Im Walde

Windes Rauschen, Gottes Flügel,
Tief in kühler Waldesnacht;
Wie der Held in Rosses Bügel
Schwingt sich des Gedankens Macht.
Wie die alten Tannen sausen,
Hört man Geistes Wogen brausen.
Herrlich ist der Flamme Leuchten
In des Morgenglanzes Rot,
Oder die das Feld befeuchten,
Blitze, schwanger oft von Tod.
Rasch die Flamme zuckt und lodert,
Wie zu Gott hinaufgefodert.
Ewig's Rauschen sanfter Quellen
Zaubert Blumen aus dem Schmerz;
Trauer, doch in linden Wellen,
Schlägt uns lockend an das Herz;
Fernab hin der Geist gezogen,
Die uns locken, durch die Wogen.
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Drang des Lebens aus der Hülle,
Kampf der starken Triebe wild,
Wird zur schönsten Liebesfülle,
Durch des Geistes Hauch gestillt.
Schöpferischer Lüfte Wehen
Fühlt man durch die Seele gehen.
Windes Rauschen, Gottes Flügel,
Tief in dunkler Waldesnacht!
Freigegeben alle Zügel,
Schwingt sich des Gedankens Macht,
Hört in Lüften ohne Grausen
Den Gesang der Geister brausen.

Notes
Erstdruck in: Dichter-Garten. erster Gang. Violen, hg. von Rostorf, Würzburg (Joseph Stahel) 1807.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Im Walde. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D5C7-F