[359] Das versunkne Schloss

Bei Andernach am Rheine
Liegt eine tiefe See;
Stiller wie die ist keine
Unter des Himmels Höh'.
Einst lag auf einer Insel
Mitten darin ein Schloß,
Bis krachend mit Gewinsel
Es tief hinunter schoß.
Da find't nicht Grund noch Boden
Der Schiffer noch zur Stund,
Was Leben hat und Odem,
Ziehet hinab der Schlund.
So schritten zween Wandrer
Zu Abend da heran,
Zu ihnen trat ein andrer,
Bot ihnen Gruß fortan.
»Könnt, wie vor grauen Tagen
Das Schloß im See versank,
Ihr mir die Kunde sagen,
So habet dessen Dank.
Ich wandre schon seit Jahren
Die Lande aus und ein,
Manch Wunder zu bewahren
In meines Herzens Schrein.«
Der jüngste von den zween
Bereit der Frage war.
Er sprach, das soll geschehen,
So wie ich's hörte zwar.
»Als noch die Burgen stunden,
Lebt' da ein Ritter gut,
In Trauer fest gebunden
Grämt' er den stolzen Mut.
Warum er das muß dulden,
Hat keiner noch gesagt;
Ob alter Väter Schulden
Ihm das Gericht gebracht;
Ob eigne Missetaten
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Ihn rissen in den Schlund,
Wo keiner ihm mag raten
In offnen Grabes Mund.«
So sprach von jenen Leiden
Der jüngste an dem Ort,
Der Fremdling dankt den beiden,
Als traut' er wohl dem Wort.
Der Alte sprach: »Mit nichten,
Wie sprichst du falsch, o Sohn!
Es soll der Mensch nicht richten,
Find't jeder seinen Lohn. –
Wahr ist's, es hausen Geister
Da unten wundervoll,
Doch nimmer sind sie Meister,
Wer wandelt fromm und wohl.
Der Ritter gut und bieder
War ehrentreu und recht,
Noch rühmen alte Lieder
Das edele Geschlecht.
Nur daß so schwere Trauer
Das Herz ihm hält umspannt,
Drum sucht er öde Schauer,
All' Freude weit verbannt,
Und des Gesanges Klagen
Sind seine einz'ge Lust;
Nur diese Wellen schlagen
Einsam an seine Brust.
Wohl jene Wasser drunten
Sind voller Klag' und Schmerz,
Stets einsam wohnt dort unten,
Wem sie gerührt das Herz.
Denn alles was vergangen,
Schwebt lockend vor dem Blick,
Es steigt aus dem Gesange
Klagend die Welt zurück.
Die Gegenwart verschwindet,
Die Zukunft wird uns hell,
Und was die Menschen bindet,
Geht unter in dem Quell.
Wer in den Schwermutswogen
Das Licht im Auge hält,
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Hat hier schon überflogen
Die Banden dieser Welt.
So dünkt mich, daß die Geister
Durch Neid in ihrem Grab,
Ihn, des Gesanges Meister,
Zogen den Schlund hinab.
Wir sehn wie jedes Schöne
Des Todes Wurm verdirbt.
Schnell fliehen so die Töne,
Und der Gesang erstirbt.
Wem alle Zukunft offen,
Klar die Vergangenheit,
Setzt oben hin sein Hoffen,
Flieht aus der starren Zeit.
Und wenn er nicht so dächte,
So haßt das Ird'sche ihn;
Wo es den Tod ihm brächte,
Lockt es ihn schmeichelnd hin.«
So treten nun die Dreie
Tiefer in dunkeln Wald,
Wie er des Danks sie zeihe,
Ersinnt der Fremd' alsbald.
»Und liebt ihr denn Gesänge,
Ich bin Gesanges reich,
So sollen Wunderklänge
Erfreun euch alsogleich.«
Es hebt von allen Seiten
Gesang zu klingen an,
Bald klagend wie von weiten,
Bald schwellend himmelan.
Wie Meereswellen brausen,
Bricht's überall hervor,
Mit Lust und doch mit Grausen
Hört es ihr staunend Ohr.
Der Fremd' ist nicht zu sehen
Doch scheint ein Riesenbild
Fern übern See zu gehen,
Wie Abendwolken mild;
Und wie hinaufgezogen
Sehn sie, die ihm nachschaun,
Rauschen empor die Wogen,
Sehn es mit Lust und Graun.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Romanzen und Lieder. Das versunkne Schloss. Das versunkne Schloss. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D8CC-F