[360] §. 15. Die Eisriesen.

Am Eismeere auf einer Insel hausen die Eismänner, ihrer zwölf an der Zahl, Riesen, an fünfzig Ellen lang; sie leben gleich den Meerfräulein vonMeeräpfeln, die wachsgelb wie Citronen an der Insel wachsen und süsser als Zucker sind; das Laub davon ist dreyspitz, aussen grün, innen goldgelb. Dort ist nämlich kein Eis, nur Wasser, und ein milder Himmel bringt die kostbare Frucht zur Reife. Ausserdem sind die Riesen reich an Schätzen.

Der Mond ist der Eismänner Sonne. Ihr König hat einmal die Sonne gestohlen, um sie in Feuer zu verbrennen; denn die Riesen, von Farbe dunkel, sind böse und wollen nur Nacht; in dieser herrschen sie. Vom Eismeere geht auch alle Finsterniß aus. Da aber die Sonne heisser ist als Feuer, schadete es ihr nicht. Die Riesen, welche mit ihrem Könige gegen die Sonne stürmten, sind alle im Kampfe gefallen bis auf jene Zwölf, welche noch immer gegen die Sonne Haß tragen. Von ihnen kommt das Gift der Sonnenfinsterniß: sie sind das Gift der Natur. Dem Monde aber ward nunmehr genommen, auch bey Tage zu scheinen, neben der Sonne. Darum hat er jetzt noch seinen Schein bey Nacht.

Seitdem ist auch der Mond der Sonne Feind, und nähme sie gerne ein; er will immer Herr werden über[361] sie und ist stark, weil der höchste unter den Riesen, der Anstifter alles Krieges, selbst voll Gift; darum schläft auch Mensch und Vieh bey Nacht, und geht nur am Tage zur Arbeit. So hat es U.L. Frau festgesetzt; sie sitzt in der Sonne, in der Hand ein blaues Kreuz oder Schwert; durch einen Nadelstich im Papiere sieht man das Frauenbild, das in der Sonne herrscht.

Aber auch zwischen Riesen und Mond herrscht nun Feindschaft. Bey ihnen ist der Eiswolf; dieser steigt zeitweise als zweyköpfiger Drache, Feuer speyend, aus dem Eismeere auf und bedroht den Mond oft so, daß dieser ganz finster wird und der Schnee so roth wie helles Feuer. Er will zwar auch oft die Sonne verschlingen, dann, wenn sie verfinstert wird. Sie aber kämpft ihn immer wieder hinunter.

Diese zwölf Eismänner nun bleiben bis zumEnde der Welt, und müssen da den anderen Riesen, von denen sie allein noch übrig verblieben, Zeugniß geben dessen, was ihnen einst gesagt worden von ihrem König, ohne daß sie es vollbrachten.

Sie sind die weisesten unter den Riesen, für diese dasselbe, was Sibylla Weis den Menschen; davon heissen sie auch Weismänner. Waldkirch.

Diese Eisriesen gingen auch in das Märchen über. Ein Weib hatte drey Kinder, aber Nichts zu leben. Da ging sie hinaus und wollte sich ertränken, um ihrer Noth ein Ende zu machen. Aber eine Stimme rief ihr zu: »Halt ein, geh' über's Gebirg, dort findest du [362] dein Glück.« Dieses wiederholte sich noch zweymal, und die gute Frau machte sich auf den Weg. Als sie über den Bergen war, traf sie einen Mann unter der Thüre seines Hauses: den bat sie um Almosen. Sie erhielt es und zugleich den Trost, sie möge nur wieder heimkehren, der Noth werde ein Ende seyn. Auf dem Rückwege aber kam sie in die Nacht hinein, verirrte sich und befand sich Morgens an einem gefrorenen Wasser; es war das Meer, welches Sommer und Winter mit Eis überzogen bleibt. Dort sassen drey Riesen und spielten mit goldenen Aepfeln, und sie hatten goldene Hütchen auf, welche sie bey Regen mit einem Filzbute bedeckten. Das war gerade jetzt der Fall, und ein Windstoß kam und riß ihnen die Filzhüte ab und führte sie zu den Füssen der armen Frau. Da boten sie ihr jeder einen goldenen Apfel, wenn sie ihnen die Hütchen zurückbrächte: denn sie selber durften nicht über das Eis hinaus an's Land. Das Weib that ihnen zu Willen und kehrte mit drey goldenen Aepfeln beschenkt, freudig nach Hause. Die Aepfel und die silbernen Blätter durfte sie verkaufen, die Stielchen aber sollte sie bewahren; denn wenn sie was immer für einen Wunsch habe und mit dem Stielchen drey Schläge thue, werde der Wunsch vollendet seyn. So ward sie reich und lebte zufrieden daheim, bis ihre drey Töchter mannbar wurden. Dann brach sie auf und ging zu dem Manne, der ihr das Almosen gegeben hatte und bot ihm ihre ältere Tochter zum Weibe, ein Apfelstielchen zum Heiratgute an. Der wollte es aber nur mit zwey [363] Stielchen sich begnügen lassen und so ging sie wieder heim, um das zweyte herbeyzuholen. Und wieder kam sie an das gefrorene Wasser und schon warteten ihrer die drey Riesen. Diese verlangten ihre Töchter zur Ehe und boten ihr dafür sieben goldene Aepfel. Dem Weibe gefiel der Antrag viel besser als der Handel mit dem Manne. Sie führte den Riesen die Töchter zu und diese nahmen sie in ihre Paläste unter das Eis hinunter und lebten sehr glücklich. Die Kinder aber wurden gleich ihren Vätern Eisriesen. Neuenhammer.


Die erste Sage, so merkwürdig in ihrem Inhalte, daß nahezu jedes Wort von Bedeutung, wurde wir von einem Manne zu Waldkirch, der alte Götz genannt und seit vierzig Jahren Rottmeister der Holzhauer in den Königlichen Forsten dort, zum öfteren und stets in derselben Weise erzählt und empfängt erfreuliche Bestättigung durch die zweyte Sage, welche mir in Neuenhammer zuging.

Erst Verehrer des göttlichen Mondes am nächtlichen Himmel gehen die Eisriesen aus dem Kampfe um die Sonne als Feinde der beyden Himmelslichter hervor. Wieder wird der Feindschaft zwischen Sonne und Mond gedacht, ein stehender Zug in der oberpf. Sage. Das Entführen der Sonne durch den Mond findet sich auch bey den Litthauern, wie denn nicht zu verkennen ist, daß Litthauisches mehrfach in auffallender Weise mit dem Oberpfälzischen zusammentrifft. Ich erachte die Oberpfälzer als von der Ostsee hergekommen.

[364] Die Zahl der Eisriesen spielt auf zwölf Priester, hinter diesen auf zwölf Götter an. So mögen sie der durch den Asen- und Vanendienst gestürzten älteren Götterdynastie angehören. Jedenfalls haben wie es hier mit einem Religionskrieg zu thun. Der Riesen Weisheit ist auch in der Edda berühmt.

Der riesige Eiswolf steht der Weltschlange Jörmungandr – zugleich dem MondverschlingendenMânagarmr zur Seite. Beyde sind riesigen Geschlechtes aus Locki, selbst ein Riese und Feind der Asen, und dem Riesenweibe Angurboda inJötunheimr, der Riesenwelt.

Man möchte versucht seyn zu rathen, daß die Riesen einst für den Monddienst gewonnen wurden, sich aber, als dieser mit dem Sonnendienste in Kampf gerieth, wieder frey davon machten.

Endlich läßt sich die Vergleichung nicht abweisen, welche die Griechische Sage durch Herodot und Diodor von den Hyperboräern nahe legt. Diese wohnen nahe an der Kimmerischen Finsterniß im äussersten Norden auf einer Insel untermildestem Himmel, da wo der Mond so nahe der Erde steht, daß man die Erhöhungen auf seiner Fläche deutlich erkennen mag, und sind Abkömmlinge der riesigen Titanen, der Himmelsstürmer. Bey ihnen sich auch die goldenen Hesperidenäpfel zu Hause, von da holte Herkules die von Boreas entführte Braut Orithyia zurück.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Dritter Theil. Fünfzehntes Buch. Ende der Welt. 15. Die Eisriesen. 15. Die Eisriesen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-ECAD-0