Herzensergüsse

An Gott.


Dir! Erster! Letzter!
Allgewaltiger Wesenvater, dir,
Dir Schauer voll Huld
Aus büßende Sünder!
Dir Schauer voll Huld
Auf mich, den büßenden Sünder!
Dir fließe mein Lied innig und heiß,
Wie der Liebe erste Zähre mir entfloß.
Ehernen Bergen gleich
Lag meiner Verschuldungen Last
Auf mir! Weltrichter, auf mir!
Ich sah den mächtigen Verkläger
Satan stehn zu meiner Rechten.
Hinauf schrie er zum Throne,
Daß Gluthasche mit des Klägers
Odem flog. Hinauf schrie er:
Du bist heilig! Er deiner Heiligkeit
Schändlicher Entweiher!
Verwirf ihn!
[284]
Du bist gerecht! Er soff das Unrecht
In sich wie Wasser.
Verwirf ihn!
Du reiner, als das Lichtgewand,
Das dich umgibt!
Er ein Schlammbewohner,
Von faulem Wasser
Stinkender Sinnlichkeit träufend.
Verwirf ihn!
Du ein Gott voll Licht und Wahrheit,
Er des Urdunkels Genosse,
Ein Schmäher der gottgesandten Wahrheit!
Deines Sohnes Schmäher!
Deines Geistes Schmäher!
Verwirf ihn!
Gebiete dem ruhenden Donner
An deines Thrones Fuße,
Daß er zuck' und schlag' und tödte
Den Empörer!
Oder laß mich,
Zaudrer auf deinem Richtthrone!
Daß ich ihn hüll' in Wettergewölk,
Und ihn fortwälz' unterm Geheul
Und dem Wehausruf meiner Sklaven
Hinab in der Hölle gähnenden Schlund!
Daß ich ihn an meines Thrones Wurzel
Schmiede mit ewigen Ketten;
Daß ich ihn taufe mit Flammen
Und ihn weihe zum Genossen der Hölle!
Zaudrer deines Throns,
Laß mich, laß mich, daß ich ihn weihe!
Still ward's im Himmel. Ich hörte
Die mächtige Klage
Hinunterdonnern die Seele.
Zersplittern wollt' ich den hallenden Schädel
An den Felsenrippen meines Geklüfts;
[285]
Aber deine voreilende Gnade, Erbarmer,
Warf einen der erquickendsten Lichtstrahlen
In meine Seele voll Nacht.
Ich sank auf die Ziegel meines Kerkergrabs,
Und Thränen stürzten, wie Blut,
Auf die Ziegel meines Kerkergrabs.
Wie Abbadonna fleht'
Um der Vernichtung schreckliche Gnade;
So fleht' auch ich, auch ich,
Um der Vernichtung schreckliche Gnade!
Denn unausstehlich war die Flamme,
Die meinen Geist sengte.
Ach Vernichtung! Vernichtung!
Strecke die schwarze, eiserne Riesenhand aus,
Quetsche mich, daß dem hangenden Auge
Alle Thränen entstürzen auf Einmal.
Daß dem leidenden Herzen
Alles Blut entstürze auf Einmal.
Daß meine Seele mit dem Gedanken:
Ich habe beleidigt den Rächer,
Den Ersten! den Besten! Beleidigt, beleidigt!
Hab' meiner Schöpfung Zweck verfehlt –
Daß mit diesem Gedanken
Meine Seele zerfließe
In des Undings grause Fluth;
Daß ich mich mische mit dieser grausen Fluth,
Meines Tropfens Bewußtsein vergesse.
Ja, so fleht' ich, Erbarmer, vor dir!
Aber, wie es Abbadonna scholl,
Als die Stimme klang vom Throne:
Abbadonna, komm zu deinem Erbarmer!
So süß, so markdurchschauernd
Scholl mir die Stimme vom Throne:
Schubart, komm zu deinem Erbarmer!
Wie einen Blitz sah ich
Den mächtigen Verkläger
Entstürzen dem Himmel:
[286]
Nehmt das besudelte Gewand von ihm!
Gebt ihm ein neues Kleid, getaucht
Ins heilige Blut der Sühnung!
Sprach Jesus Christus Stimme
Und lächelte mir Gnade!
Ach, wie mir's ward, wie mir's ward, ihr Brüder,
Die ihr versteht des Geistes Geheimniß,
Wie mir's ward; könnt ihr mir kaum
In den Stunden der Weihe,
Wenn ihr schwebt am Throne,
Wenn ihr feiert den Anblick
Der ewigen Liebe, das Lächeln der Gnade
Am Antlitz Jesu, nachempfinden.
Gott ist die Liebe! Gott ist die Liebe!
So schrie ich, stammelt' ich
Mit schnellen, geflügelten Worten.
Gott ist die Liebe!
Ach dann flossen andre Thränen,
Als jene, die dort der Verzweiflung entstürzten.
Süßer ist nicht die Thräne
Des ewigen Wiedersehens
Der Geliebten, als die Thräne
Des begnadigten Sünders,
Hingegossen im ersten
Himmelentstürzten Gefühle
Der allbelebenden Gnade.
Und nun sei dir, dem Sündenversöhner,
Dem Lächler der Gnade,
Dem heiligen Quell aller Erbarmungen,
Alles Muttergefühls, alles Vatergefühls
Heiligem Quelle, dir sei,
Und dem Lamme sei, das erwürgt ist,
Und dem siebengeaugten Geiste,
Der jede verborgenste Ader des unermeßlichen Leibes
Der Schöpfung durchblickt,
Der hohen mystischen Dreiheit sei
Anbetung! und Lob! und Preis!
Und die Herrlichkeit!
[287]
Und ewiger Dank! und ewiger Jubel!
Von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Amen. Hallelujah!

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Herzensergüsse. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-024B-6