[165] Seiner Freundin

1814.


Als wir zum Schlagen rückten
Und nun die Stadt erblickten,
Bei der man künftig schwört;
Da dachten wir im Herzen
Auch an den zweiten Mai,
Und deine Wittwenschmerzen
Erwachten in uns neu.
Wir sahen Wolken schwimmen,
Wir hörten Geisterstimmen
Vom nahen Lützenheer.
Die Donner Gottes klangen
In Ost, Süd, Nord und West,
Da haben wir begangen
Der Brüder Leichenfest.
In jenen hehren Tagen
Hat mich, gleich milden Sagen,
Dein liebes Bild umschwebt.
Ich sah dein Antlitz scheinen,
Ein leuchtendes Panier,
Vernahm dein stilles Weinen
Um jenes Schlachtrevier.
Ich muß dich immer denken,
Muß immer mich versenken
In diesen Zaubersee.
Ich kann dich nicht verlieren,
Du Bild aus holder Zeit,
Und Myrthen seh' ich zieren
Auch noch dein Wittwenkleid.
So muß es sich begeben,
In diesem Erdenleben
Blüht Schönheit aus der Qual.
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So hat es Gott erkoren,
Der ewig treue Hirt,
Daß nur im Weh geboren
Ein Himmelsbürger wird.
In Schauern sich gestalten,
In Schmerzen sich entfalten,
Muß jedes Lebens Keim.
So wurden in den Tagen
Der ersten Christenheit
Durch Buße, Schmerz und Plagen
Die Märtyrer geweiht.
Und was wir jetzt erstehen
Aus tiefer Gruft gesehen
Im frischen Jugendglanz –
Es war mit Schmach beladen
Das werthe Vaterland,
Da winkte Gott in Gnaden
Und wählte unsre Hand.
Ein Wunder war's zu sehen,
Wie er im Sturmeswehen
Durch unsre Länder fuhr,
Und alle Herzen brannten,
Den ersten Pfingsten gleich,
Nicht Rast noch Ruhe kannten,
Zu streiten für sein Reich.
Auch du hast ihm gegeben
Dein süßes Blütenleben
In stiller Opferung;
Auch deinen Namen melden
Soll man zu Gottes Ehr',
Von allen seinen Helden
Gab keiner ihm wol mehr.
Wie freundlich ist sein Wille,
Des Trostes hat er Fülle
Für jede Menschenbrust,
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Und was er hier muß nehmen,
Er bringt es reichlich ein,
Drum soll der Christen Grämen
Noch stets voll Freude sein.
Die weiße Himmelsrose,
Die Mutter, der im Schooße
Erblaßt der Heiland lag,
Maria schaut mit Lächeln,
Auf dich und Wilhelms Kind,
Und ihre Engel fächeln
Dir Tröstung kühl und lind.
Blick' auf, du Vielbetrübte,
Sei fröhlich, Gottgeliebte,
Wie strahlt dein Liebesstern!
Mit Helm und Schwert und Lanze
Sieh' dort auf Gottes Höh'n
Im Ueberwinderkranze
Bei Sanct Georg ihn stehn.
Und bis der Tag gekommen,
Wo die getrennten Frommen
Und aller Todten Schaar
Laut ladet in die Schranken
Der Engel Feldgeschrei –
Laß loben uns und danken,
Das Vaterland ist frei.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schenkendorf, Max von. Seiner Freundin. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C3D3-6