§. 18. Krankheit.

Der Krankheit vorzubeugen, wendet das Volk alljährlich dem Herkommen gemäß zwey Universalmittel an, Abführen im Frühjahre, Aderlassen im Laufe des Jahres, nur nicht an Mariä Verkündigung, Simon und Judi und Andreas, weil es zu dieser Zeit binnen acht Tagen den Tod mit sich brächte. In der Regel geht der Bader im Wonnemonat von Haus zu Haus und schröpft den Bauer, läßt der Bäuerin. Hat sich auch der Bauer zu Ader gelassen, so hielt er vordem sich an die alte Regel:


An ayarstn gmàß = mässig,

an zwoutn gfràß = gefrässig,

an drittn dull und vull,

nau dáud d'Andarláuß wul.


[226] Weil man aber heutzutage nicht viel Zeit übrig hat, und überhaupt viel rascher lebt, so zieht er Alles in den ersten Tag zusammen, und geht schon Nachmittags zum Bier, um so lange zu trinken, bis er nimmer kann. Das hilft dann auf ein ganzes Jahr. Rigau.

Wird er gleichwohl einmal etwas unbaß, so wendet er sich zur Hungerkur und hilft es nicht, so geht er wieder zum Bier und holt sich einen Brummer, oder er nimmt eine angemessene Menge Branntweins mit Pfeffer zu sich. Wo das nasse Mittel nicht anschlagen kann, hat er ein Hausmittel bereit und darin ist die Bäuerin unfehlbarer Rathgeber. Vom erfolglosen Hausmittel wendet er sich zur Sympathie, und da ist gewiß eine Alte im Dorfe, welche ein harmloses Mittel der Art zu benennen oder anzuwenden weiß. Hätte sie sich getäuscht, so geht es zum Schinder, häufiger noch zum Hirten, der dafür kann mit seiner Kunst, welche er sehr geheim hält und vom Urgroßvater überkommen hat. Der Bauer weiß zwar, daß es dabey nicht recht hergeht, wohl gar auch der Teufel seine Hand mit im Spiele haben kann: aber das ficht ihn nicht an: hat doch nicht er es mit dem Teufel zu thun und man kann nicht wissen, was hilft. Es muß schon weit gekommen seyn, wenn er zum Bader, am weitesten, wenn er zum Arzte schickt: denn er hat eine unglaubliche Scheu vor der patentirten Wissenschaft und meynt, er diene nur als Gegenstand eines Experimentes für den gelehrten Herrn, abgesehen, daß die Kosten auch nicht gering anzuschlagen sind. Am wenigsten will er [227] begreifen, daß der Arzt sein Geld auch dann verdient habe, wo er nicht helfen konnte; er meynt im Gegentheile selbst Anspruch machen zu können auf Entschädigung. Auch ist er kein Freund von sogenannten Fretten. Ist daher ein Krankes gefährlich daran, so nimmt man Schweineschwarte und reibt ihm damit den Leib um die Herzgegend und die Fußsohlen: dann wirft man sie einem Hunde dar: frißt er es, genest der Kranke, wo nicht, stirbt er. Dieses Orakel entscheidet die Frage, ob der Arzt helfen kann oder nicht, und in letzterem Falle unterläßt man natürlich, darnach zu senden.

Sorgfältiger erscheint der Landmann für das Heil seiner Seele. Da er sich auf erhält, so lange nur immer möglich, ist sein erstes Anliegen, wenn er endlich schlecht wird, d.h. das Krankenbett nicht mehr verlassen kann, daß er nach dem Priester sendet und seine Rechnung mit Gott in Richtigkeit setzt. Darnach erst ist es Zeit, den Arzt zu rufen. So kommt es, daß ältere Leute in ihrem Leben gar oft bis zu siebenmalen mit den hl. Sterbsakramenten versehen worden sind. Hat Eines einmal die letzte Oelung empfangen, setzt es sicher seiner Lebtage den blossen Fuß nicht mehr vor die Hausthüre, aus Furcht, das heilige Oel zu verunreinigen.

Die Behandlung während der Krankheit ist sehr einfach. Der Ofen wird bis zum Ersticken geheizt, Sommer wie Winter. Erst sucht man sich das Lager hinter dem Ofen in der Hölle, und vertauscht es später [228] nur ungerne mit dem Bette, welches bey Nacht trotz aller Gefahr die Ehehälfte standhaft theilt. Die Nachbarinen, zum Rathe versammelt, füllen die Stube, wobey es dem Kranken noch schwüler wird als ihm ohnehin ist, bis tief in die Nacht hinein, um am frühen Morgen wieder zu erscheinen. Jede weiß ein unfehlbares Mittel und ist bestrebt, es anzupreisen und geltend zu machen. Dazwischen wird dem Kranken auch Etwas nach Gelüsten gethan, ihm Honig oder Wein und von Speisen Fisch zugesteckt. Kommt der Arzt und verordnet kleine Dosen Arzney, so verliert er alles Zutrauen. Der rechte Mann verschreibt grosse Gläser, deren Inhalt recht derb wirkt. Auch weiß der Kranke die Wirksamkeit zu erhöhen, indem er die Arzney auf ein oder zweymal nimmt; stirbt er daran, so thut das Nichts: die Arzney ist doch recht wirksam gewesen und der Arzt ein gescheidter Herr. Wird süsse Arzney verschrieben, hält sich der Kranke unrettbar verloren. Säftchen reicht man ja nur Sterbenden. – Ist nun der Kranke trotz aller Mittel und Räthe verschieden, so hat man das Seine gethan und das Gewissen rein erhalten. Manchmal ist von der Arzney noch ein Rest übrig: da findet sich denn ein haushälterischer Magen, der, obgleich gesund, sie verschluckt, lediglich zum Zwecke, »daß sie nicht hin wird.«

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Dritter Theil. Dreyzehntes Buch. Hölle. Dritter Abschnitt. 2. Aberglaube. 18. Krankheit. 18. Krankheit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-EEED-1