[425] 404. Jungfer Kümmerniß.

(Mittermaiers) Sagenbuch 1850 S. 126.


Aus alter Heidenzeit hatte sich in Deutschland die Verehrung einer Heiligen eingeschlichen, deren Namen weder ein Kalender nennt, noch die ein Papst je heilig sprach. Ein sehr gelehrtes Buch könnte über diese Mythe geschrieben werden, hier nur die Sage. – Ein heidnischer König hatte eine wunderschöne Tochter, zu welcher viele ihrer Schönheit wegen hingerissen wurden. Dieß betrübte jedoch das gute Prinzeßchen in hohem Grade, und als heimliche Christin bat sie Christus, ihre Schönheit zu verderben, und sie hörte gleich eine Stimme schallen: »Wohlan, du sollst mir gleichen!« –

Und von Stund an verwandelte sich ihr weibliches Angesicht in ein männliches, das mit stattlichem Barte geschmückt war. – Ihr Vater war furchtbar zornig, als sie ihm alles gestand und sprach: »du sollst noch mehr deinem gekreuzigten Gotte ähnlich werden,« und nach seinem Befehle kleidete man sein Kind mit einer groben Kutte, und ließ ihr von der vorigen Herrlichkeit nur die goldne Krone und die goldnen Schuhe, und nagelte sie mit den Händen an ein Kreuz, wo sie bald starb.

Nach mehrern Tagen zog ein armer Geiger des Weges, dessen Weib und Kinder zu Hause fast verhungerten. Da dachte er, wenn die gute Prinzessin noch lebte, gäbe sie mir gewiß, um meine Noth zu lindern, einen ihrer goldenen Schuhe und er fing unbewußt zu geigen an und siehe ein goldner Schuh löste sich vom Fuße der Prinzessin, den der Geiger in die Stadt trug und verkaufen wollte. Doch hier ergriff man ihn und führte ihn zu dem König, der ihn als Dieb des Schuhes zum Galgen verurtheilte; doch sprach der König: wenn auf abermaliges Geigen die Prinzessin auch den andern Schuh fallen lasse, sei ihm nicht nur verziehen, sondern er selber wolle Christ werden. Da fiel wieder beim Saitenklange ein Schuh und König und Volk wurden Christen und die bärtige Prinzessin ehrbar begraben.

Unter dem Volk ging schon Jahrhunderte die Mähre, wer in große Noth komme und sich mit einem Bilde der Prinzessin Kümmerniß verlobe, dem werde geholfen, wie jenem armen Geiger. In vielen Kirchen findet man daher auch der Prinzessin gekreuzigtes Bild, so in Lauingen zweimal, [426] wovon das eine die Jahrzahl 1675 trägt. Auch in den Dörfern der Gegend findet man viele, welche jedoch einen andern Ursprung haben. Am Wege von Dillingen nach Steinheim steht einsam das St. Leonhardskirchlein. Aber man schien von hundert Jahren in ihr nicht St. Leonhard, sondern die Jungfrau Kümmerniß zu verehren, denn alle Wände waren mit obenerwähnten Bildern bedeckt. Zufällig erfuhr dieß ein eifriger Bischof (Umgeltner?) und ertheilte den Befehl, sämmtliche Bilder binnen kurzem zu verbrennen. Schnell war diese Nachricht in der Gegend verbreitet, und die Bauern eilten, die Bilder, welche sie oder ihre Ahnen aufgehängt, vor den Flammen zu retten, so daß die bischöfliche Kommission gar wenig zu zerstören fand.

Als später diese Kapelle in ein Pulvermagazin verwandelt wurde, sagten die Bauern kurzweg: da sieht man wie's kommt, zu St. Kümmernißzeiten hätte man der Kapelle nichts thun dürfen, aber St. Leonhard hat's nicht verhindern können. – Die Tradition ist fast verklungen, doch wurde sie einigen Soldaten bekannt, welche mit einem schlechten Weibsbilde, der sie längst müde waren, nächtlicher Weile von Steinheim nach Dillingen gingen. Sie verabredeten sich, aus ihr eine »Kümmerniß« zu machen, und nagelten sie wirklich durch die Kleider so geschickt an die Kapellenthüre, daß sie, ohne andern Schaden als der Angst, hängen bleiben mußte, bis Leute kamen, welche die neue Martyrin erlösten.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. 404. Jungfer Kümmerniß. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-FCAC-4