[304] Geistliche Gemählde

1.
Ave Maria

Die Jungfrau ruht, nur Demuth ihr Geschmeide,
Im Abendschatten an der Hütte Thor.
Sie weiß nicht, daß sie Gott zur Braut erkor,
Doch stilles Sinnen ist ihr Seelenweide.
Da sieh! ein Jüngling tritt im lichten Kleide,
Den Palmenzweig in seiner Hand, hervor.
Voll süßen Schauers bebet sie empor,
Denn seine Stirn ist Morgenroth der Freude.
Gegrüßt, Maria! tönt sein holder Mund,
Und thut das wundervolle Heil ihr kund,
Wie Kraft von oben her sie soll umwallen.
Und sie, die Arm' auf ihre Brust gelegt,
Wo sich's geheim und innig liebend regt,
Spricht: Mir geschehe nach des Herrn Gefallen.

[305] 2.
Christi Geburt

»Mein süßes Kindlein, wüßt' ich dein zu pflegen!
Ich bin noch matt, doch ruh' am Busen warm;
Die Nacht ist dunkel, klein die Hütt' und arm:
Sie mußten dich in diese Krippe legen.«
So sprach Maria; draußen rief's dagegen:
Laßt uns hinein, wir wollen keinen Harm!
Uns wies hieher der Engel froher Schwarm,
Verkündigend den neugebornen Segen.
Das Dach empfängt sie, und ein göttlich Licht,
Wie um ihn her die frommen Hirten treten,
Entstrahlt des kleinen Heilands Angesicht.
Sie stehn, sie schaun, sie jubeln, preisen, beten;
Der Jungfrau mütterliche Seel' erfüllt
Sich mit dem Gotte, den ihr Schooß enthüllt.

[306] 3.
Die heiligen drei Könige

Aus fernen Landen kommen wir gezogen;
Nach Weisheit strebten wir seit langen Jahren,
Doch wandern wir in unsern Silberhaaren.
Ein schöner Stern ist vor uns hergeflogen.
Nun steht er winkend still am Himmelsbogen:
Den Fürsten Juda's muß dieß Haus bewahren.
Was hast du, kleines Bethlehem, erfahren?
Dir ist der Herr vor allen hochgewogen.
Holdselig Kind, laß auf den Knie'n dich grüßen!
Womit die Sonne unsre Heimat segnet,
Das bringen wir, obschon geringe Gaben.
Gold, Weihrauch, Myrrhen, liegen dir zu Füßen;
Die Weisheit ist uns sichtbarlich begegnet,
Willst du uns nur mit Einem Blicke laben.

[307] 4.
Die heilige Familie

Den Schöpfer, der die Erde neu gestaltet,
Gebenedeite! hast du ihr gegeben.
Du darfst dein Aug' als Anvermählte heben
Zum Vater aller, der im Himmel waltet.
Ein guter Greis, des Treue nie veraltet,
Steht euer Pfleger väterlich daneben.
In deinem Sohne glüht ein heilig Leben,
Das spielend sich auf deinem Schooß entfaltet.
Mehr Lieb', als Kinder zu einander tragen,
Spricht des Genoßen feurige Geberde,
Dem Jesus zarte Händ' entgegenbreitet.
Der braungelockte Knabe scheint zu fragen:
Was thu' ich, daß ich deiner würdig werde?
Gern sterb' ich, wenn ich dir den Weg bereitet.

[308] 5.
Johannes in der Wüste

Ein starker Jüngling, kühn zur That und schnell,
Entreißt Johannes sich bewohnten Stätten.
Er liebt, in öde Klüfte sich zu betten,
Die Hüften gürtet ihm ein rauhes Fell.
Einfältig wird sein Sinn, sein Auge hell;
Nichts Niedres kann ihn an die Erde ketten,
Und sein Geschlecht vom Untergang zu retten,
Sucht er in sich der Gottheit Lebensquell.
Er sitzt am Felsen, dessen Born ihn tränket,
Da steigt vor seiner Seel' empor ein Bild,
Das er mit sel'gem Staunen überdenket.
Es ist des Menschen Sohn, so groß als mild.
Der ernste Seher hält sein Haupt gesenket:
Ach, gegen dich, wie bin ich streng' und wild!

[309] 6.
Magdalena

In unbewahrter Jugend frischer Blüthe
Riß Magdalenen ihre Schönheit hin;
Den edlen Geist berückt' ein weicher Sinn,
Daß sie in ungeweihten Flammen glühte.
Sie hört den Heiland, und die ernste Güte,
Die aus ihm spricht, wird ihres Heils Beginn.
Zu seinen Füßen sinkt die Sünderin,
Mit tiefzerrißnem schmachtendem Gemüthe.
Entblößt vom Schmucke liebt sie nun, allein,
Den Arm gelehnt an blaß geweinte Wangen,
Betrachtungen der Buße nachzuhangen.
Ja, fromme Huldin! flieh in Wüstenei'n,
Verbirg der Welt den Anblick deiner Schmerzen:
Denn sonst bethört noch deine Reu die Herzen.

[310] 7.
Mater dolorosa

Der Blutaltar, für Gottes Lamm bereitet,
Hat sein geweihtes Opfer schon empfangen;
Und reuevolle Brüder zu umfangen,
Hält Christ am Kreuz die Arme ausgebreitet.
Er sieht voll Huld, die ihn hinausbegleitet,
Der Treuen Schaar in namenlosem Bangen:
Sie schaun auf ihn mit schmerzlichem Verlangen,
Was noch sein Wink für Tröstung ihnen deutet.
Der Mutter Antlitz blaßt in Todesschauer,
Die thränenlosen Augen sind verglommen,
Ihr stummer Mund vermag nicht mehr zu flehen.
Kein sterblich Weib erfuhr so tiefe Trauer.
Das prophezeit' ihr einst das Wort des Frommen:
Es wird ein Schwert durch deine Seele gehen.

[311] 8.
Die Himmelfahrt der Jungfrau

Wie ist mir? Wonne blitzt von Gottes Throne,
Und hat mit süßen Banden mich umschlungen.
Mein Sehnen ist die Himmel durchgedrungen:
Ich seh' den Vater bei dem theuren Sohne.
Hinan! hinan! auf daß ich bei euch wohne,
Vom Zug der Liebe leicht emporgeschwungen!
Ihr Heil'gen, die ihr treu mit mir gerungen,
Glaubt, liebet, hofft, und einst empfaht die Krone. –
Und wie sie so auf Wolk' und Duft entschwindet,
Umlächeln sie des Himmels jüngste Söhne;
Schon weichen unter ihrem Fuß die Sonnen.
Im Lichte wird ein neues Licht entzündet,
So strahlt die Braut, verklärt in reiner Schöne,
Und ruht nun liebend an der Liebe Bronnen.

[312] 9.
Die Mutter Gottes in der Herrlichkeit

Dir neigen Engel sich in tiefer Feier,
Und Heil'ge beten, wo dein Fußtritt wallt:
Glorreiche Himmelskönigin! dir hallt,
Die Gott besaitet hat, der Sphären Leier.
Dein Geist blickt sichtbar göttlich durch den Schleier
Der unverwelklich blühenden Gestalt;
Du trägst ein Kind voll hehrer Allgewalt,
Des Todes Sieger und der Welt Befreier.
O Jungfrau! Tochter des, den du gehegt!
Dein Schooß ward zu dem Heiligthum erwählet,
Wo selbst ihr Bild die Gottheit ausgeprägt.
Dein Leben hat das Leben neu beseelet.
Die ew'ge Liebe, die das Weltall trägt,
Ist unauflöslich uns durch dich vermählet.

[313] 10.
Die Opferung Isaaks

Der schöne Jüngling kniet auf dem Altare,
Nackt, blaß, gebeugt, die Arme auf dem Rücken,
Ein banges Weh in den erhobnen Blicken,
Als ob schon Tod mit Todesfurcht sich paare.
Der Vater steht, kraftvoll in greisem Haare,
Geschürzt mit Glauben, sich in Gott zu schicken;
Den fest ergriffnen Stahl, er will ihn zücken,
Und morden allen Trost verwaister Jahre.
Doch, wie er seine Stirn nach oben wendet,
Als spräch er: du befahlst es, Hort und Rather!
Rauscht ihm der Flügel eines Himmelsboten.
Mit deinem Wollen ist die That vollendet.
Allein behielt sich's vor der ew'ge Vater,
Den Sohn zu opfern für die ewig Todten.

[314] 11.
Der heilige Sebastian

Sebastian, römischen Geblüts ein Krieger,
Schwur zu den Fahnen, die unsterblich lohnen.
Den Märtyrern wies er die lichten Kronen,
Und mancher ward, von ihm ermuthigt, Sieger.
Der Imperator hört's ergrimmt. Betrieger!
So willst du mir und unsern Göttern lohnen?
Ergreift ihn augenblicklich, Centurionen!
Als Wurfziel seiner eignen Schaar erlieg' er.
Vom Pferd gerißen, aller Waffenzierde
Entkleidet, steht er still dem Kampf entgegen,
An einen Baum mit Banden festgeschlungen.
Die Köcher leert nun grausame Begierde:
Doch so viel Pfeile kann die Brust nicht hegen,
Als von des Heilands Liebe sie durchdrungen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Geistliche Gemählde. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D4E0-E