An Amalia

Amalia reizend wie Cypria war,
Als sie eine Welle des Meeres gebar.
Sie schlüpfte aus silbernem Schaume empor,
Begrüßt von der Götter olympischem Chor.
Nun stand am Gestade das himmlische Kind,
Es spielte in goldenen Locken der Wind;
Und ihren weißschimmernden Hüften entschwebt
Der Gürtel, aus zauberischem Liebreiz gewebt.
Amalia, schau in der Göttin dein Bild!
So himmlisch geschaffen, so lächelnd, so mild;
So still in der Größe, so hoch in der Ruh',
So reizend im Schleier der Schönheit bist du.
Du bist zwar an Liebreiz der Cypria gleich,
Doch nicht so empfindsam, für Liebe so weich;
So schmelzend, wenn Liebe Fühlenden spricht:
Amalia – leider! so bist du noch nicht!
Oft hab' ich's empfunden, oft hab' ich's gefühlt,
Daß Qualen der Liebe das Herz mir zerwühlt.
Ich schaurte, und wies dir mein blutendes Herz;
Doch bliebst du, Amalia, härter als Erz.
Wenn Liebe von zitternden Lippen mir scholl,
Wenn blutend die flehende Zähre mir quoll;
So flohst du der Liebe geheiligtes Band,
Und botst mir als kältere Freundin die Hand.
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Als Freundin? Amalia, Freundschaft ist gut
Bei wachsenden Jahren, und kälterem Blut:
Doch strahlend wie du in der Blüthengestalt –
Ihr Himmel, wie ist da die Freundschaft so kalt!
Nur Liebe, nur Liebe erweckst du in mir,
Die heilige Flamme, wie lodert sie dir!
O laß dich erweichen, Amalia, sprich:
»Mein Busen empfindet auch Liebe für dich!«

Notes
Entstanden 1785. Erstdruck nicht ermittelt.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. An Amalia. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-00EB-E