[42] August Wilhelm Schlegel
Scherzhafte Gedichte

[43] [149]Ein schön kurzweilig Fastmachtsspiel vom alten und neuen Jahrhundert

Tragiert am ersten Januarii im Jahr 1801.

Der Herold tritt ein, verneigt sich und spricht:

In dieses neuen Jahres Namen
Seid schön willkommen, ihr Herrn und Damen!
Wir verzehren hier, so viel ist klar,
Das erste Abendeßen im Jahr;
Und weil's das erste Abendmahl nun,
So möcht' ich gern was Besonders thun.
Kann zwar nur machen einen kleinen Spaß:
Je nun 's ist immer doch auch etwas.
Es hat verlautet vom neuen Jahrhundert;
Da, denk' ich mir, seid ihr alle verwundert,
Daß es so wenig fällt in die Sinne:
Mir nichts, dir nichts, so ist man drinne,
Man dehnt sich, man gähnt, und sich beschaut,
Und steckt noch in der bekannten Haut.
Ja, wenn unter Pauken und Trompeten,
[149]
Wie weiland die Mauern von Jericho thäten,
Mit Krachen stürzte die Scheidewand ein,
Und durch den Riß dann spräng' man hinein:
Da wollt' ich auch nicht der faulste sein.
Doch still geht den ewigen Gang die Natur,
Ist keine Glocken- noch Pendel-Uhr,
Die durch das Gewicht der Planetenzüge
Auf tausend achthundert und eins anschlüge.
Ja Leute giebt's, die mit Paradoxen
So gröblich um sich schlagen wie Ochsen,
Die sagen: Zeitalter reisen wie Könige
Incognito, es wißen's nur wenige;
D1as neue Jahrhundert sei längst begonnen,
Nur komm' es noch nicht an's Licht der Sonnen,
Weil es, aus heimlicher Liebe ein Kind,
Sich schäme, wo ehliche Dummköpfe sind;
Auch was man so die Zeiten heißt,
Das schaffe sich selber des Menschen Geist:
Drum wer an's Jahrhundert nur festiglich glaubte,
Dem wachs' und blüh' es im eignen Haupte;
Wem's aber von innen nicht käme her,
Von außen kriegt' er es nimmermehr.
Ich will nicht entscheiden so große Sachen,
Allein um eine Kurzweil zu machen,
So führ' ich euch vor die beiden Strunzeln;
Die Alte grießgramig und voll Runzeln,
Man sieht sie niemals lustig schmunzeln;
Die Junge zart, doch munter und kräftig,
Die Alte mit Weisethun sehr geschäftig.
Doch was erzähl' ich euch all' den Plunder?
Da sind sie, seht selbst und hört jetzunder!

[150] Das neue Jahrhundert schläft in der Wiege. Das alte Jahrhundert sitzt daneben wiegt und singt:

Alte.

Schlaf, Kindlein! draußen so dunkel ist,
Ach, gar ein schrecklich Gemunkel ist.
Wenn du dich mucksest mehr wie ein Stein,
Willst wie unartige Kinder schrein,
So schlingt dich der alte Saturn hinein.
Schlaf, Jahrhündertchen, klein, klein, klein!
Junge wacht auf und schreit:

Aeh!
Alte.

Mein Herzchen, willst du Kinderpappe?
Junge.

Nein, Feste will ich, du alte Kappe.
Ist's recht, daß ich ohne Gesang und Schall,
Ohne Paukenschlag und Kanonenknall,
Ohne Masken, Aufzüg' und Ehrenbogen
Wie ein Dieb in der Nacht komm' eingezogen?
Alte.

Ei, mein Kind, Feste sind unverständig,
Auch sind die Zeiten gar zu elendig.
Man muß das Geld nicht so verschwenden,
Und es lieber an die Armuth wenden.
Junge.

Ja wohl an die Armuth! da hast du Recht!
Denn arm und erbärmlich ist dein Geschlecht.
Hat denn das Volk so gar keinen Sinn
Für des Jubels und festlicher Freude Gewinn?
[151]
Will immer an schwerfälligem Ernste fiechen,
Nie kecklich leben wie Römer und Griechen?
Bei denen gab's Kampfspiel und Bacchanalien,
Herrliche Triumph' und Saturnalien,
Zu allem Großen gesellte sich Scherz,
Da hatte der Witz noch ein ander Herz,
Und nie ward schöner gehuldigt den Göttern,
Als wenn sie wurden an ihnen zu Spöttern.
Wie damals den Feldherrn die Soldateske
Bei'm Triumphe neckte mit mancher Burleske,
So, wollt' ich, hätte man uns genärrt,
Ein spöttliches Grablied dir geplärrt,
Auch meine Geburt gefeiert desgleichen,
Geweissagt von künftigen Narrenstreichen.
Alte.

Ei ei, das könnte ja Anstoß geben!
Die Nachbarn glaubten die Scandala eben.
Lieber, um meinen Ruhm zu fristen,
Ding' ich mir einen Akademisten,
Der meine Verdienste würdig schätzt,
Und in umständlichen Paragraphen aus einander setzt.
Junge.

So wähle nur zu beßrer Verbreitung
Den Schreiber der Nationalzeitung.
Der hat's ja mit der Publicität,
Das heißt, gar trefflich die Kunst versteht,
Viel Aufheben zu machen um Nichts.
Alte.

Bist du solch eine Feindin des Lichts?
Hab' ich nicht den Aberglauben zerstört?
Die Vorurtheile ausgekehrt?
[152]
Toleranz und Aufklärung erdacht,
Und die Humanität aufgebracht?
Junge.

O geh' mit diesen hohlen Worten!
Ich muß sie hören aller Orten.
Mit wohlfeiler Wahrheit und Tugendflittern
Zu prahlen, das ziemt nur dürftigen Rittern.
Die Alten haben's nicht genannt,
Jedoch die Sach' weit beßer gekannt.
Alte.

Nichts hab' ich gelaßen unverfeinert,
Alles zierlich verengt und verkleinert.
Die Apostel trugen 'nen warmen Mantel:
Das macht, sie führten gemeinen Wandel;
Draus hab' ich denn, nach neustem Geschmack,
Geschneidert einen luftigen Frack.
So herrscht nunmehr zu meinem Ruhm
Ein neu gesäubert Christenthum,
Nach welchem Christus ein guter Mann,
Sonst aber nichts begehren kann.
Die Offenbarung meine Exegeten
Zu nüchterner Vernunft umdrehten.
Junge.

Da hast du wohl was Rechtes geschafft.
Wo bleibt dabei die himmlische Kraft
Der Seher Gottes, der heil'gen Väter,
Der Märtyrer und Wunderthäter?
Ihr wollt bei euren ird'schen Sinnen
Die Seligkeit nebenbei gewinnen,
Glaubt keines geist'gen Heils Ankunft,
Und eure Unmacht nennt ihr Vernunft.
[153] Alte.

Kein' innre Erleuchtung gab es nie,
Das erklärt man aus der Psychologie.
Wie sollt' ein Geist sich zu uns rühren,
Da wir dergleichen in uns nicht spüren?
Bei uns geht alles begreiflich zu,
Denn, daß die Natur Wunder thu',
Können wir nimmermehr zugeben.
Von drinn wohnendem Geist, Kraft und Leben,
Das sind lauter Jakob-Böhm'sche Mysterien;
Wir schaffen's bloß mit todten Materien.
Die werden gemischt nach Maß und Zahl,
So entstehen die Creaturen zumal,
Und können sich dann das Leben fristen.
Da lies nur meine Encyclopädisten.
Uns alle, wie wir gehn und stehn,
Was in und durch uns mag geschehn,
Unterwerfen sie dem Calcul.
Junge.

Da giebt das Resultat denn Null.
Freilich ließen sich solche Phantomen
Zusammenbacken aus Atomen,
Die innerlich dienen dem Nichts allein,
Und scheuen sich, wirklich da zu sein.
Da so ungöttlich ihre Thaten,
Wie sollten sie die Natur errathen,
Die nur der Gottheit Schein und Bild,
Unendlich groß und weis' und mild?
Alte.

So beruht auch meine Staatsverwaltung
Bloß auf der Rechnungsbücher Haltung.
[154]
Ich hab' erfunden die Statistik
Sammt allen Künsten der Cameralistik.
Die Menschen sind Ziffern zu dieser Frist,
Der Staatsmann ist der Algebraist:
Er schöpft die Weisheit an den Quellen,
Geburts- und Mortalitäts-Tabellen.
Da ist nichts so groß oder so klein,
Es kommt mit in die Rechnung hinein.
Mit Patriotismus bewirthschaften wir die Wälder,
Mit Moralität düngen wir die Felder;
Auf die Gedanken legen wir Taxen,
So müßen unsre Einkünfte wachsen;
Und küßt wer sein Liebchen, heut oder morgen
Muß er uns für die Bevölkrung sorgen.
Junge.

So wird der Mammon allen zum Götzen,
Sie kennen nur ein selbstisch Ergötzen.
Wo sind die Zeiten der alten Helden,
Von denen die Geschichten melden,
Da das Vaterland, seiner Kinder Wonne,
Und ewig quellender Freuden Bronne,
Sich aller Triebe hatte bemeistert,
Zu Noth und Tod die Brüder begeistert?
Bei euch macht Helden der bunte Rock,
Ein bißchen Löhnung und sehr viel Stock.
Alte.

Was nützt die wilde Vaterlandsliebe?
Nein, wir beherrschen unsre Triebe.
Bei uns zielt alles auf den Nutzen;
Will eins nicht, weiß man's zurecht zu stutzen.
[155]
Da sind zum Beispiel die Hirngespinnste,
Die sogenannten schönen Künste:
Die dürften nun finden gar nicht statt,
Denn vom Schönen wird niemand satt,
Gebraucht' ich nicht zu Handlangern sie
Bei meinen Fabriken und Industrie.
Man liebt jetzt nur vernünft'gen Discurs,
Drum kam die Poesie außer Curs.
Ich weiß die Phantasie zu kuranzen,
Muß nach der prosaischen Pfeife tanzen.
Den Sittlichkeits-Ring in die Nase gelegt,
Die Füß' im Tact der Decenz bewegt.
Das wird der feine Geschmack genannt,
Den die rohen Alten nicht gekannt.
Junge.

O du Erzfeindin alles Großen!
Vom Schönen und Edlen ausgestoßen!
Zu lang hab' ich dich angehört,
Und würde zuletzt noch gar bethört.
Du lästerst die Natur und Gott,
Und Recht und Freiheit sind dir Spott,
Zögst gern hinab in deine Vernichtung
Die schöpferische Kraft der Dichtung,
Kraft deren wir alle leben und weben
Und nach unendlichem Dasein streben.
Statt dessen rühmst du deinen Bettel:
Ich will dich erdroßeln, du garst'ge Vettel!

springt aus der Wiege.

Alte beiseit.

O Himmel, wie wird sie groß und stark!
Mir geht ein Graun durch's innerste Mark.
[156]
Will sehn, ob Trug mir möchte glücken,
Vielleicht den Hitzkopf zu berücken;
Sie ist, so grob und wild sie thut,
Doch voll von albernem Edelmuth. –
Ach liebes Kind, du brichst mir's Herz;
Hühühü! welch ein bittrer Schmerz!
Es ist mir gar nicht um mein Leben,
Das wollt' ich dir gern aus Liebe geben;
Aber daß ich, in meinen alten Jahren,
Eine solche Schmach noch muß erfahren,
Daß du, meines Leibes wahre Frucht,
Meine einzige Tochter, so verrucht
Deiner Mutter den Hals willst umdrehen:
Ist was Entsetzlicher's je geschehen?
Junge.

Halte mich nicht auf mit solchen Possen,
Ich wär' aus deinem Blut entsproßen.
Ein jeder Tropf' in meinen Adern
Muß mit dir um die Lüge hadern.
Sieh meine Gestalt, mein Angesicht,
Sie tragen deine Züge nicht,
Auch räth mir keine innre Stimme,
Die Mutter zu verschonen im Grimme.
Bereite denn dich gleich zu sterben,
Ich will dich vertilgen und verderben.
Alte beiseit.

Nun will ich noch das Letzte versuchen. –
Tochter, ich pflege sonst nicht zu fluchen:
Ich bin deine Mutter, heg' keinen Zweifel;
Wo nicht, so soll mich holen der Teufel.
[157] Junge.

Weil du die Hölle rufst zum Zeugen,
Muß ich mich ihrem Ausspruch beugen,
Muß mit dem Todesstreich noch zaudern:
Wiewohl mich faßt ein heimlich Schaudern,
Ob durch solch unauflösliche Kette
Das Schicksal dir verknüpft mich hätte.
Alte beiseit.

So läßt die Thörin sich beschwatzen,
Sie glaubt noch an die alten Fratzen.
Es giebt keinen Teufel, das weiß ich lange,
Drum ist mir vor seinem Holen nicht bange.
Nun hoff' ich noch so fort zu regieren
Und sie am Gängelband zu führen.
Satan tritt ein, schnaubt und spricht.

Hier bin ich, weil du mich verlangst.
Alte.

O welcher Jammer, welche Angst!
Verlangt hätt' ich nach solchem Scheuel?
Ich kenn' dich nicht, geh' fort, du Greuel!
Satan.

Ha ha ha! bin ich nicht bekannt?
Und doch, wenn deine Lüst' entbrannt,
Hab' ich in mancherlei Gestalten
Als Buhler mit dir zugehalten.
Jetzt zeig' ich dir mich, wie ich bin,
Und fahren mußt du mit mir dahin.
Du hast Wechselbälg' an's Licht gebracht,
Worüber Himmel und Hölle lacht.
Dieß Kind hier hattest du gestohlen
Und schwurst, dich solle der Teufel holen,
[158]
Wofern es nicht dein Schooß geboren;
Du siehst, die Hölle hat gute Ohren.
Junge.

Dank sagen muß ich selbst dem Bösen,
Daß er mich will von ihr erlösen.
Satan.

Ich hatte lang' auf dich gepaßt,
Jetzt hab' ich dich fest am Kragen gefaßt.
Alte.

Ach, solch Verfahren nicht besteht
Mit Aufklärung und Humanität.
Satan.

Schweig, du bist mein, für deine Frevel
Will ich dich braten in Pech und Schwefel.

Satan führt das alte Jahrhundert ab:

Junge.

O habet Preis, ihr himmlischen Mächte!
Ich hoffte kaum, daß ich's vollbrächte:
Allein nach eurem Wollen und Fügen
Hilft selbst das Böse dem Guten siegen.
Die Alte hat mich so sehr gestört,
Das Beste was ich wollte verkehrt;
Ich fühlte mich beengt, bedrängt,
Gewicht und Bande mir umgehängt!
Nun kann ich mit neu lebendigem Regen
Zu kühnen Thaten mich frisch bewegen.
Doch ach! mir selber unbekannt
Geworfen an des Lebens Strand,
Darf ich, ihr Hohen, in Demuth bitten,
Mich weise zu lenken auf meinen Tritten?
[159]
O wär' die Abkunft mir bewußt,
Ich flög' an meiner Eltern Brust,
Da wollt' ich mit heiligem Schwur verheißen,
Mich ihrer würdig zu beweisen.

Die Wolken theilen sich, der Genius und die Freiheit erscheinen mit Licht bekleidet.

Der Genius.

Dein Ruf hat sich empor geschwungen,
Dein Sehnen ist zu uns gedrungen:
Für deine Inbrunst und kindlich Vertrauen
Sollst du in wahrer Gestalt uns schauen,
Die wir im heiligsten Verlangen
Geheimer Liebe dich empfangen.
Nimm auf die Stirne diesen Kuß
Von deinem Vater dem Genius;
In deiner Mutter brünst'gen Armen
Sollst du zu hohem Thun erwarmen.
Bedenk', du bist aus himmlischem Samen,
Aus welchem die alten Heroen kamen.
Glaub' kühn zum Höchsten dich berechtigt,
Und ringe, bis du dich des bemächtigt.
Die Freiheit.

Meine Tochter, die erste Prüfungszeit
Hast du bestanden mit wackerm Streit,
Da deine heuchelnde Pflegerin
Nicht umwenden konnte deinen Sinn.
Deine Eltern hatten dich verlaßen,
Daß du zu dir Muth solltest faßen:
So findet der Mensch sich selbst mühselig,
Ringt zur Besinnung sich auf allmählich,
[160]
Und wie es da wird hell und klar,
Wird ihm mein Wesen offenbar.
Ich kann nicht, wie die Thoren meinen,
Als blinde Willkür je erscheinen.
Nein, der Begriff vom eignen Sein
Ist Quell und Ursprung mir allein;
Und wer sich selber so begriffen,
Der kann die Welten kühn durchschiffen,
Er hat den heiligen Magnet
Der unwandelbar nach Norden steht.
Der Genius.

Und dann ergießt sich Geist und Wille
In neuer Dichtung schöne Fülle,
Die Natur wird ihm zum Pantheon,
Da träumt er süß wie Endymion.
Freiheit.

Auf, meine Tochter, dring' hinan!
Genius.

Dir öffnet glorreich sich die Bahn.
Freiheit.

Siehst du des Sieges Palmen glänzen?
Genius.

Blick' auf zu jenen Sternenkränzen.
Freiheit.

Einst kömmst du zu der Sphären Tänzen.
Genius.

Frei von der Zeit, des Raumes Gränzen.
Junge.

Noch einmal, einmal segnet mich!
[161] Genius und Freiheit.

Dort oben seh'n wir wieder dich.

(Beide verschwinden gen Himmel, das neue Jahrhundert auf der Erde ihnen nach.)

Der Herold tritt abermals ein und spricht:

So hat das alt' und schwache Jahrhundert
Der Teufel geholt sammt seinem Plundert.
Und seid nun nicht erschreckt noch verwundert,
Wenn's Wunderdinge blitzt und dundert,
Denkt: 's ist das neu' und starke Jahrhundert.
Wenn's etwa euer Gemüth kunnt' laben,
Was wir allhier tragieret haben,
So lad' ich euch, ihr Herrn und Frau'n,
Den zweiten Actus anzuschau'n,
Der leicht noch mehr ergötzen mag,
Ueber hundert Jahr auf diesen Tag,
Entweder in dieser Zeitlichkeit
Oder in der ewigen Herrlichkeit.
Denn dort sind wir alle noch zehnmal gescheiter,
Und treiben's mit Spaß und Lachen viel weiter.
Darin besteht ja das selige Leben;
Das woll' uns allen der Herrgott geben.

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