[270] Passions-Lieder

1. Am Salbung des heiligen Geistes

Fall auf die Gemeinde nieder,
Geist! der uns mit Feuer tauft;
Alle sind wir Jesu Glieder,
All mit seinem Blut erkauft:
Füll' uns mit der Andacht Gluth,
Laß der Leidenschaften Fluth
Nicht des Herzens Ruhe stören;
Denn wir singen Gott zu Ehren.
Salb' uns alle, lehr' uns feiern
Jesu Christi Leidenzeit,
Unsern Bund mit Gott erneuern,
Lehr' uns, Geist der Heiligkeit;
Rein und keusch sei unser Herz,
Nicht von Eis und nicht von Erz;
Und, von deinem Strahl getroffen,
Jeder frommen Rührung offen.
Weihe unsers Geistes Kräfte,
Salbe, salbe den Verstand;
Mach das göttliche Geschäfte
Der Versöhnung ihm bekannt.
Heilige die Phantasie,
Seelenschöpfer! laß sie nie
Bilder schaffen ohne Klarheit,
Ohne Gottes Kraft und Wahrheit.
Stell den Mittler neues Bundes
Uns in seiner Schönheit vor,
Bring die Reden seines Mundes
Mächtig vor des Sünders Ohr;
Führ' uns nach Gethsemane
In das Allerheiligste,
Wo des Richters Arm ihn schreckte
Und mit Schweiß und Blut bedeckte.
[271]
Zeig uns dann den Weltgebieter
Unter seiner Mörder Schaar,
Wie er duldete die Wüther
Um ihn her; wie groß er war;
Wie er falscher Zeugen Hohn,
Purpurmantel, Dornenkron',
Geißelschläge, Spott und Wunden
Hocherduldend überwunden.
Geh' mit uns dem Opferlamme
Auf dem blut'gen Pfade nach;
Zeig' uns an des Kreuzes Stamme
Seines großen Todes Schmach;
Fließt sein Blut, sein Blut, sein Blut,
Geist des Herrn! so schaff' uns Muth;
Hüll' uns ein in deine Flügel
Auf dem nachtbeströmten Hügel.
Seine letzten Worte schreibe
Uns ins Herz mit Flammenschrift!
Stärk' uns, Tröster! Bleibe, bleibe
Bei uns, wenn der Tod uns trifft.
Wann: Es ist vollbracht, versöhnt
Ist die Welt! herunter tönt;
Wann wir sehen seine bleiche,
Kalte, blutbefloßne Leiche.
Laß uns dann am Grabe weinen;
Weinen laß uns nur genug,
An den heiligen Gebeinen,
Die auch unser Frevel schlug.
Laß uns klagen, Mittler! Wir
Sündenknechte haben dir
Dieses Grab bereitet, haben
Deine Wunden dir gegraben.
Geist! du mächtiger Bekehrer
Unsrer Herzen, zeig' uns dann
Nicht in Christo nur den Lehrer,
Der uns blos versöhnen kann;
[272]
Nicht den bloßen Märtyrer;
Zeig' uns mehr, o zeig' uns mehr!
Lehr' uns, Geist! wie der Erwürgte
Bei dem Richter für uns bürgte;
Wie ihn unsre Schuld zerfleischte,
Unsre Missethat verhöhnt;
Wie der Richter Rache heischte,
Wie das Lamm ihn ausgesöhnt,
Wie er als Erlöser litt,
Nun als Mittler uns vertritt;
Wie er, unsre Schuld zu büßen,
Seine Wunden Gott gewiesen.
O den hohen Werth des Blutes
Lehr' uns, Geist des Ewigen!
Dies Gewicht des höchsten Gutes
Für die armen Sterblichen.
Fach den Glauben in uns an,
Daß, wenn Zweifelsucht und Wahn,
Wenn des Fleisches Trieb uns peinigt,
Dieses Opferblut uns reinigt.
O du heilige Gemeinde,
Blick zu deinem Haupt empor,
Zum Messias, deinem Freunde,
Den zum Lamme Gott erkor.
Welche Wonn' und Seligkeit
Schafft die stille Leidenszeit!
Sie entreißt uns dem Getümmel,
Lüpft den Vorhang von dem Himmel.
Leiden, wie der Mittler leiden
Wollen wir, zu Gott gekehrt;
Sterben wollen wir mit Freuden,
Weil sein Tod uns sterben lehrt.
Sehen werden wir dann ihn,
Tod! o Tod! du bist Gewinn!
Bist ein Aufflug in die Hütten,
Die der Gottmensch uns erstritten.

[273] 2. Der Kreuzgang

Als der Mittler Gottes auf dem Rücken,
Den die Geißel blutig schlug,
Einst sein Kreuz zur Schädelstätte trug,
Ach, da sankst du; denn das Drücken
Deines Kreuzes war zu schwer;
Ach, da sankst du, Heiliger!
Und ein Wandrer, Simon von Kyrene,
Nahm von dir das Kreuzgewicht;
Trug's voll Mitleid – Hell im Angesicht
Schimmerte des Pilgers Thräne –
Trug's den Golgatha hinauf,
Richtet's unter Schädeln auf.
Mittler, der ich auch im Zährenthale
Trage meines Kreuzes Last,
Der du mir es vorgetragen hast,
Hilf mir, eh' ich unterm Pfahle
Sink' und lieg'! ich flehe dir;
Mittler Gottes, trag es mir.

3. Golgatha

Seele, hast du keine Flügel?
So fliege doch nach Golgatha,
Wo auf einem Todeshügel
Den Sohn der Vater leiden sah.
Die Erde zittert,
Schaut und erschüttert
Den Tod, den großen Tod!
Der dem Mittler Gottes droht.
Geister stehen auf den Höhen,
Wie Todte bleich, wie Gräber stumm!
Und die wen'gen Edlen stehen
Ohnmächtig um den Pfahl herum;
Sie sehn und schauen
Den Tod voll Grauen,
Den Tod, den großen Tod!
Der dem besten Freunde droht.
[274]
Nacht und Dunkel hängt herunter,
Moria, wo ist deine Pracht?
Wo ist deines Tempels Wunder?
Deckt alles Tod und Mitternacht?
Die Berge zittern,
Die Felsen splittern;
O Tod, o großer Tod!
Der dem Sündentilger droht.
Aus der fürchterlichsten Wolke
Erhebt die Todesstimme sich
Vor dem zitterenden Volke:
Mein Gott! warum verläß'st du mich?
Vom Höllengrimme
Zeugt diese Stimme;
O Tod! o welch ein Tod!
Der dem größten Menschen droht.
Blutigrothe Strahlen zücken
Von eines Todesengels Schwert,
Geister hören, staunen, blicken,
Als sie das letzte Wort gehört:
Nun ich empfehle
Dir meine Seele!
O Gott, es ist vollbracht!
Und sein Haupt sinkt in die Nacht.
Tief an deinem Kreuze unten,
Gottmensch! Erlöser! lieg' ich hier.
Ich blick' hinauf nach deinen Wunden,
Sie strömen Seligkeit auch mir.
Will Tod mich tödten,
So soll es reden,
Dein Blut, Gottmensch, dein Blut!
Und ich trotze seiner Wuth.
O wie freudig kann ich sterben!
Ich fürchte nicht der Hölle Gluth;
Meine Kleider will ich färben
In des erwürgten Lammes Blut.
[275]
Auch ich empfehle
Dir meine Seele,
O Gott! wenn einst der Tod
Mir, wie meinem Mittler droht.

4. Trost eines Gefangenen aus den sieben letzten Worten Jesu

Der du auf Golgatha gehangen
Voll Wunden mit gesenktem Haupt;
Mit Blut und Thränen auf den Wangen,
Des letzten Trosts von Gott beraubt:
Dein Leiden, Mittler! denk' ich heut
In meines Kerkers Einsamkeit.
O deine letzten Worte tönen
Mir in mein Ohr, ich höre sie;
So schallt von deinen Himmelssöhnen
Der Festgesänge Harmonie:
O drücke mir in meinem Schmerz
Der Worte tiefen Sinn ins Herz.
Da stand die Rott' erstarrter Sünder,
Noch knirschend ihren Fluch: Sein Blut
Komm' über uns und unsre Kinder!
Die Hölle hört's und jauchzte Wuth;
Dein Vater schaut herab und droht
Von ferne mit Gericht und Tod.
Doch du, mit Mitleid auf den Mienen,
Schaust diese Todgeweihten an,
Und sprichst: Vergib es, Vater! ihnen,
Sie wissen nicht, was sie gethan;
Gott hört's, die Rache hört es mit,
Und säumt in ihrem Donnertritt.
Nun will ich auch dem Feind verzeihen,
Der lebend mich ins Grab verschloß;
Nie gegen den um Rache schreien,
Für den das Blut des Lammes floß:
Auch wenn er mich zu tödten meint,
So bet' ich noch für meinen Feind.
[276]
Und wenn mich meine Sünden drücken,
Versöhner, ach! so bitt' ich dich,
Schau mit Erbarmung in den Blicken
Hinauf zu deinem Vater; sprich:
Vergib auch ihm; er kannte nicht
Die Rache der verletzten Pflicht.
Als bang und mit zerfloßnem Herzen
Dein Jünger unter'm Kreuze stand,
Und deine Mutter nun die Schmerzen
Des Schwerts in ihrer Seel' empfand,
Riefst du mit sanfter Liebe Ton:
Sohn! deine Mutter; Weib! dein Sohn.
Vor dem ich meinen Jammer weine,
Erlöser, wann dieß Auge bricht,
So bitt' ich dich, verlaß die Meine,
Mein Weib und meine Kinder nicht;
Gib ihnen mehr als Hüll' und Brod,
Des Himmels Erbe nach dem Tod.
Der Schächer hängt an deiner Seite,
Und klagt dir sterbend seine Pein,
Jedoch dein Trost: Du wirst noch heute
Mit mir im Paradiese sein!
Hob diesen Bebenden mit Macht
Empor aus seiner Jammernacht.
Dieß: Heute, heute, will ich stammeln,
Wenn mir das Grau'n des Todes dräut;
Will jede Kraft in mir versammeln,
Und meiner Seele sagen: Heut,
Nicht morgen erst; noch heute bist
Du da, wo Jesus Christus ist.
Seyn werd' ich, nach dem Tode leben,
In Klarheit schwimmen wird mein Geist;
Nicht träumend nur am Throne schweben,
Der unter Lebensbäumen fleußt;
Nicht mit dem Leichnam schlummern, nein,
Mein Geist wird seyn, bei Christus seyn.
[277]
Du riefst – Wie ferner Donner Halle
Verbreitet's durch die Himmel sich:
Mein Gott! die Geister bebten alle –
Mein Gott! warum verläß'st du mich?
Durch alle Himmel scholl es hin:
Ach Gott! verlaß nicht uns, nicht ihn!
Den Todeshügel will ich füllen,
Alls voller Seele will ich schrein:
Verlaß mich nicht, um Jesu willen!
Mein Gott, ich wär' ja sonst allein;
Allein, und ohne Trost wär' ich,
Wär' ohne Menschen! Jesum! dich!
Noch hängt mein Heil am Kreuzesstamme:
Mich dürstet, ruft er nun herab;
Müd neigt er sich, saugt aus dem Schwamme
Den Myrrhentrank; sein Mörder gab
Nicht Wasser ihm, nicht Weinbeerblut,
Zu stillen seines Durstes Gluth.
Muß ich in meinem Kerker schmachten,
So denk' ich, Mittler! deiner Noth;
Sie lehrt den Mangel mich verachten,
Hab' ich nur Wasser noch und Brod.
Dort, wo der Quell des Lebens quillt,
Wird ewig einst mein Durst gestillt.
Nun zuckt dein Leib, nun ringt die Seele,
Da jedes Band des Lebens reißt;
Nun rufst du: Vater, ich befehle
In deine Hände meinen Geist!
Nun schreist du laut: Es ist vollbracht!
Und neigst dein Haupt sanft in die Nacht.
So soll mein müdes Haupt sich neigen,
Den Geist, mein Gott! befehl' ich dir!
Und wenn auch diese Lippen schweigen,
So seufz' es doch das Herz in mir:
Es ist vollbracht! wie's Jesus sprach,
So sprech' ich's ihm im Tode nach.
[278]
Vollbracht ist dann mein Freiheitssehnen,
Verschwunden ist der Kerkerdampf;
Geweint sind alle meine Thränen,
Gekämpft ist jeder heiße Kampf:
Zu Gottes Tag bin ich erwacht!
Es ist vollbracht! Es ist vollbracht!

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Passions-Lieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-005D-C