beweisen, dass wir am Bosporus auch feine Schiesskerle haben. Wir verstehens ebenfalls, schneidig loszugehen. Losgehen ist 'ne feine Redensart, nicht? Na – kurz und gut: Ich zähle bis drei – und dann schiesst Ihr los – die Pistolen gehen eben los – und dann liegt Ihr wahrscheinlich, wenn Ihr gut getroffen habt, alle Beide am Boden und krümmt Euch, als wenn Ihr Rattengift getrunken hättet.

IBN BULLAK.
Du ahnst es nicht.
VON MOHRENHEIM.
Was denn? Baller man los! Bist Du feige? Fest steht und treu die Wacht am Rhein.
IBN BULLAK.
Du ahnst es nicht.
VON MOHRENHEIM.
Dir schwant es nicht – sagt man heute. Aber erzähle doch – wie wars denn?
IBN BULLAK.

Ich kam nach Hause vom Frühschoppen Klock halb Vier und umarmte mein Weib der Gewohnheit gemäss mit Treu und Redlichkeit. Danach schaute ich in den Spiegel – und sah – ja – ich sah – ach, Mensch! – ich sah, dass ich ganz voll Kienruss war.

VON MOHRENHEIM
gezwungen lachend.
Dein Weib ist wohl sehr sauber.
IBN BULLAK.
Sie war unsauber.
VON MOHRENHEIM.
Nu ja! Was weiter?
IBN BULLAK.

Sie schrie: Schornsteinfeger! Und dann stürzte sie zur Tür hinaus – glitschte auf der Strasse durch eine Pfütze – fiel in den Rinnstein – sprang wieder auf – schrie nochmals: Schornsteinfeger! – und verschwand in der Volksmenge. Ich habe sie nicht mehr wiedergesehen.

[103]
VON MOHRENHEIM.
Und der Verführer?
IBN BULLAK
nach kurzer Pause.
Der stak im Schornstein.
VON MOHRENHEIM.
Im Schornstein?
IBN BULLAK.
Ja – es war der Schornsteinfeger.
VON MOHRENHEIM.
Und hast Du ihn –
IBN BULLAK.

Du meinst: getötet? Nein. Nur seinen Pantoffel hab ich erwischt. Er selbst, der Verführer, rettete sich über die Dächer. Auch ihn hab ich nicht mehr wiedergesehen.

VON MOHRENHEIM.
Aber Mensch! Unter diesen Umständen ist doch ein Duell ganz unmöglich. Was machen wir da?
IBN BULLAK.

Wir könnten durch die Polizei den Schornsteinfeger suchen lassen; ich habe allerdings nur das eine seiner Beine gesehen – weiter nichts.

VON MOHRENHEIM.
Verfluchte Zucht! Mit einem Schornsteinfeger kannst Du Dich doch nicht schiessen.
IBN BULLAK.
Ich will ihm auch blos das Gehirn einschlagen.
VON MOHRENHEIM.
Das erlaubt doch die Polizei nicht.
IBN BULLAK.
Dann brauchen wir den Kerl auch nicht zu suchen.
VON MOHRENHEIM
zu Bimmelmann, der die Pistolen bringt.
Blos drei Paar? Na – es ist gut! Geh fort! Aber nicht horchen!
BIMMELMANN
brüllt.
Zu Befehl! Der Horcher an der Wand hört seine eigne Schand. Schnell ab.
IBN BULLAK.
Dieser Bimmelmann redet von Schand – dieser Phrasenlump!
VON MOHRENHEIM.

Lieber Freund! Ein Duell müsste jedenfalls stattfinden. Der europäische Ehrenkodex verlangt das. Steck Dir noch 'ne Zigarette an. Ibn Bullak tut das. Wenn wir Kultur zeigen wollen – und das müssen wir – so muss jedenfalls geschossen werden – – – schlimmsten Falls musst Du Dich selbst erschiessen.

IBN BULLAK.
Mich selbst? Wozu?
VON MOHRENHEIM.

Frag doch nicht so dumm – und schamlos. Deine Ehre ist befleckt – berusst! So was muss gesühnt werden. Und in Europa macht man so was immer mit Pistolen. Und wir leben hier auch in Europa. Du wirst doch nicht feige sein. Vergiss [104] nicht, dass wir deutsch sprechen, obschon wir Türken sind. Heil Dir im Siegerkranz!

IBN BULLAK.
Ich wünschte, Du hättest meine Frau verführt.
VON MOHRENHEIM.
Das wünschte ich auch.
IBN BULLAK.
Könntest Du es nicht jetzt noch tun?
VON MOHRENHEIM.
Nach dem Schornsteinfeger? Du willst wohl, dass ich auch so aussehe – wie Du – was?
IBN BULLAK.
Tu mir doch den Freundschaftsdienst! Dann können wir uns doch schiessen.
VON MOHRENHEIM.
Rede doch nicht son Blech! Sie ist Dir doch weggelaufen. Wo soll ich sie denn finden?
IBN BULLAK.
Dann lade mir eine Pistole.
VON MOHRENHEIM.
Das hat Bimmelmann längst getan.

Gibt ihm eine Pistole.
IBN BULLAK
nimmt sie und schiesst von Mohrenheim über den Haufen.
Heil Dir im Siegerkranz!

Bimmelmann schreit draussen um Hilfe. Polizisten, alte Weiber und Handlungsgehilfen stürzen ins Zimmer und Ibn Bullak lässt sich unter Weibergekreisch ruhig verhaften und Handschellen anlegen.
Vorhang!
[105]

Der Herr vom Jenseits
Eine Gartenkomödie

Personen

Personen.

    • Arabella, eine vornehme junge Dame der besseren Gesellschaft.

    • Ko-Bo-So, ein gewandter junger Mann aus unbekannter Gegend.

    • Christine, Arabellas steinreiche Erbtante.

[Stücktext]

ARABELLA
liest auf einer Gartenbank in einem Buch und blickt plötzlich nach oben.

Ah!

KO-BO-SO oben in der Gondel eines Luftballons, der ganz langsam herunterkommt. Erschrecken Sie nicht, meine Gnädigste! Ich bin der Herr vom Jenseits. Mein Name ist Ko-Bo-So. Er zieht seinen Zylinder.

ARABELLA.

So! So! Also – Ko-Bo-So, nicht wahr?Er nickt. Ich – heisse – Arabella.

KO-BO-SO. Ha! Ha! Also A-Ra-Bel-La, nicht wahr? Sie nickt. Könnten Sie mir da nicht sagen, meine Gnädigste, ob ich hier richtig den Stern Erde vor mir habe?

ARABELLA
einfach.
Ja, mein Herr!
KO-BO-SO. Das freut mich. Ich komme nämlich direkt aus dem Jenseits.
ARABELLA.
Oh, Sie scherzen! Darf ich Ihnen behilflich sein?

Sie ergreift ein herunterhängendes Tau und zieht daran.

KO-BO-SO. Sie sind furchtbar liebenswürdig, meine Gnädigste! Aber ich scherze durchaus nicht – ich komme wirklich direkt aus dem Jenseits.

ARABELLA
staunend.
Aber!
[106]

KO-BO-SO während die Gondel den Erdboden berührt und oben ein keines Stück vom Luftballon sichtbar wird. Es geht Alles ganz natürlich zu. Ich hatte im Jenseits, wo ich natürlich als veritabler Geist lebte, sehr viel Lustiges vom Stern Erde gehört. Und da beschloss ich, mich so zu materialisieren, dass mein Erscheinen auf dem Stern Erde ganz zwanglos zur Tatsache werden könnte. Und es gelang mir, mich – so zu materialisieren. Und –Während er die Korbtüre öffnet und hindurchschreitet. und – da bin ich! Ko-Bo-So!


Nimmt den Zylinder ab, stellt ihn auf einen Baumstumpf und beginnt, sich die Handschuhe auszuziehen.
ARABELLA.
Ih – bleibt die Gondel am Erdboden haften?
KO-BO-SO. Ja, es sind Heftzwicken am Boden der Gondel – die funktionieren von selbst.
ARABELLA.
Oh – darf ich bitten, Platz zu nehmen?
KO-BO-SO. Sehr liebenswürdig! Danke sehr!

Setzt sich auf einen Gartenstuhl, während sich die Arabella wieder auf die Bank setzt.
ARABELLA.

Verzeihen Sie, dass ich Ihren Worten nicht gleich vollen Glauben schenkte. Aber – es kam mir so unerwartet. Wir erleben heutzutage so viele Wunder, die schliesslich doch keine sind, dass Sie mir mein Misstrauen nicht weiter übelnehmen dürfen.

KO-BO-SO. Oh! Wer wird denn einer modernen Dame etwas übelnehmen! Ich bin doch kein Barbar – ich bin doch der Herr vom Jenseits.

ARABELLA.

Aber – ich brenne ja vor Neugierde. Bitte, erzählen Sie mir umständlicher. Sie waren im Jenseits ein Geist? Wo liegt denn das Jenseits!

KO-BO-SO mit dem rechten Daumen nach oben weisend. Da oben hinter der Unendlichkeit.

ARABELLA.

Herr Ko-Bo-So, diese Bemerkung ist aber blos ein Scherz!

KO-BO-SO. Bitte – es ist eine symbolische Ausdrucksweise. Nur Exteriör – Scherz! Sie verstehen schon. Ich sehe, Sie sind sehr gebildet.

[107]
ARABELLA.

Sie schmeicheln mir. Doch Sie müssen jetzt erzählen. Eine so interessante Bekanntschaft –

KO-BO-SO. Oh – jetzt schmeicheln Sie. Doch ich will gleich erzählen – so gut ich kann. Leider muss ich vorausschicken, dass mir öfters – sehr oft – die Worte fehlen werden, mit denen ich Ihnen verständlich werden kann.

ARABELLA.

Das erscheint mir bei diesem Thema ganz selbstverständlich. Fangen Sie nur an – ich bitte Sie – ich kanns garnicht mehr erwarten.

KO-BO-SO. Das kann ich mir denken. Ja! Ja! Das Leben im Jenseits muss für Sie, meine Gnädigste, sehr viel Anziehungskraft besitzen.

ARABELLA.

Warum?

KO-BO-SO. Aus verschiedenen Gründen. Zunächst: ich sagte, das Jenseits wäre oben hinter der Unendlichkeit. Damit wollte ich sagen, dass in meinem Jenseits gar kein Ding war, das den irdischen Begriffen vom unendlichen Raume gleich käme. Schwer verständlich zu machen! Die Worte fehlen – aber Sie werden ahnen! Sie nickt langsam. In diesem Raume, in dem Sie, meine Gnädigste, zu leben belieben, stossen die einzelnen Stücke – wie Sterne, Damen, Herren, Felsen und Verwandte sehr heftig auf einander, wenn sie sich treffen. Und diese Stösse ruinieren die gute Laune. Demzufolge gibt es im Diesseits Feindschaft, Hass, Hader, Zank, Grillen und Verrücktigkeiten – während alle diese Dinge im Jenseits naturgemäss zur Unmöglichkeit gehören. Sie verstehen wohl: man kann sich da partout nicht stossen.

ARABELLA.
Ich ahne.
KO-BO-SO. Merken Sie schon den Unterschied zwischen Diesseits und Jenseits?
ARABELLA.
Freilich!
KO-BO-SO. Sie leiden hier unter Hass, Neid, Bosheit – nicht wahr?
ARABELLA.
Ich wohne bei einer alten Tante.
KO-BO-SO. Wie alt ist die Tante?
ARABELLA.
Zwei und fünfzig Jahre.
[108]
KO-BO-SO. Und Sie stehen nicht gut mit ihr – nicht wahr? Sie stossen sich oft.
ARABELLA.
Ja! Es ist entsetzlich.
KO-BO-SO. Sie ist reich – nicht?
ARABELLA.

Sehr – sehr reich. So weit Sie hier sehen können – ihr gehört Alles – zehn Equipagen hat sie – und mich –

KO-BO-SO. Ha! Was tut sie Ihnen? Sind Sie ihre einzige Erbin?

ARABELLA.

Ja – noch bin ichs. Aber die Tyrannei, die ich hier zu erdulden habe, ist so entsetzlich, dass ich ihr bei der ersten besten Gelegenheit den ganzen Equipagen- und Gartenbettel vor die Füsse werfen könnte.

KO-BO-SO. Sehr interessant.

ARABELLA.

Das finden Sie interessant?

KO-BO-SO. Nun ja – weil's für mich was Neues ist. Im Jenseits hab ich doch derartig harte Stossung nicht kennen gelernt. Tyrannei! Du liebes Jenseits! Son Wort wie Tyrannei kannte man da garnicht. Solche und ähnliche Dinge habe ich erst nach meiner Materialisation kennen gelernt. Stellen Sie sich blos vor: nicht blos mich selbst habe ich materialisiert – auch den Luftballon da oben.

ARABELLA.

Mein Herr, jetzt sprechen Sie wieder so, dass ich Sie beinahe für einen philosophischen Schwerenöter halten könnte.

KO-BO-SO. Können Sie auch. Aber Sie dürfen nicht glauben, dass die Geschichte mit dem Luftballon eine Aufschneiderei ist. Wenn Sie schon daran glauben, dass ich mich selbst in Gehrock, Lackschuhe, Zylinder und Glaceehandschuhe hineinmaterialisierte – so kann es Ihnen doch nur natürlich erscheinen, dass ich mir auch einen Luftballon dazu materialisierte.

ARABELLA.

Haben Sie sich auch ein paar Millionen dazumaterialisiert?

KO-BO-SO. Leider nein! Glauben Sie, dass ich die auf der Erde nötig habe? Ich dachte, ich würde mit meinem Witze auskommen.

ARABELLA.

Der Witz wird heutzutage schlecht bezahlt – die [109] Leute sind zu dumm geworden; man wird Sie sehr oft nicht verstehen. Und was man nicht versteht – das nennt man jetzt langweilig und schiebt es an die Seite. Mich schiebt man auch so. Wir können uns die Hand reichen.


Sie tuts; er küsst dabei ihre Hand.

KO-BO-SO. Das ist allerdings fatal. Vom Jenseits aus habe ich wohl das Diesseits etwas kennen gelernt – aber doch nicht genauer. Dass die Bedeutung des Geldes so gewachsen sein könnte – konnte ich mir garnicht denken. Früher vor fünfzig oder hundert Jahren war das doch noch nicht so arg.

ARABELLA.

So schlimm wars wohl nicht – man ist damals wohl auch bescheidener im Essen und Trinken gewesen. Pardon!


Sie reicht ihm in einer Düte Weintrauben, die er im Folgenden mit ihr zusammen langsam verspeist.

KO-BO-SO. Sehr liebenswürdig! Meinen verbindlichsten Dank! Sie sind ein Engel.
ARABELLA.
Oho! Sie wollen mich wohl ins Jenseits materialisieren.
KO-BO-SO. Die Idee wäre garnicht so übel.
ARABELLA.
Könnten Sie das auch?
KO-BO-SO. Ja – aber nur in höheren Luftschichten.
ARABELLA.
Warum denn blos da?
KO-BO-SO. Der elektrischen Spannungen wegen.
ARABELLA.

Ach so.

KO-BO-SO. Die Weintrauben schmecken übrigens ausgezeichnet. Stellen Sie sich nur vor: alle diese Ess- und Trinkvergnügen sind im Jenseits gänzlich unbekannt.

ARABELLA.

Ach! Aber das muss ja herrlich sein; dann braucht man da doch nichts; Geld und Sorgen müssen also auch ganz unbekannt sein – da drüben.

KO-BO-SO. Ja – Ihnen erscheint nun wieder die Geld- und Sorgenlosigkeit sehr interessant. Mir er scheint dagegen sehr interessant – die Geld- und Sorgenverhältnisse näher kennen zu lernen.

ARABELLA.
Aber warum haben Sie sich da keine Millionen mitgebracht?
[110]
KO-BO-SO. Dann hätte ich doch die Sorgen nicht kennen gelernt.
ARABELLA.

Wissen Sie – Sie sind schrecklich – Sie haben immer Recht – und kommen nie in Verlegenheit.

KO-BO-SO. Ich fürchte, das könnte mein Unglück sein – denn auf die Art könnte ich vielleicht die Sorgen doch nicht kennen lernen.

ARABELLA.
Na – ja! Wenn Sie nur gehörig leichtsinnig sind, so werden Sie die Sorgen schon kennen lernen.
KO-BO-SO. Meinen Sie?
ARABELLA.

In der Tat.

KO-BO-SO. Sehen Sie nur: Ihnen kann meine Schwärmerei für die Sorgen und für die verschiedenen Arten von Unbequemlichkeiten und Schmerzen sehr komisch vorkommen. Sie lächeln. Sie lächeln über mich.

ARABELLA.

Das ist aber auch sehr komisch.

KO-BO-SO. Nu ja! Aber stellen Sie sich mal vor: ich lebte ein paar Jahrtausende im Jenseits ohne jede Spur von Schmerzen – ohne Aufregungen – ohne Furchtempfindungen – ohne Entsetzliches – kurz um: ohne alle Ereignisse! So effektlos, wie wir hier sitzen, so effektlos sass ich da drüben. Es war keine Dramatik drin. Glauben Sie, solche Menge von schönen Tagen könnte einem Herrn vom Jenseits nicht fürchterlich langweilig werden?

ARABELLA.
Was wohl meine Tante dazu sagen würde!
KO-BO-SO. Wie heisst sie?
ARABELLA.
Christine.
KO-BO-SO. Kommt sie hierher – um diese Zeit?
ARABELLA.
Ja – bald.

Es donnert leise in der Ferne.

KO-BO-SO. Es donnerte.
ARABELLA.
Allerdings.
KO-BO-SO. Wenn die Tante kommt, pflegt es wohl immer in der Ferne zu donnern.
ARABELLA.

Immer nicht.

KO-BO-SO. Na – das ist man gut. Aber wenn Ihnen die Tante so unausstehlich ist, so wärs für Sie doch viel besser, wenn Sie [111] sich ihr entzögen.


Er steht auf.
ARABELLA.
Sie meinen: wenn ich ins Jenseits .... ...

Sie steht auch auf.

KO-BO-SO. Ja – das meine ich. Sie sollten ins Jenseits – schon ihrer Gesundheit wegen. Das Jenseits ist für Sie was Andres; es hat noch eine ganze Reihe weitrer Vorzüge.

ARABELLA.
Ich sehne mich fort – Sie könnens mir glauben.
KO-BO-SO. Ich glaubs Ihnen unter allen Umständen. Ihre Tante muss ja der wahre Satan sein.

Er bürstet seinen Zylinder mit dem Rockärmel längere Zeit.
ARABELLA.

Sie glauben nicht – wie sie mich tyrannisiert.

KO-BO-SO. Das ist ja immer so mit diesen alten Erbtanten. Ueberlassen Sie – diese alte – Christine – ihrem Schicksal, steigen Sie in meine Gondel und fahren Sie mit mir ins Gewitter. Es donnert wieder. Hören Sie nur: man ruft uns schon! In den Gewitterwolken befinden sich die besten elektrischen Spannungen; da kann ich Sie bequem ins Jenseits hineinmaterialisieren – ganz wie Sie zu sagen beliebten.

ARABELLA.
Und fahren Sie dann wieder hinunter?
KO-BO-SO. Ohne Zweifel. Sie finden im Jenseits meinesgleichen haufenweise.
ARABELLA.
Ist die Materialisierung schmerzhaft?
KO-BO-SO. Ein Vergnügen ist es.
ARABELLA.

Giebts im Jenseits auch Männer und Frauen?

KO-BO-SO seinen Zylinder aufsetzend – lachend. Die Frage ist ja zum Wälzen komisch. Nein, meine Gnädigste, mit Kindereien gibt man sich im Jenseits nicht mehr ab; da sind die alten lächerlichen Liebesgeschichten vollkommen unmöglich. Ich sehe es Ihnen an, liebe Arabella, dass die Liebe Ihnen eine höchst geschmacklose – wenn nicht gar – eine – ekelhafte – Angelegenheit ist.

ARABELLA.

Da haben Sie durchaus das Richtige getroffen. Ich habe eine grenzenlose Abneigung gegen all die Aufdringlichkeit und ...

KO-BO-SO. Steigen Sie in meinen Kasten – wollte sagen: Korb – [112] Sie sind für das Jenseits reif. Er öffnet die Korbtür. Bitte, bitte schnell! Sonst kommt noch die alte dammliche Tante Christine und bringt Sie von Ihrem Entschlusse ab. Es donnert ziemlich stark zum dritten Male.

ARABELLA
ihren Hut aufsetzend und einsteigend.

Aber ich habe ja keinen Regenschirm.

KO-BO-SO den Korb schliessend – rauh. Ach, machen Sie sich doch nicht! Wozu brauchen Sie im Jenseits einen Regenschirm? Glauben Sie, im Jenseits regnets auch?

ARABELLA.
Nein! Nein! Entschuldigen Sie nur! Aber steigen Sie nicht auch in den Korb?
KO-BO-SO. Ich muss hier erst ein paar beschädigte Stellen ausflicken.

Tut es im Folgenden mit ein paar Stricken umständlichst.
ARABELLA.

Kann man denn vom Jenseits aus noch auf die Erde sehen und hier Alles verfolgen?

KO-BO-SO. Natürlich kann man das – sonst könnte ich doch nicht so genau mit den irdischen Verhältnissen vertraut sein. Doch Sie werden das Hinunterkucken bald dick bekommen, denn das Jenseits bietet Ihnen so viel neue grossartige Vergnügungen, dass Sie mindestens tausend Jahre an andre Weltformen nicht denken werden.

ARABELLA.

O bitte – erzählen Sie! Womit amüsiert man sich denn da?

KO-BO-SO. Ja – das ist nicht leicht mit irdischen Worten wiederzugeben. Wie soll ich Ihnen das schildern? Wenn ich das Leben im Jenseits mit dem Traumleben im Diesseits vergleichen wollte, so würde das ganz falsche Vorstellungen erzeugen. Sie leben drüben zuweilen mit tausend andern Geschöpfen so zusammen, dass keine Ihrer Handlungen selbständig ist. Und das ist grade ein sehr feines Vergnügen. Können Sie sich dieses Sklavenideal vorstellen?

ARABELLA.

Na – so ungefähr. Doch es fällt mir sehr schwer.

KO-BO-SO. Und dann sind eigentlich sämtliche Tätigkeiten da drüben – nur veritable Vergnügungen. Sie können überhaupt überzeugt sein, dass dort Alles schlankweg ideal ist. Kein Aerger! [113] Keine Tyrannei! Keine Feindschaft! Keine Erbschaft! Kein Geld! Keine Dammlichkeit! Keine Krankheit! Jawohl! Jawohl! – Und dazu immerzu ein entzückendes Gefühl, von dem das ganze Wesen stets so fein durchlebt wird – wie – wie – ja – die Vergleiche fehlen mir eben. Er unterbricht im Folgenden öfters seine Arbeit und späht scharf nach allen Seiten aus. Ich bitte Sie! Bedenken Sie nur: Verwandlungen gibts da täglich schockweise – ohne Mühe und Gefahr. Sie können plötzlich der werden, der vor Ihnen steht. Figürlich gesagt! Natürlich – nur figürlich – denn vom Stehen kann ja im Jenseits aus Raummangel garkeine Rede sein. Sie können drüben Ihre Persönlichkeit auch mal in tausend Stücke teilen, alle selbständig machen – oder auch nicht – beliebig wieder zusammenziehen und auch trennen. Es ist unbeschreiblich, liebe Arabella. Die Persönlichkeit wird da viel komplizierter. Ach ja! Und dann kann man in jedem Augenblick gleich das Gegenteil sein von dem – was man war kurz vorher. Man kann auch bleiben, was man ist. Dem Absonderlichen sind keine Schranken gesetzt. Alles schwer zu erklären, da die Jenseitsworte nicht ins Deutsche zu übersetzen sind. Die Menschen sind ja schliesslich auch Geister – aber – was für welche! So unvollkommene Geister sind in der ganzen Welt sehr selten. Die Arabella blickt eifrig nach oben in die Wolken. Die Menschen täuschen sich was vor, wenn sie glauben, ihr bischen Leben wäre zuweilen ein Vergnügen. Das irdische Leben ist eben alles Andre eher – blos kein Vergnügen. Ich will ja nur kurze Zeit hier bleiben, um mal eine Abwechslung zu haben. Aber wenn ich mich hier als Mensch über Farben und Formen, Grillen und Pillen genug geärgert habe, dann komm ich wieder ins Jenseits und amüsiere mich wieder in Jenseitsmanier. Wiederholen muss ich Ihnen allerdings in allem Ernst: wenn Sie sich drüben tausend Jahre ohne Unterlass amüsieret haben, so wird Ihnen auch das Jenseits so langweilig – wie ein Stall ohne Vieh. Entschuldigen Sie die schlechten Vergleiche – es ist eben Alles ein bischen unvollkommen – meine Gondel auch! Ich muss Sie jetzt mal erst probeweise höher steigen lassen. Nimmt einen Sack Ballast vom [114] Korbrande ab, und der Ballon mit der Gondel erhebt sich – ganz langsam.

ARABELLA.

Aber – Herr Ko-Bo-So, wie wollen Sie denn in den Korb kommen?

KO-SO-BO. Ich halte ja den Ballon am Tau fest. Seien Sie doch nicht so ängstlich. Es ist ja Windstille.

ARABELLA.

Aber ich ängstige mich hier allein – furchtbar. Bedenken Sie das Gewitter.

KO-BO-SO. Die Angst müssen Sie sich abgewöhnen – sonst werden Sie niemals ins Jenseits hineingelangen.


Der Ballon steigt höher.
ARABELLA.

Herr Ko-Bo-So! Hilfe! Lassen Sie mich runter! Ich will sofort runter!

KO-BO-SO. Wenn Sie so ungezogen schreien, so fällt es mir garnicht ein, Sie auf Ihrer Reise ins Jenseits zu begleiten. Es donnert wieder. Fahren Sie allein. Materialisieren Sie sich auch allein. Verfahren Sie ganz selbständig. Ich behindere Ihre Freiheit nicht im Mindesten. Ich werde währenddem Ihre Tante veranlassen, Sie zu enterben.

ARABELLA.

Sie sind ein Schwindler. Ich springe raus.

KO-BO-SO. Springen Sie lieber ins Jenseits. Rufen Sie, wenns donnert, in die Donnerwolken hinein: Hokus pokus fidibus! Das hilft. Dann werden Sie gleich verwandelt werden. Ich lasse mich von Ihrer Tante als Neffe adoptieren. Das ist auch eine Verwandlung. So ist uns Beiden geholfen. Ich danke Ihnen.

ARABELLA.

Jetzt sage ich Ihnen zum letzten Male gutmütig: Lassen Sie mich sofort runter, sonst rufe ich Hilfe. Sie sind in meinen Augen ein ganz gemeingefährlicher Mensch – Sie sind ein philosophischer Räuberhauptmann! Verstehen Sie mich?

KO-BO-SO. Ich verstehe Ihre schamlose Schimpferei ganz gut und werde mich hüten, mit Ihnen zusammen zu fahren. Ich danke für Ihre Gesellschaft. Beleidigen lasse ich mich nicht. Adieu Sie! Er schwenkt das Tau, sodass oben vom Korbrande zwei Ballastsäcke abgerissen werden und runterfallen. Gleichzeitig schneidet er das untere Ende des Taus ab – und der Korb verschwindet nun im Folgenden oben.

[115]
ARABELLA.
Hilfe! Hilfe! Hilfe! Räuber! Diebe! Hilfe!

Ihre Stimme verhallt und wird undeutlich, Ko-Bo-So blickt lachend nach oben, schwenkt zum Abschiede Tau und Zylinder, blickt sich dann plötzlich um und rauft sich die fein frisierten Haare, wirft den Zylinder an die Erde und ringt die Arme und schlägt mit dem Tau wütend nach allen Seiten.
CHRISTINE
erscheint hinten – ganz erschrocken – mit erhobenen Armen.
Mein Herr! Mein Herr! Was machen Sie denn da?
KO-BO-SO. Gnädigste! Ihr Fräulein Nichte! Da oben in den Wolken!

Es donnert heftig.
CHRISTINE.

Meine Nichte Arabella ist in dem Luftballon?

KO-BO-SO. Sie ist, meine Gnädigste, setzen sie sichSie tuts. – sie ist entführt – von einem gewissenlosen Offizier.

CHRISTINE.
Himmel! Diese Arabella! Oh, dieses verworfene Geschöpf!

Jammert.

KO-BO-SO. Ich habe mit dem Entführer gerungen wie ein Löwe und hielt die Gondel schliesslich an diesem Tau fest, und das hat der gewissenlose Offizier hier abgeschnitten. Und dann schrie die Arabella immerfort zum Scheine Hilfe – und dabei lachten sie mich beide aus.

CHRISTINE.
Das ist ja unerhört! Das ist ja eine Gemeinheit! Wie heissen Sie?
KO-BO-SO. Mein Name ist: Graf Ko-Bo-So.
CHRISTINE.
So! so! Graf Ko-Bo-So?
KO-BO-SO. Graf Ko-Bo-So.
CHRISTINE.

Ich danke Ihnen, lieber Freund, für Ihre Bemühungen aufs Herzlichste. Reicht ihm die Hand, die er küsst. Sie müssen Ihre Toilette in Ordnung bringen und mir danach die Ehre geben, an meinem Abendessen teilzunehmen.

KO-BO-SO. Heissen Dank! Aber – werden Sie Ihre Nichte enterben?

CHRISTINE.
Selbstverständlich – sofort.
KO-BO-SO. Dann stehen Sie aber ganz allein in der Welt da.
CHRISTINE.
Leider! Leider!
[116]
KO-BO-SO. Oh! Wenn ich sprechen dürfte!
CHRISTINE.
Bitte – bitte, Herr Graf, sprechen Sie doch!
KO-BO-SO. Wollen Sie mich nicht – an Stelle – Ihrer Nichte – adoptieren – als – Neffen?
CHRISTINE
aufstehend.
Nicht als Neffen – als – als – als – als Gemahl!
KO-BO-SO starker Blitz, Ko-Bo-So breitet die Arme auseinander. Christine!
CHRISTINE.
Ko-Bo-So! Sie fallen sich weinend um den Hals.

– – – – – – –


Langsam kommt der Vorhang herunter, während es nochmals donnert und blitzt und Ko-Bo-So der alten Tante zu Füssen fällt und schwärmerisch den Saum ihres seidenen Gewandes küsst.
[117]

Band III

Herr Kammerdiener Kneetschke
Eine Kammerdiener-Tragödie in fünf Aufzügen

Motto:

Ueb immer Treu und Redlichkeit!

Personen

Personen.

    • Fürst Wladimir Zabórrek, ein Bräutigam.

    • Graf Hellmuth Patzig, ein Schwiegerpapa.

    • Gräfin Meta Patzig, eine Schwiegermama.

    • Gräfin Kathi Patzig, eine jugendliche Braut.

    • Grossvater Patzig, ein Geist mit weissem Vollbart.

    • Kneetschke, ein herrschaftlicher Kammerdiener.

    • Ein Postbote in Kürassier-Uniform.

    • Verwandte des Brautpaares (Onkel, Tanten, Basen etc.) und ganz gewöhnliche Domestiken, die nichts zu sagen haben.

Vorwort zur blauen Bühne

Zur Herstellung der blauen Bühne sind erforderlich: drei höhere Wandschirme, die mit Tuch oder Papier von preussischblauer Farbe überzogen sind. Zwei dieser Wandschirme werden rechts und links rechtwinklig zur Lampenreihe aufgestellt, der dritte Wandschirm bildet rechtwinklig zu den beiden andern den Hintergrund – doch so, dass hinten rechts und links in der Seitenwand ein meterbreiter Durchgang bleibt.

Die Kostüme sind mit Ausnahme des Postboten und des Grossvaters im Hofgeschmacke des achtzehnten Jahrhunderts zu [118] halten – doch mit Freiheit und mit Vermeidung der blauen Farben – nur die Zopfperrücke muss hellblau sein.

Den Vorhang bilden zwei hellblaue Gardinen, die in den ersten Aufzügen von zwei Kavalieren des achtzehnten Jahrhunderts mit weissen Zopfperrücken feierlich und graziös mit Degensalut und ähnlichen Scherzen aus einander und auch zuzuziehen sind.

1. Akt

Erster Aufzug

Vor der Mitte jeder Wand steht ein Stuhl.

KNEETSCHKE.
Ah, sieh da! Der Postbote! Na? Immer noch die Hand am Schwert?
POSTBOTE.
Zu Befehl! Wohnt hier Herr Knutschke?
KNEETSCHKE.
Nein, mein Lieber! Der Herr wohnt hier nicht.
POSTBOTE.
Ach so! Wollte sagen: Knietschke! Wohnt hier Herr Knietschke?
KNEETSCHKE.
Nein, mein Lieber! Der Herr wohnt auch nicht in diesem Palaste.
POSTBOTE
holt seine Brille vor und leist die Adresse einer Postkarte ganz genau.
Natürlich! Das heisst Kneetschke! Wohnt der Herr Kneetschke vielleicht hier?
KNEETSCHKE.
Herr Kneetschke bin ich selbst.
POSTBOTE.
Hier ist eine Postkarte für Euer Gnaden.
KNEETSCHKE.
Wie? Für mich? Das wagen Sie?
POSTBOTE.
Ja, was ist denn dabei?
KNEETSCHKE.

Mein Lieber, ich bin wohl gewöhnt, eingeschriebene Briefe in Empfang zu nehmen, gelegentlich nehme ich auch einfache Briefe an, wenn ich von ihrem Inhalte vorher in Kenntnis gesetzt wurde – aber offene Postkarten, mein Lieber, sind für mich nicht da. Gehen Sie fort!


Ab hinten links.
POSTBOTE.

Das muss ja ein sehr vornehmer Herr sein. Na – ich lege die Karte in die Mitte des Palastes. Er tuts und geht säbelrasselnd hinten rechts ab.


[119] Gräfin Kathi Patzig kommt mit zwei weiblichen Domestiken von hinten links auf die Bühne. Die Drei haben grosse Strohhüte auf dem Kopfe und Sonnenschirme in der Hand, die im Folgenden zugemacht werden.
KATHI.

Ach, wenn der Frühling kommt, dann ist Europa so schön – so sehr sehr schön. Und ich liebe die Schönheit.

DIE BEIDEN DOMESTIKEN
die Postkarte auf dem Fussboden erblickend.
Ah!
KATHI.
Na?
DIE BEIDEN DOMESTIKEN
Auf die Karte mit dem Sonnenschirm weisend.
Da!
KATHI.
Ja! Holt sofort meinen Papa und meinen – Wladimir.

Die beiden Domestiken hinten rechts und links ab.
KATHI.

Haha! Hinter der Karte steckt ein Geheimnis! Schnell! Sie hebt die Karte auf und liest. Herrn Kneetschke hier. Viktoria-Strasse 17. Mein lieber Kneetschke! Sie sind der grösste Esel von ganz Europa! Und es imponiert mir, dass sie all die vielen andern Esel Europas so überragen. Mit Ihnen ist ein Geschäft zu machen. Ich besitze eine Menagerie lebendiger Monstrositäten – darf ich Sie für diese Menagerie als Riesenesel engagieren? Sie erhalten monatlich tausend Mark Gage und freies Futter. Ich bin Ihr Freund Michel Männlich.


Kathi ringt die Hände und verbirgt die Karte in ihrem Sonnenschirm, während hinten rechts der Papa und links der Wladimir erscheinen.
PAPA UND WLADIMIR
zu gleicher Zeit sehr laut.
Kathi!
KATHI
lässt vor Schreck den Sonnenschirm fallen.
Wladimir!
WLADIMIR
fängt die Kathi in seinen Armen auf.
Was fehlt Dir? Was hast Du da in den Sonnenschirm gesteckt?
KATHI.
Es ist ein Geheimnis.
PAPA
die Karte aus dem Sonnenschirm hervorziehend.
Da werden wir gleich dahinterkommen.
WLADIMIR.
Setze Dich nur, mein liebes Bräutchen.

Führt sie zum hinteren Wandstuhl, auf dem sie sich langsam niederlässt.
[120]
PAPA.
Das ist ja eine Gemeinheit! Der arme Kneetschke!

Wladimir eilt auf den Papa zu, nimmt ihm die Karte aus der Hand, liest und lacht – und lacht so heftig, dass er sich auf den linken Wandstuhl setzen muss. Der Papa setzt sich auf den rechten.
PAPA
ernst.
Kathi, hol den Kneetschke her!
WLADIMIR
nachdem die Kathi fortgegangen ist.
Lieber Papa, Sie wollen doch nicht jetzt mit dem Kneetschke über diese Karte sprechen, nicht wahr?
PAPA.
Nein, ich will mit ihm nur über die Verlobungskarten sprechen.
WLADIMIR.
Schön! Und diese Postkarte überlassen Sie mir, nicht wahr?
PAPA.

Jawohl! Lach blos nicht so viel, mir ist bei allen unsern Geldsorgen durchaus nicht lächerlich zu Mute.

WLADIMIR.
Mir eigentlich auch nicht.
PAPA.

Hm! Kneetschke kommt von links und verbeugt sich feierlich – erst vor dem Grafen und dann vor dem Fürsten.

PAPA.

Kneetschke, die Verlobungskarten sollen gedruckt werden – und zwar auf neuen Hundertmarkscheinen mit Goldlettern: Kathi Patzig und Wladimir Zabórrek Brautpaar. Weiter nichts. Besorgen Sie das.

KNEETSCHKE.

Gnädigster Herr Graf, Ihr seliger Herr Grosspapa liess Verlobungskarten stets auf Tausendmarkscheinen drucken. Davon dürfen wir nicht abgeben.

WLADIMIR.
Ach! Das wird schön.
PAPA.

Mein lieber Kneetschke! Wir haben fünf hundert Verlobungsanzeigen zu versenden – so viel Tausendmarkscheine hab ich nicht.

KNEETSCHKE.
Dann dürfte eben die Verlobung nicht stattfinden.
WLADIMIR.
Kneetschke! Sie sind wohl verrückt geworden!
KNEETSCHKE.

Durchlaucht! Mir geht die Ehre der Familie Patzig über Alles – sie ist mir auch mehr wert als mein bischen Verstand.

[121]
WLADIMIR
springt auf und gibt dem Kneetschke die bewusste Postkarte.
Da – les' Er mal das!

– – – – – – – – – – –

KNEETSCHKE
liest und taumelt langsam rückwärts – bis er auf den hinteren Wandstuhl fällt.
Oh! Oh! Oh!

Wladimir setzt sich wieder auf den linken Wandstuhl und lächelt.
PAPA.
So! So! So!

Mit einem Ruck erheben sich dann alle Drei und stehen steif da – Kneetschke hebt seine beiden
Fäuste hoch zum Himmel empor, Wladimir faltet über seinem Haupte seine Hände – und der Papa spreizt die zehn Finger seiner beiden Hände weit und ausdrucksvoll aus einander.
Gardine!

2. Akt

Zweiter Aufzug

Jetzt stehen zwei Stühle vor jeder Wand. In der Mitte jeder Wand hängt ein ovales Familienbild.

KNEETSCHKE.

Gnädigste Gräfin Kathi! Ich beschwöre Sie – schieben Sie die Verlobung auf! Ein Fürst, der seine Verlobungsanzeigen nicht einmal auf Tausendmarkscheinen drucken lassen kann, ist es nicht wert, von einer geborenen Patzig geliebt zu werden.

KATHI.
Kneetschke, Sie machen mich unglücklich!
KNEETSCHKE.
Lassen Sie nur, das vergeht wieder.
KATHI
mit dem Fusse aufstampfend.
Wenn Sie lieber vergehen möchten!
MAMA
von links mit wallenden Locken.
Aber Kathi! Kathi! Wie kannst Du nur den Fussboden so behandeln?
[122]
KNEETSCHKE.
Komtesse ist verliebt.
MAMA.
Schweigen Sie, Kneetschke!
PAPA
von rechts im Dreispitz.
Was ist denn hier los? Gibts auch hier einen Aufruhr? Sind denn die Rebellen überall?
KATHI.
Ach Papa! Dieser verrückte Kneetschke will mich bereden – ach – meinem Wladimir untreu zu werden

Weint schluchzend mit'm Taschentuch.
MAMA
kreischend.
Was? Will dieser Kneetschke Dich heiraten? Sollst Du Frau Kneetschke werden?
PAPA.

Aber Gemahlin! Werde doch nicht lächerlich. So ists doch nicht gemeint. Kneetschke, holen Sie den Fürsten!


Kneetschke ab.
KATHI.

Papa, das sage ich Dir jetzt in allem Ernste: ich bleibe meinem Wladimir treu und wenn die ganze Welt in Stücke gehen sollte.

PAPA.
Kinder, beruhigt Euch blos!

Er legt seinen Drehspitz auf den vorderen Stuhl rechts.
MAMA.

Da soll ja der Teufel ruhig bleiben! Wer kann denn das aushalten? Ich habe mir die grösste Mühe gegeben, die Verlobung endlich zu Stande zu bringen – und jetzt soll mir ein Kammerdiener alle meine feinen Netze zerreissen?

PAPA.
Meta, beruhige Dich blos!
KATHI.
Das ist ja herzzerreissend.
PAPA
sehr laut.
Kinder, beruhigt Euch blos!
WLADIMIR
auch im Dreispitz.

Ja, Kinder, beruhigt Euch blos! Die Rebellen haben sich auch beruhigt – und Euer Kneetschke wird auch beruhigt werden. Er legt seinen Dreispitz auf den vorderen Stuhl links.

PAPA.

Wladimir, nimm nur erst Platz! Bitte, neben Deinem Dreispitz! Ich tus auch! Frauenzimmer, setzt Euch da hinten hin und seid mal ein bischen still.


Alle Vier setzen sich.
MAMA.
Ach, Wladimir, ich bin so unglücklich.
KATHI.
Ach, Wladimir, ich bleibe Dir treu – wie es auch kommen mag – es ist mir Alles ganz egal.
MAMA.
Mein mutiges Kind!
[123]
PAPA.
Nun seid doch endlich mal still und lasst den Wladimir mal reden.
WLADIMIR.
Ja, das möchte ich.
PAPA.
Bitte!
WLADIMIR.

Die Sache ist doch so einfach: Wir lassen, um Euern Kneetschke zu beruhigen – damit er nicht Radau schlägt – einfach falsche Tausendmarkscheine anfertigen. Da diese mit der Anzeige bedruckt werden, können sie doch nicht in den Verkehr gebracht werden – und damit ist doch jede Gefahr ausgeschlossen.

KATHI.
Na natürlich! Oh, wie einfach!
MAMA.
Wladimir, Du bist ein Genie!
PAPA.

Die Sache ist tatsächlich vom juristischen Standpunkte aus unantastbar. Die falschen Tausendmarkscheine können von uns zu Verlobungszwecken wohl gebraucht werden.

KATHI.
Aber Kneetschke darf nichts davon erfahren. Pst!
WLADIMIR
leise.

Selbstverständlich! Zum Danke für meine gute Idee müsst Ihr jetzt aber ein bischen Menuett mit mir tanzen.

KATHI
leise.
Mit Wonne!
MAMA
ganz leise.
Aber wir haben ja keine Musik!
PAPA
auch ganz leise.
Das ist ja gerade das Beruhigende an diesem Menuett.

Die Vier tanzen Menuett ganz leise ohne Musik.
Und die Gardinen werden vorsichtig ganz leise zugezogen.

3. Akt

Dritter Aufzug

Keine Stühle – oben an den Wandschirmen Tannenguirlanden mit grossen roten und gelben Papierblumen.
Weibliche und männliche Domestiken gehen und laufen über die Bühne mit Schüsseln, Tellern, Flaschen, Blumen, Kuchen [124] und Körben. Einzelne Domestiken flüstern sich vorne was ins Ohr – eilen aber bald wieder weg. Aus den Hinterzimmern hört man Gläserklirren und Hochrufen.
Währenddem erscheint Kneetschke und schreitet nachdenkend, die Hand am Kinn, durch die Domestiken hindurch.
Und dann erscheint, während die gewöhnlichen Domestiken verschwinden, das glückliche Brautpaar, ohne den Kneetschke, der vorne rechts stehen bleibt, zu bemerken.

WLADIMIR.
Willst Du sehen, wie die Tausendmarkscheine leuchten?

Er holt ein paar Scheine aus der Brusttasche hervor und schwenkt sie in der Luft herum und erblickt dabei den Kneetschke.
KNEETSCHKE.

Durchlaucht wollen entschuldigen, dass ich mich nicht früher bemerkbar machte – aber ich dachte grade über das Leben nach – ich bin ein ehrbarer Mann und kann mir dieses Nachdenken nicht abgewöhnen, da es doch so viele Dinge gibt, die sich mit der Ehrbarkeit eines festen Charakters nicht vertragen.

WLADIMIR.
Kneetschke! Sind Sie Professor geworden?
KNEETSCHKE.
Durchlaucht! Ich bleibe, was ich bin – blos ein ehrbarer Mann – und ein fester Charakter.
KATHI.
Und Sie bleiben dafür auch ein langweiliger Peter; bleiben Sie da stehen – wir gehen.

Mit Wladimir scherzend hinten rechts ab.
KNEETSCHKE.

Ob das noch eine echte Patzig ist? Ich fürchte, dieser Wind-Fürst, der mit seinen Tausendmarkscheinen so viel Wind machte, hat diese Patzig demoralisiert. Hm! Wie kann man nur mit so kostbaren Scheinen, die ausserdem noch zu Verlobungszwecken verwendet werden sollen, so viel Wind machen? Wie kann man nur? Hm! Hm!


Papa und Mama kommen.
PAPA.
Ich fürchte, dass das Unglück nicht fern ist.
MAMA.
Ach! Wie hab ich mich erschrocken! Da steht ja der Kneetschke!
KNEETSCHKE.
Bitte um Verzeihung, Euer Gnaden! Ich gehe schon!
[125]
PAPA.
Bleiben Sie stehen. Haben Sie die Hundertmarkscheine zum Drucker getragen?
KNEETSCHKE.
Euer Gnaden mögen vergeben – aber ich habe die Scheine nie bekommen.
MAMA.

Aber Hellmuth! Jetzt sprichst Du wieder von Hundertmarkscheinen? Was soll der Kneetschke blos davon denken? Wladimir hat doch schon die Tausendmarkscheine – besorgt.

KNEETSCHKE.

Ah! Der Fürst Wladimir Zabórrek hat die fünfhundert Tausendmarkscheine besorgt? Ja – dann darf er sich mit ihnen auch Wind zufächeln – das ist etwas Andres.

PAPA.
Was heisst das, Kneetschke?
KNEETSCHKE.

Durchlaucht waren vorhin hier und taten, wie ich sagte. Ich habs mit meinen eigenen Augen gesehen, als ich grade übers Leben nachdachte.

BRAUTPAAR
hinten links.
Mama! Mama!
MAMA.
Ich komme ja schon! Was wollt Ihn denn von der Mama?

Hinten links ab.
KNEETSCHKE
erschreckend.
Ah!

Hinten rechts erscheint der Geist des Grossvaters Patzig in langem Barte, geht langsam an der hintern Wand entlang und bleibt in der Mitte derselben
stehen. Papa und Kneetschke taumeln nach rechts und links an die Seitenwände.
GEIST.
Kneetschke! Behüten Sie die Ehre der Familie Patzig.

Der Geist geht langsam weiter und verschwindet hinten links, und Kneetschke fällt auf die Erde, während der Papa die Hände vors Gesicht schlägt.
Die Gardinen ziehen sich von selber zu.
[126]

4. Akt

Vierter Aufzug

Jede Wand ohne Guirlanden mit verschiedenen symmetrisch aufgehängten Familienbildern – hinten Sopha, Sophatisch, Fauteuils auf einem Teppich. Vorne rechts und links Tische, Schränkchen oder Aehnliches.
Der Postbote und der Kneetschke.

POSTBOTE.
Ja – wissen Herr Kneetschke schon, wer die Postkarte mit dem Esel geschrieben hat?
KNEETSCHKE.
Wer hat das getan?
POSTBOTE.
Werden Sie mich nicht verraten?
KNEETSCHKE.
Nein!

Gibt ihm einige Banknoten.
POSTBOTE.
Ich danke, mein Herr! Fürst Wladimir Zabórrek schrieb die Karte mit dem Esel.
KNEETSCHKE.
Ih!
POSTBOTE.
Ja!
KNEETSCHKE.
Eh!
POSTBOTE.
Adjeh!

Domestiken eilen durchs Zimmer und flüstern dem Kneetschke was ins Ohr. Ein Onkel und eine Tante der Patzigs erscheinen alsdann.
ONKEL
setzt sich aufs Sopha.
Kneetschke, Sie sind ein alter treuer Diener des Hauses Patzig.
TANTE
setzt sich auch aufs Sopha.
Kneetschke, wir haben Ihnen deshalb eine Mitteilung zu machen.
KNEETSCHKE.
Euer Gnaden sein zu gütig.
TANTE.
Ja, das sind wir.
ONKEL.
Die Tausendmarkscheine, auf denen die Verlobungsanzeigen gedruckt worden sind –
TANTE.
sind –
ONKEL.
sind –
KNEETSCHKE.
sind?
ONKEL.
sind gefälscht.
[127]
KNEETSCHKE
sich krümmend.

Oh! Oh! Ach, Du meine Güte! Hat mirs doch geahnt: Hat mirs doch geahnt! Er rennt umher in gekrümmter Haltung und bricht dann weinend auf einem Fauteuil zusammen.

KATHI.

Guten Tag, lieber Onkel! Guten Tag, liebe Tante! Wie werden sich die Eltern freuen, Euch wiederzusehen! Gleich will ich die Mama suchen gehen. Ich komme sofort wieder. Kneetschke, suchen Sie den Papa. Schnell! Schnell!


Ab links.
KNEETSCHKE
aufgestanden in straffer Haltung.
Ich werde den Herrn Grafen aufsuchen Auch ab – rechts.

– – – – – – – – – – – – –

ONKEL.
Der arme Kneetschke!
TANTE.
Die armen Patzigs!
ONKEL.
So sich blamieren!
TANTE.
Das beklagenswerte Brautpaar!
ONKEL
nimmt eine Prise Schnupftabak.
Diese Falschmünzer! Niest.
TANTE.
Siehst Du? Das musst Du beniesen.
ONKEL.
Das kam vom Prisen.

Niest wieder.
KNEETSCHKE.
Der Herr Graf wird gleich kommen. Ich aber weiss, was hier zu tun ist.
TANTE.
Nun?
KNEETSCHKE.
Die Familie Patzig muss ihre Schuld – sühnen.
ONKEL.
Wie?
KNEETSCHKE.

Dadurch, dass sämtliche Angehörige der Familie – mit Ausnahme des Fürsten Zabórrek, der ja Gott sei Dank noch nicht zur Familie gehört, ihrem Leben –

TANTE.
Um Himmelswillen!
ONKEL.
Kneetschke!
KNEETSCHKE.
ihrem Leben, sagte ich, mit Gewalt –
TANTE.
Kneetschke, nicht mit Gewalt!
KNEETSCHKE.
Gut – also sagen wir durch – Selbstmord –
[128]
TANTE.
Die Aermsten!

Weint mit Taschentuch. Der Onkel zieht auch sein Taschentuch des Schnupftabaks wegen.
KNEETSCHKE
mit fester, feierlicher Stimme.
durch Selbstmord ein Ende bereiten.
ONKEL.
Das ist ja furchtbar!
TANTE.

Entsetzlich! Alle Drei wischen sich die Augen, Kneetschke steht wieder wie im dritten Aufzuge vorn rechts.


Von der rechten Seite hinten erscheint Papa Patzig, von der linken Seite Mama Patzig – beide ziehen auch ihre Taschentücher vor – Onkel und Tante erheben sich. Eine peinliche Pause entsteht.
Die beiden Gardinen werden jetzt eiligst hinter einander von einem der beiden Kavaliere zugezogen.

5. Akt

Fünfter Aufzug

Das Zimmer des vierten Aufzuges wird aufgeräumt. Die Fauteuils stehen in Unordnung an den Seiten, der Teppich ist aufgeschlagen, und Eimer, Besen, Schrubber, Schaufeln und Bürsten liegen überall herum. Weibliche und männliche Domestiken bürsten, fegen und putzen mit Eifer.
Von rechts kommen Fürst Waldimir und Kneetschke in grösster Wut auf die blaue Bühne.

WLADIMIR.
Das ist ja unerhört!
KNEETSCHKE.
Die Ehre der Familie Patzig geht mir über Alles.
WLADIMIR.
Kneetschke, das ist eine Frechheit!
KNEETSCHKE.
Frechheit und Ehre sind zwei ganz verschiedene Begriffe.
WLADIMIR.
Kneetschke, Sie sollten Rebellengeneral werden.
[129]
KNEETSCHKE.
Das wird nie geschehen!
WLADIMIR.
Es wäre aber im Interesse aller Familien, die mit den Patzigs verwandt sind, sehr erwünscht.
KNEETSCHKE.
Warum?
WLADIMIR.
Weils immer gut ist, wenn der grösste Esel – unsere Feinde – anführt.
KNEETSCHKE.
Mich werden Sie niemals anführen, Durchlaucht! Ich bin ein ehrenfester Mann.
WLADIMIR.
Sie sind der grösste Esel von ganz Europa.
KNEETSCHKE.

Immer noch besser als ein Falschmünzer – und auch besser als diejenigen, die anonyme Karten schreiben.

WLADIMIR.
Kneetschke, ich erwürge Dich, Du Hund.
KATHI
von links.
Wladimir! Wladimir! Lade blos keinen Mord auf Dein Gewissen.
WLADIMIR.
Kathi!

Dreht sich rasch um und küsst sie.
KATHI.

Uebrigens, Kneetschke! Ich will Ihnen was sagen: nicht Wladimir hat die Karte mit dem Esel geschrieben – ich wars.

KNEETSCHKE.

Ha! Das ist was Andres! Also eine echte Patzig hat sich herabgelassen, einem Kammerdiener – eine – offene – Postkarte – zu – schreiben.

KATHI.

Jawollja! Und jetzt denkt der Kammerdiener, eine echte Patzig wird sich seinetwegen das Leben nehmen. Zum Schiessen!

WLADIMIR.
Zum Totschiessen!

Beide lachen. Kneetschke zieht sein Taschentuch.
KNEETSCHKE.
O Schmach! O Schande!

Die reinmachenden Domestiken verschwinden nach und nach – nehmen aber nur Schrubber und Besen mit. Der Papa und die Mama kommen.
PAPA.
Welch ein Lärm ist das hier wieder!
MAMA.
Dieser Kneetschke!
[130]
KATHI.
Mama, ich soll mich durchaus totschiessen!
MAMA.
Aber Kind, benimm Dich doch anständig.
PAPA.

Kneetschke, ich muss Ihnen jetzt in allem Ernste verbieten, diese Tausendmarkscheinaffäre auch noch fernerhin aufzubauschen.

WLADIMIR.
Die Geschichte ist ja einfach lächerlich.
PAPA.

Selbstverständlich! Die Banknoten sind ja nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmt. Ich habe mit meinem Rechtsanwalt darüber gesprochen – und der Mann bekam einen Lachkrampf.

KATHI.
Der Aermste!
MAMA.
Ist er schon ausser Gefahr?
PAPA.
Er liegt noch zu Bett.
WLADIMIR.
Kneetschke sollte sich auch zu Bett legen – das wäre das Vernünftigste.
KNEETSCHKE.
Sie haben beinahe Recht, Durchlaucht! Aber ich brauche ein sehr grosses Bett.
WLADIMIR.
Was wollen Sie damit sagen?
KNEETSCHKE.
Die grosse Erde, auf der ich so lange lebte – die soll mein Bett sein.
MAMA.
Nehm Er sich die Sache doch nicht so zu Herzen.
KATHI.
Die Geschichte ist ja lächerlich.
KNEETSCHKE.

Wohl mag heutzutage die Ehrlichkeit eine lächerliche Sache geworden sein. Aber ich kann da nicht mehr mit. Der Betrug der Familie Patzig will doch – eine Sühne haben.

PAPA.
Donnerwetter, Kneetschke! Jetzt mach Er, dass Er fortkommt!
KNEETSCHKE.

Ja, das will ich! Und vielleicht ist mein Fortgang eine Sühne für die Schandtaten der Familie Patzig.

WLADIMIR.
Verfluchter Hund!

Will den Kneetschke schlagen, Kathi fällt ihm aber in den Arm.
KNEETSCHKE.
Europa, lebe wohl! Er stösst sich einen langen Dolch ins Herz und fällt zu Boden.

[131] Die Mama und Kathi fallen in Ohnmacht, die beiden Männer wissen nicht, um wen sie sich zuerst bemühen sollen. Während dann Wladimir dem Kneetschke den Dolch aus der Wunde zieht, erscheint links der Geist des Grossvaters Patzig mit einem Lorbeerkranz in der Hand, legt diesen auf das Haupt des Sterbenden und geht langsam rechts ab, während Wladimir und der Papa starr vor Entsetzen mit offenem Munde dem Gespenste nachstarren und die Frauen langsam aus ihrer
Ohnmacht erwachen, ohne die Szene zu begreifen.
Weibliche Domestiken ziehen vorne mit Hilfe von Schrubbern und Besen die Gardine zu, vor der langsam ein Tausendmarkschein aus der Höhe herunterfällt.
Ende der Kammerdiener-Tragödie:
Herr Kammerdiener Kneetschke.

[132] Das dumme Luder
Ein Jupiter-Drama

Personen

Personen.

    • Kefinska, das dumme Luder.

    • Mossino, ein alter König.

    • Passeck, ein Magistratsbeamter.

    • Marikanno, eine gute Frau.

    • Lissamátsch, ein Dienstmädchen.

[Stücktext]

MOSSINO.
Diese Lissamátsch arbeitet im Ernährungsraume, nicht wahr?
MARIKANNO.
Jawohl! Die Ernährungsarie wird bald wieder zur Tatsache werden.
PASSECK.
Das ist gut.
[133]
KEFINSKA.
Ich finde das Leben, das wir leben, wirklich nicht sehr schön.
PASSECK.
Manchmal ist es doch ganz nett.
KEFINSKA.
Aber gemeinhin ziemlich stumpfsinnig.
MARIKANNO.
Man muss immer nur die guten Seiten einer Sache im Auge behalten.
KEFINSKA.

Na ja – wems Spass macht! Mir macht es aber keinen Spass. Ich finde besonders die Art, in der wir entstehen, nicht schön.

MARIKANNO.
Wozu soll denn Alles schön sein?
KEFINSKA.

Na – ich finds sogar lächerlich – nicht blos: nicht schön! Wenn die Bewohner des Jupiter nur dadurch in die Welt der Erscheinung gelangen können, dass vordem ein Mann mit einer Frau zusammen fünf hundert Mal in einer Stunde zwei weisse Wände bespucken, – so ist das eben lächerlich.

PASSECK.
Ein wenig komisch ist das allerdings.
MARIKANNO.
Es macht doch aber so viel Vergnügen.
KEFINSKA.
Dummes Rindsvieh!
MARIKANNO.
Dummes Luder!
KEFINSKA.
Adieu, Sie!

Ab rechts.
MARIKANNO.
So ist er immer.
PASSECK.

Er regt sich immer so auf und sollte doch nicht vergessen, dass auf andern Sternen die Entstehungsgeschichte der Lebewesen noch komischere Formen annimmt.

MARIKANNO.
Das hab ich ihm auch schon gesagt – aber er nimmt keine Lehre an.
PASSECK.
Er ist eben ein dummes Luder.
MOSSINO.

Da hab ich neulich gelesen, dass auf dem Stern Erde Lebewesen existieren, die ganz klein wie Mäuse auf die Welt kommen und dann in einer Art ihr Leben erhalten, die noch viel komischer ist; die Leute schlagen nämlich andre Lebewesen mit Eisen entzwei, zerschneiden den Körper der Entzweigeschlagenen in kleine Stücke und stecken sich diese Stücke ins Maul und schlucken sie runter und lassen sie nachher wieder in Breiform aus dem Körper raus. Und dadurch erhalten sie ihr Leben.

[134]
MARIKANNO.
Finden sie das selber komisch?
MOSSINO.
Sie finden Garnichts dabei.
MARIKANNO.
Und da schimpft Kefinska noch über die Spuckarie?
PASSECK.
Ein furchtbar dummes Luder.
LISSAMÁTSCH
von links.

Kommen Sie nur herein, verehrte Herrschaften, die Propfenzieher sind schon gereinigt; Sie können sich jetzt in aller Gemütsruhe die Propfen gegenseitig aus der Stirn ziehen und sich dann ganz ruhig gegenseitig das Gehirn auslutschen und danach sich die Nasen mit Terpentin beschmieren – wie Sie's gewohnt sind.

MOSSINO
aufstehend.
So erhalten Wir unser Leben.
PASSECK
auch aufstehend.
Eigentlich – auch ein bischen komisch.
KEFINSKA
hinten in der Türe schreiend.

Wenn Ihr son Dreckleben weiterführen könnt – so könnt Ihr das ruhig tun. Ich danke dafür. Er erdolcht sich.

MARIKANNO
empört.
Dummes Luder!

Die beiden Andern lächeln.
Der Vorhang fällt.
[135]

Es lebe Europa!
Eine Kapitalisten-Tragödie in fünf Akten

Personen

Personen.

    • Josef Urban, Direktor.

    • Ludwig Haeser, Fabrikbesitzer.

    • Dr. Langenbeck, Rechtsanwalt.

    • Wohlhabende Offiziere in Zivil, Beamte, Bürger und internationale Kapitalisten und ein Polizist in Uniform.

1. Akt

Erster Akt

Drei hellgrüne rechtwinklig zu einander stehende Wände mit dunkelgrünen Türen in der Mitte der Wand. In der Mitte des Zimmers langer breiter Tisch mit grüner Tuchdecke, Stühle und Sessel unordentlich umherstehend. Viel Schreibzeug, Bücher, Aktenbündel liegen unordentlich auf dem Tisch und auf einzelnen Stühlen. Bücher- und Aktenregale und kleine Tische.
Links am Tische sitzt Urban, Haeser rechts ihm gegenüber. Türgeklapper draussen, ein paar Herren kommen von rechts und auch von links herein und hören zu, setzen sich oder bleiben stehen – Alles sehr zwanglos. Diener kommen durch die hintere Türe mit Briefen, Depeschen etc.

[136]
URBAN
scheinbar schreibend – ziemlich laut.

Ja, meine Herren! Sie glauben garnicht, wie dumm die Menschen sind. Wenn heute Jemand Geld verdienen will – d.h. viel Geld – so darf er nur mit der Dummheit der Menschen seine Rechenexempel zusammenkonstruieren. Wer sein Haus auf der Dummheit der Menschen erbaut – der hat sichern Grund und Boden. Speziell muss man die Sucht der Dummen, die noch Dümmeren reinzulegen, in die Berechnung ziehen.

HAESER.
Du tust ja grade so, als wenn wir die Dummen wären.
URBAN.

Dummheit und Unternehmungsgeist hab ich noch nie zusammengesehen – und da der letztere hier ist – kann die erstere nicht da sein.

ALTER HERR.

Wir glauben ja schon, was wir glauben sollen: Der »Europa-Bund« ist wahrhaftig nicht die schlechteste Gründung unsrer Zeit.

URBAN.
Und da sagt man immer, ich sei verrückt.
HAESER.
Und das schadet doch nichts; Genies sind doch immer ein bischen verrückt.

Lachen.
URBAN
die Feder weglegend.

Ja, meine Herren! Denken Sie sich blos. Als ich vor drei Jahren in Brasilien war, trat ein gesetzter Herr auf und erklärte, dass er einen Brasilianer-Bund gründen wolle; in diesem Bunde sollten sich alle Bündler schriftlich verpflichten, sich jederzeit für Brasilianer zu halten. Die Sache erschien mir einfach lächerlich. Aber die Brasilianer erklärten, es sei ganz vernünftig, wenn sich Brasilianer für Brasilianer hielten. Na – und sehen Sie – der Bund hat ganz gute Geschäfte gemacht. Und so wirds auch mit dem Europa-Bund gehen.

ZWEITER ALTER HERR.

Freilich! Eigentlich ist es lächerlich, dass sich die Europäer für Europäer halten sollen – es ist so selbstverständlich.

HAESER.
Aber grade mit dem Selbstverständlichen ...

Alle lachen.
URBAN.

Macht man die grössten Geschäfte. Das Lächerliche! Meine Herren, das Lächerliche ist ja gerade das Kluge.

[137]
DR.

LANGENBECK stürmt von rechts herein. Meine Herren, die Geschichte ist zu lächerlich – aber die Gründung ist jetzt Tatsache – hier sind die weiteren Unterschriften. Ich gratuliere Ihnen. Alle stehen auf und lachen und schütteln sich die Hände und erzählen sich sehr viel.

URBAN
sehr laut lebhaft gestikulierend.

Meine Herren, feiern wir den heutigen Tag durch ein lustiges Festessen. Der Europa-Bund besteht. Das Lächerliche ist grade das Kluge! Es lebe Europa!

ALLE
stürmisch mit erhobenen Händen.
Es lebe Europa! Es lebe Europa!

Vorhang!

2. Akt

Zweiter Akt

Dasselbe Zimmer – nur ein paar Luxusmöbel sind zugekommen – Schaukelstühle – Lorbeerkränze an den Wänden. Urban und Haeser in Schaukelstühlen rechts und links, Langenbeck mit dem Rücken gegen die hintere Türe mitten vorm Tisch.

URBAN.

Jetzt haben wir bereits 87 Zeitungen angekauft – und alle die Zeitungen reden täglich von den Vereinigten Staaten Europas. Na, Rechtsanwalt, was wollen Sie mehr?

DR.

LANGENBECK. Jawohl, Sie sind der Uebergründer. Aber ich schwöre Ihnen: es wird Ihnen noch mal sehr schlecht gehen.

HAESER.

Das hat aber mit den vereinigten Staaten von Europa nichts zu tun. Ob es Herrn Josef Urban schlecht oder gut geht: die vereinigten Staaten von Europa werden demnächst in voller Figur da sein.

DR.

LANGENBECK. Und die Kapitalisten des Europa-Bundes werden [138] die vereinigten Staaten von Europa regieren – jawohl – wenns man nicht schief geht.


Diener bringt Telegramm, Langenbeck liest es.
URBAN.

Was gibts? Langenbeck steht auf und überreicht ihm das Telegramm. Ah! Mir stehen also jetzt 700 Millionen zur Verfügung – der Kongress der Europa-Bündler soll in vier Wochen in München tagen.

DR.

LANGENBECK. Ich gratuliere Ihnen, Herr Urban – aber ich erkläre Ihnen auch gleichzeitig, dass ich von jetzt ab gegen Sie Stellung nehmen werde. Nach meinem Dafürhalten knöpfen Sie den Kapitalisten einfach das Geld ab – und die vereinigten Staaten bleiben ein Hirngespinst.

URBAN.
Das wollen wir sehen.
DR.
LANGENBECK. Ja – das wollen wir sehen – in München. Leben Sie wohl. Hinten ab.

Haeser und Urban springen auf und umarmen sich.
Vorhang!

3. Akt

Dritter Akt

Wie vorhin – aber sehr viel Unordnung im Zimmer. Urban, Haeser und viele ältere und jüngere Herren – auch ältere und jüngere Damen. Alle in sehr grosser Aufregung.

URBAN.
Meine Damen und Herren! Zunächst wollen wir nicht den Kopf verlieren.
HAESER.

Es war ja ganz selbstverständlich, dass unsre grossen Erfolge schliesslich auch den Oppositionsgeist rege machen mussten.

JUNGE DAME.
Dass aber auch bei allen Völkern plötzlich der Patriotismus erwacht – das ist doch gradezu gemein.
[139]
ALTER HERR.
In Paris, Lissabon, Konstantinopel, Berlin, Moskau – überall haben wir jetzt Patriotenvereine.
URBAN.

Aber alle diese Patriotenvereine sind ja nicht einig. Wir aber sind einig, denn es gibt nur einen einzigen Europa-Bund.

HAESER.
Und deswegen wollen wir den Patrioten zuvorkommen.
URBAN.
Wir wollen 8 Tage früher den Kongress zusammenberufen.
ALTE DAME.
Dann ist ja wohl das Beste, Herr Direktor, wenn wir sofort nach München fahren.
URBAN.
Fahren Sie! Fahren Sie, meine Gnädige! Sofort!
HAESER.
Und jetzt wollen wir nicht den Kopf verlieren.
URBAN.

Wir sind es, auf deren Seite das Vernünftige steht. Keinem Menschen fällt es heute noch ein, an der Vernünftigkeit des Europa-Bundes zu zweifeln.

ALTER HERR.
Nur der Rechtsanwalt Langenbeck zweifelt daran.
URBAN
steigt auf einen Stuhl.

Was gehen uns die Rechtsanwälte an? Es lebe Europa! Alle brüllen »Es lebe Europa« – und dann wüst durcheinander »nach München! nach München!«.


Vorhang!

4. Akt

Vierter Akt

Noch grössere Unordnung – umgeworfene Stühle – Papiere und Bücher überall aufm Fussboden. Die Europabündler stürmen in Ueberziehern und Zylindern durch die Türen durch und schreien sich an und sind furchtbar aufgebracht.

[140]
URBAN.
Das ist ja gradezu haarsträubend.
HAESER.

In der Sprachenfrage ist einfach keine Einigung zu erzielen; wir haben die Dichter gegen uns, und die können am besten reden – die haltens im Geheimen alle mit den Patrioten; die Dichter der verschiedenen Völker wollen, dass man auf dem Kongress ihre Sprache spricht.

URBAN.
Das Land, das meine Sprache spricht.
HAESER.
Jetzt ist aber keine Zeit, Witze zu machen.
URBAN.
Mache ich denn Witze? Ich bin wütend für Sechs – für Sechs Tausend – für Sechs Millionen.
DR.

LANGENBECK. Sehen Sie, meine Herren? Die Schwierigkeiten sind schon da. Sie bringen ja nicht einmal einen Kongress zu Stande – und da wollen Sie die vereinigten Staaten von Europa zu Stande bringen? Es ist einfach lächerlich.


Setzt sich mitten an den Tisch und wirft Alles durcheinander.
URBAN.
Schweigen Sie, Herr Rechtsanwalt.
DR.

LANGENBECK. Ich denke nicht daran – die Aktionäre wollen ihr Geld zurückhaben – und wer an Allem Schuld hat – das sind Sie, Herr Urban.

URBAN.

Die Dichter sind Schuld an Allem! Diese verfluchten Dichter! Die zerstören den ganzen Europa-Bund! Ich werde verrückt vor Wut! Dass Jeder nur ja die Werke der guten Dichter lesen kann – dazu sollen die einzelnen Sprachen erhalten werden. Diese Dichter! Der gesamte Lokalpatriotismus ist eben nur Dichterwerk. Wer ist begeistert für sein Vaterland? Wer? Nur der Dichter! Denn der hat immer ein Interesse an der Sprache, in der er seine Werke schreibt. Die andern Leute gehen ihren Dichtern, diesen Leithammeln der Menge, in seliger Dammlichkeit nach und nennen ihre höchst poetische ideale Dammlichkeit – Patriotismus – und merken nicht, dass ihre patriotischen Gefühle nur den Dichtern zu Gute kommen. O du köstliche Komödie des köstlichen Patriotismus. Ich werde verrückt vor Wut.


Er schlägt mit beiden Fäusten so heftig auf den Tisch, dass durch die Erschütterung gleich der Vorhang runterfällt.
[141]

5. Akt

Fünfter Akt

Viele Sachen – besonders Stühle – sind aus dem Zimmer rausgenommen, auf dem Boden liegen keine Papiere, sodass das Zimmer einen etwas kahlen Eindruck macht. Die Lorbeerkränze liegen aufm Tisch. Links am Tisch Urban – rechts Haeser. Beide haben den Kopf auf die Hände gestützt. Jetzt kommen von rechts und von links die Aktionäre des Europa-Bundes und verlangen ihr Geld – in schroffen und sanften Tönen. Grosse Verwirrung, Weinen, Wut, Drohungen. Die beiden Gründer rühren sich nicht. Da kommt der Rechtsanwalt Langenbeck.

DR.

LANGENBECK. Meine Herren, wenn Sie jetzt nicht augenblicklich sagen, wo Sie das Geld gelassen haben, so werden Sie verhaftet.

HAESER.
Ich weiss von Garnichts.
URBAN.

Und ich sags nicht – am allerwenigsten Ihnen, mein tugendhafter Herr Rechtsanwalt. Uebrigens hörte ich, dass Sie die verschiedenen Patriotenvereine gegründet haben. Na – blüht das Geschäft? Vom Europa-Bunde bekamen Sie wohl nicht genug? Da gründeten Sie die Gegenpartei. Sie sind ja ein ganz saubrer Bursche.

DR.
LANGENBECK. Sie sind ein Schurke!

Polizist hinten.
POLIZIST.
Im Namen des Gesetzes! Die Herren Urban und Haeser erkläre ich hiermit für verhaftet.
URBAN.
Sie sind ein Riesenkameel, Herr Schutzmann!

Polizist zieht den Revolver.
HAESER
ruft einem Diener zu.
Lassen Sie den Wagen vorfahren! Wir sind verhaftet!
URBAN.

Na schiessen Sie doch los, Sie altes Dromedar Er schlägt dem Polizisten plötzlich mit der Faust ins Gesicht, dass dem [142] das Blut aus Nase und Augen quillt, wodurch er so wütend wird, dass er losschiesst – Urban fällt hin.

URBAN
sterbend.
Wo ich's Geld gelassen habe, sag ich Euch nicht – ich schlag Euch nur ins Angesicht.

Er zieht seinen Revolver und schiesst den Rechtsanwalt und den Polizisten übern Haufen – beide fallen – riesiger Tumult – Hilfegeschrei und Wutgebrüll – die drei Angeschossenen sterben.
Der Vorhang fällt.
[143]

Die Welt geht unter!
Ein Tableau

Personen

Personen.

    • Der Erzengel Gabriel.

    • Ein Regierungsbeamter.

    • Ein Millionär.

    • Volk.

    • Theaterleute.

[Stücktext]

Zwei weisse Wände stehen im rechten Winkel zu einander – so, dass die Bühne mit der Lampenreihe ein rechtwinkliges Dreieck bildet, dessen rechter Winkel hinten ist.
In der Mitte von jeder der beiden Wände eine türartige Oeffnung, durch die viele Leute aufgeregt raus- und reinlaufen. Es donnert.
Und die aufgeregten Leute, die Säcke, Warenballen und Pretiosen mit sich schleppen und teilweise hinten zu verbergen suchen oder herumwerfen, schreien sämtlich in allen möglichen Tonarten »Die Welt geht unter!« ringen die Hände, lamentieren fürchterlich und tun ganz verzweifelt; unter den aufgeregten Leuten befinden sich Millionäre, Portiers, Regierungsbeamte, Witwen, Droschkenkutscher, Jungfrauen, Chinesen und Zirkuskünstler.
Wie der Donner und das Volksgeschrei seinen Höhepunkt erreicht hat, gehen plötzlich die Wände hinten auseinander; sie drehen sich um den Punkt, der an die Lampenreihe stösst, so weit – bis sie zu dieser im rechten Winkel stehen.
[144] Die aufgeregten Leute fallen vor Schreck zum grossen Teil um oder auf die Kniee und starren in entsetzter Haltung zum Hintergrunde hinauf.
Im Hintergrunde steht vor einer anderen weissen
Wand, die vorhangartig hinten den Bühnenraum abschliesst, sodass dieser ganz rechteckig wird, der Erzengel Gabriel in preussischer Gardeleutnantsuniform – breitbeinig seinen Säbel vor sich, auf den er sich mit seinen beiden grossen Händen stützt.
Der Erzengel ist mindestens drei und einen halben Meter gross, trägt weisse Beinkleider, Monocle und Infanteriemütze; der Kopf ist naturgemäss sehr klein, da ja der Darsteller mit seinem ganzen Leibe im Leutnantsrumpfe stecken muss.

DER ERZENGEL GABRIEL.
Sagt mal, meine guten Leute, wo bin ich denn hier eigentlich?
EIN REGIERUNGSBEAMTER.
In Berlin.
DER ERZENGEL GABRIEL.
So! So! Na sagt mal, meine guten Leute, merkt Ihr noch nicht, dass ich der Erzengel Gabriel bin?
EIN MILLIONÄR.
Ich merks!
DER ERZENGEL GABRIEL.
Na was ist denn los? Warum seid Ihr denn so aufgeregt?

Wieder leises Donnern.
DIE AUFGEREGTEN LEUTE
alle durch einander mehrfach.
Die Welt geht doch unter!
DER ERZENGEL GABRIEL.

Ach so! Deshalb seid Ihr so aufgeregt. Deshalb! Ja aber, meine guten Leute, Ihr sagtet doch, ich wäre hier in Berlin, nicht wahr?

DER REGIERUNGSBEAMTE VON VORHIN.
Jawohl, Herr Erzengel, Euer Gnaden sein hier in Berlin – zu Befehl!
DER ERZENGEL GABRIEL.

Aber Kinder, wozu regt Ihr Euch denn blos so auf! Wenn auch die Welt untergeht, eine Stadt wie Berlin kann doch garnicht untergehen – kann doch garnicht!


Die aufgeregten Leute sehen sich sehr verblüfft gegenseitig an, schütteln die Köpfe und zucken die Achseln.
DER MILLIONÄR VON VORHIN.
Warum denn nicht, mein Herr?
DER ERZENGEL GABRIEL.

Ihr habt doch noch das Theater ... Hier [145] wird das Theater genannt, in dem dieses Stück gespielt wird. Gegen eine Stadt, die noch ein solches Theater hat, das sich immer noch in aufsteigender Linie befindet – gegen eine solche Stadt können doch sämtliche Erschütterungen des Weltraumes nichts ausrichten. Das ist doch so klar wie Klossbrühe. Das hätten Sie sich doch gleich selber sagen können.


Nach diesen Worten tut sich die hintere Wand aus einander und zwar so, dass sie in der Mitte hinter dem Engel plötzlich auseinander reisst und nach beiden Seiten zu verschwindet; die Wand kann wie
die beiden anderen Wände blos aus stärkerem Papier bestehen.
Nun ist hinter dem Engel eine grosse ganz breite Treppe zu sehen, die so hoch hinaufführt, dass ihr oberes Ende nicht mehr sichtbar ist – oder von Wolken verschleiert wird.
Und auf dieser Treppe, die weiss sein und Bühnenbreite haben muss, steigen Theaterleute in allen möglichen Kostümen langsam empor; die Theaterleute schlagen sich immerzu vor die Brust, zeigen sich natürlich zumeist im Kostüm ihrer Hauptrollen und gestikulieren sich ihre kolossale Bedeutung gegenseitig recht handgreiflich pantomimisch vor.
Da werden die aufgeregten Leute im Vordergrunde von wildem Begeisterungstaumel ergriffen – sie küssen dem Erzengel die weissen Hosen, Stiebel und Säbel und umarmen die Theaterleute und drücken sie an ihr Herz – und danken ihnen mit Tränen der Freude – und sind einfach närrisch vor Glück und Seligkeit.
Während der Erzengel wie ein altes Denkmal ganz unbeweglich in all dem Trubel bleibt, fällt allmählich der Vorhang.
[146]

Postscriptum!

Da die Vorführung derartiger Selbstberäucherung auch dem besten Theater auf die Dauer beschwerlich werden dürfte, so empfiehlt sich, das Thema sehr bald zu variieren.

Wird das Stück in der Provinz aufgeführt, so wird natürlich die Provinzstadt und ihr Theater ebenso in den Himmel gehoben wie im Vorstehenden die Residenzstadt Berlin.

An die Stelle der Theaterleute können natürlich alle möglichen andern Leute und Verhältnisse treten und auch in aufsteigender Linie die Treppe zum Himmel hinan hinaufsteigen.

Das Stück kann somit auch eine Art Pranger werden; man braucht blos die lächerlich zu machenden Persönlichkeiten die Treppe hinaufsteigen lassen – und die Ironie wird gleich verständlich sein und unter Umständen nicht liebenswürdig wirken – man kann gelegentlich auch einen ganzen Stand die Treppe hinaufsteigen lassen – und auch die verantwortlichen Vertreter von Verhältnissen und Zuständen.


Es lassen sich auch sämtliche Tagesereignisse durch dieses Tableau leicht in eine fatale Beleuchtung rücken – sodass immer wieder neue Treppenbilder arrangiert werden könnten.

[147]

Band IV

Der Regierungswechsel
Ein politisches Drama

Personen

Personen.

    • Der grosse Napoléon, ein Kaiser.

    • Der grosse Zibólko, ein Künstler.

    • Susanne, ein Modell.

[Stücktext]

Rechts eine weisse Wand – links eine weisse Wand – hinten eine weisse Wand.
Und mitten auf der Bühne steht eine alte Trittleiter als einziges Möbel da.
Und auf der Trittleiter ganz hoch oben steht der grosse Napoléon. Er hat wie gewöhnlich die Arme über der Brust gekreuzt. Das mit dem bekannten Hut bedeckte Haupt ist sinnend nach vorn gebeugt. Die Stulpstiefel glänzen, und die Beinkleider des Kaisers sehen weiss aus. Der graue Sommerschlachtenmantel hängt, ohne zugeknöpft zu sein, schlaff herunter – wie ein altes schmutziges Handtuch.
Der grosse Schlachtendenker steht ganz ruhig eine gute Weile auf seiner alten Trittleiter wie ein Denkmal, während sonst Nichts vorgeht und sich Niemand weiter auf der weissen Bühne sehen lässt.
Plötzlich erscheint der grosse Zibólko im Hintergrunde.
Zibólko hat kolossal weite, nach orientalischer Manier dicht überm Fuss zugebundene, orangefarbene Beinkleider an. Eine breite hellblaue Schärpe umhüllt den Leib, ein dunkelblaues [148] offenes Sammtjacket mit weiten Puffärmeln den Oberkörper. Ein weisser, oben ganz spitzer Riesenkalabreser krönt das blondgelockte Haupt. Das seidene Hemd
ist natürlich schneeweiss.
In der Linken hält der Künstler eine kreisrunde, küchentellergrosse Palette und in der Rechten seinen berühmten armlangen Riesenpinsel.

ZIBÓLKO.
Wer steht da oben auf der Trittleiter?
NAPOLÉON.
Europas – Napoléon!
ZIBÓLKO.
Und was will Napoléon auf der Trittleiter?
NAPOLÉON.

Mein lieber Zibólko, Sie scheinen sehr kurzsichtig zu sein. Sehen Sie denn nicht, dass ich hier oben das zwanzigste Jahrhundert regiere?

ZIBÓLKO.

Was? Da oben auf meiner Trittleiter regieren Sie – das ganze zwanzigste Jahrhundert? Wie sind Sie blos da hingekommen?

NAPOLÉON.

Wundern Sie sich blos nicht so viel. Das ist ja lästig. Sie wissen doch, dass ich mich in meinem ganzen Leben niemals gewundert habe.

ZIBÓLKO.

Ich möcht' aber ausserdem sehr gerne wissen, wie Sie's fertig bringen, da oben so ohne Weiteres zu regieren – gleich ein veritables Jahrhundert zu regieren. Brauchen Sie dazu nicht ein kleines Szepter?


Droht schmunzelnd mit dem Riesenpinsel.
NAPOLÉON.

Nein, mein lieber Zibólko. Ich stehe hier ganz einfach da und suggeriere den Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts meine Gedanken auf. So regier ich!

ZIBÓLKO.
Sie? So! Na – das begreif ich! Aber – was für Gedanken suggerieren Sie denn den Menschen auf?
NAPOLÉON.

Militärische – selbstverständlich! Fragen Sie nicht so dumm! Vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben!

ZIBÓLKO.

Ach! Jetzt bin ich aber erst recht neugierig. Gibt's denn auch »militärische« Gedanken? Das ist ja zu komisch! Herr, wie sehen die aus?

[149]
NAPOLÉON.

Frag Er doch nicht immer so wie ein alter Kammerdiener! Was für Gedanken soll ich denn haben? Ich kann doch nur militärische Gedanken haben. Ich denke an Flinten und Kanonen, an Säbel und Bajonnettes, an blanke Stulp-Stiebel und klirrende Sporen, an blanke Knöpfe und blanke Helme, an Epaulettes und Orden, an Granaten und Raketen, an Trommeln, Pfeifen, Pauken und Trompeten, an Pulver und Blei, Dynamit und Panzerschiffe, Hurrahgebrüll und Torpedos – na? – was noch? – zum Teufel! Ich denk ans Militär!

ZIBÓLKO.
Und das nennen Sie Gedanken?
NAPOLÉON.

Das nenne ich allerdings »Gedanken«. Jeder vernünftige Mensch nennt das »Gedanken«. Und Sie werden mir jedenfalls zugeben, dass die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts diese Gedanken ebenso gut kapiert haben – wie die des neunzehnten Jahrhunderts. Mir ist es eben gelungen, diesen Menschen diese Gedanken aufzusuggerieren – einzutrichtern – Sie verstehen wohl. Ich regiere eben das zwanzigste Jahrhundert auch. Wollen Sie das vielleicht bezweifeln?

ZIBÓLKO.

Nein – das kann ich nicht bezweifeln. Sie haben ja so Recht! Ich bewundere Sie! Wahrhaftig! Hand aufs Herz! Doch, Herr Napoléon, wissen Sie, was ich möchte?

NAPOLÉON
herablassend.
Na, mein lieber Zibólko, was möchten Sie denn?
ZIBÓLKO.
Das zwanzigste Jahrhundert möcht ich regieren.
NAPOLÉON.
Sie leiden wohl – wie die meisten Künstler – an Grössenwahn.
ZIBÓLKO.

Herr – wenn Sie so anfangen – dann will ich Ihnen bald zeigen – wem die Trittleiter gehört. Die Trittleiter ist mein Eigentum.

NAPOLÉON.
Sie sind ein Narr!
ZIBÓLKO.

Und Sie sind ein Wallross! Dringt mit dem Pinsel auf Napoléon ein – die Palette als Schild benutzend. Der Kaiser zieht kaltblütig seinen Degen, und Zibólko zieht sich erschrocken zurück.

SUSANNE
mit roter indianischer Federkrone und dünnen wallenden lilafarbigen Gewändern, stolz und feierlich in den [150] Vordergrund schreitend.
Was ist denn hier los? Ein Duell?
ZIBÓLKO.
Ein Duell mit ungleichen Waffen.

Hustet.
SUSANNE.
Träum ich denn noch? Das ist ja der olle Napolium!
ZIBÓLKO.
Napolium! Stimmt!

Hustet wiederum.
SUSANNE.
Und was will der auf der Trittleiter?
ZIBÓLKO.
Regierte mal das neunzehnte Jahrhundert.

Stampft mit dem Fuss auf.
SUSANNE.
Und Zibólko – Du? Was gedenkst Du nun zu tun?
ZIBÓLKO.
Ich will das zwanzigste Jahrhundert regieren.
SUSANNE
schüttelt mit dem Kopf.

Wir wollten hier doch rein machen – die Wände abfegen – und Du – Du willst jetzt wieder das zwanzigste Jahrhundert regieren?

ZIBÓLKO.
Kind, was verstehst Du davon?
SUSANNE.
Ach, zum Spassen bin ich nicht hergekommen, dazu ist das Leben viel zu ernst. Ich hole den Besen.

Ab.
ZIBÓLKO.
Ich bitte Sie – gehen Sie da runter und blamieren Sie sich nicht! Was soll die Susanne davon denken?
NAPOLÉON.
Sehr hübsches Kind – diese Susanne!
ZIBÓLKO.
Gefällt sie Ihnen?
NAPOLÉON.
Ausserordentlich.

Wendet den Kopf, die Susanne kommt mit einem grossen Haarbesen zurück.
ZIBÓLKO.
Dem Napolium gefällst Du, liebe Susanna. Sieh doch zu, dass Du ihn mit Güte herunterbringst.
SUSANNE.
Mit Güte?
ZIBÓLKO.
Schaf, mit Gewalt geht's doch nicht.
SUSANNE
listig und schlau.
Vielleicht mit einer grösseren Macht.
ZIBÓLKO.
Mit welcher denn?
SUSANNE.

Zibólko! Mit Liebe geht's! Ich sage Dir: mit Liebe geht Alles! Ich schmacht ihn an! Rührend. Polli! Süsser Polli!

ZIBÓLKO.
Nun denn – man los! Lustig! Zeig, was Du kannst!
SUSANNE.

Oh, mein Napolium, ich bin eine indianische Prinzessin! Mein Herzblut schäumt wie der Niagarafall. Fall nicht um, Napolium! Ich liebe Dich! – denn Du bist gross. Und ich liebe alle [151] grossen Männer. Das ist ja mein Beruf. Komm runter an mein Herz! Steck aber zuvor Deinen Degen ein!


Napoléon steckt den Degen ein und steigt vorsichtig die Stufen hinab. Susanne breitet mit dem Besen in der Rechten ihre beiden nackten Arme aus. Pathetisch schreitet der Kaiser mit durchgedrückten Knieen auf das freundliche Modell los und legt ihm feierlich die Rechte auf die Schulter. Das Mädchen fällt ihm natürlich um den Hals und wirft ihm mit dem Besen, dessen Haare oben sind, den Hut vom Kopf. Zibólko steigt währenddem schleunigst auf die Trittleiter hinauf und setzt sich ruhig auf die höchste Stufe – hält die Palette wie einen Reichsapfel, den Pinsel wie ein Szepter.
SUSANNE.
Napolium, schenk mir Deinen Hut! Ja? Bitte! Bitte! Mein lieber guter Polli!

Fällt beim Aufheben des Hutes vor dem Kaiser auf die Kniee.
NAPOLÉON
mit weit ausgestreckter Rechten.
Susanne, ich schenke Dir den Hut!
SUSANNE.
Nimm meine Federkrone dafür!
NAPOLEON.
Mit Wonne!

Susanne setzt dem Napoléon die Federkrone auf und wirft den Napoléonshut nach hinten an die weisse Wand.
SUSANNE.
Hol mir den Hut zurück! Schnell! Wirds bald?

Napoléon stampft wütend mit dem Fuss auf, folgt aber dem Befehl. Susanne rennt ihm nach, entreisst ihm den Degen und gibt ihn dem Zibólko, der sich behutsam auf den Degen raufsetzt.
NAPOLÉON.
Susanne, was erlaubst Du Dir?
SUSANNE.
Komm, Du dummer Polli, ich will Dir Märchen erzählen! Wirst Du wohl kommen!!

Beide hinten rechts oder links ab.
ZIBÓLKO
allein.

Die Susanne hat offenbar den Napolium besiegt! ohne Frage! Susanne ist tatsächlich ein Genie! Die hat die Taktik und Diplomatik mit Löffeln gefressen. Während sie mich liebt, liebt sie den Napolium! Und ich kann ruhig regieren – kann ruhig das ganze zwanzigste Jahrhundert regieren. Spass! Ich regiere mit Pinsel und Palette! Jetzt will ich der Welt was aufsuggerieren! Fächelt sich mit der Palette frische Luft [152] zu, hält den Pinsel nach unten wie einen Säbel. Die Geschichte wird einfach grossartig! Tiefsinnig – fast murmelnd. Die Uniform verfiel in Grössenwahn und schuf sich einen Apostel, den die Welt Napolium nannte. Jetzt soll die Kunst in Grössenwahn verfallen und – und – Unheimlich langsam aufstehend. Zibólko soll der Kunst-Apostel sein! Während er sich fest auf zwei Mittelstufen der Trittleiter stellt. Huh! Man staune! Zucken da drüben nicht bunte, glitzernde Glanzlichter auf! Das ist ja wirklich das zwanzigste Jahrhundert! Na natürlich! Ein glänzendes Zeitalter: Strahlende Riesenpaläste öffnen sich! Hei! Das ist ein Künstlerreich! Mit verklärten glänzenden Augen. Die Welt wird nicht mehr hypnotisiert durch die Farbenpracht der Uniform – nein – fürderhin hypnotisiert nur noch die Farbenpracht der allein selig machenden Kunst. Tiefsinnig – sehr geistreich. Die blanken Kunstknöpfe sind tausend Mal heller und feuriger als die blanken Soldatenknöpfe, die alle Tage blind werden. Donnerwetter! Wer das nicht einsieht, kann sich begraben lassen. Sich lachend hinter den Ohren krauend. Der Glanz der Kunst wirkt wie sieben Mal hundert siebzig tausend Milliarden ganz heisser Riesensonnen mit dicksten Milchstrassen – ach was! – noch viel stärker – viel – viel stärker!

SUSANNE
hinter einer der drei weissen Wände sehr laut.

Napolium, ich sage Dir: ich bin Susanna, eine sagenumwobene indianische Prinzessin, die sich Nichts weiss machen lässt! Du musst mir gehorchen.

ZIBÓLKO.

Susanne, was schreist Du da so? Sei endlich still! Hörst Du denn nicht, dass ich jetzt schon das zwanzigste Jahrhundert regiere? Bist Du taub geworden?

NAPOLÉON
stürmt wütend mit der Federkrone auf dem Kopfe nach vorn.
Susanne mit Napoleonshut folgt mit hocherhobenem Haarbesen. Herr!! Was fällt Ihnen eigentlich ein?
ZIBÓLKO
setzt sich schnell.

Sie – Sie – Sie gänzlich veralteter Napolium – machen Sie sich nicht länger mausig! Das rat ich Ihnen in allem Ernst. Helfen tuts Ihnen doch nichts. Ich regiere [153] hier! Sehen Sie das nicht? Sind Sie auch kurzsichtig geworden?

NAPOLÉON.
Zibólko, mach Er, dass Er da runter kommt.
ZIBÓLKO.
Susanne, nimm den Besen und feg den Napolium raus!
SUSANNE
fegt den Napolium raus.
Marsch, Napolium! Es hat zum Abschied geblasen! Du hast hier lange genug Komödie gespielt!

Napoléon stolpert ab. Man hört im Folgenden, wie er hinten viele Treppen runterfällt.
ZIBÓLKO
steht wieder auf.

Napoliums Ende und Zibólkos Anfang! Jetzt setzt es Künstlergedanken! Neue Geister kommen Flügel schlagend hell lachend heran. Wir können Alle lachen! Gewaltige Weltbilder mit neuen Sternen und neuen Sonnen steigen schon im Hintergrunde drollig leuchtend in die Höh'. Neue »lustige« Raketen mit ganz bunten Diamanten funkeln und zischen rechts und links! Jetzt haben wir endlich – Farben – Paläste – echten Weltrausch – Welten – Welten! Wunder entzündende magische Lichter flackern überall! Und alle Menschen denken und empfinden jetzt wie ich! Das ist eine Lust. Weihrauch! Weihrauch! Jubelt mir zu! Ich bin ja der »Künstler an sich«! Habt Ihr das nicht gleich mir angemerkt? Kinder, lasst Euch küssen! Weihrauch! Weihrauch! Ich suggeriere! Ich regiere! Schluchzt und agiert furchtbar mit den Armen.

SUSANNE
kommt langsam ohne Besen mit gefalteten Händen wieder nach vorn – weinend.

Zibólko! Napolium brach das Genick. Er fiel all' die vielen Treppen runter. Die langen Sporen tragen an Allem die Schuld!

ZIBÓLKO
Napoléons Degen mit dem Fuss auf den Fussboden herunterstossend.

Schmeiss dem Napolium auch den Degen nach! Spute Dich! Die barbarische Waffe beleidigt mein Künstlerauge!

SUSANNE
hebt den Degen auf und stürmt mit ihm fort.
ZIBÓLKO
Steigt, während der Degen des Kaisers hinter der hinteren Wand laut klirrend die Treppen runterfällt, auf die höchste [154] Stufe der Trittleiter und hebt den Pinsel mit steifem Arm steil wie Arminius empor – schreit laut.
Der Degen fällt,
Und ich regier die Welt!

Susanne erscheint wieder im Hintergrunde mit dem Napoliumshut auf dem Kopfe, faltet still die Hände, geht langsam an die Trittleiter und sinkt neben derselben auf ein Knie. Zibólko bleibt unbeweglich in seiner Denkmalsstellung stehn – starrt kühn in die Zukunft.
Vorhang!
[155]

Der fanatische Bürgermeister
Kosmisches Drama in vier Akten

Personen

Personen.

    • Theodor III., Bürgermeister der fliegenden Stadt.

    • Lirándula, Direktrice der vereinigten Begeisterungsgesellschaften.

    • Kuck, Erster Oberweltlotse.

    • Könnicke, Vorsitzender der Archiv-Kommission.

    • Ihlefeld, Bauinspektor der fliegenden Stadt.

    • Jijajópsi, Ein altes Kameelsmensch.

    • Ratsherren, Bürger, Verwaltungsbeamte, Frauen und Lebewesen aus verschiedenen Sternwelten.

1. Akt

Erster Akt

Grosser grüner Himmel mit langsam runtergehenden silbernen Sternen.
Rechts und links segelartig gespannte weisse, graue und braune Leinewand, die von langen Bambusstäben, die quer und schräg nach hinten und nach oben gehen, gehalten wird. Hinten ragen, von unten aufsteigend, ein paar Segelspitzen herauf, die geländerartig abschliessen können. Hinter den Seitenwänden, die hinten schräge nach oben gehen, breite freie Eingänge nach beiden Seiten.
Vorn links ein grosser dreieckiger Schreibtisch mit Bambusfüssen, dreieckige Hocker mit Bambusfüssen an verschiedenen Stellen unordentlich umherstehend.
[156] Auf schwarzen Stöcken von verschiedener Höhe hinten und an den Seiten ein paar weisse Papierlampions in Krystallform mit unregelmässigen schwarzen Flecken.
Theodor in grauer Toga, die recht nachlässig zerknillt ist, mit einem gelben Pyramidenhut, dessen Kanten mit roten Rubinen besetzt sind.
Kuck in brauner Toga, die sehr steif wirkt, mit weissem Wolkenschieber aufm Kopf.
Beide sitzen neben dem Schreibtisch.

THEODOR.
Der Trauerklops ist blos ein Faulpelz.
KUCK.
Dann ist der Freudenklops blos ein roher Patron.
THEODOR.
Na, lassen wir jetzt die ganze Klopsosophie ruhen.
KUCK.

Lassen wir lieber gleich Alles ruhen. Wir haben die Ruhe wirklich sehr nötig. Wenn man so immerzu Jahrtausende hindurch von Stern zu Stern fährt, so lernt man allmählich die Ruhe schätzen.

THEODOR.
Faulpelze seid Ihr eben.
KUCK.
Du gehst ein wenig summarisch vor. Lass die Schimpferei und werde ruhiger.
THEODOR.
Ich soll die Schimpferei lassen? Das ist köstlich. Schimpfe ich auf die Welt?
KUCK.
Nein – aber auf uns!
THEODOR.
Jawohl! Weil Ihr eben auf die Welt schimpft, deswegen schimpfe ich auf Euch.
KUCK.
Und wir schimpfen auf Dich, weil Du unser Schimpfen beschimpfen tust.
THEODOR.
Ja, die Trauerklopsosophen mag ich eben nicht. Ich will mich ganz deutlich aussprechen.
KUCK.

Sei bitte kurz; ich muss gleich wieder ans Steuer, Er steht auf. wir fliegen grade durch die grünen Nebel durch – und da muss man aufpassen.

THEODOR
stellt hinten zwei Hocker über einander und stützt sich darauf, während Kuck mit über der Brust gekreuzten [157] Armen neben dem Schreibtische steht und den Theodor finster und pathetisch anblickt.

Die fliegende Stadt ist in grauer Vorzeit einzig zu dem Zwecke gegründet, den lebenden Wesen auf den verschiedenen Sternen unsrer Weltecke eine einzige Sache zu übermitteln – nämlich: einen ungefähren Begriff von der nie zu erschöpfenden Grossartigkeit der Welt.

KUCK.
Von dieser Grossartigkeit der Welt bin ich eben heute nicht mehr überzeugt.
THEODOR.

Unterbrich mich nicht. Du weisst, dass ich keinen Zweifel an der Grossartigkeit der Welt aufkommen lasse. Ich erkläre diejenigen, die scheinbar unglücklichen Verhältnissen nicht ein paar gute Seiten abgewinnen können, einfach für Faulpelze, die ihr bischen Witz nicht anstrengen wollen.

KUCK.
Bitte – sage, was Du willst; ich habe keine Zeit. Machs doch kurz!
THEODOR.

Wir nehmen in unsrer fliegenden Stadt aus den verschiedenen Sternwelten Lebewesen auf, denen wir die Grossartigkeit der Welt so deutlich wie möglich machen wollen. Ihr aber seid zu faul, mit diesen Lebewesen, die später wieder auf ihren Stern zurückgebracht werden sollen, zu verkehren. Und so ist ihr Aufenthalt hier ziemlich unnütz.

KUCK.

So setz sie doch wieder aus. Lirándula er scheint. Aber ich muss jetzt fort, entschuldige mich. Erzähle der Lirándula das Weitere. Es ist mir wirklich unsympathisch, Dir immer wieder meinen Standpunkt noch mal klar zu machen. Auf Wiedersehen! Ab.

LIRÁNDULA
in grauen dünnen Gewändern mit niedriger weisser Federkrone im aufgelösten Flachshaar.

Wie geht es Dir, Theodor? Ich bin so entsetzlich traurig. Wir haben wieder auf dem Stern c 7 im alten Ringsystem so entsetzliche und erbärmliche Zustände gesehen, dass mir der Appetit vergangen ist. Sie setzt sich neben den Schreibtisch.

THEODOR
immer noch hinten in Denkmalsstellung.

Und Du willst die Direktrice der vereinigten Begeisterungsgesellschaften sein? Er zieht an einer Klingelschnur, und ein Diener in braun und grau gestreiftem Kittelanzug erscheint. Geh zum [158] Bauinspektor Ihlefeld und zum Vorsitzenden der Archiv- Kommission Könnicke und bitte die Herren, so rasch wie möglich herzukommen.


Diener ab.
LIRÁNDULA.
Was macht denn der Kuck? Der sah ja ebenfalls so traurig aus.
THEODOR.

Ihr seht alle traurig aus. Aber ich werde Euch aufrütteln. Dieser Kopfhängerei werde ich ein Ende bereiten.

LIRÁNDULA.
Ich verstehe Dich nicht – Du bist so hart.
THEODOR.

Das Leben in der Welt würde bald einschlafen, wenn es nicht zuweilen harte Formen annehmen könnte. Immer noch hinten in derselben Stellung, in der er bis zum Abgange bleibt. Ich erkläre Euch feierlich, dass ich Euch die rührselige Stimmung austreiben werde. Wie viel mal soll man Euch denn sagen, dass all das Unglück, das Ihr auf den Sternen seht, doch nur Scheinleben ist. Wir haben doch selber nur ein Scheinleben. Wir sind doch Alle – Alle –.Geister!

LIRÁNDULA.

Ja, alle Geister haben nur ein Scheinleben – natürlich! Alles Leben ist schliesslich blos Scheinleben. Aber ob den Lebenden das Scheinleben gefällt, das hängt doch schliesslich blos von den Lebenden ab.

THEODOR.
Das hängt von mir ab, liebe Lirándula!
LIRÁNDULA.
Aber – man kann ja Furcht vor Dir bekommen.
KÖNNICKE
in braunem Lodenrock bis zum Knie und weisser Ballonmütze.
Was hör ich? Hier wird von Furcht gesprochen? Was ist denn los?
THEODOR
unbeweglich.

Lieber Könnicke, teile mir bitte mit, wie viele Fremde sich momentan in der fliegenden Stadt aufhalten.

KÖNNICKE.
2673 sogenannte Fremde – eine grandiose Menagerie aus der grandiosen Welt.
THEODOR.
Verkehren diese Fremden unter einander?
KÖNNICKE.
Aber Theodor, wie soll ich das wissen?
THEODOR.

Hm! Wozu sind denn eigentlich diese Fremden hier? Ich dächte, Ihr solltet sie über die wichtigsten Angelegenheiten des Weltalls belehren. Hm? Wie stehts denn damit?

[159]
KÖNNICKE.

Das hat doch, wie Du weisst, wenig Zweck. Das Hornvieh begreift doch nichts. Das weisst Du doch. Daher haben wir doch die Belehrungsarie aufgegeben.

THEODOR.
So befehle ich Euch, die Belehrungsarie wieder von neuem zu beginnen.
IHLEFELD
in grauem Rock bis zu den Füssen und weisser Würfelmütze.
Den Befehl vernahm ich. Wen sollen wir belehren? Dich?
THEODOR.
Nein – die Fremden.
IHLEFELD.

Schön! Ich bin bereit. Ich bin zu Allem bereit – Du brauchst wirklich nur zu befehlen. Mir ist alles ganz egal.

THEODOR.

Ihr scheint Euch die Belehrungsarie etwas schwierig vorzustellen. Da muss ich Euch also helfen. Hört zu, wie ich Euch helfen werde: Ihr wisst, dass auf einzelnen Sternen die Fortpflanzungsarie komischer Weise durch zwei verschiedene Geschlechter bewerkstelligt wird. Da müssen sich denn immer ein paar Leute verheiraten – d.h. durch ein möglichst langes Zusammenleben eine gegenseitige Verständigung zu erzielen suchen. Und – und – so werde ich Euch – mit den Fremden verheiraten. Jeder von Euch wird gezwungen werden, mit einem Fremden Tag und Nacht zusammenzuleben – dann wird Euch die Belehrungsarie nicht mehr so schwierig vorkommen.

LIRÁNDULA.

Bist du toll geworden? Verheiraten sollen wir uns? – mit diesen Idioten? Du willst uns mit Ungeheuern verheiraten? Ich soll wohl einen Sechsbeinigen heiraten – was? Oder denkst Du an einen mit zwei Rüsseln? Hahaha! Die Geschichte wird reizend! Hahaha!

THEODOR
langsam abgehend.
Das Weitere wird sich finden.

Lirándula fängt an zu weinen und setzt sich hinten auf einen Stuhl, Könnicke tröstet die Lirándula. Ihlefeld steht vorne rechts mit über der Brust verschränkten Armen, sieht die beiden Andern an und lächelt immerzu, während der Vorhang langsam runtergeht.
[160]

2. Akt

Zweiter Akt

Rote Wolken bedecken den ganzen Himmel und fallen immerzu bald langsam und bald schneller in die Tiefe.
Vor jeder Seitenwand drei dreikantige Lampions, deren Spitze unten ist; sie können fast einen Meter hoch und oben sehr eng sein. Der mittlere Lampion-Stock höher als die beiden andern. Die niedrigen Lampions hellblau, die mittleren höheren hellgrün.
Die hinten aufsteigenden Segeltücher können umfangreicher und die Seitenwände so verstellt sein, dass die Bambusstöcke in Kanten und Winkeln stecken, die von den Segeltüchern gebildet wurden.
Keine Tische und keine Stühle.
Ratsherren und Verwaltungsbeamte in grauen und braunen Gewändern gehen hinten lebhaft und heftig gestikulierend vorüber.
Ihlefeld und Kuck kommen nach vorn.

KUCK.
Dieser Theodor ist verrückt.
IHLEFELD
mit einem vierkantigen Metermass – dessen Dezimeter hinter einander schwarz und weiss.
KUCK.
Weisst Du, was er soeben gesagt hat?
IHLEFELD.
Na was hat er denn gesagt?
KUCK.

Diejenigen, die sich nicht gutwillig mit seinen Ungeheuern verheiraten lassen, sollen mit diesen Ungeheuern zusammengebunden werden – mit Stricken – oder mit Ketten. Und das nennt dieser Tyrann »verheiraten«. Verheiraten! Merkst Du jetzt, was »verheiraten« heisst? Bleibst Du noch ruhig?

IHLEFELD.

Mich kann er verheiraten und zusammenbinden – mit wem er will – meinetwegen mit sieben zweibeinigen Kameelsmenschen. Ich bleibe so ruhig wie ein Komet in der Badewanne – natürlich! Man hat doch nichts zu versäumen.

KUCK.
Dann bist Du selbst ein Ungeheuer.
[161]
IHLEFELD
lachend.

Du kannst mich nennen, wie Du willst – es ist mir Alles ganz egal. Im Egalismus steckt doch der Welthumor.

THEODOR
Hinter den Beiden – zu Kuck.

Mein lieber Oberweltlotse, Du willst Dich drücken. Er winkt einem Diener und flüstert ihm was ins Ohr. Du scheinst eine kleine Schwärmerei für Kameelsmenschen zu haben – ich sehs Dir an.

KUCK.
Ich begreife nicht, warum sich die Beamten und Bürger Deine perfide Infamie gefallen lassen.
IHLEFELD.
Na warum denn nicht?
KUCK.
Ihr seid Bestien.
THEODOR.

Wir wollen blos die Traurigkeit umbringen – nicht die Bürger der fliegenden Stadt. Die Andern fangen allmählich an, mich zu begreifen – doch mein Freund Kuck will mich nicht begreifen – da muss ich ihn zwingen.

IHLEFELD.

Theodor, Du bist der grösste Bürgermeister aller Zeiten! Ich bete Dich an. Lässt sich vor ihm auf ein Knie nieder.


Während hinten die Bürger und Beamten die Köpfe zusammenstecken und teils lachen, teils wütend mit den Fäusten drohen, wird das Kameelsmensch Jijajópsi von zwei Dienern an Stricken gefesselt langsam nach vorn geführt. Jijajópsi hat einen Kameelskopf und einen grossen Höcker auf dem Rücken, Arme und Beine wie ein Mensch – aber mit schwarzen Stoffen umwickelt.
THEODOR.

Bindet dieses Kameelsmensch an den Herrn Kuck, sodass sie sich nicht weiter als zwei Meter von einander entfernen können.

KUCK
während die Diener den Befehl ausführen.
Das ist eine Gewaltsmassregel.
IHLEFELD.
Aber, lieber Kuck, wer wird denn daran zweifeln? Rede blos nicht in Gemeinplätzen.
JIJAJÓPSI.
Onkel Theodor, Du bist ein Hauptkerl. Wie heisst denn mein Bräutigam?
[162]
KUCK.
Mein Name ist Kuck.
JIJAJÓPSI.

Huhuhu! Welch ein kurzer Name! Allerdings – Du hast auch keinen Höcker. Mein Name lautet Jijajópsi – Jijajópsi! Merk Dir das! Vertraulich dem Theodor die Hand auf die Schulter legend. Und dieser mangelhaft Gebildete soll mir die Grossartigkeit der Welt plausibel machen?

THEODOR.
Ja, mein lieber Jijajópsi.
JIJAJÓPSI.

He, Kuckchen! Nu mach mir mal erst klar, dass Du selber grossartig bist! Huhuhu! Das wird Dir nicht gelingen. Ich bin grossartig – ob aber ausser mir noch was grossartig ist – das bezweifeln wir. Huhuhu!


Die Diener gehen mit den Beiden ab.
IHLEFELD.
Das ist ein feines Ehepaar!
LIRÁNDULA
kommt mit Könnicke.
Die Geschichte wird einfach himmelschreiend.
THEODOR.

Liebe Lirándula, Du scheinst noch nicht zu wissen, was es heisst: Eine fliegende Stadt regieren. Du hast als Direktrice der vereinigten Begeisterungsgesellschaften Deine Pflichten versäumt und musst dafür in exemplarischer Weise bestraft werden.

LIRÁNDULA.

Ich bin es wie so viele andre Bürger müde geworden, mich für eine Welt zu begeistern, in der es so viel Jammer und Elend – Gemeinheit und Erbärmlichkeit gibt. Was geht mich die allgemeine Begeisterung an? Es ist mir gänzlich gleichgiltig, ob sich die Andern begeistern oder nicht. Dirigiere Deine Begeisterungsgesellschaften selber. Ich wünsche Dir viel Vergnügen dazu. Aber sei überzeugt: derjenige, der die Stirn hat, all den ekelhaften Lebensdreck, den wir auf so vielen Sternen kennen gelernt haben, noch weiter als eine imposante Grossartigkeit zu feiern, ist ein erbärmlicher – stinkend gemeiner Lump, der einfach ausgepeitscht werden sollte.

IHLEFELD.

Lirándula ist ohne Zweifel die grösste Rednerin aller Zeiten – nu rede Du, Bürgermeister. Ich glaube, Ihr würdet zusammen ein oratorisches Ehepaar allererster Güte bilden.

[163]
THEODOR
zu einem Diener.
Bring mir mal einen Stuhl.
IHLEFELD.
Ach was? Willst Du aufn Stuhl steigen?
THEODOR.
Ich will mich auf den Stuhl – setzen.

Setzt sich auf einen Bambusstuhl mit Armlehnen recht umständlich hin.
KÖNNICKE
nach hinten rufend, wo Bürger und Beamte die Köpfe zusammenstecken.

Kommt doch näher, liebe Freunde! Unser Bürgermeister will eine Rede reden. Einzelne kommen langsam weiter nach vorn.

THEODOR.

Wir können die Zustände, die uns in der Welt als unglückliche erscheinen, mit sehr verschiedenen Augen ansehen. Es steht uns frei, heute ein Unglück für beklagenswert und morgen für bewundernswert zu halten. Wer aber behaupten will, dass das Unglück in der Welt Alles überschwemmt – sieht nur nach einer Seite; jeder Gutwillige muss zugeben, dass jedes Unglück, wie's auch sei, immer und ewig auch ein paar gute Seiten zeigt. Wer diese nicht sieht, ist blos zu faul, sie zu suchen. Der Pessimismus ist die Philosophie der Faulheit, und der will ich den Hals brechen. Ich will Euch zwingen, die guten Seiten aller Dinge zu entdecken. Wenn Ihr das nicht gutwillig tut – gut – so verheirate ich Euch mit unsern Fremden; und diese sogenannten Ungeheuer werden Euch schon so lange quälen, bis Euch die guten Seiten an allen Dingen sichtbar werden.

JIJAJÓPSI
stürmisch herbeilaufend.

Onkel Theodor! Mit diesem Kuck will ich nicht länger zusammensein. Der Kerl weint ja immer – so was kann ich nicht vertragen.

THEODOR
aufstehend zwei Dienern winkend.
Bindet Jijajópsi mit der Lirándula zusammen – aber mit Ketten!
JIJAJÓPSI
während er mit der Lirándula zusammengebunden wird.

Theodor, Du hast die feinsten Einfälle! Du bist einfältig! Ich glaube, die Kameelsmenschen werden bald alle von der Grossartigkeit der fliegenden Stadt überzeugt sein. Und das genügt ja schon. Was brauchen wir viel über die Welt nachzudenken? Die Welt ist doch viel zu gross.

LIRÁNDULA
plötzlich lachend.
Mein edler Gemahl, wie heisst Du denn?
[164]
JIJAJÓPSI.
Ich heisse Jijajópsi – und Du?
LIRÁNDULA.
Ich heisse Lirándula – Direktrice.
JIJAJÓPSI.
Na, Dein Name ist ja lang genug.
THEODOR
mit hocherhobenen Armen.
Ich segne Euch!

Vorhang!

3. Akt

Dritter Akt

Oefters Windgesause und Gepfeife in der Luft – besonders während der längeren Rede.
Im Himmel sinken bunte Wolken, die zuweilen von hellen Sonnenstrahlen durchquert werden, langsam in die Tiefe.
Die Seitenwände wie im ersten Akt.
Verschleierte Lampions in gleicher Höhe – auch hinten vor dem Himmel. Die Schleierfarben verschiedene grelle Grüns.
Kleine Bambustische und violette Halbkugelhocker.

THEODOR
Dem Könnicke gegenübersitzend.

Die Welt, wie sie uns erscheint, ist nach allen Richtungen unendlich gross – und diese Unendlichkeit, von der wir ringsum umgeben sind, ist niemals zu durchdringen – da ist nirgendwo durchzukommen. Und eine solche Welt soll nicht grossartig sein?

KÖNNICKE.
Ja doch – aber ...
THEODOR.

Und diese Unendlichkeit ist blos eine einzige Form, in der sich die grosse Welt zeigt; sie kann sich noch in unendlich vielen andern Formen zeigen. Ist das noch immer nicht grossartig genug?

– – – – – – – – – – – – –

KÖNNICKE.
Sehr richtig! Die Welt kann sehr grossartig sein. Ist aber deshalb unser Leben auch grossartig?
THEODOR.

Schweres Brett! Leb in der Welt ein Weltleben – und [165] Dein Könnickeleben wird auch ein grossartiges Leben sein.

IHLEFELD
eiligst herbeikommend.

Lieber Bürgermeister, ich komme als Abgesandter! Deine neuen Ehepaare können sich nicht vertragen; sie wollen Dir ihre liebe Not zu klagen geruhen. Willst Du sie empfangen?

THEODOR.

Jawohl, ich bin grade in der richtigen Stimmung. Ich werde ihnen schon heimleuchten. Lass sie nur kommen.

IHLEFELD
eiligst abgehend.
Sie werden gleich da sein.
KÖNNICKE.

Mein Könnickeleben! Er steht auf und geht nach hinten – die Ehepaare erscheinen; sie gehen zum grösseren Teile frei neben einander, mehrere sind aber mit Stricken und klirrenden Ketten an einander gefesselt; die Fremden, die Lebewesen aus verschiedenen Sternwelten sind, unterscheiden sich von den Bürgern der fliegenden Stadt hauptsächlich durch besondere Kopfformen und durch buntere Trachten. Die Kopfformen können vogelartig und tierartig – mit und ohne Hörnerschmuck sein, können auch blos groteske Gesichtsmasken oder Flügel, Rüssel, besondere Arm- und Beinbildungen oder Aehnliches zeigen. Auch Riesen und Zwerge können dabei sein und sechsfüssige Rüsseltiere u.s.w. Die Anzahl der Paare ist gleichgiltig – nur ist das Zuviel im Grotesken weniger zu fürchten, als das Zuwenig. Allen voran Lirándula und Jijajópsi.

LIRÁNDULA.

Mir ist es einfach unmöglich, immerfort mit Idioten zu verkehren. Ich kann nicht mehr, erlöse mich – oder ich werde einfach wahnsinnig. Ein solches Leben ist einfach nicht zu ertragen; es geht nicht.

DIE ANDERN
durcheinander, während sie sich rechts und links auf den Halbkugeln, auf den Tischen und auf dem Fussboden niederlassen.
Es geht nicht! Es geht nicht! Sie murmeln und murren.
THEODOR
geht langsam nach hinten und dabei Alle lange mit Blicken durchdringend, kommt wieder nach vorn und geht wieder nach hinten und bleibt dann hinten in der Mitte stehen und dreht sich plötzlich um.

Alles erschrickt und verstummt. Es geht nicht! Ja – wenns nach Euch ginge, würde Garnichts gehen. Es geht aber nicht nach Euch – und deshalb geht Alles. [166] Hört blos aufmerksam – recht aufmerksam zu – und Euch wird in ein paar Augenblicken Alles ganz anders vorkommen. Ihr sollt verzaubert werden. Nun hört mich freundlichst an! Alles Folgende unregelmässig im Tempo – stellenweise sehr schnell. Die Bewohner der fliegenden Stadt mitsamt den Fremden tun so, als wenn sie nicht mit einander auskommen könnten. Sie denken also: es geht nicht! Und es geht doch! Die Unzufriedenen haben ja blos – ihre Instruktion noch nicht ordentlich begriffen. Die Instruktion verlangt, dass die Bürger den Fremden die Grossartigkeit der Welt plausibel machen. Was heisst das aber? Das heisst: die neuen Ehepaare sollen sich gegenseitig immer weniger bemerkbar werden; sie sollen eben zusammen ihre Gedanken hinaustragen in die grosse Welt; sie sollen eben ein ganz andres Leben zu leben beginnen – ein Weltleben! – ein grosses Weltleben!

LIRÁNDULA.
Ja – wenn das so ginge!
THEODOR.

Das Weltleben ist ein Leben, in dem es kleinliche persönliche Zwistigkeit und Traurigkeit nicht mehr gibt. Sehr schnell das Folgende. Ist Euch das immer noch nicht klar? Begreift Ihr immer noch nicht, dass Ihr, wenn Ihr Euch pedantisch an die Instruktionen klammert, alle Traurigkeit und alle Weltverachtung verlieren müsst? Ihr müsst eben weit draussen ausser Euch leben. Was ist denn das Leben in einem Kopfe? Das ist doch blos ein sehr simples kleinliches Leben. Ihr müsst danach streben, in Tausenden von Köpfen zu gleicher Zeit zu leben. Langsamer. Und dann müsst Ihr danach streben, nicht blos in möglichst vielen Köpfen – sondern auch in möglichst vielen Sternen – und schliesslich in möglichst vielen Weltformen zu leben. Das Dasein, das Ihr bislang kanntet, war doch nur ein Ineuchsein. – Und ein solches Dasein ist doch nur ein Vorspiel für das Dasein, das ein Auseuchherausgegangensein ist. Auf das Aussichherausgehen läuft doch der ganze Zweck der fliegenden Stadt hinaus. Daher haben wir hier das eine einzige grosse Evangelium von der Grossartigkeit der Welt – jener Welt, die eben ausser uns ist – und in die wir hineinmüssen.

[167]
KÖNNICKE.
Das ist aber nicht so leicht.
THEODOR.

Natürlich! Wer in sich selber eingekapselt bleibt, wird ein Leidtragender sein und Alles für sehr schwer halten. Hastig und heftig. Wer aber aus sich rauskommt, wird empfinden, dass das Weltall ringsum immer herrlicher wird – und dass es einfach lächerlich ist, die Herrlichkeit der unendlichen Welt zu bezweifeln. Auf die Kniee, Ihr Undankbaren! Einzelne tuns. Das Folgende wieder sehr schnell. Die Welt, wie sie uns erscheint, ist nach allen Richtungen unendlich. Und diese Welt mit der Unendlichkeit nach allen Richtungen, in der sich alles Denkbare als ein Wirkliches zeigen kann – sie soll Euch nicht grossartig genug sein?Plötzlich weich. Ich bitte Euch: kniet nieder! Ihr tragt den Kopf zu hoch. Die meisten der Versammelten knieen nieder. Ihr seid nicht wert, dass Ihr lebt, wenn Ihr noch ein Mal zweifeln wollt – an der ungeheuerlichen allmächtigen Grossartigkeit des Weltlebens. Rauh. Wozu schert Ihr Euch um Euer kleines albernes Eigenleben? Lebt ein Weltleben – und Alles ist gross und gewaltig. Geht aus Euch raus – und hinein ins All.

LIRÁNDULA
kniet auch nieder.
Hinein ins All!
THEODOR
langsamer.

Im All ist der unendliche Raum noch nicht das Letzte. Der unendliche Raum ist nur eine einzige Daseinsäusserung des Alls; das All kann sich noch in unendlich vielen anderen Formen äussern. Wieder sehr schnell. Und wenn Ihr immer weiter hineinragt in die grosse All- Welt – so findet Ihr doch nirgendwo ein Ende! Alles wird immer gewaltiger und grösser. Und dieses Weltall Mit dem Fusse aufstampfend. soll nicht grossartig sein? Das soll nicht grossartig sein? Auf die Kniee! Auf die Kniee! Sonst trifft Euch der Blitz! Alle sind jetzt auf die Kniee gesunken. Nähert die Stirne langsam dem Boden! Alle tuns – Theodor hebt seine Arme hoch auf, dreht sich langsam um und bleibt in Adorantenstellung vor dem bunten Himmel stehen. Ein paar Strahlen erleuchten Theodors Pyramidenhut, seine Hände und seine Arme.


Vorhang!
[168]

4. Akt

Vierter Akt

Auf hellblauem Himmelsgrunde ziehen goldene schlangenartig gebogene Streifen von rechts nach links.
Weisse Kugellampions mit roten Flecken in verschiedener Höhe. Zwei runde Tische vorn rechts und links, hinter jedem eine lange Polsterbank.
Auf der linken Bank sitzt Theodor, auf der rechten Ihlefeld.

IHLEFELD.

Siehst Du – das hast Du nun von Deiner langen Rede. Jetzt bist Du genau so klug wie ich – der ich Garnichts tue – wie ich, dem schon seit Jahrtausenden alle Dinge der Welt ganz gleichgiltig sind. Kümmere Dich doch nicht um Deine Amtsgeschäfte. Was geht Dich Dein Amt an? Alle Leute wollen ja nur ihre Ruhe. Lass doch Alles gehen, wie es will.

THEODOR.

Das klingt ja sehr vernünftig. Aber ich will doch nur, dass Alle vergnügt und heiter werden. Das ist doch nichts Böses. Hat denn meine Rede Garnichts genützt?

IHLEFELD.

Etwas doch: jetzt sind Alle vom Gegenteil überzeugt! Jeder glaubt nun, dass er sich nur um sein wertes Ich zu bekümmern habe und die Welt ganz unbeachtet lassen müsse.

THEODOR.

Das könnte zuweilen auch ganz gut sein – ja! Aber, lieber Ihlefeld, die Geschichte wird mir allmählich langweilig.

IHLEFELD.

Das war mir eigentlich immer jede Geschichte. Aber ich habs doch stets ganz heiter aushalten können. Jijajópsi ist übrigens mit Lorbeeren umkränzt und hält sich jetzt für einen Schwerenöter. Und die Lirándula stimmt ihm in allen Fragen bei – mit Innigkeit.

THEODOR.
Dann könnte ja dieses Kameelsmensch Bürgermeister werden.
IHLEFELD.

Lass lieber die Lirándula Deine Mütze tragen; dem Jijajópsi sitzt sie nicht; der hat einen zu grossen Kopf.

THEODOR
klingelt, und ein Diener erscheint.
Hol mir den Herrn Oberweltlotsen Kuck. Diener ab.
[169]
IHLEFELD.

Eigentlich kannst Du Dich doch nicht wundern, wenn in einer Zeit, in der Alles still steht, ein Vorwärtstreibender nicht sympathisch begrüsst wird.

THEODOR.
Und diese Ruhe in einer fliegenden Stadt!
IHLEFELD.
Lass Sie mal still stehen – auch still stehen.
THEODOR
zum eintretenden Kuck.
Ist ein Stern in der Nähe?
KUCK.
Ja, wir kommen dicht an einem Kalkstern vorbei.
THEODOR.
Wird der Kalkstern von vernünftigen Wesen bewohnt?
IHLEFELD.
O Du Vernünftigkeit!
KUCK.

Der Kalkstern wird von grossen Springtieren bewohnt, deren einziges Vergnügen Saltomortals sind; die Tiere machen oft bei einem Sprunge an die neun hundert Saltomortals.

THEODOR.
Und was tun die Tiere ausserdem?
KUCK.
Sie turnen zuweilen, um ihre Muskeln zu stärken.
THEODOR.
Sind die Tiere Fleischfresser?
KUCK.
Sie fressen nur Kalkpilze.
THEODOR.
Schön! Du kannst gehen. Halt in der Nähe an, wenn wir so weit sind.
KUCK.
Wir sind in fünf Minuten da.

Kuck ab. Theodor klingelt wieder, und der Diener erscheint noch mal.
IHLEFELD.
Diese springenden Tiere scheinen Dir um ihrer Lebhaftigkeit willen ein grosses Interesse zu erregen.
THEODOR
zum Diener.
Hole Könnicke, Lirándula, Jijajópsi und die älteren Stadträte. Diener ab.
IHLEFELD.
Willst Du schon wieder eine neue Rede reden? Du wirst noch heiser werden. Schone dich doch.
THEODOR.
Dir kann das doch ganz egal bleiben, ob ich heiser werde oder nicht.
IHLEFELD.
Allerdings – es ist mir auch ganz egal.

Geht langsam ab, während Könnicke, Jijajópsi, der mit Lorbeeren umkränzt ist, und Lirándula kommen.
THEODOR.

Lieber Könnicke, mach bitte bekannt, dass die neuen Eheschliessungen, die ich eingeführt habe, wieder abgeschafft werden.

[170]
ALLE.
Ah!
THEODOR.
Ich sehe leider ein, dass sich der Humor nicht erzwingen lässt.
KÖNNICKE.

Aber Theodor! Wie danke ich Dir, Theodor! Die ganze Stadt ist auch bereits in hellem Aufruhr; man wollte schon das Ratshaus stürmen. Ich eile, um zu beruhigen.


Ab.
THEODOR
die älteren Ratsherren durch Handschütteln begrüssend.
Wie freue ich mich, dass ich meine alten Freunde wiedersehe.
LIRÁNDULA
während sie sich von einem Diener die Ketten abmachen lässt und so von Jijajópsi frei wird.

Lieber Jijajópsi, es wird mir die kurze Zeit unsrer Ehe für mein ganzes Leben unvergesslich bleiben. Grosses Freudengeschrei der Völker hinter der Scene von unten dumpf herauftönend.

THEODOR.

Jetzt also sind Sie frei, meine Herrschaften. Jetzt können Sie auch frei bleiben. Meinetwegen können sie fürderhin von der Welt und von Ihrer eigenen hochgeschätzten Persönlichkeit denken, was Sie Lust haben. Es wird mir nie wieder einfallen, andern Leuten meine Meinung aufzwingen zu wollen. Bleiben Sie so trauerklossig, wie's Ihnen beliebt. Entschuldigen Sie gütigst meine Aufdringlichkeit. Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen eine kurze Zeit hindurch lästig fiel. Es soll nie wieder geschehen.

ALLE
durch einander.
Aber ich bitte Sie, Herr Bürgermeister! Theodor! Alter Freund! So schlimm wars ja nicht.
THEODOR.

Meine liebe Lirándula, gestatte gütigst, dass ich Dir meine Würde übergebe. Erstauntes Gemurmel der Räte. Nimm Deinen Federhut ab. So! Und lass Dir meinen Pyramidenhut aufs Haupt drücken. So! Regiere Du fortan die Bürger, Ratsherren und Fremden der fliegenden Stadt! Und – tu das nur mit Sanftmut und Gelassenheit und pass auf, dass Keiner den gemütlichen Gang ihres Lebens störe. Und Ihr, verehrte Ratsherren, setzt mir gefälligst ein Denkmal. Wir halten, wie Ihr schon bemerkt, an – und ich springe auf den Kalkstern, den wir da drüben ganz in der Nähe sehen können. Diener! Diener! Schnell das Sprungbrett! Die Diener legen ein Sprungbrett [171] hinten zurecht. Die Ratsherren schütteln mit dem Kopfe – Könnicke kommt.

KÖNNICKE.
Theodor, wo willst du hin? Wo ist Dein Pyramidenhut?
THEODOR.
Huldige der Lirándula! Ich springe auf den Kalkstern! Lebt wohl!

Er rennt übers Sprungbrett und springt hinunter.
ALLE
wild durch einander schreiend.
Theodor! Theodor! Theodor!
KÖNNICKE
nach vorn kommend mit Lirándula und Jijajópsi.

Lirándula! Er fällt vor ihr auf ein Knie und küsst ihr die Hand, Jijajópsi tut es auch – die Ratsherrn beugen sich hinten in malerischen Gruppen weit über die Segeltuchgeländer und starren in die Tiefe. Die Wolken stehen ganz still.


Ende!
[172]

Der vornehme Räuberhauptmann
Ein Bühnenspass in drei Aufzügen

Personen

Personen.

    • Graf Knoblauch, Räuberhauptmann.

    • Knussel, Räuber.

    • von Meiersprung, Räuber.

    • Merribûr, Räuber.

    • Klatsch, Räuber.

    • ein Lord.

    • ein Polizei-Inspektor.

    • ein Gensdarm.

    • verschiedene deutsche Dichter, Kellner und Strassenkehrer.

1. Akt

Erster Aufzug

Zwei Zeltwände, die hinten im rechten Winkel zusammenstossen. Die Wände sind lose hängendes faltiges Tuch. Im rechten Winkel kann das Tuch auseinandergeschlagen werden. Möglichst prächtiges Tuch.
Rechts Knoblauch mit langen roten Bartkotelettes in einem Triumphstuhl – rauchend und Zeitung lesend. Er ist sehr elegant nach der neuesten Mode gekleidet. Links hängt an einem Kleiderständer sein Zylinder, Ueberzieher, Regenschirm und Perspektiv.
Knussel und von Meiersprung bringen einen gefesselten Lord herein. Knoblauch springt erfreut auf und verbeugt sich sehr höflich.

[173]
KNOBLAUCH.

Serr erfreut, Sie kennen zu lernen. Bitte Pardon for mein ausländisches Akzent. Ich bin ein deutscher Graff und serr vorrnehm, spräkke wie ein Weltmann mit internationales Akzent. Jedder ächte Deutschmann muss speak Weltsprak – weil old Germany Weltreich. Disse Art, sick zu drücken aus, itzo serr moddern und vorrnehm. Knussel, nimm doch dem Herrn Lord die Fesseln ab, dass er kann rauk min Ziehgarr. Bietet ihm eine Zigarre und ein brennendes Streichholz an. Mon Nom is Knoblock. Vive la vie!


Der Lord steckt sich die Zigarre an und wird durch von Meiersprung mit der Flinte von hinten erschossen.
LORD
ärgerlich.
Die Ziehgarr fällt. Fällt selbst und stirbt.
KNOBLAUCH.
Gesicht und Extremmitäten janz unkenntlich maken und die Kleidderchens vergrabben.

Der Lord wird von den beiden Räubern hinausgetragen.
KNUSSEL
kommt gleich zurück.
Das Geld haben wir ihm schon abgenommen; hier ist es. Gibt dem Knoblauch eine Brieftasche.
KNOBLAUCH.

Disse Monneten werden morjen Abbend unter Euch Viere verteilt – ick will nix davon prendre – ick will nurr habben eine neue Ziehgarr.

KNUSSEL.
Serr vornehm!

Ab.
KNOBLAUCH
sehr laut.
Merribûr! Klatsch! Merribûr und Klatsch treten ein.
MERRIBÛR.
Guten Morgen, Räuberhauptmann.
KLATSCH.
Guten Morgen, Herr Graf.
KNOBLAUCH.

Gutten Morjen, Kinders! Ick will vertellen Euck something entre nous! Hier find ick zwei Zettel von Knussel und Meiersprung – die wollen Euck totschlaggen mit Hammer und Grannitt. Gibt ihnen die Zettel. Gehet raus und schiesset die Verräter vorrherr dot. Abber vorrnehm – von hinten!


Merribûr und Klatsch mit wütenden Gebärden ab – Knoblauch ladet schnell eine Doppelflinte und horcht. Zwei Schüsse ertönen kurz hinter einander – er macht darauf eine Spalte im linken Wandtuch, steckt die Flinte durch und schiesst auch zwei Schüsse ab.
[174]
KNOBLAUCH
stellt die Flinte weg und zieht sich den Ueberzieher an.

So – so – ita! Italiano! Italiano! Itzo sein die vier Räubber dot – mausedot. Und derr Lord wird, da err verstümmelt ist, för den Räubberhauptmann gehalten werden. Ick kann go. Mirr tutt nurr die Ziehgarr leid. Hängt sich das Perspektiv um. Nurr nich die Monnetten verjessen! Steckt die Brieftasche ein und setzt sich den Zylinder auf und geht hinten ab. Aber zwischen den Tüchern hält er noch einmal inne, dreht sich um und zieht den Zylinder mit dem Blick auf den Triumphstuhl. Räuberlebben, lebbe woll! Du warrst mirr nich vorrnehm genuck! Zylinder schwenkend mit zum Himmel gerichteten Augen. Thallatta! Thallatta! Sei mirr jeküsst uff Bauck!


Vorhang!

2. Akt

Zweiter Aufzug

Kahles Polizeilokal – Polizei-Inspektor am Aktentisch – viel Gerümpel – Knoblauch kommt gravitätisch herein.

KNOBLAUCH.
Gutten Morjen, Monsieur!
POLIZEI-INSPEKTOR steht auf. Was steht zu Diensten?
KNOBLAUCH.

Ah! Sehr gutt, dass Sie kennen deitsch in Idalia! Háhaha! Ick bin deitscher Jraff, spräck abber mit internationales Akzent, weil das is serr vornehm und moddern – und pahdriodisch, Empfelle Euck internationalles Akzent – dammit is zu maken guttes Jeschäft bei old Germany.

POLIZEI-INSPEKTOR. Ich habe leider keine Zeit zu verlieren. Was steht zu Diensten?

KNOBLAUCH
setzt sich auf einen Stuhl und betrachtet den Inspektor mit Stiellorgnette.
Serr gutt!
POLIZEI-INSPEKTOR. Was wollen Sie denn eigentlich, mein Herr?
KNOBLAUCH.
Die Belohnung will ick habben.
[175]
POLIZEI-INSPEKTOR. Welche Belohnung?
KNOBLAUCH.
Drei mal hundert Dausend Francs.
POLIZEI-INSPEKTOR. Sie sind wohl verrückt.
KNOBLAUCH.
För de Beleidijung eines deitschen Jraffen habben Se zu zallen – blos fönf hondert Francs.
POLIZEI-INSPEKTOR. Ich habe Sie nicht beleidigt.
KNOBLAUCH
erregt aufspringend.
Wat? Se meenen woll, ick bin ut Dummsdorf – wat?
POLIZEI-INSPEKTOR. Wenn Sie jetzt nicht vernünftig reden, so werde ich Sie anders behandeln.
KNOBLAUCH.
Why? Ick habbe fönf Räubers dotgeschossen – mausedot – mit Mausergewerr. I go always into the black.
POLIZEI-INSPEKTOR. Was? Die fünf Räuber aus den Abbruzzen?
KNOBLAUCH.
En effet! Jawoll! Now werrden Se heflich – nit?
POLIZEI-INSPEKTOR. Allerdings, mein Herr, wenn das ist –
KNOBLAUCH.
Gensdarm draussen vorm Dohr! Der vertellt die Historia!
POLIZEI-INSPEKTOR. Wo?
KNOBLAUCH.

Buten! Draussen! Der Polizei-Inspektor stürzt hinaus und kommt gleich mit dem Gensdarm hinein – sie sprechen hastig italienisch mit einander.

POLIZEI-INSPEKTOR. Mein Herr, Sie haben tatsächlich die 300000 Francs zu bekommen – sofort! Gehen Sie bitte zum deutschen Gesandten mit diesem Schein.


Er schreibt schnell was auf und gibt es dem Knoblauch.
KNOBLAUCH.
Werrden Sie sich angewönnen Internationales Akzent? Pêle-Mêle! Janz leicht zu lörnen!
POLIZEI-INSPEKTOR. Ja, mein Herr, wenn Sie mich nicht wegen Beleidigung verklagen.
KNOBLAUCH.
No, Sir! Ick make Se zum Direkter miner Konstonterstötzungsanstalt. Wollen Se? Will you?
POLIZEI-INSPEKTOR. Mit Vergnügen.
KNOBLAUCH.

Ick zalle fönfzig Dusend Francs för de deitschen Könstler, de in Idalia nich Jeld genuck habben för Wein, Abbendbrott und gutte Ziehgarrs. Sie, Mynheer Direkter, habben de verdammte Pflicht und Schuldigkeit – den deitschen [176] Kinstlern jenne drei Erheiterungsjeggenstände alle Abbend bei bonten Lampions grattis to verabfolken. You understand!

POLIZEI-INSPEKTOR. Meinen herzlichsten Dank!

KNOBLAUCH.
Sir! Weltsprak!
POLIZEI-INSPEKTOR. Thank you! Thank you very much!
KNOBLAUCH.

International please! For ever! Altid! För alle Ewigkeit! Wietsche watsche – watsche wietsche! Gutten Morjen!


Der Gensdarm verbeugt sich und erhält Banknoten, der Polizei-Inspektor verbeugt sich ebenfalls immerzu. Der Gensdarm öffnet hinten die Türe – und der Graf Knoblauch geht gravitätisch hinaus, während die Beiden sich immerzu verbeugen.
Vorhang!

3. Akt

Dritter Aufzug

Auf der Strasse vor dem Portalzelt eines Berliner Hotels. Knoblauch kommt mit einer kleinen Zahl »bekannter« deutscher Dichter, die sämmtlich Zylinder tragen und sehr fidel sind, nach Hause und will sich von seinen Begleitern verabschieden. Morgengrauen.

KNOBLAUCH.

Serr erfreut, mine gutten Hörrschaften, dass Se mich nach Hause gebbracht habben. Gestatten Se mirr, dass ick Ihnen gebbe Diamantdossen zum Angedenk an dissen Abbend. Se sind wöltbekannte deitsche Dichter – und ick bin Ihr Mäcen – your Mäcenas! Wenn ick nich wärre jekommen Er verteilt eifrig blitzende Zigarettenetuis. so wärre die deitsche Litteratur längst futschikato. Ick – seien Se öhrlich! – ick musste kommen. Ick habbe Ihnen widder uff die Beene geholfen. Na – schadet nix. Ick kam zor ricktigen Zeit – Time is money. Die [177] deitschen Dichter sollen hoch lebben! Hoch! Alle schreien drei Mal »Hoch!« Strassenkehrer kommen herbei.

EIN STRASSENKEHRER.

Du, Aujust, biste nich ooch en deitscher Dichter? Goh doch henn und vertell dat dem Herrn mit den roden Kotelettes.

ZWEITER STRASSENKEHRER
nimmt die Mütze ab und sagt.
Gnädiger Herr, ick bin ooch een deitscher Dichter. Schenken Se mir doch ooch wat.
KNOBLAUCH.

Infamer Bengel! Was verstehst Du vom internationalen Akzent? Gibt ihm eine schallende Ohrfeige, dass er gleich hinfällt – Die Strassenkehrer schreien und ziehen das Messer – Knoblauch zieht seinen Revolver – und die Strassenkehrer – auch der Geohrfeigte – laufen schreiend davon. Die Dichter stehen ganz starr da.

EIN DICHTER.
Graf Knoblauch – Hurrah!

Alle schreien Hurrah.
KNOBLAUCH.

Schlaffen Se woll, mine gutten Hörrschaften! Alle Zylinder werden in der Luft herumgeschwenkt. Und vörgessen Se nich den vorrnehmen internationalen Akzent! Thallatta! Thallatta! Wietsche watsche! Vörgessen Se ooch nich mine Monnetten! Juten Morjen! Schlaffen Se woll! Gravitätisch durchs Kellnerspalier ins Hotel.


Vorhang!
[178]

Geheimnisse
Eine Pantomime ohne Musik

Personen

Personen.

    • Eine geheimnisvolle Dame und viele fremdartige Fabelwesen.

[Stücktext]

Eine geheimnisvolle Dame sitzt mitten auf der Bühne – aber möglichst weit nach vorne – – vor einem grossen Glastisch. Auf dem Glastisch liegen ein paar Dutzend farbige Glasstücke, die in verschiedenen Formen geschliffen sind und keine Wölbungen zeigen – nur glatte Flächen und scharfe Kanten, sodass die Glasstücke vielfach an- und aufeinander gelegt werden können. Die geheimnisvolle Dame schiebt nun auf der glatten Glasplatte des Glastisches die farbigen Glasstücke bald dahin und bald dorthin, legt sie auf einander und an einander. Bei diesem Spiele sind die sehr schönen langen Hände der Dame immerfort in ausdrucksvoller Bewegung; die Finger bewegen sich öfters so wie beim Klavierspiel – aber nicht so, dass es wie eine Nachahmung des Klavierspiels aussieht. Das Spiel soll eine ausdrucksvolle Hand-Pantomime werden, die noch dadurch zuweilen erhöht und bereichert wird, dass farbige Lichter aus der Tiefe durch die durchsichtige Glasplatte des Tisches durchlugen und Steine, Hände, Arme und Gesicht der Dame farbig beleuchten – wie beim Serpentintanz. Doch bei dieser Beleuchtung sind die prismatischen Effekte derart vorwiegend, dass ein Vergleich mit dem Serpentintanz nicht aufkommen kann – zumal grade die Hände am wenigsten beleuchtet werden dürfen, damit die Hand-Pantomime im Mittelpunkt [179] bleibt; das farbige Lichtspiel soll zu diesem nur den Rahmen bilden.

Vor dem Tische liegen schwarze Steine, die bis zum Rande der Platte hinaufreichen, sodass die Beleuchtungs-Apparate unter der gläsernen Tischplatte nicht sichtbar werden.

Eine zwei bis drei Meter hohe weisse ganz kahle Mauer geht ein gutes Stück rechts und eine ebensolche Mauer ein gutes Stück links vom Tische nach hinten; beide Mauern rechtwinklig zur vorderen Bühnenrampe. Hinten geht quer ebenfalls eine zwei bis drei Meter hohe Mauer, die an die beiden Seitenmauern hinten rechts und links rechtwinklig anstösst. In der hinteren Wand befinden sich rechts und links zwei rechtwinklige Türöffnungen, hinter denen es dunkel ist.

Der Raum zwischen der linken weissen Mauer und der linken Bühnenwand ist durch zwei bis drei Meter hohes Gestrüpp verdeckt, ebenso der Raum zwischen der rechten weissen Mauer und der rechten Bühnenwand. Dieses Gestrüpp ist aber bunt und korallenartig und erinnert durchaus nicht an Bäume und Sträucher; einzelne Korallenäste haben groteske menschenund tierähnliche Köpfe.

Was sich hinter dem Gestrüpp befindet, ist nur schwach beleuchtet und zeigt unbestimmte Formen, die aber durch seltsame Auswüchse das Phantastische des alten Wundergartens wirksam betonen.

Nun kommen durch die beiden hinteren Türeingänge ein paar fremdartige Fabelwesen mit goldenen Leitern, die sie an die rechte und linke weisse Mauer stellen und hinaufklettern. Wie die Fabelwesen hinüberblicken können, zeigen sie grosses Entzücken, ein paar Leitern werden hinübergehoben – und die Fabelwesen verschwinden hinter der Mauer, ohne die Dame zu beachten. Ein paar der Leitern bleiben auf der sichtbaren Seite der beiden Mauern stehen.

Dann kommen andere Fabelwesen und bemerken die Dame und wollen sie veranlassen, auch über die Mauern zu klettern. Die Dame will aber nicht und bleibt bei ihrem Glasspiel.

Da werden einzelne der Fabelwesen, deren Köpfe, Arme und [180] Beine ganz grotesk sind und mehr Ungeheuer ähnen, sehr heftig und binden der Dame die Hände auf dem Rücken zusammen. Die Dame starrt immerfort in ihren Glastisch hinein und bewegt den Kopf so ausdrucksvoll, das nun eine Kopf-Pantomime entsteht.

Da werden die Ungeheuer ganz wild und binden der Dame ein Tuch vor die Augen. Danach bricht die Dame sofort ohnmächtig zusammen.

Die Ungeheuer bemühen sich, die Ohnmächtige wieder zum Bewusstsein zu bringen. Es gelingt, und die Dame setzt gleich wieder ihr Spiel fort.

Da steigen die Ungeheuer wütend alle auf die Leitern und oben hinüber in den Garten; einzelne der Ungeheuer bleiben aber auf der Gartenmauer und auf den Leitern sitzen und zeigen ihr Entzücken in pantomimischer Form.

Die Köpfe der Ungeheuer haben keine Mäuler, wodurch ihre pantomimische Ausdrucksweise gerechtfertigt erscheint.

Der Garten hinter den drei Mauern wird nun mystisch beleuchtet, und ein paar Ungeheuer, die auf der Mauer sitzen, lassen sich ein paar bunte Scheinwerfer hinaufreichen und beleuchten mit diesen die Dame, um sie hinüberzulocken. Aber diese Scheinwerferbeleuchtung bringt die Dame in die grösste Ekstase, sodass sie jetzt mit erneutem Eifer die Glasstücke hin und her schiebt und sie zu kaleidoskopartigen Wirkungen zusammenstellt und in Bewegung bringt.

Da reisst den Ungeheuern auf der Mauer die Geduld, sie kommen hinunter und nehmen ihr alle Steine weg und steigen mit diesen über die Mauer und lassen die Scheinwerfer durch die Steine durchleuchten.

Die Dame ist erstaunt aufgestanden, sieht ihre Steine oben auf der Mauer und steigt nun hinauf, um sich die Steine wieder zurückzuholen. Alle verschwinden hinter den beiden Mauern.


Man sieht einige Zeit hindurch hinter allen drei Mauern grosse Flammenspiele und bengalische Beleuchtung und dann erscheint die Dame wieder auf der Mauerbrüstung und steigt [181] auf einer Leiter langsam hinunter, setzt sich wieder an ihren Glastisch, legt erst den Kopf in die Arme – und schnellt dann plötzlich empor und beginnt mit den Händen so zu spielen, als wären die Steine noch da.


Währenddem sind wieder ein paar Ungeheuer auf der Mauer sichtbar geworden und beleuchten die Dame mit den Scheinwerfern und mit den Glassteinen, sodass sie plötzlich sich umblickt, aufspringt, hoch überm Kopfe die Hände ringt und danach wieder ohnmächtig zusammenbricht.


Nach diesem zweiten Ohnmachtsanfall kommen die Ungeheuer mit allen Steinen wieder hinunter, bringen die Dame wieder zum Bewusstsein, setzen sie wieder an ihren Tisch, geben ihr mit komischen Verbeugungen die Steine zurück und steigen dann kopfschüttelnd über die Mauern und verschwinden da.


Und die Dame setzt ruhig ihr Spiel fort, während es hinter den Mauern geheimnisvoll aufleuchtet, wobei bunte Dampfwolken und flatternde glitzernde Glasvögel sichtbar werden.


Die Dame wird plötzlich sehr erregt und starrt voll Entsetzen in ihre Glasplatte und hebt die Hände dabei zitternd hoch auf.


Und dabei geht langsam der Vorhang runter.
[182]

Band V

Die lustigen Räuber
Ein Schauspiel in fünf Akten

Personen

Personen.

    • Katharina Kittel, feine Dame.

    • Meta von Lohmeyer, feine Dame.

    • Hannibal Plagemann, Räuber.

    • Max Pax, Räuber.

    • Theophil Knipski, Räuber.

    • Schlammberger, Räuber.

    • Reitzer, Räuber.

    • Finkenstein, ein Geheimpolizist.

    • Strick, ein Zwerg.

    • Kellner, Bettler und Vagabunden.

1. Akt

Erster Akt

Kahles Zimmer mit drei weissen Wänden. Hinten Türe. Vorne grüner Tisch und ein Geldschrank. Fünf Stühle. Hängelampe überm Tisch, auf dem viel Papier und Zeitungen, Tintenfässer, Weingläser, Flaschen etc.
Katharina und Hannibal.

[183]
HANNIBAL.

Aber Käthchen! Darüber sind wir doch im Klaren, dass die Frauen überall die erste Rolle spielen sollten. Was ist denn ein sogenannter Mann? Ein busenloses Lebewesen, dem es an der nötigen Intelligenz mangelt, im Kampfe ums Dasein sich selbständig zu behaupten. Der Mann wird erst was, wenn ihm die Frau hilft.

KATHARINA.

Na gewiss doch, Hannibal! Wir sind ja gerne bereit, Euch zu helfen. Wie also sollt sich doch die Gesellschaft nennen? Ich habs nicht behalten.

HANNIBAL.
»Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft gegen Revolutionsschaden«.

Er widerholt diesen Namen nachdrücklichst.
KATHARINA.

Also: »Allgemeine Versicherungs- Gesellschaft gegen Revolutionsschaden«. Hm! Gestatte, dass ich mir das notiere. Tuts. Ihr meint also, dass sich damit etwas machen liesse?

HANNIBAL.

Die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Alle Leute haben heute vor Revolutionsschaden einen Heidenbammel. Da heisst es also: feste zupacken. Von der Todesfurcht der Menschen lebt es sich immer am besten. Wir wollen den Medizinern Konkurrenz machen. Wir versichern Alles: abgeschlagene Nasen, verbogene Diademe, erstochene Minister u.s.w. Besonders aber sind wir bereit, wertvolle Gegenstände gegen geringes Entgelt aufzubewahren – aufzubewahren! Pass man auf: wir werden Pretiosen bekommen! Einfach alle Schätze der Erde werden in Kürze in unsern Händen sein.


Meta und Max kommen herein.
META.
Kathi, ist es wahr – Du willst mitgründen?
KATHARINA.
Ja, liebe Meta!
META.

Oh, wie danke ich Dir! Umarmung. Teure Freundin, so soll also die wichtigste Gründung unsrer Zeit durch uns zur Tatsache werden? Nochmals Umarmung und herzlichstes Händegeschüttel.

MAX.

Hier, meine Damen, sind zwei Federn! Unterschreiben Sie gütigst die Gründungsprotokolle – dann kann Hannibal mit Ihnen zum Advokaten gehen.

[184]
KATHARINA.
Ja – sollen wir nicht erst die Sache durchlesen?
MAX.

Dadurch verlieren wir nur Zeit, und Du wirst doch nicht zweifeln, dass unsre Freunde ehrlich sind – nicht wahr?

KATHARINA.
Nein, liebe Meta.

Die Damen unterschreiben die umfangreichen Akten, in denen die Protokolle niedergelegt sind.
HANNIBAL.
Max, gib uns einen guten Benediktiner – dann wollen wir gehen.

Max schenkt ein, es wird getrunken, Meta umarmt ihren Max, und die beiden Damen gehen mit Hannibal ab, während Max auf grossen Foliobogen zu schreiben beginnt. Nachdem die Drei fort sind, tut sich die Versenkungsluke auf, und der Kopf des Theophil Knipski wird sichtbar.
THEOPHIL.
Max!
MAX.
Was willst Du, lieber Theophil?
THEOPHIL.
Auch einen Benediktiner!
MAX.
Möchte Mancher! Na – hier hast Du einen.

Theophil trinkt, ohne raufzukommen.
THEOPHIL.
Also: die dummen Frauenzimmer haben unterschrieben, nicht wahr?
MAX.
Natürlich – das hast Du doch gehört.
THEOPHIL.
Die Frauen können doch Alles – Alles – Alles! Gib mir noch einen Benediktiner.

Während Max einschänkt und Theophil die Hand emporhebt – fällt der Vorhang.

2. Akt

Zweiter Akt

Dasselbe Zimmer – in dem sich jetzt auch Diwane und viele Luxusmöbel befinden; alte Ritterwaffen – besonders Sturmhauben- hängen mit grellfarbigen Schleifen und Bändern an den Wänden.
Katharina, Meta und Strick.

[185]
STRICK
sehr korpulenter Zwerg mit Höcker in rot und gelb gestreiften Narrenkleidern.

Dass Ich auch, der ich keiner Fliege was zu Leide tue, in diese grausame Revolutionszeit hineingeboren werden musste – und schliesslich noch Fräulein Meta von Lohmeyer kennen lernen musste – und auch noch lieben lernen musste!

META.
Strick, Du bist entzückend!
STRICK.

Ach, wenn ich das doch glauben könnte! Ich war leider immer ein Ungläubiger. So konnte ich eigentlich niemals an die Ehrlichkeit der Menschen glauben.

KATHARINA.
Was willst Du damit sagen?
STRICK.
Dass ichs beklagenswert finde, dass man Euch ein so grosses Vertrauen entgegenbringt.
KATHARINA.
Nanu? Glaubst Du, wir wären unehrlich?
STRICK.
Ich glaube eben Garnichts. Aber ich bewundere Euch, dass Ihr so ruhig schlafen könnt.
META.
Jetzt schlafen wir doch nicht?
STRICK.

Nein, denn Ihr müsst augenblicklich die Direktricen der »Versicherungsgesellschaft gegen Revolutionsschaden« vorstellen. Und dazu muss man – wenigstens zeitweise – die Augen offen halten. Ach ja! Dass Euch das auch geglückt ist! In einem Jahre – man sage und schreibe: in einem Jahre – die grössten Schätze der Erde in die Finger zu bekommen! Hippla! Ja! Ja! Wie viel Könige sind denn jetzt bei Euch versichert?

META.
Siebzehn Stück!
STRICK.
Stück! Diese anmassliche Respektlosigkeit! Wie viel Kronen sind Euch zur Aufbewahrung gegeben?
KATHARINA.
83 Stück mit Diamanten, ungefähr 500 ohne!
STRICK.
Kinder, mir wird schwindlich. Seid Ihr auch gegen Einbruchsdiebstähle versichert?
META.

Schaf! Die eisernen Truhen, die unter uns in den Kellergewölben liegen, sind nicht einmal mit Dynamit aufzubrechen.

STRICK.

Alle Wetter! Ja, man merkt bei Euch, dass man in einem Revolutionszeitalter lebt. Und zu dem bildet der feudale Anstrich dieses Zimmers sonen wundervollen Kontrast.


Hannibal und Max kommen.
[186]
HANNIBAL.
Strick! Geh zum Küchenrat und stell uns ein Diner zusammen.
STRICK.
Für wie viel Stunden?
MAX.
Mindestens für zehn Stunden.
STRICK.
Hier werden Stunden zu Minuten
Und Tage – Jahre – und so weiter!
Wir leben alle riesig heiter.
Und darum will ich mich sehr sputen.

Ab.
HANNIBAL.
Kinder, ich habe soeben ein anonymes Schreiben erhalten: ein Attentat ist gegen Euch geplant.
KATHARINA.
Das regt uns nicht mehr auf – Attentate sind heute was ganz Gewöhnliches.
META.

Ich erkläre die Attentate sämtlich für ordinär.Reitzer als Diener verkleidet bringt eine Karte – und es erscheint darauf Schlammberger als reicher Herr.

KATHARINA.
Darf ich bitten Platz zu nehmen?
SCHLAMMBERGER.
Ich wollte hier einbrechen.
META.
Brauchen Sie unsre Beihilfe dazu?
HANNIBAL
zieht schnell einen Revolver und feuert einen Schuss auf Schlammberger ab, der sofort mit blutiger Weste zusammenbricht.
Dem Attentat wären wir zuvor gekommen.
KATHARINA.
Das ist ja entsetzlich!

Geht mit Meta schnell ab, Max begleitet die Beiden.
HANNIBAL.

Nu erhole Dich nur schnell, lieber Schlammberger! Du bist brillant gestorben. Hast Du die Werkzeuge bei Dir?


Er verschliesst die Türe und öffnet die Versenkungsluke.
SCHLAMMBERGER.
Selbstredend! Mir tut nur leid, dass ich mir die Weste dabei so vollgesaut habe.

Steigt hinunter.
HANNIBAL
hinunterrufend.
Willst Du nicht vorher ein Glas Whisky trinken?
SCHLAMMBERGER.
Das wird wohl nötig sein.
HANNIBAL
giesst ein in Weingläser und trinkt zuerst.
Nu komm nur!
SCHLAMMBERGER
bis zur Brust herausragend.
Die Arbeit scheint mir beinahe aussichtslos zu sein.
[187]
HANNIBAL.
Na – trink Dir nur Mut an.

Beide trinken.
Vorhang!

3. Akt

Dritter Akt

Dasselbe Zimmer – aber alle Möbel wüst durch einander geworfen – Wanddekoration auch teilweise zerstört – die Stühle sind sämtlich umgekippt.

META
kommt durch die Türe und fährt erschrocken zurück.
Hilfe! Was ist denn hier passiert?
STRICK
hinter ihr.

Hier sind wahrscheinlich wieder mal ein paar Einbrecher verhauen worden. Das Einbrechen bringt eben nichts mehr ein; Eure Kisten und Kasten sind zu fest. Ja! Ja! Aber es scheint doch, als ob diese Gegend jetzt auch von den Revolutionsbazillen angegriffen wird.

META.
Aber das sieht ja hier entsetzlich aus.
STRICK.

Gehen wir in ein andres Zimmer. Ueberall werden die Herren Einbrecher doch nicht so gehaust haben. Beide ab.


Die Versenkung öffnet sich, und Knipski nebst Schlammberger steigen heraus – Beide in Lumpen gehüllt und bis an die Zähne bewaffnet. Schliessen schnell die Versenkung und verstecken sich rechts und links hinter den Möbeln – was sehr schnell vor sich geht. Hannibal und Katharina erscheinen.
KATHARINA.
Du lieber Himmel, wie sieht das hier aus?
HANNIBAL.

Die ganze Stadt befindet sich im offenen Aufruhr. Wir sind nicht mehr drei Minuten unsres Lebens sicher. Ein Schuss kracht und Hannibal bricht blutend zusammen – mit Blut an der Weste.

KATHARINA
schreiend.
Hilfe! Hilfe! Mörder! Diebe!
[188]
THEOPHIL KNIPSKI.

Mein gnädiges Fräulein, ich tu Ihnen nichts, denn ich liebe Sie. Aber weil ich Sie liebe, gebe ich Ihnen den Rat, schnell die wertvollsten Juwelen einzupacken und damit loszuziehen. Die Türe wird aufgerissen, Max und Reitzer erscheinen – der Letztere wieder in Bedientenkleidung. Mehrere Pistolenschüsse werden gewechselt. Reitzer und Knipski fallen blutend zu Boden.

KNIPSKI.
Ich sterbe. Katharina, nimm die Juwelen und – flieh!
KATHARINA.

Entsetzlich! Hilfe! Hilfe! Stürzt hinaus, Max folgt ihr. Nachdem die Beiden fort sind, horchen die Verwundeten auf. Verwundet sind also: Hannibal, Knipski und Reitzer – Schlammberger hinter den Möbeln ist nicht verwundet.

SCHLAMMBERGER.
Na, Kinder, wenn wir jetzt nicht die grossen Schlüssel bekommen!
KNIPSKI.
Max Pax wird seine Sache schon machen.
HANNIBAL.
Das ist eine Revolutions-Komödie!
REITZER.
Ganz Stockholm ist so ruhig wie ein Erbbegräbnis.
KNIPSKI.
Aber welche Masse von Ochsenblut haben wir verschwendet.
SCHLAMMBERGER.
Na – und nu erst die Schweinsblasen!
HANNIBAL.
Still! Sie kommen! Wir müssen stöhnen.

Sie stöhnen.
SCHLAMMBERGER.
Wenn ich blos einen Kognak hätte!
HANNIBAL.
Hinterm Geldschrank!

Schlammberger trinkt. Max, Strick und die beiden Frauen kommen. Diese beschäftigen sich mit Knipski und Hannibal, Strick reicht dem Reitzer sein Taschentuch.
MAX.

Strick, leite die Frauen durch den unterirdischen Gang zum Wasser – wir kommen nach! Er öffnet die Luke und drängt Strick und die beiden Frauen eiligst hinunter. Kaum sind sie unten, so erheben sich die Verwundeten – und die fünf Räuber schütteln sich die Hände, Max rasselt mit dem Schlüsselbunde herum. Umarmung – Kognaktrinken, Alle steigen langsam hinter einander in die Versenkung. Max mit dem Schlüsselbunde zuletzt. Während er mit diesem lachend weiterrasselt, fällt der Vorhang.

[189]

4. Akt

Vierter Akt

Eine Räuberhöhle in Lappland. Rechts, links und hinten kahle Granitwände mit Gestrüpp. An der hinteren Wand rechts und links zwei rohe Holzleitern. Unten Warenballen, Waffen, Kleiderhaufen und allerhand Trödelkram in wüster Unordnung. Ein Tisch in der Mitte.
Katharina und Meta sitzen am Tisch auf Warenballen, die fünf Räuber liegen herum – rauchen und trinken.

HANNIBAL.
Jetzt wollen wir teilen.
DIE VIER ANDERN RÄUBER.
Bravo!
KATHARINA.
Wie sollen wir das verstehen? Sind wir denn hier an eine Räuberbande geraten?
META.
Aber Käthe! Sei doch nicht so beleidigend.
THEOPHIL KNIPSKI.

Meine Damen, sie irren keineswegs: ich bin der Räuberhauptmann. Und Sie sind von meinen Leuten Hannibal und Max an der Nase herumgeführt worden.

KATHARINA.
Ha! Das ist ja eine Gemeinheit!

Weint schluchzend.
META.
Oh! Oh! Wo ist blos der Strick?
SCHLAMMBERGER.
Die Stricke sind hier. Wir werden Sie anbinden.

Die Damen werden rechts und links an den Seitenwänden auf Warenballen angebunden, die Räuber raffen dann Verschiedenes zusammen und steigen die Leitern hinauf, während der Hauptmann noch die folgende Rede redet.
THEOPHIL KNIPSKI.

Meine Damen ich werde sofort einen Geheimpolizisten beauftragen, sie wegen gemeingefährlicher Unterschlagungen zu verhaften. Dass die »Versicherungsgesellschaft gegen Revolutionsschaden« so zusammenbrach – daran haben Sie, meine Damen, ganz alleine Schuld. Warum liessen Sie sich von Hannibal und Maxen übertölpeln? Weil Beide Ihrer Eitelkeit zu schmeicheln wussten. Uebernehmen Sie ein andres Mal nicht Stellungen, denen Sie nicht gewachsen sind. Sie werden für Ihre durch Eitelkeit erzeugte Leichtfertigkeit [190] mit mindestens zwanzig Jahren Zuchthaus bestraft werden. Was denken Sie denn? Meinen Sie, die verschiedenen Potentaten werden es nicht übel nehmen, dass Sie die Krondiamanten, die wir in der Tasche haben, leichtsinniger Weise durchbrachten? Hüten Sie sich vor der Hand des Gesetzes. Wir gehen mit unsern Brillanten nach Amerika. Leben Sie wohl. Nach oben rufend, wo die Andern noch zu sehen sind. Seht Ihr den Geheimpolizisten? Oben antworten die Andern »Jawohl! Ja wohl!« und Knipski klettert nun auch nach oben und verschwindet mit seinen Leuten.

KATHARINA.
Oh – diese Schmach!
META.
Sei froh, dass Sie Dich nicht getötet haben.
KATHARINA.
Also mit Räubern waren wir die ganze Zeit über zusammen! Oh!Oh!
META.

Ach ja! Der Geheimpolizist Finkenstein – hässlich und rothaarig – steigt schnell die linke Leiter hinunter.

FINKENSTEIN.

Meine Damen, heissen Sie Meta von Lohmeyer und Katharina Kittel? Sie antworten »Ja«. Dann muss ich sie gleich wegen Unterschlagung verhaften.

STRICK
die rechte Leiter langsam hinuntersteigend – auf dieser.

Mein Herr! Mein Herr! Warten Sie doch! Verhaften Sie doch nicht so voreilig. Hören Sie blos zu: die fünf Räuber, die soeben nach Amerika gingen, haben nur die Brillanten mitgenommen und das Geld in Stockholm gelassen. Wollen wir zusammen das Gold holen und auch nach Amerika fliehen? Das ist doch das beste Geschäft für Sie.

FINKENSTEIN.

Sie haben Recht! Holen wir das Gold! Strick unten streichelt die Meta. Aber wir täten wohl gut, diese beiden Damen kalt zu machen, nicht wahr? Zieht ein Messer.

STRICK.

Aber Mann! Stecken Sie Ihr Messer ein und kommen Sie – die Damen tun uns doch nichts – die verhungern hier. Kommen Sie fix nach oben! Finkenstein nickt, sie flüstern und steigen auf ihren Leitern nach oben – Strick rechts, Finkenstein links.

META.
Herr Strick, wollen Sie mich treulos verlassen?
[191]
STRICK
mitten auf der Leiter stehen bleibend.
Ja – wollen Sie mich denn heiraten?
META.
Von Herzen gern, Herr Strick!
FINKENSTEIN.
Und Sie, Fräulein Käthe, würden Sie mich heiraten, wenn ich Sie befreie?
KATHARINA.
Ja! Ja!
STRICK
zu Finkenstein.
Sie, Mann, da müssen wir noch mal runter und unsre Bräute umarmen.
FINKENSTEIN.
Das müssen wir! Sie steigen hinunter.

Vorhang!

5. Akt

Fünfter Akt

Parkveranda im Europäischen Hof zu Melbourne. Lange Dinertafel in der Mitte. Hinten Park, zu dem ein paar Stufen hinabführen.
Die fünf Räuber sitzen an der Tafel und speisen. Die Kellner ziehen sich zurück.

HANNIBAL
leise.
Mir sind sämtliche Banknoten geraubt.
MAX.
Ich weiss nicht, wie ich die Hotelrechnung bezahlen soll.
THEOPHIL KNIPSKI.
Dass wir auch zufälliger Weise all das Geld bei uns haben mussten!
REITZER.
Und heute wollten wir die Gelder auf die Banken bringen.
SCHLAMMBERGER.
In Australien scheint man das Räubern besser zu verstehen als in Schweden.
HANNIBAL.
Und blos vier vermummte Gestalten!
THEOPHIL KNIPSKI.
Und die Vier haben uns – Alles – Alles – abgeknipst.
MAX.
Es ist eine Gemeinheit. Aber sie hatten uns brillant gefesselt.

Katharina, Meta, Strick und Finkenstein erscheinen hinten – in [192] Reisekleidung. Die fünf Räuber erheben sich und sind entsetzt.
THEOPHIL KNIPSKI.
Na – wo kommt Ihr denn her?
STRICK.
Wir waren hier geschäftlich tätig.
MAX.
Womit denn?
META
leise.
Wir haben fünf Leute ausgeräubert.
KATHARINA
eben so leise.
Wir haben unser Meisterstück gemacht.
THEOPHIL KNIPSKI.
Seid Ihr in der Nacht auf unsern Zimmern gewesen?
FINKENSTEIN.
Zu dienen! Und zwar unter Führung des Herrn Strick.
DIE FÜNF BERAUBTEN RÄUBER.
Hurrah! Hurrah!

Alle Neun fallen sich um den Hals.
THEOPHIL KNIPSKI.
Strick hat sein Meisterstück gemacht. Ich gebe ihm mein Kommando.
ALLE
leise.
Meister! Meister!
KATHARINA.
Die Rache ist süss! Nicht wahr?
STRICK.
St! Nicht so laut! Was sollen die Kellner denken? Er klingelt – und die Kellner erscheinen.
OBERKELLNER.

Es sind arme Leute draussen. Darf ich fragen, ob die Herrschaften geneigt wären, den Armen ein Mittagbrot zu verabreichen?

STRICK.
Führ sie rein! Wenn die Kerls uns die Stiebel küssen, wollen wir mildtätig sein.

Während sichs die Neun an der Tafel bequem machen und die Kellner wie die Tollen hin und
herlaufen, kommen die Bettler und Vagabunden und küssen den hohen Herrschaften die Stiebel und weinen dabei, während die Neun lachen und kleine Geldmünzen austeilen.
STRICK
zu den Vagabunden.

Na, liebe Leute, habt Ihr Euch auch niemals an fremdem Eigentum vergriffen? Die Bettler und Vagabunden weinen, und Einer sagt: »Ich war einst ein grosser Räuberhauptmann.«

THEOPHIL KNIPSKI.
Einst! Na prost, KollegeFürchterliches Gelächter der Neun, Geweine der Andern.

Vorhang!
[193]

Die Puppe und die Dauerwurst
Ein soziales Drama

Personen

Personen.

    • Der Nachtwächter Johann, ein alter Esel.

    • Der Nachtwächter Jakob, auch ein alter Esel.

    • Die Puppe, ein Symbol.

    • Der geheimnisvolle grüne Herr.

[Stücktext]

Rechts eine weisse Wand – links eine weisse Wand – hinten eine weisse Wand!
Und in der Mitte der Bühne steht ein alter Tisch, der mit der Schmalseite nach vorne gerichtet ist, als einziges Möbel da.
Zu beiden Seiten des Tisches stehen die beiden Nachtwächter mit Horn, Hellebarde, Pelz und Pelzmütze – mit burlesker, dicknasiger Gesichtsmaske. Rechts Johann in dunkelblauem Pelz mit weissen Knöpfen, links Jakob in dunkelblauem Pelz mit gelben Knöpfen.
Die Nachtwächter ganz en profil starren die Gliederpuppe an, die auf dem Tische sitzt.
Die Puppe, deren Beine vorn runter baumeln, ist phantastisch mit Goldflitter, alten bunten Lappen, Papierkrone u.s.w. wie eine total verschrobne alte Dame aufgeputzt. Die Gesichtsmaske en profil nach rechts gewandt starrt den Nachtwächter Johann an. Die Rechte der Puppe hält gradaus nach vorn gestreckt eine riesig lange dunkelrote Dauerwurst. Den Körper der Puppe sieht das Publikum en face, sodass die ganze Figur ein bischen ägyptisch und jedenfalls sehr steif und starr wirkt.

[194]
JOHANN
nach langer Pause.
Nun sind's bald fünftausend Jahre, dass wir hier stehen und aufpassen. Fünf tausend Jährchen!
JAKOB.
Es sind wohl schon mehr!
JOHANN.
Schon mehr?
JAKOB.
Schon mehr!
JOHANN.
Aber die Dauerwurst wird doch noch gut sein – nicht wahr, Jakob?
JAKOB.

Die Dauerwurst ist noch gut, die hält sich ja fünf mal hundert sechs und dreissigtausend sieben hundert zwei und vierzig Jahre.

JOHANN.

Ja! Ja! Ja! fünf mal hundert sechs und dreissigtausend sieben hundert zwei und vierzig Jahre! Ja! Ja! Ja! Lange Zeit!


Wieder lange Pause! Dann schleicht aber der geheimnisvolle grüne Herr in grün karriertem Anzuge, mit grüner Kravatte und grünem Zylinder, der plötzlich hinten rechts auftaucht, in den Vordergrund und beschaut dort die Puppe nebst den Nachtwächtern mit seiner Lorgnette.
DER GRÜNE.
Meine Herren, ich sehe da eine Puppe.
JOHANN.
Herr, das ist keine Puppe.
DER GRÜNE.
So? Was denn?
JOHANN.
Eine Dame.
DER GRÜNE.

Gut: Also eine Dame! Doch die Dame hat eine Dauerwurst in der Hand. Diese Dauerwurst wird seltsamer Weise von Ihnen, meine Herren, offenbar nicht gegessen. Gestatten Sie – ich habe Hunger – ich werde


Will die Dauerwurst ergreifen, doch die beiden Nachtwächter halten dem Grünen die Hellebarden entgegen. Der Grüne taumelt erschrocken zurück.
DER GRÜNE
Zylinder putzend.

Meine Herren, mutig sind Sie ja. Indessen – was Sie hier eigentlich wollen, weiss ich nicht. Was machen Sie denn mit Ihrer Wurst?

JAKOB.
Wir stehen und passen auf, dass Niemand die Wurst wegnimmt.
DER GRÜNE.
Na – warum essen Sie denn nicht selber die Wurst auf?
[195]
JOHANN.
Wir müssen doch aufpassen.
DER GRÜNE.
Ach so!
JAKOB.
Was wollen Sie denn hier?
DER GRÜNE.
Die Wurst aufessen.
JOHANN UND JAKOB.
Das geht nicht!
DER GRÜNE
mit dem Finger an der Nase nachdenkend nach einer Weile zu Johann.
Wie heissen Sie?
JOHANN.
Ich bin der Nachtwächter Johann.
DER GRÜNE
auf Jakob weisend.
Und der da mit den vielen gelben Knöpfen?
JOHANN.
Jakob!
DER GRÜNE.
Auch Nachtwächter?

Die beiden Nachtwächter stossen gleichzeitig mit den Hellebarden heftig auf den Fussboden und schweigen.
DER GRÜNE
zu Johann.
Wissen Sie auch, Johann, warum Sie von der »Dame mit der Wurst« so beständig angestarrt werden?
JOHANN.
Na? Warum?
DER GRÜNE.

Mein sehr verehrter Herr Johann, die Dame liebt Sie! Auf Ehrenwort! Sie können sich fest darauf verlassen: das süsse Kind liebt nur ihren Johannes! Den Jakob da drüben liebt sie nicht.

JOHANN UND JAKOB.
Woher wissen Sie das?
DER GRÜNE.

Das sagen mir die Augen der jungen Dame. Wer wie Johann von seiner Dame angeschaut wird, der wird von seiner Dame geliebt!

JOHANN
vorsichtig.
Wissen Sie uns noch mehr von »unsrer« Dame zu erzählen.
DER GRÜNE.

Na gewiss doch! Aber dann muss ich erst auf den Tisch klettern, auf dem Tisch werden Sie von mir noch ganz andere Dinge hören.

JAKOB.
So? Was Sie sagen! Andere Dinge? Was für Dinge?
DER GRÜNE.

Nun – ich werde Ihnen mitteilen, was die Dame träumt. Sehen Sie denn nicht, dass sie träumt? Nee? Aber ich bitte Sie!


Johann und Jakob sehen sich die Puppe an und
nicken. Der [196] Grüne steigt von hinten auf den Tisch rauf und nähert vorsichtig, während er sich auf ein Knie niederlässt, sein rechtes Ohr dem Munde der Puppe.
DER GRÜNE.

Hört! Hört! Er beugt sich im Folgenden öfters wieder zum Munde der Puppe hinab. Jetzt hör und seh ich ganz genau – ganz genau – was im Innern der alten Puppe vorgeht. Weich. Träume – weithin leuchtende lachende Träume – durchbeben hier diese holde Frau, die von Euch, Ihr holden Nachtwächter, geliebt wird. Sie, diese schöne Dame – träumt jetzt von silbernem Mondenschein, von goldenen Sternen und weichen warmen Lüften. Und sie sitzt dabei am Rande des düsteren Waldes, und neben ihr sitzen sieben kleine Lämmlein – die denken an Nichts. Eure holde Dame dagegen, deren Gedanken ich jetzt errate – nein – deren Gedanken ich fühle – – die schaut in die Nebel der Wiese und sieht da kleine Männchen tanzen – wirklich tanzen! Ach, sie tanzen und reden immerzu – lauter Redner! Und die Nacht ist milde. Und die Rosen duften. Und die Käfer zirpen. Die Myrthen blühen. Die hohen Bäume schwanken. Die Kypressen rauschen sehnsuchtsvoll. Und die Quellen der Ewig-Durstigen flüstern wie unschuldige Kinder. Und – und – und die Nachtigallen schlagen. Doch die Männchen auf der Wiese tanzen und reden noch immer. Feurig. Aber – aber – da läuft plötzlich ein grosser Löwe übers Feld – sieht die Männchen tanzen – hört sie reden – und – was tut der Löwe? Oh, Ihr guten Staats-Nachtwächter, er frisst die Männchen, die so viel tanzen und so viel reden, im Handumdrehen auf – so schnell wie ein Obdachloser im Winter ein Gericht brauner Pilze verschlingt. Erschütternd. Da muss Eure Frau natürlich weinen – schrecklich weinen – und ihre sieben Lämmlein weinen mit. Gross und ruhig. Indessen – jetzt sieht sie – ja sie sieht ihn wirklich – ihn – den ordentlichen tapferen Staats-Nachtwächter Johann, der eigentlich im mer neben uns steht. Der Johann nimmt wacker seinen alten Spiess und spiesset den gefrässigen Löwen dran auf, geht danach ruhig durch den friedlichen Nachttau der Wiese ins nächste Dorf, allwo er den toten Löwen zu verkaufen gedenkt. Nach [197] aufmerksamerem Horchen sehr weich. Währenddem sitzt die holde Frau am Waldesrande mit ihren sieben Lämmlein und – und – und dichtet »das Lied vom braven Johann«. Hans, ich sage Dir – oh, glaube mir! – bei meinem Barte! – sie liebt Dich – und zwar – mit jener Inbrunst, die man »wahre Liebe« nennt. Des Weibes Lieben war ja stets so rätselvoll. Warum liebt sie den Johann und nicht den viel schöneren Jakob? Wisst Ihr's nicht? So hört – warum: weil Johann tapfer und weil Jakob feige ist.

JOHANN.
Er ist schöner?
JAKOB.
Ich bin feige? Nicht im Traum!
DER GRÜNE.

Ja wohl! Du bist feige! Sonst würdest Du den Johann totstechen. Tapfre Männer stechen stets ihre Nebenbuhler tot. Weisst Du das nicht?

JAKOB.
Nun denn! – Komm, Johann! – Ich will Dich totstechen!
JOHANN.
Mich willst Du totstechen?
JAKOB.
Die Pflicht ruft! Das Vaterland ist in Gefahr!
JOHANN.
Wirklich? Das ist was Andres!
DER GRÜNE.

Ihr müsst miteinander kämpfen und Euch gegenseitig die Hellebarden in die Brust zu stossen trachten. Das wird mir riesige Freude bereiten. Doch vor dem Kampfe stosst noch Mal in Euer Horn! Ich hoffe, es wird zum letzen Male sein!


Johann und Jakob tuten, kämpfen mutig und stossen sich gegenseitig die Hellebarden durch den Leib.
Wie die beiden Nachtwächter dumpf röchelnd vor der Puppe zusammenbrechen, greift der Grüne nach der Dauerwurst, schwingt sie triumphierend durch die Lüfte und stösst mit dem rechten Fuss der Puppe ins Kreuz, dass sie vom Tisch runter auf die toten Nachtwächter rauffällt.
Drei Mal schreit der Grüne »Hurrah«! und beisst gierig, nachdem er den Mund noch weiter als beim
Hurrahschreien aufgesperrt, in die alte Dauerwurst rein.
Vorhang!
[198]

Der alte Petrus, oder Im Himmel spukt es auch
Ein himmlisches Schauspiel

Personen

Personen.

    • Petrus, Portier des Paradieses.

    • Michael, grosser Engel.

    • Moritz, artiges Kind aus Deutschland.

    • Erika, artiges Kind aus Deutschland.

    • Hannemann, portugiesischer Geheimpolizist aus Lissabon.

    • Hennemann, portugiesischer Geheimpolizist aus Lissabon.

    • Diverse Engel und paradiesische Postbeamte.

[Stücktext]

Vorne links Tisch und Sopha, ein grosses Kleiderspind hinten rechts. Viele alte Möbel. Viel altes Gerümpel.
Die Darstellenden sind sämtlich unter fünfzehn Jahren – oder tun so, als wären sie's.
Der Engel Michael ist ein grösseres Mädchen mit goldenem Brustharnisch, zweischneidigem Schwert, blonden Locken und weissen Flügeln. Dieser Engel steht mitten in der Stube, während der alte Petrus mit weissem Bart- und Haupthaar aufm Sopha sitzt. Der grosse Schlüssel liegt vor Petrus aufm Tisch.

[199]
MICHAEL.

Petrus, ich sage Dir: Du hast nicht ordentlich aufgepasst! Du hast ins Paradies Leute hineingelassen, die nicht hergehören.

PETRUS
auf den Tisch schlagend.
Da schlag das Donnerwetter rein: ich weiss von nichts.
MICHAEL.
Im Himmel spukt es auch.

Links durch die Türe heftig ab.
PETRUS.
Jetzt lass ich überhaupt Keinen mehr rein.Es klopft rechts. Wer ist da?
MORITZ UND ERIKA
rechts draussen zusammen.
Zwei artige Kinder aus Deutschland sind wir. Moritz und Erika heissen wir.
PETRUS.
Seid Ihr auch nicht Gespenster?
MORITZ.
Ich bin kein Gespenst.
ERIKA.
Ich bin auch kein Gespenst.

Petrus schliesst rechts auf mit dem grossen Schlüssel und lässt sie eintreten.
MORITZ.
Guten Morgen, Onkel Petrus!

Hand reichend.
ERIKA.

Guten Morgen, Onkel Petrus! Knixend und Hand reichend. Wir sollten auch herzlich grüssen von Mama und Papa.

PETRUS.

Danke schön! Er kuckt zum Fenster raus und kraut sich erschrocken hinter den Ohren. Kinder, ich muss erst draussen mit dem alten Gabriel reden; er winkt mir. Stellt Euch so lange in den Kleiderschrank und verhaltet Euch ruhig.


Die Kinder tuns, Petrus schliesst den Schrank zu und geht ab; der Schrank-Schlüssel bleibt stecken.
MORITZ
im Schranke.
Erika, sei ganz still!

Es klopft sieben Mal unterm Fussboden, der sich dann auftut und die beiden Geheimpolizisten Hannemann und Hennemann aus der Versenkung aufsteigen lässt. Die Geheimpolizisten haben grosse Schlapphüte, schwarze Bärte und schwarze lange Röcke.
HANNEMANN.
Wir wollen hier überall ordentlich herumspuken.
HENNEMANN.
Wir wollen schon sehen, ob hier Alle – ordentliche Patrioten sind. Nimm den Schlüssel.
HANNEMANN
der zum Fenster raussah.
Lass ihn liegen; Petrus [200] kommt zurück! Fix in den Schrank!Er öffnet ihn und sperrt den Mund auf.
MORITZ.
Onkel Petrus! Onkel Petrus!
HENNEMANN.
Ruhig! Sonst schneiden wir Euch die Gurgel ab. Ihr seid verhaftet.

Sie reissen Moritz und Erika aus dem Schrank raus und binden ihnen die Hände auf dem Rücken zusammen.
HANNEMANN.
Dass Ihr nichts sagt! Marsch! Zurück in den Schrank!

Die Kinder steigen abermals in den Schrank, der hinter ihnen wieder zugeschlossen wird. Und die beiden Geheimpolizisten steigen durchs Fenster ins Paradies, während gleich darauf der alte Petrus wieder von links durch die Türe hereinkommt und gleich den Schrank öffnet.
PETRUS.
Nanu? Wer hat Euch denn die Hände zusammengebunden?
MORITZ.
Das dürfen wir nicht sagen.
PETRUS.
Ah! Jetzt geht mir ein Licht auf. Sagt man: Gespenster waren hier. Nicht wahr?
ERIKA.
Sie haben uns aber gesagt, wir sollten nicht sagen, dass sie uns gebunden haben.
PETRUS.
Ha! Ha! Ha! Wo sind sie?
MORITZ.
Durchs Fenster sind sie gegangen.
PETRUS
klingelt heftig mit einer Tischklingel, worauf sofort mehrere Engel mit kleinen Flügeln erscheinen.

Lasst die Glocken läuten! Gespenster sind im Himmel! Zwei Engel eilig wieder ab, zu den Kindern. Wie sahen denn die Gespenster aus?

MORITZ.
Schwarze Schlapphüte hatten sie – und schwarze Bärte und schwarze Röcke.
ERIKA.
Und sie wollten schon sehen, ob hier auch Alle – ordentliche Patrioten sind.
PETRUS
zu den Engeln.

Geht schnell und teilt durch Ferndrucker allen Himmelsbewohnern mit, was Ihr gehört habt. Und dann seht zu, dass Ihr die beiden Gespenster gefesselt herbringt. Alle Engel ab, Petrus macht den beiden Kindern die Hände frei.

[201]
MICHAEL
durchs Fenster sprechend, während die Glocken läuten.

Siehst du, verdammter alter Peter: also zwei Gespenster haben sich doch eingeschlichen. Warte nur: Du bist die längste Zeit Portier gewesen. Das werde ich Dir ordentlich einsalzen.Faustschüttelnd ab, während vorne durch die linke Türe himmlische Postbeamte eine grosse Kiste hereinbringen.

PETRUS
zu den Beamten, die blaue Hemdröcke, rote kleine Flügel, blonde Locken und gelbe Trompeten haben.
Was wollt Ihr denn hier?
EIN BEAMTER.
Aber Onkel Petrus! Heute geht doch wieder die Post an den Onkel Satanas ab.
PETRUS.
Richtig! Das hatte ich ja ganz vergessen.

Hannemann und Hennemann werden mit auf den Rücken gefesselten Händen von den anderen Engeln lärmend herbeigebracht – die Engel und Kinder freuen sich mächtig – der Michael sieht wieder durchs Fenster – es wird dann still – und die Glocken verhallen.
HANNEMANN.

Ich heisse Hannemann Schreiend. und hier mein Freund heisst Hennemann. Wir sind Geheimpolizisten aus Lissabon und berechtigt, alle diejenigen, die in verdächtiger Weise auffällig werden, zu verhaften. Und wenn Sie, Herr Petrus, uns nicht sofort befreien – so werden wir Sie auch verhaften.

HENNEMANN.

Wir haben vorhin jene beiden Kinder im Schrank angetroffen. War das, Herr Petrus, noch nicht verdächtig genug?

HANNEMANN.
Wer hat denn den beiden Kindern die Fesseln abgemacht?
MORITZ.
Das hat Onkel Petrus getan.
PETRUS.
Junge, Du scheinst eine mächtige Angst vor diesen Geheimpolizisten zu haben.
ERIKA.
Onkel Petrus, ich hab' nicht ein bischen Angst. Die Engel und die Postbeamten müssen schmunzeln.

Petrus hat währenddem sein Schreibzeug vorgeholt und schreibt auf dem Sopha sitzend einen grossen Brief, während [202] die Engel den beiden Geheimpolizisten die Hüte zerknüllen und sich königlich amüsieren.
HANNEMANN.
Ihr werdet allesamt verhaftet!
HENNEMANN.
Wisst Ihr denn nicht, dass wir Beamte sind?
MICHAEL
im Fensterrahmen.
Hier gibt es auch Beamte.
DIE POSTBEAMTEN
alle durch einander wichtig.
Wir sind auch Beamte! Wir sind auch Beamte!
PETRUS
hört mit Schreiben auf.
Hannemann und Hennemann, was wolltet Ihr im Himmel?
HENNEMANN.
Wir wollten sehen, ob auch alle Himmelsbewohner ordentliche Patrioten sind.
HANNEMANN.
Wir haben die Befugnis, alle Diejenigen, die nicht ordentliche Patrioten sind,
HENNEMANN.
oder sich sonst so wie jene beiden Kinder verdächtig machen,
HANNEMANN.
zu verhaften.
PETRUS.

Ich wollte eigentlich überhaupt Keinen mehr in den Himmel hineinlassen, und so kamen die Kinder in den Schrank – da ich zu gutmütig bin. Ich ärgerte mich nämlich, dass ich so gutmütig gewesen war, sie doch noch hineinzulassen – und deshalb mussten die Kinder in den Schrank.

HANNEMANN.
Unsre Legitimationspapiere befinden sich in unsrer Brusttasche.
PETRUS.
Ihr zweifelt also an dem aufrichtigen Patriotismus der Himmelsbewohner?
HANNEMANN.
Wir tun nur unsre Pflicht.
PETRUS.
Wie könnt Ihr aber die Himmelsbewohner derartig durch Euren Zweifel beleidigen?
HENNEMANN.
Wir tun, was unsres Amtes ist.
PETRUS
nimmt seinen Brief in die Hand.

Passt auf! Ich werde Euch mal vorlesen, was ich an den Onkel Satanas geschrieben habe – denn Ihr müsst wissen, dass heute wieder verschiedene Postsachen an den Onkel Satanas geschickt werden. Passt auf! Ich schrieb hier: »Lieber Onkel Satanas! Ich schicke Dir mit beifolgender Post zwei ganz bösartige Leute, die sich hier im Himmel als Gespenster mausig machen wollten; sie behaupten, [203] Geheimpolizisten zu sein. Sei so freundlich und ziehe ihnen mit Deinen neuen Barbierinstrumenten vorsichtig die Haut ab und lass dann die Herren im grossen Ofenloche ein bisschen schmoren – so zwei bis drei Stunden. Ich bitte Dich ausserdem: lass diese beiden Leute tagtäglich drei Mal an den Beinen durch die Kohlenkammer ziehen – denn diese übermütigen Geheimpolizisten hatten den kühnen Plan, mich, den alten Petrus, zu verhaften. Lach nicht! Es ist Tatsache! Aber ich sage Dir: wenn solche Leute, die ihren Spass selbst mit den Bewohnern des Himmels treiben, nicht eindringlich bestraft werden, so könnte unser paradiesisches Leben schliesslich die reine Hölle werden. Möge der Teufel wissen, wie diese Hallunken hier hereingekommen sind – wahrscheinlich als Gespenster durchs Schlüsselloch. Vergiss nicht, mir die versprochenen Bratäpfel mitzuschicken. Ich bin mit himmlischen Grüssen Dein alter Freund Petrus – Portier.«

MICHAEL.
Streu Sand rauf!

Verschwindet am Fenster und kommt nachher durch die Türe links herein.
PETRUS
während er Sand auf den Brief streut.

Postbeamte! Schmeisst die beiden Kerls in die Kiste und befördert die Kiste in die Hölle. Diesen Brief müsst Ihr auch mitnehmen. Die Postbeamten tun, wie ihnen befohlen ward.

HANNEMANN UND HENNEMANN
durch einander mehrere Male.

Hilfe! Gewalt! Wir verhaften Euch sämtlich! Ihr werdet Alle geköpft. Sie schreien noch, nachdem die Kiste schon zugemacht ist.

MICHAEL
umarmt den Petrus.

Alter Petrus, das hast Du brav gemacht. Jetzt wollen wir uns wieder vertragen. Die Postbeamten gehen mit der Kiste rechts durch die Türe, die umständlich mit dem grossen Schlüssel geöffnet wird, ab. Die anderen Engel ziehen den Moritz und die Erika nach hinten zum Fenster, wobei viel Lachen und Lärmen zu hören und viel Bewegung zu sehen ist.


[204] Während nun draussen rechts die Posthörner ertönen, Moritz und Erika mit den Engeln recht umständlich durchs Fenster ins Paradies steigen und Petrus dem Michael einen grünen Likör einschänkt, fällt langsam der Vorhang.
[205]

Sophie
Eine Ehestands-Pantomime mit Musik und Tanz

Personen

Personen.

    • Vater.

    • Mutter.

    • Tochter.

    • Deren Bräutigam.

    • Deren Jugendfreund.

    • Ein Arzt.

    • Eine Kammerzofe.

    • Fünf Herren.

[Stücktext]

Auf jeder der drei weissen Wände ein gemalter rotbäckiger Riesenapfel in der Mitte.

Rechts ein Peluche-Sessel, links ein Peluche-Sessel im höheren Beamtengeschmack der Vergangenheit. In der Mitte eine Versenkung, von der anfänglich noch nichts zu sehen ist.

Rechts Mutter, links Tochter – beide weinend.

Der Vater tanzt von der einen zur anderen seinen Verzweiflungstanz.

In der Musik viel staccato.

Dann geht der Vater hinten schnell ab und kommt schnell wieder – und aus der Versenkung steigt der Bräutigam mit Cylinder, Frack, Bouquet und weissen Handschuhen heraus.

Ringwechsel. Segen.

[206]

Doppelter Hochzeitswalzer.

Hinten rechts und links abwalzend. Dann erscheint die junge Frau aus der Versenkung heraus sitzend auf einer Fussbank – fünf Herren aus dem Hintergrunde – die fünf umtanzen die junge Frau.

Der Ehemann erscheint auch, ist aber furchtbar gemütlich und tanzt mit.

Dann veranlasst die Frau den Ehemann, sich auf die Fussbank zu stellen. Die fünf Herren gruppieren sich im Kreise um den Ehemann.

Die Frau umtanzt die sechs Herren, und die versinken dabei allmählich, sodass sies erst bemerken, als sie halb unten sind – sie wüten – die Dame lacht und setzt sich auf den linken Sessel.

Melancholische Erinnerungsmusik.

Der Jugendfreund mit blondem Vollbart in Sammetjoppe steigt aus der Versenkung langsam heraus –

Sie setzen sich zusammen vorne in der Mitte auf die zusammengestellten Sessel.

Da kommt der Ehemann hinter ihnen aus der Versenkung raus – reisst die Sessel aus einander. Der Ehemann hat einen Dolch in jeder Hand, reicht den einen dem Jugendfreunde – die Herren duellieren sich mit den Dolchen – die Frau wirft sich im entscheidenden Moment dazwischen und wird aus Versehen von beiden Duellanten erdolcht.

Kammerzofe mit Waschbecken – Arzt mit langen Handtüchern umwickelt die Verwundete, sodass sie bald wie ein Wickelkind oder wie eine Mumie aussieht.

Ehemann und Jugendfreund umarmen sich – erstrer gibt diesem seine Frau und segnet sie – und geht mit der Zofe ab.

Der Arzt ist ganz verblüfft – und will die Bezahlung – das können die beiden nicht – der Jugendfreund zeigt leeres Portemonnaie – die Frau kann infolge der Umwicklung nicht an ihre Taschen ran.

Glücklicher Weise kommen die Eltern und bezahlen und beglückwünschen [207] mit Kopfschütteln und Hintermohrkrauen das neue Paar.

Während die Eltern sich rechts und links in den Sessel fallen lassen und sich den Angstschweiss abwischen – umarmt sich das neue Ehepaar in der Mitte und sinkt langsam in die Versenkung – während der Vorhang auch sinkt.


Nach diesem »Schema Sophie« lassen sich die meisten Theaterstücke der Vergangenheit leicht in Pantomimen verwandeln, die – vollkommen verständlich – das Beachtenswerte in diesen Theaterstücken auch ohne Worte zum Ausdrucke bringen. Die Pantomimen dürften ihrer Kürze wegen in den meisten Fällen den Wortdramen vorzuziehen sein. Die Pantomimen rücken zudem das dramatische Element in eine neue Beleuchtung, sodass schon dieser wegen die alte Wortfassung in den meisten Fällen baldigst aufzugeben wäre.

[208]

Das Gift
Eine Mondschein-Komödie

Personen

Personen.

    • Der moderne Zeitgeist, ein altes Gespenst.

    • Rinaldo, sein unnatürlicher Sohn, ein junges Gespenst.

    • Clemens, ein Pessimist.

    • Clementine, seine seelenvergnügte Braut, gen. Tine.

[Stücktext]

DER MODERNE ZEITGEIST
durch die linke Seitenwand der Laube blickend.
Rinaldo, was machst Du denn da?
RINALDO.

Papa! Solange Du noch lebst, kann man überhaupt nicht viel machen. Du bist wahrhaftig der Lenker unsrer Zeit; [209] Dein Mantel ist die Langeweile – und Dein Hirtenstab ist der grosse Stumpfsinn – der eine Welt verzaubert hat.

DER MODERNE ZEITGEIST.
Du infamer Junge, wirst Du sofort rauskommen?
RINALDO.
Aber Alterchen, warum denn? Ich denke hier grade über Deinen Mantel und über Deinen Hirtenstab nach.
DER MODERNE ZEITGEIST.

In dieser Laube wollen sich zwei Leute, denen unsre Zeit nicht mehr interessant genug vorkommt, das Leben nehmen.

RINALDO.

Ach, Du liebe Zeit! Auch das noch? Ich komme schon. Ich bewundere die Energie dieser Leute. Er geht wackelnd hinaus zum Alten. Aber Väterchen, wenn ich mal an die Regierung komme, dann wirds anders. Ich mach den Leuten den Kopf so warm, dass sie sich gleich gegenseitig in die Haare kriegen sollen. Als Hirtenstab halte ich dann eine lange blutige Nase in der Hand und als Kopfbedeckung trage ich ein kleines Tollhaus. Ha! Ha! Ha!


Sie verschwinden links im Gebüsch – von rechts kommen Clemens und Clementine; mit Weinflaschen und Gläsern gehen sie in die Laube und setzen sich einander gegenüber – Tine links, Clemens rechts.
CLEMENS
giesst die Gläser voll.

Jetzt wollen wir nicht lange fackeln. Ich halts nicht mehr aus. Sie trinken hastig. In einer solchen Zeit mögen Andre leben. Jetzt hab ich genug.

TINE.

Ja, ich hab auch genug! Die Leute können ja heute nicht mal mehr lachen. Lacht kurz auf. So dumm und weiter leben! Fällt mir nicht ein. Raus mit dem Gift! Zieht zwei Pulver aus der Tasche und schüttet sie in die Gläser – Clemens giesst Wein hinzu.

CLEMENS.
Na – wohl bekomms!

Sie stossen an.
TINE.
Es lebe das Gift! Hurrah!

Sie trinken und starren sich lange an.
CLEMENS.

Ich höre was! Es sind ganz ferne Töne! Mir ist so, als könnte ich was davon verstehen. Ich hörte Aehnliches schon in meiner Kindheit – oder in meinem früheren Leben einst! Ich werde noch ein paar Zeilen schreiben.


Er holt ein Notizbuch vor, reisst Seiten aus und beginnt zu schreiben.
[210]
TINE.
Ein köstlicher Mondenschein!
CLEMENS.
Durch den Mondenschein wird die Zeit leider nicht anders gemacht.
TINE.

Ach, was geht mich Deine dumme Zeit an. Ich pfeife auf den Zeitgeist; er kann zum Denkmal werden. Mein Leben führe ich – und nicht des Zeitgeistes Leben.

CLEMENS.

Dein Leben führst Du? Wie lange denn noch? Im Uebrigen: das Gift wirkt ja noch nicht! Er steht auf und schmeckt noch einmal an seinem Glase – dann zerschlägt ers.

TINE.
Na – was hat Dir denn das arme Glas getan?
CLEMENS.
Du hast mich betrogen.
TINE.
So? Meinst Du?
CLEMENS.
Das Pulver in meinem Glase war kein Gift.
TINE.
Das weiss ich! Ich wollte nicht Deinen Tod.
CLEMENS.

Lebe wohl! Stürzt davon und rechts ab; von links kommt der moderne Zeitgeist und erscheint plötzlich in der Türöffnung – und Tine fällt vor Schreck in Ohnmacht.

DER MODERNE ZEITGEIST
hüstelnd mit hohler Stimme.

Du meinst, es gäbe keinen Geist, der in den Köpfen der Menschen regiert? Du meinst, Ihr hättet selber Geist genug? Ich aber sage Dir: ich regiere in Euren Köpfen sehr lebhaft – noch bin ich kein Denkmal. Du aber bist ein ganz malitiöses Frauenzimmer.

RINALDO
steckt rechts den Kopf durch die Laubenwand.
Väterchen, sei nicht so stolz und schimpf nicht so lebhaft. Es geht ja doch bald mit Dir zu Ende.
DER MODERNE ZEITGEIST.

Schlingel, was – weisst – Du? Geht links ab. Man will mich verhöhnen! Lacht grell auf und verschwindet links. Rinaldo verschwindet im Hintergrunde hinter einem Gebüsch. Clemens kommt hastig zurück, um seine Notizbuchblätter zu holen – mit dem Notizbuch in der Hand, sieht die Tine in Ohnmacht mit dem Kopf auf der Geländerbrüstung.

CLEMENS.
Tine! Tine! Was fehlt Dir? Bist Du vergiftet?

Er will sie rütteln, doch da setzt sich in der Laube hinten links der kleine Rinaldo auf die Bank.
[211]
RINALDO.

Onkelchen, warte doch! Lass Deine Tine noch ein bischen liegen – sie wird schon wieder munter werden.

CLEMENS.
Wer bist Du?
RINALDO.
Ich bin ein Geist. Sei ganz still, sonst stech ich Dir die Augen aus. Bleib da stehen.
CLEMENS.
Sprich – was willst Du?
RINALDO.

Sieh mal! Deiner Tine ist mein alter Papa, der moderne Zeitgeist, erschienen, der jetzt noch auf der Erde die Köpfe der Menschen regiert. Deine Braut hatte unvorsichtig und malitiös von meinem Papa, dem modernen Zeitgeist, gesprochen – Du weisst ja: monumental! – und daher hat mein Papa Dein keckes Bräutchen so erschreckt, dass es ohnmächtig wurde – Du siehst ja!

CLEMENS
lachend.
Dein Papa regiert die Köpfe der Menschen?
RINALDO.

Du, wenn Du noch ein Mal so frech lachen tust – mach ich Dich verrückt – dass Du auf allen Vieren herumlaufen musst – wie Hund und Katz.

CLEMENS.
Was willst Du denn eigentlich?
RINALDO.
Ich will Dich blos ein bischen trösten; Du bist aber eine freche Kröte.
CLEMENS.
So sprich doch!

Er setzt sich ihm gegenüber auf die rechte Bank.
RINALDO.

Teuerster, Du hast ja so Recht: der Geist der Zeit ist heuer furchtbar stumpfsinnig und langweilig. Vergiss aber nicht, dass mein Papa schon sehr alt ist. Und wenn er – abgeschafft ist, so komme ich an die Regierung. Ich aber heisse Rinaldo nach dem grossen Räuberhauptmann Rinaldini, der einst in den Abruzzen hauste. Und Du kannst Dir daher leicht denken, wies unter meinem zarten Pfötchen hergehen wird. So viel Mordsradau mit Blut und Leichen solls geben, dass Ihr nicht mehr über Langeweile und Stumpfsinn klagen werdet. Sei also froh, dass mein Papa noch ein bischen lebt. Komm ich erst ran – ich, der Rinaldo – dann wirds eklig!

CLEMENS.
Sprichst Du im Ernst?

Lacht.
RINALDO.

Narr! Ich sprach lustig, und daher sprach ich im [212] Ernst. Das ist so die Gepflogenheit der Geister. Stoss Dich nicht an unsrer Logik! Nimm Deine Geldbeutel in Acht! Schütze Dein Bräutchen! Wenn ich erst regiere, ist Alles in Gefahr. Dann ist der Stumpfsinn tot – und es lebt die grosse allgemeine Verrücktigkeit. Ich will der König der Tollen sein. Hüte Dich! Hüte Dein goldenes Schätzchen und auch das von Fleisch und Blut! Ha! Ha! Ha! Er verschwindet hinten im Gebüsch – Tine schlägt die Augen auf.

TINE.
Wer ging da fort?
CLEMENS.
Rinaldo!
TINE.
Ach – die grosse weisse Gestalt? Hast Du sie auch gesehen? Ist sie weggegangen?
CLEMENS.
Rinaldo war klein und hatte einen weissen Kalabreser auf.
TINE.
Haben wir denn geträumt? Haben wir zuviel getrunken?
CLEMENS.
Ich glaube, Du hast Rinaldos Vater gesehen.
TINE.
Ich sah wirklich – ein weisses Gespenst.
CLEMENS.
Komm, trink ein Glas Wein!

Sie trinken.
TINE.
Willst Du nicht mehr sterben?
CLEMENS.
Nein!
TINE.
Ganz bestimmt nicht? Versprichst Du mir das?
CLEMENS.
Ich versprech es Dir!
TINE.

Clemens, Du machst mich so glücklich. Wirst Du jetzt all den Stumpfsinn und die Langweiligkeit ertragen können?

CLEMENS.
Ja – denn es könnte wahrhaftig noch schlimmer kommen.
TINE
stösst mit ihm an.
Dir scheint ein guter Geist erschienen zu sein.
CLEMENS.
Nein, es war ein böser – ein sehr böser Geist!
TINE.
Lassen wir die Geister! Wir leben ja noch als Menschen.
CLEMENS.
Allerdings! Gestatte, dass ich rauche; es sind so viele Mücken hier.

[213] Er steckt sich eine Zigarre an und greift übern Tisch nach ihrer Hand – sie sehen sich lange an und
trinken wieder – während der Vorhang langsam fällt.
[214]

Band VI

Die Wurzeln der Wohlhabenheit
Ein schildbürgerliches Schauspiel in fünf Akten

Personen

Personen.

    • Philander VII. Kaiser von Utopia.

    • Moritz Wiedewitt, Oberbürgermeister von Schilda.

    • Käseberg, Geheimer Regierungssekretär des Oberbürgermeisters.

    • von Moellerkuchen, Geheimer Regierungssekretär des Oberbürgermeisters.

    • Ratsherren von Schilda.

    • Hofbeamte.

    • Magistratsbeamte.

    • Volk im Hintergrunde.

1. Akt

Erster Akt

Der Bühnenboden bildet ein rechtwinkliges Dreieck, dessen rechter Winkel hinten ist. Die Wände rechts und links, die hinten zusammenstossen, sind weiss. Hohe spitzwinklig-dreieckige Türöffnungen in der Mitte jeder Wand.
In der Mitte der Bühne niedriger dreieckiger Tisch, dessen Kanten parallel den Dreiecksseiten des Fussbodens.
Die beiden Tischseiten, die den Wandseiten parallel laufen, sind mit fünf bis zehn dreieckigen Stühlen besetzt; die Stühle haben keine Lehne.
Hinten vor der rechtwinkligen Ecke sitzt der Oberbürgermeister [215] Wiedewitt, zu seiner Linken Käseberg – zu seiner Rechten von Moellerkuchen.

WIEDEWITT
immer mit einer gelb und rot gestreiften halbkugelförmigen Kappe auf dem Kopfe; die Streifen gehen von der Mitte aus.
Kinder, ich war in der Residenz.
KÄSEBERG.
Ih!
VON MOELLERKUCHEN.
Gings da den Leuten auch so schlecht wie uns?
WIEDEWITT.
Dick waren sie alle.
KÄSEBERG.
Und auch satt?
WIEDEWITT.
Auch satt.
VON MOELLERKUCHEN.
Wie kam das?
WIEDEWITT.
Sie hatten eben sämtlich Uniformen an.
KÄSEBERG.
Ih!
VON MOELLERKUCHEN.
Und der Uniformen wegen gings ihnen gut?
WIEDEWITT.
Ja!
KÄSEBERG.
Dann wollen wir in Schilda ebenfalls alle Leute in Uniformen stecken.
WIEDEWITT.
So gründe fix einen allgemeinen Uniform-Verein für Schilda und Umgegend.
KÄSEBERG.
Sofort!

Ergreift Feder, Dinte, Papier und schreibt emsig.
VON MOELLERKUCHEN.
Lags aber blos allein an den Uniformen?
WIEDEWITT.

Sie hatten auch lauter hohe Titel – wie Rechnungsrat, Kriegsminister, Feldmarschall, Tambour-Major, Professor, Kanzleivorsteher u.s.w.

VON MOELLERKUCHEN.
Das sollten wir ebenfalls in Schilda einführen.
WIEDEWITT.
So gründe Du einen allgemeinen Titular-Verein für Schilda und Umgegend.
VON MOELLERKUCHEN.
Sofort!

Ergreift Feder, Dinte, Papier und schreibt ebenfalls emsig.
[216]
WIEDEWITT
klingelt, und es erscheint sofort ein Magistratsbeamter.

Rufe die Ratsherren herbei und lass sie sich im grossen Versammlungssaal versammeln. Magistratsbeamter ab mit Verbeugung.

WIEDEWITT
klingelt nach ein paar Augenblicken, während die Sekretäre sehr heftig und erregt weiterschreiben, nochmals, und es erscheint ein zweiter Magistratsbeamter.
Lass das Volk von Schilda in den Vorhof kommen.
ZWEITER MAGISTRATSBEAMTER.
Es ist schon da.
WIEDEWITT.

Gut! Geh! Zweiter Magistratsbeamter ab. Die beiden Sekretäre überreichen ihre Gründungsmanuskripte dem Oberbürgermeister, der sie im Handumdrehen liest und dabei das Folgende redet. Ihr könnt nun mit diesen Manuskripten hinausgehen und selbige auf den beiden Volksbalkons dem versammelten Volke vorlesen.Die Sekretäre verbeugen sich und gehen mit ihren Manuskripten rechts und links ab, und der Oberbürgermeister klingelt wieder – und es erscheint ein dritter Magistratsbeamter. Sage den Ratsherren, sie möchten sich von meinen Sekretären die neuen Gründungserlasse zeigen lassen.

MAGISTRATSBEAMTER.
Sie tuns bereits.
WIEDEWITT.
Gut! Geh! Magistratsbeamter ab.

Draussen entsteht rechts und links ein grosses Halloh der Ratsherren, mit dem sich Hurrah-Geschrei des Volkes mischt. Wiedewitt schmunzelt. Der Vorhang fällt.

2. Akt

Zweiter Akt

Bühne wie im vorigen Aufzug – aber alle Stühle neben den drei an der Spitze von teilweise uniformierten Ratsherren besetzt – ihre Zahl beliebig – aber sechs mindestens.

[217]
WIEDEWITT
einen Brief wie eine Fahne über dem Kopfe schwenkend.
Da haben wir den Salat! Die Ratsherren machen entsetzte Gesichter und sehen recht albern aus.
WIEDEWITT.

Der Kaiser von Utopia hat von unsern beiden Gründungen gehört und ist leider leider – furchtbar wütend. Er schreibt mir unter Anderm in diesem Briefe auch die folgenden sehr deutlichen Zeilen: »Wenn sich dumme Lausbuben in Schilda herausnehmen, sich über die Einrichtungen in meiner Residenzstadt lustig zu machen, so werde ich nach Schilda kommen und da Alles kurz und klein schlagen. Ich werde den Schildbürgern schon zeigen, wer Kaiser im Lande ist. Frechheiten lass ich mir ein für alle Mal nicht gefallen.«

VON MOELLERKUCHEN.
Ach! Ach! Ach! Und wir haben uns doch garnichts Böses bei unsern Gründungen gedacht!
ERSTER RATSHERR.
Denn wollen wir man die Uniformen und Titel gleich wieder abschaffen.
KÄSEBERG.
Das wäre noch schöner!
VON MOELLERKUCHEN.
Unsre Gründungen wollt Ihr abschaffen?
KÄSEBERG.
Das wird nie geschehen!
VON MOELLERKUCHEN.
Nie! Nie! Nie!
WIEDEWITT.

Bedenkt doch nur, dass wir durch die Uniformen und durch die Titel blos wohlhabender werden wollten. Wir können doch nicht verhungern.

ZWEITER RATSHERR.
Aber wenn der Kaiser uns Alle kurz und klein schlägt?
WIEDEWITT
klingelt – und sagt zum hereinlaufenden Magistratsbeamten.
Hole das Volk!
MAGISTRATSBEAMTER.
Es steht schon wieder draussen.

Ab.
WIEDEWITT
erhebt sich.
Ihr braucht nicht zu bibbern und zu beben. Euer Bürgermeister sorgt schon für Euch.
DRITTER RATSHERR.
Ach, rede blos schnell, wir haben ja so grosse Angst.
WIEDEWITT.

Wir laden den Kaiser einfach ganz höflich ein, hierherzukommen, sprechen mit ihm und beweisen ihm, dass wir nichts böse gemeint haben.

[218]
ALLE.
Ah! Ah!
WIEDEWITT.

Was? Da sagt Ihr nur: Ah? von Moellerkuchen, geh sofort hinaus und teile dem Volke mit, dass der Kaiser Philander der Siebente, der Beherrscher des Landes Utopia, eingeladen werden soll, nach Schilda zu kommen. Von Moellerkuchen stürzt hinaus, und gleich darauf ertönt draussen ein wildes Hurrahgebrüll des Volkes. Die Ratsherren erheben sich und streicheln ihren Bürgermeister.


Vorhang!

3. Akt

Dritter Akt

Bühne wie in den beiden ersten Aufzügen. Die Wände sind aber mit bunten Guirlanden geschmückt. Der Bürgermeister sitzt mit seinen beiden Sekretären und mit seinen Ratsherren genau so am dreieckigen Tisch wie im zweiten Aufzuge.

WIEDEWITT
aufstehend.

Freunde! Ratsherren! Mitbürger! Zeitgenossen! Es ist leider leider kein gutes Zeichen, dass der Kaiser nicht von uns am Bahnhofe empfangen werden will. Aber – wir wollen nicht verzagen. Setzt sich.

ERSTER RATSHERR.
Er muss schon in Schilda sein.
ZWEITER RATSHERR.
Ob er gleich hierher kommen wird?
WIEDEWITT.
Horcht nur! Sie kommen schon! Nun nehmt Euch zusammen!

Prächtig uniformierte, aber nicht bewaffnete Hofbeamte kommen von rechts und von links hinter einander herein und stellen sich steif in Reih und Glied an den Wänden auf. Die Ratsherren am dreieckigen Tisch erheben sich und verbeugen sich mehrfach sehr untertänig, aber die Hofbeamten tun furchtbar vornehm und erwidern die Grüsse nicht im Mindesten, worüber die Schildbürger in nicht
geringe Verlegenheit [219] geraten. Zuletzt kommt der Kaiser mit riesig grossem weissen Bart, langem purpurroten Gürtelrock und einer goldenen ganz einfachen Zackenkrone. Wiedewitt eilt dem Kaiser entgegen und bietet ihm seinen Sitz an und setzt sich, nachdem sich der Kaiser gesetzt hat, zu seiner Rechten. Die andern Ratsherren setzen sich auch; einer muss stehen und weiss nicht, wo er stehen soll, und rennt nun aufgeregt herum.
KAISER.
Schildbürger, stell Dich hinter mich!

Der Ratsherr tuts.
WIEDEWITT
steht auf.

Im Namen Schildas danke ich für den ehrenden Besuch des Kaisers von Utopia aufs Herzlichste. Der Kaiser Philander der Siebente lebe hoch! Dreimaliges Hochgebrüll der Ratsherren.

KAISER.
Oberbürgermeister, setz Dich ruhig hin.
WIEDEWITT
sich setzend.
Ich danke dafür, dass ich mich setzen darf, dem Kaiser von Utopia aufs Herzlichste.
KAISER.

Ja, Kinder! Nun wollen wir mal einen vernünftigen Ton reden. Schildbürger, der Du hinter mir stehst, sage mir noch ein Mal ganz grade heraus: weswegen habt Ihr den Uniform-Verein und den Titular-Verein gegründet? Ganz grade heraus!

DER RATSHERR
hinter dem Kaiser.
Um dick und fett dadurch zu werden. Die Hofbeamten lachen laut auf.
DER KAISER
schmunzelnd.

Nun – da die Sache so liegt, so will ich an Eure Harmlosigkeit glauben – wenn Ihr mir die folgenden Wünsche, die ich gleich aussprechen werde, erfüllen könnt!

WIEDEWITT.
Wir tun gern Alles, was der Kaiser wünscht; wir sind reichstreu und meinen Alles ehrlich.
VON MOELLERKUCHEN.
Das kann uns doch nur Vorteile bringen.
KAISER.
Gut! Das ist ehrlich! Aber – könnt Ihr Eure Frauen auch uniformieren?
DIE SCHILDBÜRGER
lebhaft.
Jawohl!
KAISER.
Könnt Ihr auch die neugeborenen Kinder uniformieren[220] – gleich nach der Geburt?
DIE SCHILDBÜRGER
noch lebhafter.
Jawohl!
KAISER.
Könnt Ihr auch Eure Häuser uniformieren?
WIEDEWITT.
Das werden wir auch schon machen.
KAISER.
Könnt Ihr auch Eure Strassen uniformieren?
KÄSEBERG.
Ih, das kriegen wir auch noch fertig.
KAISER.

So! So! Na – könnt Ihr auch Euren Himmel uniformieren? Ein sprachloses Erstaunen erfasst die Schildbürger – die Hofleute lächeln.

KAISER
steht auf.

Wenn Ihr in acht Tagen nicht wisst, wie Ihr den Himmel uniformieren könnt, so lass ich Euch Allen die Köpfe abschlagen. So – nu denkt ordentlich nach! Er geht hinaus, die Schildbürger fassen sich an den Kopf und ringen die Hände – die Hofleute lachen herzlich und folgen dem Kaiser.


Vorhang!

4. Akt

Vierter Akt

Bühne wie im dritten Aufzuge, einige Guirlanden sind aber abgerissen und hängen unordentlich durch einander. Wiedewitt sitzt ganz allein am dreieckigen Tisch.

WIEDEWITT
schiebt seine Kappe ins Genick und klingelt – es stürzen von rechts und links die beiden Sekretäre herein.
Ich habs immer noch nicht gefunden. Haben die Andern schon was gefunden?
BEIDE SEKRETÄRE.
Nein!
WIEDEWITT.

Dann lasst mich wieder allein. Denkt auch selber eifrig darüber nach, wie wohl der grosse Himmel uniformiert werden könnte.


Sekretäre ab.
WIEDEWITT
nimmt seine Kappe ab und betrachtet sie.

Diese [221] Kappe ist auch uniformiert. Denn zum Uniformieren gehört nur zweierlei Tuch. O Kappe, wenn Du mir doch sagen könntest, wie man den Himmel uniformiert. Er steht auf und wandelt um den Tisch – immer mit der Kappe in der Hand. Kappe, Du Oberbürgermeistershut, wenn Du so gross wärest, dass man Dich der ganzen grossen Stadt Schilda aufsetzen – auf den Kopf setzen könnte – oder so wie man eine Käseglocke über den Käse stülpt! Leider, Du liebe Stadt, hast Du keinen Kopf! Indessen! Ha! Ein Gedanke! Hah! Ich habs gleich! Sone Kappe wie meine Kappe über ganz Schilda gestülpt – ob Schilda Kopf hat oder nicht, ist ja ganz egal – na ja – und wenn Schilda sone Kappe auf hat, dann ist ganz Schilda uniformiert. Freilich! Er springt vor Vergnügen über einige Stühle. Und wenn ganz Schilda unter der grossen gelb und rot gestreiften Kappe sitzt – dann ist bei uns der Himmel doch auch uniformiert – man sieht ja über Schilda nur die gelben und roten Streifen. Hurrah! Ich habs! Ich danke Dir, liebe Kappe!Er klingelt, und die beiden Sekretäre stürzen wieder herein. Fix, Kinder, holt die Ratsherren – ich habs.

DIE SEKRETÄRE
fortstürzend.

Er hats! Er hats!Die Ratsherren kommen und umarmen ihren Bürgermeister, der seine Kappe lustig in der Luft herumschwenkt.

KÄSEBERG.
Hast es wirklich gefunden? Wiedewitt! Wiedewitt!
DER BÜRGERMEISTER.

Kinder denkt Euch diese Kappe so gross, dass sie wie eine Käseglocke über unsre ganze Stadt gestülpt werden kann. Und Er hebt die Mütze hoch. seht Euch die gelben und roten Streifen auch im Innern dieser Mütze an. Steht Ihr darunter – so seht Ihr nichts vom Himmel – er ist eben so – uniformiert.

DIE SCHILDBÜRGER
durch einander.

Ih! Wetter! Hagel! Ja! Ja! Potz Blitz! Richtig! Das stimmt! Wir sind gerettet! Famoser Gedanke! Himmlisch!

WIEDEWITT.

Na – Ihr versteht mich, nicht wahr? Schilda wird einfach mit roten und gelben Tuchstreifen überspannt über allen Strassen – überm Markt – überall – wo Ihr geht und steht[222] – seht Ihr dann einen rot und gelb gestreiften Himmel. Auf! sagt dem Volke, die Stadt Schilda müsse überspannt werden!


Es donnert.
VON MOELLERKUCHEN.

Oberbürgermeister, Du hast uns gerettet! Hurrah! Der Himmel freut sich auch! Er freut sich auch über Deinen grossen Meistergeist.

ALLE SCHILDBÜRGER
jubelnd durch einander.
Die Stadt Schilda wird überspannt – überspannt – überspannt.

Es donnert nochmals stärker – Alle blicken nach oben, lächeln und zeigen mit dem rechten Zeigefinger nach oben. Es donnert dabei zum dritten Mal – Entzücken malt sich auf den Gesichtern – der Vorhang fällt langsam.

5. Akt

Fünfter Akt

Bühne wie im dritten Aufzuge; die Guirlanden sind wieder ordentlich angebracht. Der Kaiser sitzt wieder mit den Schildbürgern am dreieckigen Tisch und streicht sich nachdenklich den Bart, die an den Wänden stehenden Hofbeamten tun desgleichen. Alle Schildbürger sitzen.

KAISER.

Ihr habt es fertig gebracht, den Himmel zu uniformieren; Ihr spanntet einfach gelbe und rote Tuchstreifen über die ganze Stadt. Ihr machtet einen grossen Oberbürgermeistershut zu Eurem Himmel. Na – Ehre, dem Ehre gebührt. Jedoch daraus ersieht jeder vernünftige Einwohner von Utopia, dass Ihr garnicht so dumm seid – wie Ihr Euch anstellt. Und daraus geht wieder hervor, dass Ihr Euch lustig machen wolltet – über meine Residenz einerseits und über mich selbst andrerseits. Eure famosen Gründungen sollen nicht in Vergessenheit geraten. Und deshalb sollt Ihr Alle an den Galgen. Ich werde Euch an den Beinen aufhängen lassen – Ihr seid [223] ganz infame Narren – ich werds Euch zeigen.


Steht auf.
WIEDEWITT
steht auch auf.

Gnädigster Herr Kaiser, Ihr haltet uns für schlecht, und wir sinds doch nicht. Wenn der Herr Kaiser gesehen hätten, wie wir geschwitzt haben beim Nachdenken – und wie ich auf die Idee von der überspannten Stadt nur durch diesen meinen Oberbürgermeistershut gekommen bin Er gibt dem Kaiser seine Kappe. – Ihr würdet uns nicht an den Beinen aufhängen wollen. Wir sind wirklich alle so beschränkt im Verstande – wie wir aussehen.

DIE SCHILDBÜRGER
durch einander.
Ja, das sind wir! Das stimmt! Wir sind nicht so klug! Wir sind reichstreu.
WIEDEWITT.

Lieber Kaiser, sei mal Oberbürgermeister von Schilda – eine kurze Zeit – dann wirst Du einsehen, was für prächtige Untertanen die Schildbürger sind.

KAISER.

Ha! Das lässt sich hören! Der Gedanke gefällt mir. Also schön, Kerls! Ich will Euch noch mal begnadigen – unter der Bedingung, dass Ihr Mich – für ein Jahr – zum Oberbürgermeister von Schilda erwählt – und Euren alten Wiedewitt mit meiner Krone aufm Kopf in meine Residenz – als Kaiser einziehen lasst.


Schildbürger springen wild auf, johlen und schreien vor Vergnügen, umarmen sich, küssen dem Kaiser die Hände und den Saum des Gewandes, während sich der Kaiser die Kappe und der
Oberbürgermeister die Krone aufsetzt.
WIEDEWITT.
Schildbürger, huldigt meinem Nachfolger!
SCHILDBÜRGER
durch einander.

Das ist herrlich! Das ist ein ulkiger Oberbürgermeister! Feine Nummer! Der muss auf den Tisch! Hurrah! Helft ihm rauf! Rauf!


Und man hebt den Kaiser fast mit Gewalt auf den dreieckigen Tisch, der kaum drei Viertel Meter hoch ist, hinauf. Dann fallen alle Schildbürger [mit Ausnahme des Wiedewitt, der alle Hofbeamten hinter einander mit dem rechten Zeigefinger betupft, wobei sie alle respektlos lachen] neben den Stühlen auf die Kniee und singen:

Wir loben Dich,
Wir preisen Dich,
[224] Wir sind Dir furchtbar gut;
Du trägst ja jetzt auch unsern
Oberbürgermeistershut.

Hiernach sind die Schildbürger plötzlich ganz still, als wenn sie beten – die Hofleute lachen nicht mehr – der Kaiser kraut sich hinter den Ohren.
WIEDEWITT
nach einer Weile mit sehr starker Stimme.

Hofbeamte! Da Ihr bei der feierlichen landesüblichen Einweihung des neuen Oberbürgermeisters sämtlich respektlos gelacht habt, werdet Ihr zu acht Tagen Gefängnis verurteilt – bei Wasser und Brot. Jetzt schert Euch sofort raus, sonst soll Euch das Donnerwetter holen. Die Hofbeamten gehen erschrocken eiligst ab, der Kaiser kraut sich zum zweiten Mal hinterm Ohr. Dir aber, Oberbürgermeister Philander, der Du da auf dem Tische stehst, befehle ich, Dein Amt ordentlich zu verwalten, sonst komme ich nach Schilda und schlage hier Alles kurz und klein. Merk Dir das!


Wiedewitt geht sehr majestätisch ab, und der Kaiser, der jetzt mit den Schildbürgern allein bleibt, kraut sich zum dritten Male hinter den Ohren. Die Ratsherren und Sekretäre stehen auf, fassen sich an die Hände und umtanzen den dreieckigen Tisch, auf dem jetzt der Kaiser mit untergeschlagenen Armen wie ein Denkmal dasteht, während die Ratsherren und Sekretäre ihr Lied von vorhin wiederholen – aber im schnelleren Tempo – wobei sie ausgelassen immer höher springen und alle Stühle umwerfen.
Der Vorhang!
[225]

Die Urgrossmutter
Eine Tragi-Komödie in einem Aufzuge

Personen

Personen.

    • Die Urgrossmutter.

    • Constantin, der Enkel.

    • Manella, seine Braut.

[Stücktext]

URGROSSMUTTER
mit matter Stimme.

Setzt Euch, Kinder! Du, Constantin, komm hier an meine rechte Hand – und die Ella kommt hier vor den Tisch, nicht wahr?


Beide nehmen zwei niedrige Hocker, rücken ein wenig am Tisch und setzen sich.
[226]
MANELLA.
Urgrossmutter, hast Du auch die Medizin schon genommen?
URGROSSMUTTER.
Ja, mein Kind! Jetzt soll aber auch der Constantin seine Medizin bekommen.
CONSTANTIN.
Liebe Urgrossmutter!
URGROSSMUTTER.

Sprich nicht! Ich weiss Alles. Die Ella hat mir erzählt, dass Du ein sogenannter Weltverbesserer werden möchtest – das genügt ja.

CONSTANTIN.
Liebe Urgrossmutter!
URGROSSMUTTER.

Rede nicht! Höre zu! Ich kann mir ja denken, dass Du in Deinen jungen Jahren Dir leicht einbilden kannst, Du seist klüger als der liebe Gott und verstündest Dich aufs Weltenschaffen besser als Er.

CONSTANTIN.
Liebe Urgrossmutter!
URGROSSMUTTER.

Lass mich ausreden! Ich weiss ja, was Du sagen willst. Du glaubst, diese Welt sei man sehr unvollkommen – die jungen Leute machen lauter dumme Streiche, und die alten Leute sterben allmählich ab. Ja, das sieht ja so von aussen nicht sehr erbaulich aus. Aber deswegen darfst Du doch nicht die Welt verachten. Denn – wenn man seinen inneren Frieden gefunden hat – so pflegt man den äusseren Unfrieden nicht mehr sehr ernst zu nehmen. Lass mich aussprechen – es fällt mir schwer, meine Gedanken zusammen zuhalten. Sieh nur an! Die gute alte Zeit war doch wirklich eine gute alte Zeit – das würdest Du einsehen, wenn auch Du Deinen inneren Frieden gefunden hättest. Und deswegen sollst Du Beamter werden, mein Kind! Lass das Weltverbessern andern Leuten, die dazu verdammt sind, im innern Unfrieden ihre Erdentage dahinzuleben.

CONSTANTIN.
Nein, Urgrossmutter! Beamter kann ich leider nicht werden.
URGROSSMUTTER.

Gut! So werde ich Dir Dein Erbteil entziehen, und Du sollst nur so viel bekommen, wie Dir von Gesetzes wegen zusteht.

MANELLA.
Urgrossmutter! Mach uns nicht unglücklich! Sei nicht zu streng gegen Constantin!
[227]
URGROSSMUTTER.
Ich will Constantins Bestes – und da ist Strenge das erste Erfordernis.
CONSTANTIN.

Liebe Urgrossmutter, ich werde Dich ebenso lieb haben wie bisher – auch wenn Du mich enterben solltest. Aber – Beamter kann ich nicht werden.

URGROSSMUTTER.

Das dachte ich mir! Ich weiss ja, dass Du nicht so leicht zu biegen bist. Aber – wenn Du durchaus nicht Beamter werden willst – so versprich mir wenigstens, ein bestimmtes Studium zu ergreifen, das mit einer festen Stellung gekrönt wird.

CONSTANTIN.

Liebe Urgrossmutter – das Studieren ist heute wirklich veraltet – und hat nur noch für Spezialforscher einen Zweck. Die Spezialforscher haben aber heute nicht mehr eine so grosse Bedeutung – jedenfalls nicht eine, die mir genügt. Ich will eben mehr. Wenn Ihr mich Weltverbesserer nennt – so nennt mich meinetwegen so. Aber – aus dem Studieren, wie Ihrs Euch denkt, wird auch nichts.

URGROSSMUTTER.

Also so weit ist es nun schon gekommen? Du willst Dein Verderben. Du willst das Neue, das Nochnichtdagewesene – und weisst nicht, dass das blos Unfrieden bringt – während der innere Friede nur am Alten hängt – an alten Möbeln, alten Institutionen, an alten Leuten und alten Sitten, an alten Fürsten und alten – Urgrossmüttern.


Sie weint und trocknet sich mit ihrem Taschentuch die Tränen. Manella weint auch.
CONSTANTIN.

Urgrossmutter! Vielleicht finde ich den inneren Frieden grade in dem Neuen, das ich suche. Wenn ich das Neue, das ich suche, gefunden habe, werde ich auch den inneren Frieden haben.

URGROSSMUTTER.

Nein, den inneren Frieden findest Du nur beim Alten – er lässt sich von dem Alten nicht ablösen. Constantin, ich werde heute noch sterben.

CONSTANTIN.
Aber Urgrossmutter!
MANELLA.
Aber Urgrossmutter!
URGROSSMUTTER.

Ich lebe kaum noch zehn Minuten – deswegen schwöre mir, Constantin, beim Andenken Deiner Mutter, dass [228] Du eine feste Stellung annehmen willst.

CONSTANTIN.
Aber Urgrossmutter!
URGROSSMUTTER.
Willst Du mir den letzten Wunsch in meinem Leben nicht erfüllen?
CONSTANTIN.
Ja! Ja!
URGROSSMUTTER.
So schwöre!
CONSTANTIN.
Ich – ich – schwöre.
URGROSSMUTTER
leise.
beim Andenken meiner Mutter
CONSTANTIN.
beim Andenken meiner Mutter
URGROSSMUTTER
leise.
eine feste Stellung anzunehmen und alle Weltverbesserungspläne in den Ofen zu stecken.

Constantin spricht das zögernd und schliesslich lächelnd nach.
URGROSSMUTTER
laut.
Um meines inneren Friedens willen.
CONSTANTIN
hart.
Um meines inneren Friedens willen.
URGROSSMUTTER.

Jetzt sterbe ich! Ich – segne – Euch! Fällt zurück und ist tot. Die Beiden springen erschrocken auf, behorchen sie und befühlen sie und fangen dann zu weinen an und sinken sich schluchzend in die Arme.


Langsam fällt der Vorhang.
[229]

Lachende Gespenster
Ein Schauspiel zwischen schwarzen Wänden in einem Aufzuge

Personen

Personen.

    • Friedrich, ein Grossdestillateur.

    • Amalie, seine Ehefrau.

    • Lisette, Amaliens Kammerzofe.

    • Drei Gespenster.

[Stücktext]

FRIEDRICH
ohne sich umzudrehen.
Wer stört mich denn da wieder? Wer ist da?
LISETTE
die hinten mit einer Kerze in der Hand erscheint.
Lisette.
FRIEDRICH.
Das sagt nicht viel. Welche Lisette?
LISETTE.
Die Lisette, die Kammerzofe der gnädigen Frau.
FRIEDRICH.
Was will sie denn?
[230]
LISETTE.

Die gnädige Frau möchte den gnädigen Herrn sprechen, und ich sollte fragen, ob das dem gnädigen Herrn angenehm wäre.

FRIEDRICH.

Angenehm ist mir das ganz und gar nicht – aber lass sie nur kommen – wenns nur nicht zu lange dauert.

AMALIE
in hellblauem Morgenrock.

Friedrich, schämst Du Dich nicht, in Gegenwart des Dienstpersonals in so verächtlicher Weise von mir zu sprechen? Angenehm ist es Dir ganz und gar nicht, wenn Deine Frau zu Dir kommt?

FRIEDRICH.
Schrei blos nicht so!

Er rührt weiter mit seinem Löffel, dreht sich auch im Folgenden nicht um.
AMALIE.
Lisette, holen Sie einen kleinen Spieltisch. Ich werde die Kerze so lange halten.

Lisette ab.
FRIEDRICH.
Willst Du mit mir Karten spielen?
AMALIE.
Nein, ich will die Kerze nicht so lange halten. Ich habe Dir eine Erklärung zu machen.
LISETTE
bringt einen kleinen ziemlich hohen dünnbeinigen Tisch aus Mahagoniholz.
Wo soll ich den Tisch hinstellen?
AMALIE.

Hier! Der Tisch wird hinten links vor die Rückwand gestellt und der Leuchter darauf. Lisette, Sie können gehen. Lisette ab.

FRIEDRICH.
Du willst wohl Tischrücken mit mir spielen und die Geister beschwören.
AMALIE.
Nein, ich will Dir blos ganz grade heraus meine Meinung sagen.
FRIEDRICH.
Ja, ja, rede nur zu!
AMALIE.
Draussen ist Frühling – heller Sonnenschein – blauer Himmel – hellgrün sind die Bäume.
FRIEDRICH.
Das ist immer um diese Jahreszeit da. Nennst Du das: Deine »Meinung« sagen.
AMALIE.
Ha, Du höhnischer Mensch! Schämen solltest Du Dich, Deine arme Frau so gemein zu behandeln.
FRIEDRICH
sehr lebhaft weiter in seinem Topfe herumrührend.
Amalie! Gemahlin! Ich tu Dir doch nichts.
AMALIE.
Wie? Du tust mir nichts?
[231]
FRIEDRICH.
Ich tu Dir Garnichts.
AMALIE.

So? Seit Jahr und Tag sitzest Du hier zwischen Deinen schwarzen Wänden und braust Deine berühmte Tinktur zusammen.

FRIEDRICH.
Zum Heile der Menschheit.
AMALIE.
Was geht mich die Menschheit an?
FRIEDRICH.
Sei nicht so roh! Du weisst, dass ich die Geschichte bald raus habe.
AMALIE.

Mich wirst Du bald raus haben. Ich pack schon meine Sachen und verlasse Dich. Hast Du mich verstanden?

FRIEDRICH.
Meine Tinktur wird die Menschen so klug machen.
AMALIE.

Du bist selber nicht sehr klug. Brau man Deine Tinktur für Dich allein. Ich packe meine Sachen und geh los. Es ist Frühling draussen.

FRIEDRICH.
Meine Tinktur wird die Menschen nicht blos klug – sondern auch schmerzlos machen.
AMALIE
abgehend.
Ich packe einfach ein.
FRIEDRICH
während Amalie nicht mehr da ist.

Hör nur, Amalie! Du musst noch ein bischen Geduld haben. Bald werde ich die Geschichte raus haben – und dann werden die Menschen erlöst werden – von allen Schmerzen. Dann wirst auch Du ganz glücklich sein – und auch ganz klug. Heute bist Du nicht ganz klug – nicht wahr, Amalie? Warum bist Du so still? Denkst Du über den Frühling nach?Ein weisses Gespenst erscheint hinten rechts und geht langsam zum Tisch und löscht das Licht aus. Warum hast Du das Licht ausgelöscht?

ERSTES GESPENST
langsam links nach vorne kommend – mit sehr tiefer Frauenstimme.
Ich will Dir selbst ein Licht sein.
FRIEDRICH.
Aber Amalie, wozu verstellst Du denn so Deine Stimme?
ERSTES GESPENST.
Ein Licht hat immer eine tiefere Stimme.
FRIEDRICH.
Rede – ich höre – ich bin sogar neugierig auf das, was Du mir mit tieferer Stimme zu sagen hast.
ERSTES GESPENST
sich links an der Wand niederkauernd.
Du [232] willst die Menschen alle klug machen, und das geht doch nicht.
FRIEDRICH.
Warum nicht?
ERSTES GESPENST
stets mit sehr tiefer Stimme.
Kein Einfall kann so klug sein, dass er nicht von einem klügeren übertrumpft werden könnte.
FRIEDRICH.

So? Na ja! Und da meint meine Amalie, dass selbst die feinste Klugheit schliesslich auch blos wie eine Dummheit aussehen könnte.

ERSTES GESPENST.

Ganz meine Meinung! Es ist deshalb nicht nötig, die Menschen klüger zu machen, als sie sind. Man könnte ja niemals mehr das Gefühl des Steigens bekommen, wenn alle Menschen gleich hoch stünden. Und das Erhabene gäbs dann auch nicht mehr – und auch nicht mehr das Lächerliche.


Das Gespenst lacht unheimlich.
FRIEDRICH
während das zweite Gespenst hinten rechts erscheint und rechts vor der hinteren Wand stehen bleibt.
Amalie, Du kommst mir so verändert vor.
ERSTES GESPENST.
Vergiss einmal, dass Du Ehemann bist.
FRIEDRICH.
Gerne – ich vergesse.
ERSTES GESPENST.
Du willst nun noch die Schmerzen der Menschheit beseitigen – mit Deiner Tinktur – nicht wahr?
FRIEDRICH.
Ja, das will ich.
ERSTES GESPENST.

Die Schmerzen der Menschheit sind aber blos pure Einbildungssache – sie sind garnicht da – und was nicht da ist, kann man doch nicht beseitigen – nicht wahr?

FRIEDRICH.

Aber Malchen! Woher hast Du denn das? Ja – das könnte man vielleicht ganz gut behaupten und auch verteidigen. Aber die Menschen werdens nicht begreifen.

ZWEITES GESPENST
langsam rechts nach vorne kommend – stets mit sehr hoher greller Frauenstimme.
Wer nicht hören will, muss fühlen.
FRIEDRICH.

Das ist ja wieder eine andere Stimme – das wirkt ja ganz unheimlich; und die hohe Stimme wirkte noch tiefer als die tiefen Schallwunder!

ERSTES GESPENST.

Ich glaube, die Menschen werden noch Dinge [233] begreifen lernen, die noch viel komplizierter als alle Schallwunder sind. Wenn Du unten im Tale stehst, so glaubst Du, dass die Wolken ganz langsam dahinziehen. Aber wenn Du oben auf dem Berge stehst, so merkst Du, dass die Wolken fliegen – wie schnelle Schwalben. Und Du musst lachen, dass Du die Wolken mal für langsam und träge halten wolltest. So ist es auch mit der Entwicklung der Menschen, die doch auch nur Wolken sind.

FRIEDRICH.

Aber sie werdens doch nicht begreifen – so bald noch nicht – sie werden sich eben einbilden, dass sie Schmerzen haben – und das ist so gut, als wären die Schmerzen wirklich da. Sehr schnell und eifrig gestikulierend. Meine Tinktur soll ja eben die Menschen so klug machen, dass sie ihre Schmerzen nicht mehr als Schmerzen empfinden – dass sie sich immerzu ganz wohl fühlen – sich immer zu trösten wissen.

ZWEITES GESPENST.
Es gibt aber schon sehr viele Menschen, die sich immer zu trösten wissen – auch ohne Deine Tinktur.
FRIEDRICH.
So? Gibt es die?
ZWEITES GESPENST
sich mitten an der rechten Wand niederkauernd.

Freilich! Du bist ja schon so lange nicht draussen gewesen – draussen im Sonnenschein! Da draussen gibt es solche Leute scharenweise! Das zweite Gespenst lacht – und das erste Gespenst lacht, wenn das zweite aufgehört hat, ebenfalls – und so lachen sie abwechselnd hinter einander.

FRIEDRICH
nachdem er mit der Hand am Ohr nach beiden Seiten hingehorcht – angstvoll.
Hier lachen ja Zwei!

Es wird ganz still.
ZWEITES GESPENST
doktrinär.

Die Leute draussen haben längst begriffen, dass die sogenannten Schmerzen und Unbequemlichkeiten im menschlichen Leben einfach notwendig sind – notwendig zur Erhaltung des Lebens – denn wo Alles glatt und ewig freudenvoll zugeht – fehlt schliesslich die Sensation – es passiert nichts mehr – und die glücklichsten Menschen fangen langsam an, sich in unbeschreiblicher Weise zu langweilen.

FRIEDRICH.
So? Das Glück ist also langweilig?
[234]
ERSTES GESPENST.
Allerdings!
ZWEITES GESPENST.
Allerdings!
DRITTES GESPENST
das hinten links erscheint.
Allerdings!
FRIEDRICH.
Jetzt sprechen ja Drei! Amalie! Amalie! Wo bist Du?
DRITTES GESPENST
stellt sich in die Mitte der hintern Wand und bleibt da hoch aufgerichtet stehen.

Höre weiter! Unterbrich mich nicht durch Deine Angst. Wir sind lachende Gespenster. Alle drei lachen. Das dritte Gespenst spricht stets mit konventionellem Theater-Pathos.

FRIEDRICH.
Von wo kommt Ihr her?
ERSTES GESPENST.
Aus einer andren Welt.
ZWEITES GESPENST.
Aus einer Welt, in der es ebenfalls immer noch Schmerzen, Unbequemlichkeiten und Dummheiten gibt.
DRITTES GESPENST.

Aus einer Welt, in der man nicht mehr klagt und stöhnt – und nicht mehr Tinkturen braut, um das Leiden zu lindern.

FRIEDRICH.
Soll ich auch das Lachen lernen?
ALLE DREI GEISTER.
Das wäre gut!

Lachen kurz auf.
FRIEDRICH.

Na – meinetwegen! Ich wills versuchen! Möge der Teufel meine Tinktur weiterbrauen! Nimmt den Löffel aus dem Topf und zerbricht ihn, wobei er sich die Finger verbrennt und »Au!« schreit.

ALLE DREI GESPENSTER
zusammen.

Au! Lachen unbändig und sehr lustig, während Friedrich ärgerlich die beiden Löffelstücke rechts und links hinwirft und sich die Finger am Munde kühlt.

DAS DRITTE GESPENST.

Wenn die Gegenwart Alles fertig und vollendet hätte – dann gäbs doch keine Zukunft mehr – und dann wäre doch das höchste Glück – das Hoffnungsglück – ganz undenkbar.

DAS ERSTE GESPENST.
Ganz undenkbar!
DAS ZWEITE GESPENST.
Es gäbe dann keine Hoffnung mehr.
DAS DRITTE GESPENST
sehr laut und schön.
Keine Hoffnung mehr!
[235]
DAS ERSTE GESPENST
dumpf.
Keine Hoffnung mehr!
DAS ZWEITE GESPENST.
Schlag Deinen Kochtopf entzwei.
FRIEDRICH.
Nein, der kann ja in der Küche gebraucht werden.
DAS DRITTE GESPENST.
Kommt her zu mir!

Die beiden andern Gespenster stehen auf und gehen nach hinten.
FRIEDRICH.
Wo seid ihr? Wer hält mir den Kopf fest? Ich will Euch sehen.
DAS ERSTE GESPENST.
Wozu willst Du uns sehen? Glaubst Du, nur das sei da, was Du sehen kannst?
FRIEDRICH.
Nein, ich glaube schon, dass noch mehr da ist.
DAS ZWEITE GESPENST.

Bleib also ruhig sitzen vor Deinem Kochtopf, der in der Küche weiterleben soll. Das klingt so zukunftsvoll. Das klingt so leicht und hoffnungsvoll.

ERSTES GESPENST.
Sei lustig, alter Friedrich! Die Schmerzen sind ja garnicht da.
ZWEITES GESPENST.
Wer wird denn noch an eine Wirklichkeit glauben!
ERSTES GESPENST.
Das ist ja ungebildet!
ZWEITES GESPENST.
Auch die Schmerzen haben keine Wirklichkeit!
DRITTES GESPENST
laut und schön.
Wenn nur die Hoffnung bleibt!
ALLE DREI GESPENSTER.
Wenn nur die Hoffnung bleibt!
DAS DRITTE GESPENST.

Draussen ist es grün Alle drei umschlingen sich. und das Grün ist die Farbe der Hoffnung. Und wenn die Hoffnung nicht wär –

ALLE DREI ZUSAMMEN.
Dann wär Alles aus!
DRITTES GESPENST.

Aber die Hoffnung ist da und bleibt da – sie ist unsre einzige Wirklichkeit – und darum geht Alles immer weiter – immer weiter!

ALLE DREI GESPENSTER
zusammen, während sie versinken.
Heiter – weiter!
AMALIE
hinten links im Reisekostüm.
Warum hast Du denn die Kerze ausgepustet?
FRIEDRICH.
Bist Du da hinten, Amalie?
[236]
AMALIE.

Gewiss doch! Wer soll denn sonst hier sein? Aber hier ist ja wieder Alles finster. Ich will Dir blos noch Adieu sagen, Nach links. Lisette, bringen Sie die Küchenlampe.

FRIEDRICH.
Was soll denn die Küchenlampe hier?
AMALIE.
Ich will Dich doch noch ein Mal sehen.
LISETTE
mit der Lampe, die sie auf den kleinen Tisch stellt.
Hier ist die Küchenlampe.
FRIEDRICH
steht schnell auf und sieht die Beiden gross an – dann befehlshaberisch.
Lisette, nehmen Sie den Kochtopf auf, der da steht, und verwenden Sie ihn in der Küche.
AMALIE
schlägt die Hände überm Kopf zusammen.
Was ist denn nur los?
LISETTE
hebt den Kochtopf mit Taschentuch und Schürze auf.
Der ist aber heiss!
AMALIE.
Mann! Friedrich!
FRIEDRICH.
Malchen, ich werde Dich begleiten; Du sollst nicht alleine fahren.
LISETTE
lässt den Kochtopf fallen, Amalie und Friedrich fallen sich in die Arme.
Dieser alte Topf! Sich die Finger am Munde kühlend.
FRIEDRICH.
Warst Du vorhin nicht hier?
AMALIE.
Natürlich!
FRIEDRICH.

Komm raus! Komm raus! Beide nach hinten links Arm in Arm ab, während die Lisette die blaue Spiritusflamme knieend auspustet.


Vorhang!
[237]

Das Mirakel
Eine dramatische Szene

Inszenierung und Kostümierung sind ganz den Darstellenden überlassen.

ER.
Ah – bist Du's?
SIE.
Ja – ich bin's?
ER.

Ich wundre mich garnicht. Es kommt mir ganz natürlich vor, dass ich Dich hier sehe. Ja – so hatte ichs mir immer gedacht – so mussten wir uns mal wiedersehen.

SIE.
Freust du Dich darüber?
ER.
Ja – es sieht so zufällig aus.
SIE.
Das ist es auch.
ER.
Es sind bald fünfzehn Jahre, dass wir uns nicht gesehen haben.
SIE.
Hast Du mich nicht vergessen?
ER.

Warum fragst Du das? Du weisst doch, dass ich täglich an Dich gedacht habe – die ganzen fünfzehn Jahre hindurch.

SIE.
Ich weiss es.
ER.
Ich glaube, dass Du das weisst.
SIE.
Wie geht es Dir?
ER.
Danke für gütige Nachfrage. Es geht mir gottsjämmerlich.
SIE.
Armer Freund!
ER.

Ach, bitte – bedaure mich nicht so; arm ist nur der, der sich dafür hält – und dafür halt ich mich nun ganz und gar nicht.

SIE.
Sprich Dich ganz aus. Erzähle mir Alles. Ich höre Dich so gern.
ER.
Jawohl – das will ich tun. Aber es wird nicht sehr chronologisch hergehen.
SIE.
Rede nur – ich höre jedes Wort.
[238]
ER.

Du lieber Himmel! Was ist da eigentlich viel zu erzählen? Anfangs brannte die Begeisterung für die Kunst lichterloh wie eine chinesische Brandstiftung – und dann lag eines Tages blos noch eine qualmende Gegend vor uns; der ganze Feuerschwung war eben flöten gegangen. Und dann wurde die Geschichte immer stumpfsinniger. Und heute ists kaum noch zum Aushalten.

SIE.
Das ist die Geschichte der letzten fünfzehn Jahre, nicht wahr?
ER.

Fast ist mir so, als wär's auch meine eigene Lebensgeschichte. Jedenfalls habe ich in mir nicht mehr eine Spur von Hoffnungsfreudigkeit. Ich glaube nicht mehr daran, dass es jemals besser werden könnte.

SIE.

Gehst Du nicht zu weit? Du konntest immer nicht Mass halten. Es gibt doch noch so viele Lichtseiten in unsrem Leben.

ER.

Es giebt ohne Frage Momente im Leben, in denen man sich wohl fühlt. Ja – wohl, wer wollte das leugnen! Aber die Stimmungen, in denen wir unsern ganzen Lebensquark für einen grossen Lebensdreck erklären müssen, kommen mit permanenter Bosheit immer häufiger wieder. Und schliesslich schmeissen diese Desperationsmomente alle Gemütlichkeit zum Fenster hinaus. Es ist wirklich nicht mehr zum Aushalten.

SIE.

Sollte man's mit etwas Geduld nicht doch noch so weit bringen, dass uns Alles wieder gut erscheint? Ich glaube, man muss nur etwas warten lernen.

ER.

Da hast Du ein schönes Oel ins Feuer gegossen. Ja! Ja! Warten wirs nur ab! Als wenn ich das Warten noch nicht gelernt hätte! Mir kam unsre Erde schon immer wie ein grosser Wartesaal vor. Jawohl! Ein Wartesaal! Horch nur! Gehts noch nicht bald los? Was ist das denn heute wieder?

SIE.
Aber sei doch nicht so bitter.
ER.

Na horch doch! Vielleicht passiert da drüben was, dass wir weiter können. Oder sollten wir eingeschneit sein? Ach, das ist ja langweilig. Garnichts passiert, und Garnichts geht los! Wir [239] sitzen da wie die Aeppelhöker und warten. Na – warten wir, bis wir schwarz werden! Vielleicht wird uns dann noch mal – sagtest Du was?

SIE.

Du musst sehr viel gelitten haben. Komm her zu mir; ich hab auch sehr viel gelitten – lange fünfzehn Jahre hindurch.

ER.

Gelitten! Ja was heisst das? Augenblicklich versteh ich garnicht, was das heisst: gelitten haben! Aber das weiss ich, dass dieses Erdenleben voll Stumpfsinn ist – und dass ich bersten möchte vor Wut. Ich habe den Krieg satt. Mir ist dieses Jammerleben zum Halse rausgewachsen. Es ist eine freche Beleidigung meiner Persönlichkeit, dass ich genötigt wurde, in diesem erbärmlichen Jahrhundert zu leben, in dem überall lange und dicke Stiesel wie Soldaten in Reih und Glied dastehen und die Mäuler aufgesperrt halten. Die Kerls sind ja noch viel dümmer als die Schweine. Und in diesen Viehställen soll man leben – unter Lebewesen, die sich ihr Gehirn abgeradelt haben und ihr Lumpendasein für ein Heldendasein halten. Das ist ja Alles zum Platzen! Das Ridiküle erstickt uns! Und jetzt schreien die Kerls noch! Halt Dir die Ohren zu! Halt Dir die Ohren zu!

SIE.
Sei still! Schrei nicht so! Es tut mir so weh!
ER.

Grade! Jetzt will ich grade schreien – ich auch! Glaubst Du, ich hätte Lust, ewig und immer gemütlich zu sein? In diesen letzten fünfzehn Jahren hab ich mir das abgewöhnt – abgewöhnt! Als wir uns damals vor fünfzehn Jahren trennten, da sah's anfangs noch so aus, als könnte bald mal was anders werden. Man hatte noch die Kraft und die Lust, an eine bessere Zeit zu glauben. Diese Kraft und diese Lust ist uns ausgepumpt worden. Es ging immer weiter bergab. Das Menschenpack wurde täglich dümmer und täglich gemeiner – bis schliesslich die – erbärmlichste Gesinnung zum guten Tone gehörte. Jawohl – so ist es. Und da soll man nicht schreien? Ich möchte gleich drein schlagen und Alles auseinander reissen. Es ist einfach schamlose freche alberne Stieselei – überall – obenauf. Und da soll man nicht dreinschlagen? Hippla! Wo blieb doch [240] die Begeisterung für die Kunst? Für Mord und Dodschlag kann ich mich begeistern – für was Andres nicht. Ins Gesicht schlagen möcht ich Jedem, der mir in die Quere kommt. Das Gehirn aushacken! Messer zwischen die Rippen! Mord! Brand! Nieder! Das Gesicht entzweireissen! Zerkratzen! Immerzu ins Gesicht schlagen – in die menschliche Visage! Ins Gehirn hacken! Messer in die Rippen dieser verfluchten Stiesel! Diese Stiesel! Diese Bestien! Messer! Fleischer werden – Menschenschlachter! Verfluchte Gemeinheit!

SIE.
O komm zu Dir! Komm! Lass! Deine Stirn! Deine Hände! Sei ruhig! Lass! Mein Freund!
ER.

Entschuldige – dass ich – mich so – vergass! Erlaubst Du, dass ich – mir eine Zigarre anstecke? Das beruhigt immer – ein wenig.


Er tut es umständlich.
SIE.
Jetzt zittere ich.
ER.
Lass nur! Das vergeht wieder! Rauchst Du auch?
SIE.
Nein, ich danke.
ER.
Ja! Ja!
SIE.
Was möchtest Du?
ER.

Hm! Es passiert nichts mehr auf dieser Erde; die Erde ist nur ein Vergnügungslokal für die Kinder – und ihre Mütter.

SIE.

Ich weiss nicht, ob Du das selber glaubst; Deine Heftigkeit hat mir doch verraten, dass Dich nicht Alles gleichgiltig lässt.

ER.
Ich sagte auch nicht, dass ich stumpfsinnig geworden sei.
SIE.
Bitte, Du sagtest ganz deutlich, dass Dir die Erde nichts mehr bieten könnte.
ER.
Ach, sagte ich das?
SIE.
Gewiss, Du sagtest, die Erde wäre nur für die Kinder und ihre Mütter.
ER.
Das sagte ich allerdings.
SIE.
Nun, siehst Du – und Du bist doch kein Kind – und eine Mutter bist Du doch auch nicht.
ER.
Das ist klar. Du hattest immer eine leuchtende Klarheit in Dir. Die hast Du behalten.
[241]
SIE.

Hm! Nun weiter! Bist Du nun böse, dass Du für Nichts mehr empfänglich bist – oder bist Du böse, dass die Menschheit für Nichts mehr empfänglich ist?

ER.
Zwei ganz klare Fragen. Sehr gut! Also halten wir Ich und Nichtich fein säuberlich auseinander.
SIE.
Ich weiss nicht, ob das so wichtig ist.
ER.
Doch! Die kalte Klarheit ist so beruhigend.
SIE.
Das erscheint mir auch noch nicht so ganz sicher.
ER.

Doch! Aber fassen wir die Sache nicht zu umständlich. Der allgemeine Zustand der Menschheit färbt eben ab; der Einzelne wird immer an tausend Fäden mitgezogen. Wenn eine Zeit stumpfsinnig ist, so wird der Einzelne schwerlich ein Mirakel von Bedeutsamkeit sein. Also brauchen wir eigentlich nicht so fein säuberlich zwischen Ich und Nichtich zu unterscheiden. Du hast ganz recht gehabt – die Sache ist nicht so wichtig. Der telepathische Einfluss der Massen auf den Einzelnen ist viel bedeutender als der Einfluss der Einzelnen auf die Massen. Dadurch wird aber meine Wut hinlänglich motiviert.

SIE.

Verzeih mir! Ich habe in einer kleinen Stadt gelebt – und nun kommt mir hier in den grösseren Verhältnissen Alles sehr gross vor.

ER.
Du meinst: Der Stumpfsinn kommt Dir gross vor.
SIE.
Nein – ich empfinde das nicht so.
ER.

Langweilig, wenn Du das nicht so empfindest! Voriges Jahrhundert ging immer mehr bergab. Erst kam das Militär, dann kamen die vielen Maschinen mit den Grossstädten und mit den grossen Tageszeitungen – und so weiter! Glaubst Du, das wären keine Enthirnungsinstitute? Glaubst Du – die allzu starken Aufregungen stumpfen nicht ab? Du gibst das zu – schon gut! Am Schluss des Jahrhunderts gabs nun noch ein Dutzend Kriege, Ueber-Seepolitik, Athletik, Radelei und manches Andre! Das hat doch dem alten Kulturfass den Boden ausgeschlagen. Donnerwetter – das ist doch so! Und in einer solchen Zeit soll ein anständiger Mensch ruhig weiterleben, ohne verrückt zu werden? Sehr viel verlangt!

SIE.
Du hast die Frauen vergessen.
[242]
ER.
Verzeih – aber ich kann mir Frauen gegenüber die Galanterie nicht abgewöhnen.
SIE.
Wie versteh ich das? Haben die Frauen auch beigetragen –
ER.

Unsinn! Glaube doch so was nicht. Frauenbewegung immer blos natürliche Begleiterscheinung – ohne Faktorenwert. Lassen wir das. Denk nur über die telepathische Kraft der Massen nach. Du weisst auch, wir Beide haben in einem telepathischen Verhältnisse zu einander gestanden – in den langen fünfzehn Jahren –

SIE.
Es war eine Geisterehe. Ja – das wars.
ER.
Sagen wir lieber: Gemütsehe! Das trifft wohl besser die Sache.
SIE.
Ja! Und nun lass uns nur davon sprechen – nur davon. Ja? Ich bitte Dich!
ER.
Ja – das gliedert sich hier vortrefflich ein.
SIE.

Du, weisst Du auch, dass es mir garnichts Besonderes zu sein scheint, dass wir hier so zusammen sind? Es kommt mir so vor, als hättest Du all die langen Jahre so vor mir gesessen und so gesprochen, wie Du jetzt sprichst. Es ist mir auch so, als wenn ich Dich stets so gesehen hätte, obgleich Du ganz anders aussiehst wie damals – viel kräftiger und männlicher.

ER.
Du darfst aber nicht so persönlich werden, sonst kommen wir von der Sache ab.
SIE.
Von welcher Sache meinst Du?
ER.
Ja – nun hast Du mich selber aus dem Text gebracht – wie wars denn zuletzt?
SIE.
Ach, lass das doch!
ER.

Nein, ich weiss schon – die Lebenslust des Einzelnen ist durch den Stumpfsinn des vorigen Jahrhunderts umgeblasen. Und nun dreht es sich darum, den Spiess umzukehren – der Einzelne muss sich gegen die telepathischen Einflüsse, die auf ihn von allen Seiten eindringen, zu wehren suchen.

SIE.
Na – wie willst Du das machen?
ER.

Das will ich grade von Dir erfahren. Du sagst, dass Du fünfzehn Jahre unter meinem telepathischen Einflusse gestanden [243] hättest – wie war Dir dabei? Erzähle mir was davon! Konntest Du Dich dagegen auflehnen? Konntest Du mich gelegentlich mal abschütteln? Dies ist sehr wichtig.

SIE.

Ich hatte, wie Du weisst, immer eine grosse Freude daran, an Geister zu glauben. Und so liess ich mich denn ganz gehen und glaubte bald, immerzu von Geistern umgeben zu sein. Ich hielt mich für fähig, alle Geister an mich zu fesseln. Und so kam's denn bald, dass ich Dich für tot hielt – dass ich glaubte, Du seiest auch ein Geist geworden. Das war eine sehr glückliche Zeit für mich. Ich rief Dich wie die andern Geister – – – und dann glaubte ich, immerzu in Deiner Gesellschaft zu sein. Und Du warst täglich bei mir.

ER.
Erfuhrst Du nicht, dass ich noch lebte?
SIE.

Mehrere Male! Aber ich war so daran gewöhnt, Dich in meiner Nähe zu fühlen, dass ich gar nicht viel daran dachte, dass Du noch lebtest. Sieh, dieses Leben, in dem ich mir selber wie eine Abgeschiedene vorkam, machte mich so glücklich, dass ich wieder Lebenslust in mir verspürte. Du solltest auch an Geister glauben – und so leben.

ER.

Halt! Die Idee ist tatsächlich nicht schlecht. Dann brauchte man sich um die sogenannten irdischen Angelegenheiten nicht weiter zu kümmern. Es könnte uns dann ganz gleichgiltig sein, ob unsre menschlichen Zeitgenossen an der Massenidiotie leiden – oder nicht. Man lebt halt blos mit Geistern zusammen. Furchtbar einfach!

SIE.
Ich weiss nicht, ob Du mich verstehst – so, wie ich's wohl haben möchte.
ER.

Aber – ausgezeichnet versteh ich Dich! Ich hatts garnicht geglaubt. Was die Frauen alles fertig bringen! Seltsam! Beinah unheimlich! Du hast es wirklich verstanden, mir wieder etwas Lebenslust einzuflössen! Meine tiefste Hochachtung!

SIE.
Ich freue mich.
ER.

Ich bin Dir dankbar – sehr – sehr! Das werde ich Dir nie vergessen. Deine Worte haben etwas Erlösendes für mich gehabt. So was vergisst man nicht.

SIE.

Ich aber habs jetzt garnicht mehr nötig, an Geister zu [244] glauben. Du bist ja in Wirklichkeit bei mir. Und –

ER.
Nicht doch! Du giebst Dich da einer Täuschung hin.
SIE.
Wie denn? Bist Du nicht wirklich hier? Ist es nur eine Vision, dass ich Dich hier sehe?
ER.
Selbstverständlich ist es eigentlich blos eine Vision. Das ist es.
SIE.
Gib mir Deine Hand.
ER.
Hier sind sie alle beide – nu?
SIE.
Sie sind eigentlich nicht kalt und nicht warm. Ich weiss nicht – wie.
ER.

Siehst Du! Dein Gefühl – Dein Tastsinn – kann Dir die Wirklichkeit meiner Anwesenheit nicht beweisen.

SIE.
Ach, lassen wir doch die Geistergeschichte –
ER.

Non, madame! Wäre ich für Dich wirklich eine Wirklichkeit, so würde mirs nicht möglich sein, an die Existenz der erlösenden Geister zu glauben – und dann hätten Deine Worte von dem neuen Leben, das uns die Gesellschaft von Geistern giebt, nicht mehr den erwähnten Erlösungswert.

SIE.

Mein Gott! Willst du denn wirklich an Geister glauben? Das sind doch nur Phantasiegebilde. Man muss doch –

ER.
Garnichts muss man. Hör zu, ich muss Dir wieder einen belehrenden Vortrag halten.
SIE.
Vortragender Rat!
ER.
Die Sache ist aber wichtig. Pass auf!
SIE.
Weisst Du noch, von wem Du früher »Vortragender Rat« genannt wurdest?
ER.
Bitte, bleibe bei der Sache und pass auf!
SIE.
Diese Sachlichkeit! Ja – ja – ich bin ganz Ohr. Wirklich! Du musst blos nicht so finster aussehen.
ER.
Donnerwetter! Nu höre!
SIE.
Ich bin ganz Ohr!
ER.
Horch!
SIE.
Ja, ich horche!
ER.
Horch!!
SIE.
Ja – was ist Dir?
ER.
Was war das? Hörtest Du nichts?
[245]
SIE.
Nein.
ER.
So! Also – was wollte ich?
SIE.
Mir einen Vortrag halten.
ER.
Ja – gewiss! Also höre!
SIE.
Ganz Ohr bin ich.
ER.

Sieh, wir sind für einander blos Visionen. Was ich von Dir sehe, ist für mich nur ein Augeneindruck, und was ich von Dir höre – nur ein Ohreneindruck. Und was ich von Dir fühle –

SIE.
Ich verstehe.
ER.
Wenn Du das wirklich verständest, so würdest Du wissen –
SIE.
Was?
ER.
Dass Du nur ein Geschmackseindruck für mich wärst, wenn ich Dich aufessen würde.
SIE.
Und wenn ich Dich –
ER.
Du meinst: wenn Du mich küssen würdest!
SIE.
Nun?
ER.
Dann wärest Du für mich eine ganz triviale Dame, die von der Geisterwelt keine Ahnung hat.
SIE.
Du bist hässlich.
ER.

Das ist doch auch blos ein Sinneseindruck für Dich. Du musst Dir schon Mühe geben, die Grundmauer aller philosophischen Systeme ein wenig zu begreifen; Du musst blos begreifen, dass die Welt und Alles, was wir sinnlich bemerken, keine Realität besitzt – wir selber besitzen auch keine Realität für uns. Nein – nein! Das musst Du schon zugeben, sonst bist Du einfach ungebildet und nicht einmal wert, dass ich Dich totschlage.

SIE.
Sei nicht so grausam.
ER.
Sei nicht so unaufmerksam und so kindlich wie ein Backfisch.
SIE.
Ja – was wolltest Du nun eigentlich sagen? Du bist so umständlich.
ER.

Sagen wollt' ich, dass wir eigentlich selber Geister sind, wenn wir auch noch sogenanntes Fleisch und Blut besitzen. Und darum glaube ich, dass wir auch Geister kennen lernen [246] könnten, die kein Fleisch und Blut besitzen – Geister, die aus andern Stoffen gemacht sind.

SIE.
Und –
ER.

Ja – siehst Du denn nicht ein, dass der Glaube an Geister garnicht eine törichte Sache ist? Du kennst die Geschichte von den Röntgenstrahlen – nicht wahr? Daran hätte auch kein Mensch früher geglaubt.

SIE.
Du hast Recht – ich verstehe.
ER.

Und es ist daher garnicht ausgeschlossen, dass wir plötzlich noch ganz andre Strahlen entdecken – mit denen wir Geister sehen können – überall.

SIE.
Glaubst Du das?
ER.

Ja, ich will daran glauben, dass man solche Strahlen entdecken wird. Das wäre doch mal ein Ereignis, das uns weiter brächte! Das würde doch mal unsre Zeitgenossen, die sich noch Menschen nennen, aufrütteln – rausreissen aus ihrem Dusel.

SIE.
Wäre eine solche Entdeckung wirklich nach Deiner Meinung möglich?
ER.

Ja! Im Folgenden aufmerksam nach der Seite hinhorchend. Wer erkannt hat, dass weder er selbst – noch die Welt – ein Reales für ihn bildet – der muss auch für möglich halten – dass er andre Erscheinungsformen – vom Daseienden – als daseiend – mal bemerken könnte.

SIE.
Was ist Dir?
ER.

Es war wieder ein Ton in meinem Ohr – als wenn ich wirklich bereits was von der Geisterwelt bemerkte.

SIE.
Du erschrickst mich.
ER.
Dabei ist garnichts zum Erschrecken – Du weisst doch – ich halt's für möglich. Hör doch!
SIE.
Ich höre nichts.
ER.

Mir ist so, als wenn wir dem grossen Ereignis sehr nahe sind. Ich bin wohl augenblicklich etwas überreizt. Die Zigarre war mir wahrscheinlich zu stark. Verzeih mir! Mich zieht etwas fort. Ich glaube, dass ich jetzt gehen muss. Es ist doch nicht unmöglich, dass die neuen Strahlen bereits entdeckt sind.

[247]
SIE.
Du willst fort?
ER.

Ja – ich muss! Jetzt fällt es mir wieder ganz leicht, auf das grosse Ereignis – zu warten. Jetzt glaube ich doch wenigstens, dass es wirklich zum Ereignis werden könnte. Und dass ich daran glaube, habe ich Dir zu verdanken – ja – Dir! Ich werds nie vergessen. Und Du wirst jetzt nicht mehr zweifeln, dass wir für einander auch blos Visionen sind – nicht wahr?

SIE.
Nein.
ER.

Du hast mir wieder Lebenslust gegeben. Du hast wieder Hoffnungen in mir geweckt. Ich habe wieder ein Vergnügen daran gefunden – zu warten – zu warten – auf das grosse Mirakel – das uns eine neue Welt erschliesst.

SIE.
erschliesst.
ER.

Und diese ganze Frische danke ich Dir – einer Frau! Ich werde nie mehr von den Frauen schlecht denken – sie geben uns so viel.

SIE.
so viel!
ER.
Ich danke Dir. Lebe wohl! Lebe wohl!
SIE.
Lebe wohl!

Er geht langsam fort.
Sie steht lange da und sieht ihm wie abwesend nach und bricht dann mit einem leisen Schrei zusammen.
Nach einer kleinen Pause schrickt sie plötzlich auf und lauscht.
SIE
allein.

Was war das? War das nicht seine Stimme? Ja – mein Gott – er war doch eben noch hier. War das ein Traum?

Horch! Wieder ein Ton!

Sind das die Geister?

Hab ich wirklich eine Vision gehabt?

Was früher nur eine Spielerei war, hat das plötzlich feste Gestalt bekommen?

[248] Bin ich wahnsinnig geworden?

War er wirklich hier?

Er sass doch da drüben!

Dort liegt eine Zigarre!

Das war seine Zigarre!

Mein Gott – träume ich denn noch?

Dann will ich ihn wiederhaben.

Komm, mein Freund! Komm wieder zu mir her und erzähle mir! Erzähle mir von Geistern und fernen Welten, die ganz anders sind als unsere Welt, in der wir so viel leiden und so einsam sind.

Horch nur, mein Freund!

Horch nur!

Die Geister kommen!

Die Geister kommen!

Du bist erlöst!

Jetzt bin ich auch glücklich – ganz glücklich – da ich weiss – dass Du erlöst bist.


Lange Pause, in der sie mit geschlossenen Augen ein unsichtbares Wesen, das sie neben sich glaubt, immerzu streichelt und küsst.
Stimmengewirr im Hintergrunde.
SIE.
Ha! Es kommen Menschen!

Schnell fällt der Vorhang.

Notes
Erstdruck: Groß-Lichterfelde/Berlin (Eduard Eisselt) 1904. »Der Regierungswechsel« und »Die Puppe und die Dauerwurst« waren zuvor bereits erschienen in: Neue deutsche Rundschau (Berlin), 8. Jg., Heft 12, Dezember 1897.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Scheerbart, Paul. Revolutionäre Theaterbibliothek. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C16D-7