[73] [75]Ernst Schulze
Episteln
(Geschrieben vor dem Jahre 1813.)

Nullius addictus jurare in verba magistri,

Quo me cunque rapit tempestas, deferor hospes.

Horat.

[75] [77]1.

Bei Uebersendung eines Traumbuches.


Quid sit futurum cras, fuge quaerere.

Horat.


Das Leben ist ein buntverwirrter Traum;
Im Dunkel liegt die Zeit, die uns entschwunden,
Ein Schleier deckt der Zukunft ferne Stunden,
Und selbst das Jetzt erkennt die Seele kaum.
Verworren fliehn mit ungewissem Schweben
Des Daseyns Bilder unserm Blick vorbei;
Wir wählen nicht was gut und nützlich sey,
Kein festes Ziel entdeckt sich unserm Streben;
Zufrieden mit dem bunten Mancherley,
Womit Geschick und Zufall uns umweben,
Durchirren wir, gleich Träumenden, das Leben,
Bald auf dem Fittig süßer Schwärmerei,
Bald stumm und ernst und bald mit scheuem Beben,
Und fühlen erst, wenn aus der Wüstenei
Der Welt uns schön're Genien erheben,
Das Spiel sey aus und unser Traum vorbei.
Sobald der Mensch des Lebens Hauch empfindet,
Bemüht er sich in jenes Buch zu sehn,
Das ihm den Zweck der bunten Träume kündet;
[77]
Er sucht nach Licht und wähnt es zu erspähn.
Sein Geist verlacht die Fessel, die ihn bindet,
Schon glaubt er den verborgnen Rath ergründet,
Und hascht im Wahn die Wahrheit schon am Saum:
Doch ach, umsonst! der falsche Schein entschwindet,
Und was er sieht, es ist ein neuer Traum!
Zu glücklich ist, wer auf dem Pilgerwege
Mehr Sonnenschein als wilden Sturm empfing,
Wer häufiger durch blühende Gehege
Als durch den Sand verdorrter Wüsten ging;
Wem in dem Buch, wo die genoßnen Freuden
Verzeichnet stehn, kein gänzlich leerer Raum
Entgegenstarrt, und wer beim späten Scheiden
Noch rufen kann: Es war ein schöner Traum!
Allein verzeih die wehmuthsvolle Mine,
Mit welcher jetzt die Muse dir erscheint,
Als stände sie auf einer Trauerbühne,
Um die ein Schwarm von bangen Hörern weint.
Fort mit dem Ernst! Im holden Feenlande,
Wo noch der Lenz uns Rosenkränze flicht,
Ist Sorg' und Gram die schlimmste Contrebande,
Und düstrer Ernst im grämlichen Gewande
Ein Prediger, der in der Wüste spricht.
Was kümmern uns die finstern Grübeleyen,
Womit der Mensch den Keim der Lust zerstört?
Mag sich in Thor des finstern Mißmuths freuen,
Mag er das Glück, als wär' es Sünde, scheuen,
Wer Grillen sucht, der ist der Grillen werth;
In unsrer Brust kann Freude nur gedeihen,
Der ist ein Gott, wer ihre Lehren hört.
[78]
So laß uns froh durchs heitre Leben schwärmen,
Nach Dornen nie am Blüthenkranze spähn,
Nie ohne Noth uns um die Zukunft härmen,
Und nie das Jetzt im trüben Lichte sehn.
Oft blüht ein Zweig an halberstorbnen Bäumen,
Mit Ranken ist der nackte Fels geschmückt,
In Wüsten selbst sieht man oft Blumen keimen,
Der ist ein Thor, der sie nicht sorgsam pflückt.
Bau' immerhin ein Schloß in luft'gen Räumen,
Und bild' ein Ideal aus buntem Schaum;
Die zarte Brust muß sterben oder träumen,
Denn alles Glück ist nur ein schöner Traum.
Nimm hier das Buch, das vormals die Sibyllen
In Kumas Kluft prophetisch ausgeheckt,
Den Sterblichen die Träume zu enthüllen,
Womit die Nacht die müden Schläfer schreckt.
Doch wenn dir einst mit buntgefärbten Schwingen,
O wär' es oft! aus Titans goldnem Thor
Die Phantasien die süßen Bilder bringen,
Worin dein Geist sich wachend oft verlor,
Wenn Weste dich mit leisem Flug umgaukeln
Und scherzend dich auf lauen Lüften schaukeln
Und auf der Woge zartem Silberschaum,
Dann hüte dich dies Buch um Rath zu fragen,
Es wird dir nur die düstern Worte sagen:
Dein ganzes Glück, nichts war es als ein Traum.
Doch wenn dich einst zum öden Schlachtgefilde,
Mit Blut benetzt, ein böser Geist entführt,
Wo rings die Nacht nur grause Schreckgebilde,
Wo jeder Strauch Gespenster dir gebiert;
[79]
Wenn rasch sich zur Flucht die Füße heben,
Doch regungslos, erstarrt am Boden kleben,
Wie einst im Fliehn Apolls geliebter Baum,
Dann lies dies Buch; dein Zagen wird entschwinden,
Denn tröstend wird sein Ausspruch dir verkünden:
Der Schmerz ist nur ein kurzer Morgentraum.

[80] 2.

Si, Mimnermus uti censet, sine amore jocisque

Nil est jucundum, vivas in amore jocisque.

Horat.


Hier auf des Brockens Höhen
Im zaubrischen Revier
Schreib' ich dies Briefchen dir,
Du reizendste der Feen,
Die je die Mainacht hier
Im Negligé gesehen.
Vom rauhen Sturm umbrüllt
Steh' ich auf hoher Warte,
Wo fernhin das Gefild,
Gleich einer Länderkarte,
Sich meinem Blick enthüllt.
Jetzt ist der Landschaft Bild
Von grauem Duft umwoben,
Jetzt scheucht der Stürme Toben
Den Nebelflor hinweg,
Und durch die luft'gen Räume
Baut in das Reich der Träume
Mir Fantasus den Steg.
Besäß' ich jetzt die Grille
Mit Werners Zauberbrille
Ein luftiges Gewühl
Verkörperter Ideen
In jedem leisen Spiel
[81]
Der Schöpfung auszuspähen,
Dann sollte nur Gefühl
Durch meine Saiten wehen;
Der Sturm, der rauh und wild
Der Fichten Haupt zerschmettert
Und Wies' und Hain entblättert,
Er wäre mir das Bild
Der trüben Augenblicke,
Wenn Kummer dich zerreißt,
Und ach, von jedem Glücke
Dein Schmerz mich fliehen heißt.
Des Nebels Truggebilde,
Die bald sich um's Gefilde
Mit grauer Dämmrung ziehn,
Bald nahen, bald entfliehn,
Sie würden mich erinnern,
Wie schnell in deinem Innern
Sich Laun' auf Laune drängt,
Wie Alles jetzt dich kränkt,
Was dir noch kaum gefallen,
Und wie dein Herz an Allen
Und wie an Nichts es hängt;
Und diese Felsenhöhen,
Die schon von Ewigkeit
Den Kampf mit Kunst und Zeit
Unwandelbar bestehen,
Würd' ich in dem Symbol
Nicht deine Treue sehen?
Ach Liebchen, sollte wohl
Der Berg noch lange stehen?
Auch wär' ich fast bereit
In's graue Nebelkleid
[82]
Der Mystik mich zu hüllen,
Und deine leere Zeit,
Um aller deiner Grillen
Und jener Härte Willen,
Die stets das Herz mir bricht,
Wär's auch mit Thränen nicht,
Mit Gähnen doch zu füllen:
Allein du zagst zu früh.
Der Flug zu höh'ren Sphären
Ist der gedankenleeren
Romantiker Regie,
Die, wie natürlich, nie,
Als Meister der Magie,
Sich an den Weltlauf kehren,
Und Geister dort beschwören,
Wo Menschen nöthig wären.
Ein wenig Phantasie
Ist Alles, was mit Müh
Die Götter mir bescheren,
Und läßt von Zeit zu Zeit
Der Geist der Zärtlichkeit
Durch meinen Mund sich hören,
So muß ich dich verehren,
Du hast durch süße Lehren
Zum Dichter mich geweiht.
Doch wenn im Rosenkleid
Der Gott der Fröhlichkeit
Aus seinem Lustgebiete
Mir zarte Küsse beut,
Und manche holde Blüthe
Auf meine Pfade streut,
Und meine Lebenszeit
Zum Paradiese weiht
[83]
Durch ewige Genüsse,
So sag' ich ohne Scheu,
Daß ich für jene Küsse
Mein eigner Schuldner sey.
Drum, Liebliche, verzeih,
Daß deine Phantasei
Die heißen Lavaflüsse
Erhabner Schwärmerei
In diesem Brief vermisse;
Denn wenn ich, frank und frei
Vom Band der Tändelei,
Mit schäumendem Gebisse
Den kühnen Pegasus
Durch hohe Wolken risse,
So hielte voll Verdruß
Wohl mancher Kritikus
Die glühenden Ergüsse
Des hohen Genius
Für nichts als – taube Nüsse.
Drum fort mit Sturm und Drang,
Du Pathos, flieh von hinnen!
Mein scherzender Gesang,
Sucht nur die Huldgöttinnen
Und Amorn zu gewinnen,
Nicht finstrer Grübler Dank.
Laß andre Thoren schwärmen,
Und an erzwungner Gluth
Den kalten Geist erwärmen,
Und dann, im trunknen Muth,
Mit höh'ren Welten spielen
Und Niegefühltes fühlen,
Und bald daß heiße Blut
[84]
In kalter Wasserfluth,
Wie Ikarus, zu kühlen;
An süßen Banden hält
Mich diese Erdenwelt,
Und in die graue Weite
Schaut meine Träumerei,
Und sehnt nur dich herbei,
Und seufzt: O wäre heute
Die erste Nacht im Mai!
Doch wie, du scheinst zu schmählen,
Daß sich mein Lied erfrecht
Dich zu dem Trupp zu zählen,
Der hier, sein altes Recht
Am ersten Mai zu hegen,
Mit Satan tanzt und zecht?
O, sey nicht ungerecht!
Kannst du mich widerlegen,
So schwör' ich beim Apoll,
Bei des Peliden Groll,
Bei Ast und bei dem Besen,
Der Endors Hexe trug,
Nie will ich mehr ein Buch,
Ist's nicht von Arnim, lesen!
Was treibt so schnell das Blut
Mir durch die blassen Wangen?
Woher die trunkne Gluth,
Woher das zarte Bangen,
Wenn dich mein Aug' erblickt?
Was läßt mich jetzt entzückt
Dir rasch entgegeneilen,
Doch plötzlich wieder weilen,
Von Scham und Angst umstrickt?
[85]
Doch wenn dein Mund mir lächelt,
Und sanft, wie Westeswehn,
Dein Auge meinem Flehn
Gewährung zugefächelt,
Was läßt so schnell und kühn
Zur Hoffnung in mir keimen,
Was selbst in süßen Träumen
Mir sonst unmöglich schien?
Und wenn an deinen Wangen,
An deines Mundes Sammt
Dann meine Lippen hangen
Und glühendes Verlangen
Mir durch die Seele flammt,
Was läßt mich plötzlich zittern,
Als wagt' ich jetzt zu viel?
Was läßt das süße Spiel
Durch Reue mich verbittern?
Welch eine heil'ge Scheu
Wirft mich zu deinen Füßen,
Mein Wagestück zu büßen,
Als ob es Sünde sey,
Durch zarte Tändelei
Sein Leben zu versüßen;
Ist das nicht Zauberei?
Erwähl' ich fern von dir,
Den Kummer zu beschwören,
Der alten Weisen Lehren
Zum Zeitvertreibe mir,
So winkt auf allen Blättern
Mir zauberisch dein Bild,
Und jede Zeile füllt,
Anstatt der todten Lettern,
[86]
Sich nur mit Liebesgöttern.
Der weise Sokrates
Kniet dann, sich selbst zum Hohne,
Vor Cythereens Throne
Trotz Alcibiades,
Und eine Myrtenkrone
Weiht Cypris schlauem Sohne
Selbst Aristoteles.
Wenn ich dich längst vermisse,
Doch der Erinnrung Fest
Mich alle deine Küsse
Noch einmal küssen läßt,
Wer macht den Geist entstehen,
Der dann von goldnen Höhen
Zu mir herniedertaucht,
Und der Begeistrung Wehen
In meine Seele haucht?
Empor fühl' ich mich schweben,
Ich seh' ein frisch'res Grün,
Und zart're Lüfte beben,
Und schön're Blumen blühn;
Und wo der West die Schwingen
Mit süßern Düften füllt,
Wo Rosen sich verschlingen,
Wo Nachtigallen singen,
Und wo, von Moos umhüllt,
Die Quellen frischer springen,
Da seh' ich für dein Bild
Altäre sich erheben,
Und jede Laube scheint
Für dich und deinen Freund
Ein Heiligthum zu weben,
[87]
Wo still die Schwärmerei
An deinen Lippen lausche,
Wo Geist um Geist sich tausche,
Und wo, von Fesseln frei,
Trotz ihrem kühnsten Rausche,
Die Liebe heilig sey;
Ist das nicht Zauberei?
O lies nur die Geschichten,
Worin uns Hamilton,
Wieland und Crebillon
Vom Feenreich berichten,
Ich wette, was es gilt,
Du siehst auf jeder Seite
Dein wahres Ebenbild.
So sanft und zärtlich heute
Und morgen kalt und hart,
Nur treu der Gegenwart
Und jedes Eindrucks Beute,
Lebst du in ew'gem Streite
Mit dir und mit der Welt;
Vergißt schon morgen flüchtig,
Was jetzt dich fesselnd hält,
Und eilst zu dem, was nichtig,
Wenn du es hast, zerfällt.
Jetzt, wie Vestalen züchtig,
Scheint dir ein Kuß so wichtig,
Als gält' es einen Thron,
Nach Stunden rufst du schon:
Der Tag ist Null und nichtig,
Der ohne Lieb' entflohn!
Heut rühmst du mir Sonette
Und morgen Home's Kritik,
[88]
Entschläfst an der Toilette,
Und wachst noch spät im Bette
Bei Roßdorf, Ast und Tiek.
Wobei seit manchem Jahre
Sich Spleen und graue Haare
Der Grübler Schwarm erzeugt,
Das ewig Wandelbare
Du hast es schnell und leicht,
Als wär's ein Spiel, erreicht.
Und doch, wer sollt' es wähnen,
So sehr mit Schmerz und Thränen
Du dein Gelächter treibst
Und treu nur Jenen bleibst,
Die, gleich den Schmetterlingen
Schlau und veränderlich,
Mit eignen Waffen dich,
Du Flatternde bezwingen,
So kann doch nie ein Herz
Aus deinen Banden fliehen,
Die Thränen selbst und Schmerz
Nur immer fester ziehen.
Ach, wenn des Lenzes Kleid
Enthüllte Rosen schmücken,
Wer wollte sie nicht pflücken,
Weil er den Stachel scheut?
Es haschen ja im Leben
Sich ewig Freud' und Gram,
Und dem, der jene nahm,
Wird dieser auch gegeben,
Drum zag' ich wahrlich nicht
Den größern Schmerz zu leiden,
Wenn nur mit süßern Freuden
[89]
Mein Kummer sich verflicht.
Nichts oder Alles wählte
Mein Herz sich auf's Panier,
Doch wenn auch Alles mir
Noch an dem Allen fehlte,
Stets macht mit schlauer Kunst
Dein süßes Wort mich wähnen,
Daß deine zarte Gunst
Schon meinem kühnsten Sehnen
Voran geflogen sey;
Ist das nicht Zauberei?
In Karls des fünften Buch
Kannst du die Worte lesen;
Wer je sich mit dem Bösen
Um Seel' und Leib vertrug,
Der soll vom ew'gen Fluch
Durch Feuersgluth sich lösen.
Drum, Liebchen, wollt' ich itzt
Wie Voiture und Marino
Mit einem Concettino
Gut oder schlecht gespitzt,
Um den Geschmack zu höhnen,
Des Briefchens Ende krönen,
So könnt' ich ohne Scheu
Zu ew'gen Liebesflammen
Dein armes Herz verdammen:
Doch Witz und Schwärmerei
Paart Wahnsinn nur zusammen;
Drum schaut die Träumerei
Hinüber in die Weite
Und seufzt: O wäre heute
Die erste Nacht im Mai!

[90] 3.

Felices ter et amplius,

Quos irrupta tenet copula, nec malis

Divulsus querimoniis

Suprema citius solvet Amor die.

Horat.


Fort mit der Ehe hartem Sklavenband!
Ein Thor nur kann sich eigne Fesseln winden:
Uns soll kein Schwur, nur Liebe soll uns binden,
Und ehe noch die flücht'ge Laune schwand,
Mag auch das Joch der ernsten Treue schwinden;
Kennt der die Lust, wer ihre Flucht gekannt?
Das rasche Glück hat keinen sichern Stand,
Es küßt und flieht, gleich leichten Frühlingswinden;
Kaum haschen wir's mit leiser, schlauer Hand,
Kaum suchen wir ein Hüttchen ihm zu gründen,
So wird es schnell sich unserm Arm entwinden,
Es flieht und läßt uns oft nur sein Gewand;
O eilt ihm nach! wo wir es wiederfinden,
Da sey für jetzt auch unser Vaterland.
Heut wird das stille Veilchen uns erquicken
Und morgen uns der Rose Duft erfreun;
Mag auch der Fuß den zarten Halm zerknicken,
Wenn wir bald hier, bald dort uns Blumen pflücken,
Im neuen Lenz wird neues Grün gedeihn.
Wer wollte nur mit einem Kranz sich schmücken,
Wenn tausend uns durch Reiz und Duft entzücken?
Verändrung nur kann wahres Glück verleihn.
[91]
So denkt der Schwarm und wähnt sich schlau und weise
Und schmeichelt sich, er sey beglückt und frei,
Und dreht sich wild im ew'gen Taumelkreise
Des falschen Glücks, der eitlen Tändelei,
Hält das Gefühl für luft'ge Schwärmerei,
Und schwört, daß auf des Lebens bunter Reise
Die Ruh' ein Traum, der Zweck Verändrung sey.
Doch sprich, was ist das Ziel des irren Strebens,
Der ew'gen Jagd nach schnell verrauchter Lust?
Ein Sklavensinn im Sturm des wilden Lebens,
Ein kaltes Herz und eine leere Brust!
O könnt ihr so das wahre Glück verkennen?
Dies Schattenbild, das ewig vor euch flieht,
Dies bunte Nichts, könnt ihr es Freude nennen
Und willig euch von jenem Zauber trennen,
Der um das Herz den zarten Schleier zieht,
Den nicht der Wahn mit seinen luft'gen Träumen,
Nicht der Verändrung eitle Gier durchdringt,
Worin der Geist sich selber nur umschlingt,
Wo leis' und rein des Glückes Knospen keimen
Und jede Lust nur schön're Früchte bringt?
O laßt den Wahn, der das Gefühl ermattet,
Und senkt euch still in euer eignes Herz;
Wenn zarter Sinn mit Muth und Kraft sich gattet,
Ist süß die Lust und süßer oft der Schmerz.
Es giebt ein Glück, das sich nur tief empfindet,
Das rein und zart, nicht durch die äußre Welt,
Das nur durch's Herz dem Herzen sich verkündet,
Mit keiner Form den ew'gen Reiz verbindet
Und durch's Gefühl, nicht durch Genuß gefällt.
Die Seele sey wie jene Zauberspiegel,
Worin das Bild sich zur Idee erhebt,
[92]
Worin verklärt um Hain und Thal und Hügel
Ein zart'rer Glanz mit hellem Fittig schwebt.
Mit Seligkeit muß jede Lust euch füllen,
Und milder soll mit nassem Blick der Schmerz
Sich in's Gewand der süßen Wehmuth hüllen;
Gefühl beglückt schon durch sich selbst das Herz.
Auch ich, mein Freund, durchtaumelte das Leben,
Und hielt, vom Schein des Aeußeren bethört,
Nur das für Glück, was uns mit raschem Schweben
Die flücht'ge Gunst des Augenblicks gewährt,
Und was der Hauch des folgenden zerstört.
Nur Eitelkeit ließ mich nach Liebe streben,
Genuß allein schien mir des Wunsches werth,
Und stets vom Durst nach neuem Reiz verzehrt,
Hätt' ich mich gern den Schmerzen hingegeben,
Wenn ich den Kelch der Freuden ausgeleert.
Ich danke dir; du hast mich überwunden;
Der irre Geist, der nie am eignen Heerd
Sich glücklich fand, er ward von dir gebunden;
Das Zartgefühl, dem, wenn das Glück entschwunden,
Erinnerung ein neues Glück beschert,
Den reinen Sinn, der in den heil'gen Stunden,
Worin er groß gehandelt und empfunden,
Den Morgenglanz des schönern Daseyns ehrt,
Den Wunsch nach Ruh' hab' ich durch dich gefunden,
Dein Glück hat mich das eigne Glück gelehrt.
Aus jenem Reich, wo den verklärten Chören
Stets neu und hold die Ewigkeit erscheint,
Wo sich im Tanz der wandellosen Sphären
Genuß mit Treu' und Glück mit Ruh vereint,
[93]
Sah ich den Geist des Friedens niedersinken,
Dir liebevoll mit seinen Palmen winken,
Mit zartem Arm dich Seligen umfahn
Und mild mit dir der stillen Heimath nahn.
Den Genius umfloß die schönste Hülle,
Womit sich je der freie Geist umwand,
Wenn ihn herab aus seinem Vaterland
Des Herzens Wahl und des Geschickes Wille
In's Erdenthal zu jenem Geist gesandt,
Den er schon einst im reinern Licht gekannt.
Ein Wesen war's, das in den Zauberblicken
Dem Herzen Glück, dem Geiste Lust verhieß,
Das gern des Glanzes bunten Pfad verließ,
Mit der Empfindung Blüthe sich zu schmücken
In seiner Unschuld stillem Paradies;
Das stets gefiel, nie zu gefallen strebte,
Das tief empfand, doch nie Empfindung log,
Dem Scherz und Lust und Geist im Lächeln schwebte,
Doch das den Scherz auf zarter Wage wog,
Das um die Lust den Grazienschleier webte
Und nimmer Gift aus seinem Geiste sog;
Das Liebe nur dem Liebenswerthen weihte,
Nach Achtung nur und nicht nach Siegen rang,
Das eignen mehr als fremden Tadel scheute
Und fremden mehr als seinen eignen Dank.
Das rein und treu, gleich klaren Wiesenbächen,
Worin ihr Bild die Blumen gaukeln sehn,
Nicht schüchtern war, um Liebe zu versprechen,
Und nicht verzagt, um Liebe zu verschmähn.
Allein du staunst, daß ich so treu beschrieben,
Was einmal kaum sich meinem Blick gezeigt?
Du bist mein Freund; vom süßen Drang getrieben
Hat sich mein Geist zu deinem Geist geneigt,
[94]
Ich kenne dich, und jeder Zweifel schweigt,
Nie konntest du ein andres Wesen lieben.
Gern eil' ich jetzt dem stillen Hafen zu,
Worein auch du das irre Schiff gezogen;
Mich graust im Sturm der ungestümen Wogen;
Die Kühnheit reizt, doch süßer ist die Ruh.
O möcht' auch ich die holde Heimath finden,
O möcht' ich bald den oft umstürmten Kahn
Zum frohen Schmuck mit jungem Grün umwinden,
Den morschen Bord an feste Säulen binden
Und hoffnungsvoll dem sichern Lande nahn!
Wo weilst du jetzt, du Bild der Sehnsuchtsträume,
Das schmeichlerisch mir dann entgegeneilt,
Das liebend dann den Schatten seiner Bäume,
Den engen Raum der Hütte mit mir theilt?
O Glück, wenn dann die Seelen sich erkennen,
Die feindlich einst des Schicksals Strenge schied,
Sich dann verwandt und längst verbunden nennen,
Und von der Geister heiligem Gebiet
Die Liebe dann den trüben Schleier zieht!
Dann wird es klar, was wir schon längst empfunden,
Süß lispelt dann der Ahnung leises Wehn,
Die Liebe sey für eine Welt zu schön
Und Ewiges nicht an den Staub gebunden.

[95] 4.

Utrumque nostrum incredibili modo

Consentit astrum.

Horat.


Ich muß hinweg! vielleicht auf ewig scheiden
Aus diesem Kreis, der traulich mich umfing,
Das Altarbild des Herzens muß ich meiden
Und ach, den Freund, an dem ich innig hing.
Zwar Liebe läßt durch keine Macht sich binden,
Sie triumphirt hoch über Zeit und Raum;
Ihr süßer Kuß, ihr Lächeln mag entschwinden:
Sie lächelt fort und küßt im sel'gen Traum;
Allein den Freund, dich werd' ich stets vermissen,
Der an mich selbst den Glauben mir verliehn,
Dich, der den Flor vor meinem Geist zerrissen,
Wodurch das Glück mir Spiel des Zufalls schien.
O staune nicht es jetzt erst zu erfahren,
Wie nahe stets sich unsre Geister waren,
Wie eng mit dir mein Wesen sich verflicht.
Ich fühlt' es stets, doch sagen durft' ich's nicht,
Um ihr Verdienst der Freundschaft nicht zu rauben;
Wer laut und oft vom Schwur der Treue spricht,
Der weiß, man dürf' ihm ohne Schwur nicht glauben.
O wähne nicht, es sey ein eitler Trug,
Daß man sich hier nur im Erinnern übe,
Und daß für dich, für Alle, die ich liebe,
Mein Herz schon einst in schönern Welten schlug.
[96]
Du weißt es selbst, als du sie einst gefunden,
Die jetzt dein Herz in süßen Banden hält,
Die jetzt für dich rings um die ganze Welt
Mit Liebessinn den zarten Flor gewunden,
Der größern Reiz dem Reize noch gesellt,
Und hinter dem, was sonst, vom Licht erhellt,
Bedeutungslos dem Geist vorbeigeschwunden,
Durch die Magie der Dämmerung gefällt,
Du weißt es selbst, wie dir's im Busen tagte,
Wie, eh dein Herz so bang und sehnsuchtsvoll
Der Reizenden sich zu entdecken wagte,
Dir jeder Zug in ihrem Antlitz sagte:
Sie ist's die einst dich selig machen soll!
Und als du jetzt mit festerem Vertrauen
Dem Zauberkreis der Freundlichen genaht,
Schien dir nicht da, zu fühlen und zu schauen,
Was sie empfand und redete und that,
Ein Seherblick in jene Frühlingsauen,
Wo einst ihr Bild auf einem lichtern Pfad
Vor deinen Geist im Aetherglanze trat?
Die zarte Lust, die deine Seele fühlte,
Die süße Pein, der Hoffnung Morgenstrahl,
Der um der Sehnsucht bange Dämmrung spielte,
Der reine Hauch, der deine Flammen kühlte,
Das Zagen, das in deine Brust sich stahl;
Nichts war dir neu; von freundlichen Gewalten
Fand sich dein Herz umwunden und gehalten;
Still fühltest du, daß du schon einst geliebt,
Daß nur der Hauch der irdischen Gestalten
Den reinen Glanz der himmlischen getrübt.
So staunen wir, wenn je im bunten Leben
Der Zufall uns die Bilder wiederbringt,
Die uns schon einst im luft'gen Traum umringt.
[97]
Vor unserm Blick sehn wir es dämmernd schweben,
Wie Mondenglanz durch trübe Wolken blinkt:
Doch welche Macht die leisen Ketten schlingt,
Die uns so fest an die Erscheinung binden,
Das sucht der Geist vergebens zu ergründen
Und wähnet oft ein Luftgebild zu finden,
Wo freundlich die Vergangenheit ihm winkt.
So hab' auch ich auf jenen sel'gen Höhen,
Wo aus der Form empor die Seele strebt,
Wo sich, den Wink des Herzens zu gestehen,
Nicht Arm und Arm, nein Geist und Geist verwebt,
Dort hab' auch ich schon früher dich gesehen,
Dort hab' auch ich in mild'rer Lüfte Wehen
Jahrhunderte des Glücks mit dir gelebt.
O laß uns nie den ew'gen Strahl verkennen,
Woraus für uns der heil'ge Funke sprang!
O mag der Flor, der trübe niedersank
Vor jener Welt, die wir nur ahnen können,
Uns nicht zugleich von jenem Glauben trennen,
Von jenem Stern, den durch den Pilgergang
Zum Führer uns die Himmlischen vergönnen,
Wenn öde Nacht das hell're Licht verschlang!
Damit nicht dort, wenn einst die Nebel schwinden,
Und wir den Glanz der Heimath leuchten sehn,
Die Geister sich entfremdet wiederfinden,
Und das Geschenk der ew'gen Liebe schmähn.
Schau' ich hinaus in's weite Reich der Stille,
Wenn Dämmrung rings auf bunten Wolken schwebt,
Und fern die Nacht in ihre dunkle Hülle
Das irre Gold der schönern Welten webt,
Dann blick' ich bang und sehnend in die Ferne,
[98]
Wie im Orkan zum Strande der Pilot,
Und schwänge gern mich auf zu jenem Sterne,
Wo bräutlich uns der Schöpfung Morgenroth
Die erste Lust, die erste Liebe bot.
Dort wohnt die Ruh' im Hain an kühlen Quellen,
Umflattert von der Weste leisem Tanz,
Und schaukelt sich auf nie empörten Wellen
Und flicht zum Schmuck sich manchen bunten Kranz.
Was wilden Kampf in unsrer Brust erregte,
Flieht ihr vorbei, wie luft'ger Träume Spiel,
Was hier bei uns die Sinne nur bewegte,
Das tönt bei ihr nachhallend im Gefühl.
Fern sind von ihr Begier und wildes Sehnen,
Sie kennt den Wunsch, den Trug der Hoffnung nicht,
Dem innern Glück nur gelten ihre Thränen,
Dem feuchten Blick entstrahlt ein göttlich Licht.
Betrachtung ist ihr einziger Gedanke,
Unschuld'ge Lust ihr einziges Gefühl,
Und Ewigkeit ist ihres Geistes Schranke,
Und Ewigkeit ist ihrer Freuden Ziel.
O dürft ich mich noch einmal an sie schmiegen!
Dürft' ich mit dir in ihrem weichen Schooß
Noch einmal mich in süße Träume wiegen,
Gern sagt' ich mich von allen Ritterzügen
Nach Ruhm und Glanz und Abenteuern los.
O dürft' ich frei aus dem Gedräng entschwinden!
Könnt' ich mit dir, mit Jener, die dich liebt,
Mit Jener, die auch mir sich einst ergiebt,
Könnt' ich mit euch ein blüh'ndes Eiland finden,
Fern von der Welt, im weiten Ocean,
Dem Weste frei, verschlossen dem Orkan;
O könnt' ich dort ein stilles Hüttchen gründen,
Den regen Geist an süße Pflichten binden,
[99]
Mich ohne Müh dem Ziel des Lebens nahn
Und ohne Kampf den Siegeskranz empfahn!
Dann lachten wir der trügerischen Geister,
Für die der Mensch Altäre rings erhebt,
Die er verehrt als seines Schicksals Meister,
Und die er doch zu unterjochen strebt.
Dann fühlten wir, daß Gold ein Häufchen Erde,
Der Kampf um Ruhm ein Kampf um Sorgen sey,
Daß nur durch sich der Mensch zum Menschen werde,
Nicht durch den Spott erkaufter Schmeichelei.
Dann schien' uns Lust, was jetzt wir Tugend nennen,
Nicht wäre Lieb' uns bloß ein Sinnenspiel,
Nie würden wir die Pflicht vom Willen trennen
Und nie vom Geist das leise Zartgefühl.
Dann würde mild mit ausgespannten Flügeln
Bei uns die Ruh noch einmal heimisch seyn,
Den ew'gen Bund mit unserm Glück besiegeln
Und ew'gen Thau der Gluth des Lebens leihn.
Doch ich muß fort, hinaus in's wilde Leben,
Muß selber mir das Loos des Schicksals ziehn,
Muß Rechenschaft den ew'gen Mächten geben,
Die mir Gefühl und Geist und Kraft verliehn.
Wo sich im Kampf die dichtern Wolken heben,
Wo zweifelhaft des Sieges Schalen schweben,
Seht ihr nicht dort die schön're Palme blühn?
Wenn auch den Sieg die Götter uns entziehn,
Groß bleibt es stets getrost zu widerstreben
Und rühmlich stets am spätesten zu fliehn.
Süß ruht es sich auf dem bewahrten Schilde,
Wenn Wunden auch die tapfre Brust durchbohrt,
Süß ist der Schlaf auf blutigem Gefilde,
[100]
Wenn lange Müh den matten Blick umflort.
Wer weibisch zagt noch eh der Streit begonnen,
Der macht zum Gott den kurzen Augenblick,
Nur Muth und Kraft besiegen das Geschick;
Noch keine Schlacht ward ohne Blut gewonnen,
Fort in den Kampf, dem Kühnen lacht das Glück!

[101] 5.

Laetus in praesens animus quod ultra est

Oderit curare, et amara lento

Temperet risu; nihil est ab omni parte beatum.

Horat.


Der Lenz erschien mit goldenem Gefieder;
Mild träufelt' er aus seinem bunten Kranz
Den frischen Thau des jungen Lebens nieder,
Und schmückte rings die Flur mit Duft und Glanz.
Voll Sehnsucht schien die Erde sich zu regen,
Die Weste wehten zart der jungen Flur
Den warmen Hauch beglückter Lieb' entgegen,
Und mächt'ge Kraft floß rings mit lauten Schlägen
In jedem Puls der ahnenden Natur.
Da häuft' ich frisches Grün und zarte Zweige
Dem Genius des Glückes zum Altar,
Und fleht' ihn an, daß er herniedersteige,
Für dich sein Ohr zu meinen Bitten neige,
Und bot ihm Duft und junge Blumen dar.
Sieh, er erschien im Glanz der Morgenröthe,
Und sein Panier, das, von dem Lenz geführt,
Rings durch den Kreis der weiten Schöpfung wehte,
War hell mit Gold und Rosen ausgeziert.
Da senkte mild der Thau der zarten Freude
Auf Hütt' und Königsthron, auf Wieg' und Grab,
Auf jeden Halm, auf's Blümchen in der Haide,
Verschönernd noch auf's Schöne sich herab.
[102]
Doch wer die Huld des Genius verschmähte,
Wer, stumm versenkt in selbstgeschaffne Pein,
Die Freude mied und doch um Freude flehte,
Dem konnt' er nichts als eine Thräne weihn.
Auf dir auch sah ich seinen Blick verweilen:
Doch ihm verbot ein düstrer Geist der Nacht
Den süßen Kelch der Lust dir zu ertheilen,
Und traurend wich das Glück der höhern Macht.
Treulose, rief der Geist mit leisem Tone,
Treulose, sprich, was hab' ich dir gethan?
Wer zwang dein Herz von meinem Blumenthrone,
Der kalten Gruft des Schmerzes sich zu nahn?
Hab' ich dich nicht gebildet und erzogen?
Was Geist und Herz im reizenden Verein
Beglücken soll, hab' ich dir zugewogen:
Doch Andre nur verstehst du zu erfreun.
Die Grazien, die ewig dich umschweben,
Die Lächelnden, du kleidest sie in Schmerz;
Was dich umgiebt muß stets mein Hauch beleben,
Doch ach, er schlüpft nur selten in dein Herz!
O Freundin, sprich, soll ich die Worte glauben,
Womit der Geist den Staunenden verließ?
Soll das, was stets der Wonne Quell mir hieß,
Soll das Gefühl der Wonne dich berauben
Und Dornen streun' in's eigne Paradies?
Wer Freude giebt, der muß auch Freud' empfinden;
Kein Blümchen blüht für Einen nur allein;
Mit fremdem Glück muß unsres sich verbinden
Und jedes Lächeln unser Lächeln seyn.
O laß den Kampf erdichteter Gefühle,
Laß fern von dir die düstern Träume fliehn,
[103]
Die gleich des Irrlichts trügerischem Spiele
Dich in das Graun pfadloser Wüsten ziehn.
O lerne Wahn von Schmerzen unterscheiden,
Und opfre nicht dem Gott, den du gemacht,
Erspare Kraft in dir für wahre Leiden,
Muth für Gefahr, Gefühl für künft'ge Freuden,
Der Hoffnung Stern für's dunkle Reich der Nacht.
Ein schleichend Gift ist jedes eitle Sehnen,
Für Geist und Herz ist jeder Gram ein Gift;
Was frommen, wenn kein Schmerz dich trifft, die Thränen?
Was frommt die Thräne, wenn der Schmerz dich trifft?
Siehst du das Kind dort auf der Wiese spielen?
Es lächelt froh dem blauen Himmel zu;
Was Freud' ihm giebt, das scheint es nur zu fühlen,
Kein innrer Schmerz verkümmert seine Ruh.
Und Blumen pflückt's mit kindlichem Verlangen;
Nur wenn ein Dorn die zarte Hand gefangen,
Schleicht das Gefühl der Unlust in sein Herz;
Ein Veilchen winkt, sein Kummer ist vergangen; –
Die Lust wohnt in uns, außer uns der Schmerz!
Wie ein Gespenst, das still und finster schwebet,
Die blut'ge Brust vom scharfen Dolch durchbohrt,
Den starren Blick von keinem Glanz belebet,
Vom Leichentuch die bleiche Wang' umflort,
So schleicht sich oft aus seinen Dämmerungen
Der düstre Schmerz in's heitre Reich der Lust,
Und hält uns fest mit kaltem Arm' umschlungen,
Und weht den Hauch der Gruft uns in die Brust.
O wehe dir, wenn mit den geist'gen Ketten
[104]
Dich ohne Kampf das Schreckphantom umspann!
Nie wirst du dich aus seinem Kreise retten,
Weil du es scheust ist's ewig dein Tyrann.
Nein, ohne Furcht mußt du ihm widerstreben;
Umschling' es fest und kämpfe stark und kühn:
Bald wird es feig aus deinem Arm entschweben
Und in das Nichts, woher es kam, entfliehn.
Fast immer nur ist Schmerz ein Wahn zu nennen,
Und ach, zu oft ist selbst die Lust ein Wahn;
Doch sollen wir deshalb vom Glück uns trennen
Und sklavisch nur den starren Schmerz umfahn?
Nein, laß uns tief des Grames Quell ergründen;
Betrachtung heißt das ernste Zauberlied,
Vor dessen Bann die düstren Schatten schwinden,
Womit das Herz ein böser Geist umzieht.
Allein die Lust laß still und freundlich keimen;
Ist sie ein Traum, wer wehrt es dir zu träumen?
Denn der Moment macht Wahn zur Wirklichkeit.
Sey klug und thöricht um beglückt zu leben;
Verstand ward uns, den Schmerz zu fliehn, gegeben,
Allein die Lust ist dem Gefühl geweiht.
Wenn zarte Kunst, von der Natur geleitet,
Bei deinem Wink noch vor des Lenzes Nahn
Des Lenzes Schmuck vor unserm Blick verbreitet,
Dann folgt das Herz so gern dem süßen Wahn,
Vergißt so gern den Duft, der uns entzückte,
Wenn unsre Hand des Frühlings Blumen pflückte,
Und wähnt von dir den Frühling zu empfahn.
Warum die Lust durch den Gedanken stören,
Daß schön're Lust auf uns im Lenze harrt?
Wer weiß, was künft'ge Zeiten uns bescheren?
[105]
Die jetz'ge Lust wird nimmer wiederkehren,
Drum halte treu dich an die Gegenwart.
Zwar ist es süß der Hoffnung zu vertrauen
Und sehnsuchtsvoll und gläubig aus der Nacht
In's Dämmerlicht und aus der Dämmrung Grauen
Zum ros'gen Glanz der Frühe hinzuschauen,
Wo mit dem Tag die zarte Lust erwacht;
Allein der Stern darf nur im Dunkel schimmern,
Und muß entfliehn, wenn hell die Sonne blinkt;
Den Augenblick, der jetzt dir Freude bringt,
Ihn kann kein Gott, kein Schicksal dir verkümmern:
Allein das Schiff, das noch mit Wellen ringt,
Das kann der Sturm im Hafen selbst zertrümmern,
Wenn das Geschick mit eh'rnem Scepter winkt.
Genügsamkeit, so heißt die zarte Blume,
Die in dem Hain des ew'gen Glücks sich hebt,
Um die kein Sturm mit rauhem Flügel schwebt,
Die still und zart in ihrem Heiligthume
Nur nach dem Strahl, nicht nach der Sonne strebt.
Genügsamkeit im Sehnen und Verlangen,
Genügsamkeit in Hoffnung und Genuß
Wird gern am Kelch der süßen Freude hangen,
Wird ohne Furcht den nahen Sturm empfangen,
Fliehn, wenn sie kann, und leiden, wenn sie muß.
Siehst du den Lenz in seiner Fülle keimen?
Es singt im Hain, die Blüthen sind erwacht,
Das Morgenroth erweckt zu süßen Träumen,
In Träume wiegt das Wehn der lauen Nacht.
Entweihe du mit halberstickten Klagen
Nicht den Triumph der jauchzenden Natur;
Laß nicht die Freud' in deinem Antlitz nur,
[106]
Im Herzen auch laß dir die Freude tagen;
Die Wüste nur darf rauhe Dornen tragen:
Doch sorgsam tilgt der Gärtner ihre Spur.
Was dich umgiebt befiehlt dir dich zu freuen,
O folge gern dem Ruf der schönsten Pflicht,
Und laß mich bald dies strafende Gedicht
Als ungerecht in alle Winde streuen.

[107] 6.

An L. v. ***.

Nunc in Aristippi furtim praecepta relabor.
Horat.

Was wahres Glück und wahre Tugend sey,
Und ob das Glück mit Tugend sich vertrage,
Das, Freundin, war der Weisen ew'ge Frage,
Doch immer klang die Antwort fremd und neu.
Was du auch thust, sey der Natur getreu,
Und dulde gern, bezwing dich und entsage:
Des Glückes Reiz, des Ruhmes Schmeichelei
Nichts laß sie seyn auf deiner Thaten Wage,
Leb' ohne Schuld und scheide sonder Klage,
Sey reich in Armuth und in Fesseln frei!
So lehrt Cleanth uns aus der Stoa Hallen,
Und demonstrirt mit manchem spitz'gen Schluß:
Der Frösche Lied, das Lied der Nachtigallen,
Und Göth' und Ast, und einer Charis Kuß
Und eine Gunst der alten Vesta muß
Auf gleiche Art dem weisen Mann gefallen;
Denn Glück ist Tand, nur Tugend ist Genuß!
Sey frei wie ich, so ruft aus seinem Fasse
Der Cyniker, und eins mit dir allein;
Wirf Geld und Gut wie Kiesel auf die Gasse,
Und wer dich speist und tränkt, den flieh und hasse;
Denn nicht dein Freund, dein Herrscher will er seyn.
Speusipp entreißt der Geisterwelt das Siegel
[108]
Und zeigt empor zum lichten Sonnenpfad
Und ahnet kaum, daß nicht ein Jeder Flügel
Und Keiner fast die Lust zum Fliegen hat.
Willst du von mir des Räthsels Lösung wissen,
So preis' ich dir der Charis holden Freund,
Der weise stets bei ewigen Genüssen
Und keusch und frei in Lais Arm erscheint.
Glück sey dein Wunsch, Genuß dein ew'ges Streben;
Das schönste Gut schließt auch das höchste ein;
Sey tugendhaft nur um beglückt zu leben,
Und sey beglückt um tugendhaft zu seyn.
Siehst du ringsum die heil'ge Dämmrung schweben,
Wenn kaum im Meer die Sonne sich verhüllt,
Und räthselhaft um's friedliche Gefild
Die Phantasien den duft'gen Schleier weben?
Dies ist des Glücks, der Tugend schönes Bild.
Nimm sie hinweg des Lichtes zarte Wellen,
Die dämmernd noch, gleich einem süßen Traum,
Den Phöbus träumt, die Bahn der Luft erhellen,
Und kalte Nacht umhüllt den öden Raum;
Nimm ihn hinweg des Dunkels leisen Schatten,
Den Schlaf und Traum rings durch den Himmel streun,
So wird dein Herz in schwüler Gluth ermatten
Und kalt dein Geist im ew'gen Lichte seyn.
Was ist das Glück? Ein süßes Wohlbehagen,
Worin das Herz ein geist'ges Leben fühlt,
Das schmeichlerisch, wie in den Frühlingstagen
Gedüft und Glanz, uns um die Seele spielt;
Ein Zustand fern von Furcht und von Begehren,
Worin sich mild, gleich jenem flücht'gen Licht,
[109]
Von dem geküßt die Wellen sich verklären,
Ein leises Bild der körperlosen Sphären
Im zarten Traum der stillen Ahnung bricht.
Das Glück es kennt nicht Ueberdruß noch Reue,
Die Leidenschaft naht seinen Hainen nie;
Der zarte Sinn gab ihm die heil'ge Weihe,
Und liebend hegt's mit felsenfester Treue
Sein schönstes Pfand, des Innern Harmonie.
Wie still und hehr sich durch des Himmels Ferne
Der ew'ge Tanz der wandelbaren Sterne
Durch ein Gesetz auf tausend Bahnen dreht,
So wird das Glück sich manchen Pfad erfinden:
Doch wenn auch oft das Einzelne verschmäht,
Sich an's Gesetz des Einzelnen zu binden,
Zu einem Kranz wird sich das Ganze winden.
Was treibt den Geist mit ungestümem Drang
Sich in das Meer der Leidenschaft zu wagen,
Vor keinem Fels, vor keinem Sturm zu zagen,
Bis er das Ziel, das stets ihn flieht, errang?
Er sucht das Glück? Verblendeter, o kehre
Den schroffen Pfad, den du begannst, zurück!
Nicht in des Sieges blut'gem Augenblick,
Nicht auf dem Thron der schmachbefleckten Ehre,
Nein, wo du bist, da wohnt mit dir das Glück.
Den Kerker wird's dir zum Palast verschönen,
Mit Myrtenlaub dein niedres Haus umziehn,
In jedem Werk, das du vollbracht, dich krönen,
In jedem Baum, den du gepflegt, dir blühn.
Es wird dir Muth in jedem Kampf gewähren,
Entsagung selbst dir zum Genuß erhöhn,
Dich Mäßigung, am Ziel der Wünsche lehren
Und lächelnd dir im Schmerz zur Seite stehn.
[110]
Denn sprich, warum soll Schmerz die Brust erschüttern,
Wenn dir entschwand, was dir das Liebste war?
Warum dein Herz im Wogenaufruhr zittern?
Der Schmerz wird dir den Unfall nur verbittern,
Und Schande fügt das Zagen zur Gefahr.
Was frommt es dir in Lust dich zu berauschen
Und das Geschenk durch Mißbrauch zu entweihn?
Ach bitter ist's, die Freude zu bereun!
Nur Sättigung wirst du für Sehnsucht tauschen;
Schmerz wird das Ziel, Genuß das Mittel seyn.
O kannst du je die Tugend noch verkennen,
Wenn dir das Glück in dieser Form erschien?
Kann deine Hand zwei zarte Blüthen trennen,
Die schwesterlich aus einem Halm entblühn?
Wenn angethan mit wolkenloser Helle
Der holde Lenz die Flur mit Leben füllt,
Und jugendlich des Himmels heitres Bild
Durch das Gewand der spiegelreinen Welle,
Wie durch den Flor des Busens Wallung, quillt,
Wird da das Herz dem Niedern nicht entsagen,
Nicht feuriger für alles Schöne schlagen,
Nicht kühn für Recht und feind dem Unrecht seyn?
Wirst du den Freund nicht inniger umschlingen,
Nicht muthiger des Hasses Geist bezwingen
Und milder nicht dem Irrenden verzeihn?
So soll im Glück die Tugend sich verklären,
So soll das Glück durch Tugend sich erhöhn;
Das eine wird erst durch das andre schön,
Und die den Reiz des Glücks dich fliehen lehren,
Die werden auch den Reiz der Tugend schmähn.
Was kann der Spruch der finstern Grübler frommen:
Durch Schmerzen erst sollst du der Tugend nahn,
[111]
Sollst lang dich mühn auf steiler Dornenbahn
Und künftig erst, wenn du an's Ziel gekommen,
Den späten Lohn des ew'gen Kampfs empfahn!
O folg' ihm nicht, er wird dein Herz betrügen;
Der Wandrer, den in wüster Einsamkeit
Kein schattend Dach, kein kühler Quell erfreut,
Der wird zuletzt der langen Qual erliegen,
Und Frevel ist's durch Kampf sich zu ersiegen,
Was gern und leicht der milde Fried' uns beut.
Mit Tugend soll dir auch das Glück beginnen;
Mit jeder That, die auf zum Himmel schwebt,
Soll deine Reis' ein neues Ziel gewinnen,
Das deinen Muth zu läng'rer Müh belebt.
Du sollst am Pfad der Freude Blumen pflücken,
Den Pilgerhut mit frischen Kränzen schmücken,
Sollst in der Freundschaft klarem Silberbach
Die heiße Brust, der Wangen Gluth erquicken
Und fröhlich ruhn im schattigen Gemach.
Die Liebe soll dir Rosenlauben bauen,
Die Phantasie dir bunte Träume leihn,
Das Zartgefühl soll auf die duft'gen Auen
Den milden Glanz des Friedens niederthauen,
Der Geist dein Schutz, das Herz dein Führer seyn.
Die Rose blüht mit unbeflecktem Glanze,
Wenn auch der West ihr leise Küsse beut,
Und fröhlich hüpft der Quell im raschen Tanze,
Vom zarten Bild der Blume nicht entweiht;
So darf auch Lieb' in deinem Herzen wohnen,
Und lächelnd wird mit seinem schönsten Kuß
Dir rein und keusch der Unschuld Genius
Für jedes Glück der holden Schwester lohnen.
[112]
Scheuch' ihn hinweg, den düstern Nebelflor,
Der kalt die Bahn der Tugend dir verdunkelt;
Der Stern der Lust, der hell und freundlich funkelt,
Zeigt dir den Pfad, den Tugend sich erkohr.
In seinem Licht wirst du mit Freuden wallen;
So lange dir sein tröstend Antlitz blinkt,
Wird nie die Bahn des Abgrunds dir gefallen,
Um die der Schmerz die scharfen Dornen schlingt.
Sey schmerzlos, und du wirst die Tugend schauen,
Die lächelnd dir an ihrem Pfade winkt;
Sey glücklich, und du wirst dich ihr vertrauen,
Wenn sich ihr Flug mit dir zum Aether schwingt.

[113] 7.

An L. von ***.

Juppiter illa piae secrevit littora genti,
Ut inquinavit aere tempus aureum;
Aere, dehinc ferro duravit secula, quorum
Piis secunda vate me datur fuga.
Horat.

Horch, draußen braust mit stürmendem Gefieder
Der kalte Nord, des Winters Kampfgenoß;
Die Wolke, die so lang den Schooß verschloß,
Senkt Nebelduft und Regen jetzt hernieder,
Und ach, schon starb das letzte Veilchen wieder,
Das, von dem Herbst so mild genährt, entsproß.
Doch leis' entblüht, wie von den Feen gerufen,
In der Erinnrung süßen Phantasien
Ein schön'rer Lenz, als je die Götter ihn,
Als je im Wahn die Dichter ihn erschufen;
Es siegt der Traum, die ird'schen Bilder fliehn.
So lieblich hat die Dämmrung nie gegaukelt,
So geistig nie auf Zephyrs Flügelpaar
Der zarte Duft der Blüthen sich geschaukelt,
Nie war die Luft, die Welle nie so klar;
Denn die Idee umwindet mild und leise
Mit ihrem Flor das Bild der Wirklichkeit,
Und schnell erlischt in ihrem Zauberkreise
Der kleinste Zug, der seinen Glanz entweiht.
[114]
So kann ich jetzt, Geliebte, dich umfangen,
So kann ich jetzt an deiner zarten Brust,
An deinem Blick, an deinen Lippen hangen
Im leisen Traum der unentweihten Lust.
Zwar war es süß, zur Seite dir zu weilen,
Dir sehnsuchtsvoll mit stummem Flehn zu nahn,
Gefühl und Lust und Schmerz mit dir zu theilen,
Den kleinsten Wunsch, eh ihn dein Mund gethan,
In deinem Blick schon spähend zu ereilen
Und dann noch Lohn für Freude zu empfahn.
Doch hat nicht oft der Laune flücht'ges Wogen,
Der Zufall nicht so oft dieß Glück getrübt?
Hat nicht so oft die Hoffnung uns betrogen,
Nicht oft das Herz ein nicht'ger Gram umzogen,
Dem sich so rasch die bange Lieb' ergiebt?
Wie eitler Schaum den Glanz der reinen Wellen,
Wie den Kristall ein trüber Hauch verhüllt,
So ließ sich oft der Schönheit klares Bild
Vom Wiederschein des Irdischen entstellen,
Und ach, anstatt mit Licht ihn zu erhellen,
Hat oft mit Nacht die Lust den Geist erfüllt.
Erinnrung ist die letzte, schöne Gabe,
Worin ein Strahl der ew'gen Flamme glänzt,
Erinnrung ist's, die mit dem Zauberstabe
Den Weg uns schmückt in's Leben und zum Grabe
Und Sterbliches mit geist'gem Schimmer kränzt.
Denn als der Geist dem reinern Licht entschwunden
Und Ew'ges sich mit Endlichem verbunden,
Da kam zum Trost für den verblichnen Tag,
Die holde Form mit Dämmerung umwunden,
Erinnrung uns mit ihrer Fackel nach.
Die Liebe, die in deinem Busen waltet,
[115]
Das reine Glück, das Freundschaft dir gewährt,
Die Sehnsucht, die sich leis' in dir entfaltet,
Die Freude, die dir deinen Pfad verklärt,
Und jeder Wahn und alle sel'gen Träume,
Die je dein Herz mit flücht'gem Kuß gegrüßt,
Sie blühn empor aus einem ew'gen Keime,
Der in dem Schooß der heil'gen Vorwelt sprießt.
Denn sprich, wie kann dein Herz der Liebe schlagen,
Wenn ewig nicht die Lieb' in dir gelebt,
Wenn nicht schon einst in schönern Frühlingstagen
Dein reiner Geist um ihren Quell geschwebt?
Kann dies Gefühl, das mit dem Schicksal streitet,
Bei dessen Wink sich alle Kräft' erhöhn,
Das dich zur Schmach, das dich zur Tugend leitet,
Dir ew'gen Schmerz und ew'ges Glück bereitet,
Kann dies Gefühl aus eitlem Nichts entstehn?
O, wenn dein Geist, nur im Gefühl versunken,
Sich kühn empor vom Staub der Erd' erhebt,
Wenn dir im Blick kein ird'sches Feuer bebt,
Wenn keusch in ihm der ew'gen Sehnsucht Funken
Wie Mondenlicht am blauen Himmel schwebt;
Wenn dann den Kuß, um den der Freund dich flehte,
Die Seele nur und nicht die Lippe fühlt,
Und keine Scham, gehüllt in höh're Röthe,
Als Pfand der Schuld um deine Wange spielt;
Zeigt dir nicht dann, gleich einem Zauberspiegel,
Dein eig'nes Herz dich reiner und verklärt?
Fühlst du dich dann nicht höh'rer Wonne werth?
Regt sehnend dann die Seele nicht die Flügel
Und strebt zurück zu jenem heil'gen Heerd,
Von welchem einst, als alles Seyn entblühte,
Mit junger Kraft der ew'ge Funken sprühte,
[116]
Der Licht und Gluth der todten Form gewährt?
Erinnrung war's, was da dein Herz erfüllte,
Ein heimisch Bild, um das der trübe Flor
Der langen Nacht sich gaukelnd halb enthüllte,
Hob deinen Geist mit Zauberkraft empor.
Das Band, womit der Körper dich umwunden,
War vor dem Strahl des ew'gen Lichts entschwunden,
Was du verlorst, war dir auf's Neue nah,
Nicht wie die Welt in ihren Maskenreigen,
Wie Sinnlichkeit und Leichtsinn dich dir zeigen,
Nein, wie du bist erschienest du dir da.
Fühlst du nicht oft des Glücks verstohlne Keime
Mit stillem Reiz in deiner Brust entblühn,
Wenn auch kein Bild für jene zarten Träume
Im bunten Reich der Außenwelt erschien?
Willst du nicht oft in friedlichem Verlangen
Die ganze Welt mit Freundesarm umfangen
Und Liebesband' um alle Wesen ziehn?
O glaub' es mir, das sind die Augenblicke,
In welchen klar das Göttliche sich zeigt,
Wo jeder Wunsch nach flatterhaftem Glücke,
Nur nicht der Ruf der ew'gen Sehnsucht schweigt,
Und wo das Herz, versöhnt mit dem Geschicke,
Dem Kerker zwischen Wieg' und Grab entfleucht.
Was strebt dein Geist empor zum Aetherpfade,
Wenn still und hehr die Wolken abwärts ziehn?
Was sieht dein Aug' am schäumenden Gestade
So sehnsuchtsvoll die leichten Wogen fliehn?
Wenn feierlich der Nacht verschwiegne Hallen
Der reine Mond mit irrem Licht erhellt,
[117]
Wird da dein Herz von Sehnsucht nicht geschwellt,
In leisem Flug mit ihm hinwegzuwallen
Und aufzufliehn zur unbekannten Welt?
Die Wolke, die der West mit zarter Röthe
Und die der Ost mit goldnem Schimmer füllt,
Scheint deinem Geist die heil'ge Ruhestätte,
Die deines Daseyns Räthsel dir enthüllt,
Und jeder Pfad, der abwärts vom Getümmel
In's dunkle Reich der Ferne sich verliert,
Er ist für dich der Pfad zu jenem Himmel,
Zu dem versteckt der Ahnung Wink dich führt.
O sieh zurück auf jede deiner Wonnen,
Auf jeden Schmerz, der eisig dich umschlang,
Auf jeden Wunsch, der einst in Nichts zerronnen,
Auf jeden Wunsch, den einst dein Herz errang;
Wird nicht dein Blick wehmüthig sich verklären?
Verschönt dir nicht Erinnrung selbst das Leid?
Strebt nicht dein Geist mit sehnsuchtsvollen Zähren
Zu jenem Traum entschwundner Seligkeit,
In jenes Reich des Einst zurückzukehren,
Wenn auch das Jetzt dir schön're Freuden beut?
Wer schmückte so die scheidenden Gebilde
Und kränzte so mit Rosen selbst das Grab?
Wer sonderte mit mächt'gem Zauberstab
Vom Schmerz die Lust, vom Rauhen dir das Milde,
Vom Feindlichen das Freundliche dir ab?
Erinnrung ist's an jene lichten Stunden,
Wo nimmer noch sich Schmerz und Lust gekannt,
Und wo dein Herz, daß ihm ein Glück entschwunden,
Nur beim Genuß des neuen Glücks empfand.
Erinnrung ist's, was jeden deiner Blicke
[118]
Zur fernen Zeit mit mächt'gem Zauber bannt;
Das Jetzt ist nur ein Traum vom einst'gen Glücke,
Und hinter dir liegt das gelobte Land.
Fort strebt der Mensch mit brennendem Verlangen,
Die Sehnsucht stirbt in seinem Busen nicht,
Und wenn auch Nacht und Wogen ihn umfangen,
Vor seinem Geist strahlt ihm ein rettend Licht.
Das Schöne will er liebevoll umschlingen,
Mit kühnem Muth das Höchste sich erringen,
Und will ein Gott durch eignes Streben seyn;
Und wenn er Sturm und Klippen überwunden
Und durch Entschluß den Widerstand gebunden,
Wenn er durch Kraft von Tausenden allein
Das Ziel, zu dem ein Jeder strebt, gefunden,
Stets scheint die Müh', der Sieg ihm noch zu klein.
Das Schönste scheint ein Schritt nur zu dem Schönen,
Das Höchste ihm zum Hohen nur der Pfad;
Durch neue Müh' nur und durch neue That
Kann er den Gott in seiner Brust versöhnen,
Auf dessen Wink er in die Schranken trat.
Sprich, warum bleibt er nicht im Heimathskreise,
Und sonnt sich froh im Strahl des Augenblicks,
Und sichert sich auf dem gewohnten Gleise
Vor jedem Sturm des feindlichen Geschicks?
Nein, er will fort, wohin die Bilder winken,
Die in die Brust Erinnrung ihm geprägt,
Er will den Hauch der reinern Lüfte trinken,
Will in den Schooß der ew'gen Schönheit sinken,
Die, als er ward, ihn liebevoll gehegt.
O Schmach, wenn ihm, der zum erhabnen Streite
Für seinen Heerd und seine Freiheit geht,
[119]
Nicht kühner Muth als Kampfgenoß zur Seite,
Sieg oder Tod als Ziel vor Augen steht!
Bald wird sein Arm im feigen Kampf ermatten,
Er wird der Band', um nur zu ruhn, sich freun;
Statt eines Wesens wird er nur ein Schatten
Und nur ein Sklav statt eines Gottes seyn.

[120] 8.

An Cäcilie, als sie einen Johannes gemalt hatte.

Virtus, recludens immeritis mori
Coelum, negata tentat iter via,
Coetusque vulgares et udam
Spernit humum fugiente penna.
Horat.

Du, deren Geist auf Farben und auf Tönen
Sich in das Reich der heil'gen Kunst erhob,
Um die der Strahl des unentweihten Schönen
Die Glorie der ew'gen Sehnsucht wob,
O, schweb' ihn fort den Flug, den du begonnen,
Bis zu dem Ziel, das deinem Streben lohnt,
Wo rein und frei im Glanze schön'rer Sonnen
Das Ideal auf goldnen Wolken thront:
Doch ich, um den im Kreise niedrer Sphären
Sich kalt das Band des öden Lebens schlingt,
Ich kann nur still das Göttliche verehren,
Das dein Gemüth in heil'ger Kraft vollbringt.
O dürft' auch ich in jenem Haine wallen,
Der seinen Flor um die Geweihten webt,
Zu welchem nie des Lebens Wogen schallen,
Wo ew'ger Thau im Blumenkelche bebt,
Wo zauberisch der Dämmrung kühle Hallen
Das linde Wehn der zarten Ruh' umschwebt.
[121]
O dürft' ich dort die kleinste Blüthe pflücken,
Nur in dem Duft der Schatten mich ergehn,
Nur an dem Hauch der Lüfte mich erquicken,
Die friedlich dort die heiße Brust umwehn!
O dort, wo du in zarten Liebesarmen,
Die Bilder hegst, die schmeichlerisch dir nahn,
Wo blühend sie an deiner Brust erwarmen
Und Farb' und Glanz durch deinen Hauch empfahn,
Dort möcht' ich still dich Heilige belauschen
Und, hell verklärt vom Glanze deiner Lust,
Mir für den Kampf der niegestillten Brust
Aus deinem Blick der Ruh' Begeistrung tauschen!
In wessen Herz die Kunst sich niederließ,
Der ist vom Sturm der rauhen Welt geschieden,
Ihm öffnet sich, durchwallt von süßem Frieden,
Im ew'gen Lenz ein stilles Paradies.
An ihm verliert der Staub die Herrscherrechte;
Vom eitlen Streit der Wünsche nicht geplagt
Mischt er sich stolz zum göttlichen Geschlechte,
Das frei gebeut, weil es dem Kampf entsagt.
In seiner Brust hat sich das All entfaltet,
Nicht in dem Schein, der Sinnentrug ihm lieh:
Nein, durch die Kraft der keuschen Phantasie
Zum Ideal der schönen Form gestaltet,
Von der Verklärung geist'gem Strahl umwaltet,
Und im Gewand der reinen Harmonie.
Kühn folgt sein Geist dem Glanz der ew'gen Klarheit,
Und in den Kreis des Schicksals nicht gebannt
Durchwandelt er, ein Bild der höhern Wahrheit,
Mit hellem Blick der ird'schen Träume Land.
Was Thoren oft formlose Dämmrung wähnen,
Das nur allein, das ist das wahre Licht.
[122]
Im kalten Schluß des finstern Grüblers nicht,
Nein, im Gefühl, im Glauben und im Sehnen
Enthüllt sich dir des Ew'gen Angesicht;
Der Geist, er forscht vergebens nach dem Schönen,
Wenn nicht das Herz dir laut im Busen spricht.
Im Traum enthüllt der Himmel sich der Seele:
Doch nimmer hebt der prüfende Verstand
Den trägen Blick in's unbewölkte Land;
Nur, daß der Fuß auf niedrer Bahn nicht fehle,
Wardeunsrer Nacht sein karges Licht gesandt.
O glaub' es mir, einst gab es schön're Stunden!
Wir lebten dort, wo jetzt der Traum nur lebt,
Zu einer Kraft war Geist und Herz verbunden,
In's Bildende das Ordnende verschwebt.
Doch als der Tag der Prüfung sich erneute,
Ward vom Gefühl der kält're Geist getrennt,
Daß schützend er im ew'gen Sturm und Streite
Auf dunklem Pfad die zart're Schwester leite,
Die nur die Ruh' der lichten Höhen kennt.
Doch senken oft aus jenem schönern Raume
Die früheren Gespielen sich herab,
Berühren still im körperlosen Traume
Das trübe Herz mit luft'gem Zauberstab,
Umziehn die Nacht mit hellem Purpursaume,
Und senden mild uns Strahlen in das Grab.
Dann muß die Brust ihr Innerstes ergießen,
Und tröstend ward die Kunst ihr zugesandt,
Mit Farb' und Ton den holden Freund zu grüßen,
Den sie schon einst im schönern Licht gekannt.
Der Ton entquillt, Begeistrung mischt die Farben,
Aetherisch blühn im freundlichen Gedicht
Die Blüthen, die im Hauch der Erde starben,
Das ird'sche Bild umschwebt ein ew'ges Licht! –
[123]
Die Herzen nur der Milden und der Reinen
Umflicht die Kunst mit ihrem schönsten Kranz;
Nie wird das Lamm mit Tigern sich vereinen,
Ein trüber Hauch verhüllt des Spiegels Glanz.
Wie im Kristall der klaren Wiesenquelle
Das zarte Bild der Lilie sich wiegt,
Jetzt sanft bewegt vom Tanz der leisen Welle,
Und ruhig jetzt von stiller Fluth umschmiegt,
So wohne stets im unentweihten Herzen
Die Grazie, des Künstlers schönstes Ziel,
Bald mild gerührt von Freuden und von Schmerzen
Und bald versenkt in friedliches Gefühl.
Ihr Athem lehrt die Schönheit erst empfinden,
Die herrschend sonst nur als Gesetz gebeut;
Sie naht sich ihr mit holder Freundlichkeit,
Den Flammenkranz mit Rosen zu durchwinden,
Vor dessen Glanz des Staubes Blick sich scheut.
Wie um den Fels mit grünendem Gewande
Der Epheu schwebt und Trotz zur Milde schafft,
So fesselt sie mit leisem Zauberbande
Den Uebermuth der ungestümen Kraft.
Den Löwen lehrt sie unter Blumen rasten,
Zum Frühlingshauch schmilzt sie den Herbstorkan,
Versöhnet mild die Kräfte, die sich haßten,
Und läßt dem Traum die Wirklichkeit sich nahn.
Zur Lieb' erhebt sie der Bewundrung Zagen,
Läßt ruhiger, wenn überströmend Glück
Den Geist berauscht, das Herz im Busen schlagen
Und hellt, wenn er in Thränen schwimmt, den Blick.
Du süßer Schmerz, der wie ein duft'ger Schleier,
Der um den Kreis des reinen Mondes schwebt,
Geheimnißvoll der Sehnsucht Traum umwebt,
[124]
Und leis' und mild des Busens reges Feuer
Zu lindern nur, doch nicht zu löschen strebt,
O Wehmuth, sey dem zarten Sinn willkommen!
Aus deiner Thrän' ist wie ein Traumgebild
Das Dämmerlicht der Schwärmerei entglommen,
Worin die Brust ihr Köstlichstes enthüllt.
Wie linder Thau aus abendlichen Lüften
Die Rose netzt, so senkst du dich in's Herz;
Die Rose wird im Thauglanz süßer düften,
Und selig fühlt die Seele sich im Schmerz.
Du leitest uns in's dunkle Reich der Sage;
Still naht das Bild der längst entschwundnen Tage,
Wie Harfenklang, der durch die Dämmrung hallt,
Und leis' entblüht ein inniges Verlangen,
Im frühern Bild das schön're zu umfangen,
Und freundlich siegt des Traumes Allgewalt.
Auf dein Gebot strömt aus den goldnen Saiten
Harmonischer in's weich're Herz der Klang;
Das Beß're, was des Lebens Fluth verschlang,
Das fühlt der Geist der dunklen Nacht entgleiten,
Und weinend schwebt ein Engel im Gesang.
Die Farben lehrst du liebend sich verbinden,
Und Zartheit haucht dein Athem auf's Gebild;
Laut wird das Herz dem Herzen sich verkünden,
Sein schönster Traum, er ist dem Aug' enthüllt;
Und von dem Reiz der Lichtgestalt umwunden
Wird stolz der Geist sich seiner Kraft bewußt,
Und ruft entzückt im Wahn der heil'gen Lust:
Die Götter sind der niedern Welt entschwunden:
Doch aus sich selbst schafft sie die reine Brust!
O Phantasie, du ewig reges Feuer,
Das wandelbar in bunten Flammen wallt,
[125]
Du Wunderquell im Reich der Abenteuer,
Wie mal' ich dich, du gaukelnde Gestalt,
Die wechseln sich um alles Daseyn windet,
Duftreiche Kost in jeder Blume findet,
Aus jeder Blüth' ein luft'ges Schiff sich baut
Und jedem Hauch der Laune sich vertraut?
Jetzt waltest du im leisen Zaubertanze
Durch Wies' und Hain, ein bräutlich zartes Bild;
Mit Rosen ist des Kleides Schooß gefüllt,
Die Locke spielt entflatternd mit dem Kranze,
Der deine Stirn mit mit farb'gem Glanz verhüllt.
Auf Düften scheint dein leichter Fuß zu schweben,
Es singt der Hain, melodisch rinnt der Bach,
Bunt eilen Bien' und Schmetterling dir nach,
Den Blumen zu, die deinen Pfad umweben,
Phantastisch schmückt bei deinem Blick das Leben
Mit buntem Glanz, mit Rosen sich der Tag.
Doch du entfliehst, und hoch zum Himmelsbogen
Stürmst du empor; du winkst der düstern Nacht,
Und langsam kömmt's und schwarz herangezogen,
Die Wolke trotzt in wetterschwangern Wogen
Rings um dich her, ein grauses Kleid der Schlacht.
Von Blitzen flammt roth um das Haupt die Krone,
Gluth ist dein Schwert, der Donner dein Gespann,
Dem Schild entstarrt verderblich die Gorgone,
Und jauchzend heult der Sturmwind dir voran.
O fessle sie, die Luftgestalt, o schlinge
Mit leisem Zwang das zarte Liebesband,
Geweihte Kunst, um ihre kühne Schwinge
Und leite sie mit mütterlicher Hand,
Daß züchtig stets und keusch sie dir erscheine,
Und, fern vom Trotz der raschen Leidenschaft,
[126]
Als zarte Braut dem Schönen sich vereine,
Im Reize kühn und reizend in der Kraft.
Ach, es ist süß das Schöne nur zu sehen,
An Allem, was im Seyn vorüberfliegt,
Den zarten Glanz des Ew'gen zu erspähen,
Der liebend sich um alle Bilder schmiegt.
Ach, es ist süß das Rauhe zu verschönen,
Ein mild'res Licht dem Grellen zu verleihn,
An wahren Reiz das Auge zu gewöhnen,
Im Geiste groß, im Herzen keusch zu seyn.
Ein sanfter Hauch der Zartheit und der Milde
Stiehlt mit der Kunst sich still ins Herz hinein;
Tief fühlt der Geist die Flecken der Gebilde:
Doch schneller wird die Seele zum Verzeihn.
So zeigt uns jetzt mit dämmerndem Gefieder
Das Morgenroth die unbelebte Flur:
Doch freundlich thaut es seine Rosen nieder,
Und Blüthenglanz umhüllt des Winters Spur.
In Schlummer sinkt das ruhelose Streben,
Das Leidenschaft in unsrer Brust genährt;
Nur fromme Ruh' ist der Begeistrung werth,
Und freundlich muß des Geistes Fittig schweben,
Der Wirklichkeit uns zum Gefühl verklärt.
Kein wilder Haß darf uns im Busen walten,
Kein rauher Sturm in seinen Tiefen wehn,
Nicht ird'sche Furcht das Herz gefangen halten,
Kein finstrer Geist den Wink der Liebe schmähn.
Die Kunst erweckt ein ätherreines Feuer,
Ihr höchster Glanz stets bleibt er klar und mild;
Wenn sie auch oft in Träume sich verhüllt,
Ihr kühnster Traum ist stets der Wahrheit Schleier:
[127]
Doch Trug nur sind die luft'gen Ungeheuer,
Womit die Brust Leidenschaft erfüllt.
O sieh es an, das Bild, das du gestaltet,
Dem um die Stirn, im Auge frei und klar
Begeisterung mit mächt'gem Fittig waltet,
Den Jünger, der des Meisters Liebling war.
Den Mund umschwebt ein seliges Verlangen,
Nicht dieser Welt gehört sein trunkner Blick,
Verklärung glänzt im Morgenroth der Wangen,
Und er besiegt das irdische Geschick.
Schon hat sein Geist zum Ew'gen sich erhoben;
Dort wandelt er, wo seine Sehnsucht lebt,
Ach, Alles, was er liebt, es wohnt dort oben,
Und, was er liebt, er hat es jetzt erstrebt.
Doch ist ihm auch das Göttliche beschieden,
Mit stillem Sinn trägt er die heil'ge Lust,
Und freundlich schwebt, gehüllt in zarten Frieden,
Ein sel'ger Geist um die entzückte Brust.
So muß mit Ruh' die Flamme sich verbinden
Und Trunkenheit durch Zartsinn sich erhöhn;
Begeisterung lehrt Ewiges dich finden,
Doch zarte Ruh' lehrt Ew'ges dich verstehn.

[128] 9.

An Cäcilie.

Mitte singultus; bene ferre magnam
Disce fortunam. –
Horat.

O schau' empor! Erheb' ihn frei den Blick,
Um den der Schmerz den trüben Flor gewunden;
Den Genius, der deiner Brust entschwunden,
Den Freundlichen, o ruf' ihn dir zurück!
Wohl scheint es schwer dem Feind die Hand zu reichen
Und lächelnd sich dem Zürnenden zu nahn:
Doch oft umfängt den Geist ein schwarzer Wahn,
Und läßt uns dort mit bangem Sinn erbleichen,
Wo freundlich uns nur gute Geister nahn.
Die kalte Ruh' gebeut im Reich der Todten,
Der Seele Flug hemmt sie mit starrer Hand:
Doch Schmerz und Lust sind zarte Götterboten,
Die uns der Hauch des Lebens zugesandt.
Mild wird der Geist im Drange bittrer Schmerzen,
Wie edles Gold in Flammen sich verklärt;
Wer dem Gesetz des Staubes angehört,
Der bleibe kalt, denn nur geweihte Herzen
Sind großer Lust und großer Leiden werth.
Nie wird ein Gott unfühlbar dich umschweben;
Allmächt'ge Kraft haucht seiner Schwingen Wehn;
Still muß das Herz dem höhern Geist erbeben,
[129]
Zum zartern Ton Empfindung sich erhöhn.
Vernahmst du nicht, wenn von des Westes Schwingen
Das reine Gold der Aeolsharfe klang,
Bald des Triumphs erhabne Lieder singen
Und bald des Grams wehmüthigen Gesang?
Der Quell der Lust ist auch der Schmerzen Quelle;
Die rege Gluth, das Bild der ew'gen Helle,
Verletzt zugleich, indem sie dich verschönt.
Durch leisen Schmerz beim Glanze lichter Stunden
Wird das Geschick, das uns dem Staub verbunden,
Mit dem Geschenk der ew'gen Huld versöhnt.
Ach, Alles, was aus diesen dunklen Räumen
Empor dich hebt zu einer schönern Welt,
Was wunderbar in räthselhaften Träumen
Dein reines Herz mit banger Ahnung schwellt,
Der Liebe Glanz, die heil'ge Lust am Schönen,
Der zarte Thau, den in dein weiches Herz
Das Mitleid träuft, der Andacht frommes Sehnen,
Die Freude selbst ist nur ein süßer Schmerz.
Wenn dir das Glück mit seinen Blüthenzweigen
Im raschen Flug die heitre Stirn umwebt,
Und, eingehüllt in seelenvolles Schweigen,
Um deinen Mund entzücktes Staunen schwebt,
Dann wird dein Blick von Thränen überfließen,
Und mit dem Thau, der sonst dem Schmerz entquillt,
Wird deine Brust den holden Geist begrüßen,
Der dein Gemüth mit heitrem Glanz erfüllt.
O sprich, wie kann aus zwei verschiednen Keimen
Mit gleichem Duft dieselbe Blum' entblühn?
Was hier sich trennt ist eins in jenen Räumen,
Wo vor dem Glanz der Sinne Nebel fliehn.
Empfindung ist des Lebens innre Seele,
[130]
Empfindung ist des Lebens höchste Lust;
Ob sie dem Glück, dem Schmerze sich vermähle,
Das kümmert nur die nachtumfangne Brust.
Dort wird die Qual nicht mit der Freude streiten,
Kein dunkler Wahn wird das Gefühl entzwein,
Und jeder Ton auf der Empfindung Saiten
Wird Harmonie, und süßer Wohllaut seyn.
Sah ich nicht oft so selig dich entschwinden
In's holde Reich der süßen Phantasie
Und Ton und Ton mit leiser Hand verbinden
Zum vollen Kranz der reichen Harmonie?
Wenn dann dich kühn ein höh'rer Hauch belebte,
Dein zartes Herz von Klang zu Klang entschwebte,
Entzückung dir den trunknen Busen hob,
Wenn dann dein Geist die eigne Größe fühlte,
Ein göttlich Licht in deinem Auge spielte
Und Himmelsglanz um deine Stirn sich wob,
Dann fühltest du dein Herz gewaltig schwellen,
Und siegend drang der Schmerz dir in die Brust,
Und webte still der Dämmrung leise Wellen
Wehmüthig rings um's Sonnenlicht der Lust.
Und ach, doch hing mit immer tieferm Sehnen
Dein weiches Herz erschüttert an den Tönen,
Umfing das Weh mit zartem Liebessinn,
Und willig für des Schmerzes heiße Thränen
Gab es den Rausch der kältern Lust dahin.
Den Seelen fern, die mit Gefühlen scherzen,
Und fremd der Brust, die starres Eis umzieht,
Erwählet gern der weiche Gott der Schmerzen
Zur Wohnung sich das zartere Gemüth.
Dort haust er still, und mit wohlthät'ger Kühle
Umwaltet er den Frühling der Gefühle,
[131]
Der in der Gluth des ew'gen Glücks verdorrt,
Und tilget sanft mit jungfräulichen Zähren
Die Flecken, die das Zartgefühl entehren,
Von dem Kristall der reinen Seele fort.
Den Geist, der sonst, vom Spiel der Welt umfangen,
Für helles Licht die ird'sche Dämmrung hielt,
Umleuchtet dann ein heiliges Verlangen
Nach jenen Höhn, wo er den Hauch empfangen,
Deß Wehn er jetzt begeisternd in sich fühlt.
Ach, durch den Schmerz, durch seine stillen Thränen
Glaubt er den Zorn des Richters zu versöhnen,
Der aus dem Licht zum Dunkel ihn verbannt;
Rein findet er und unentweiht sich wieder,
Der Flor entbebt, der dämmernd ihn umwand,
Und gläubig hebt mit freierem Gefieder
Er sich empor in's schön're Vaterland.
Wenn rauh und kalt des Winters Stürme wüthen,
Wenn auf die Flur des Todes Geist sich senkt,
Und jeden Halm und alle zarten Blüthen
Der sichre Schooß der Mutter still umfängt,
Dann hängt der Mensch mit wunderbarem Sehnen,
Mit süß'rer Lust am hingeschwundnen Schönen
Und senkt sich still in goldne Phantasien,
Und er, der sonst am duft'gen Blumenbeete
Oft Lilien und Rosen stolz verschmähte,
Ergötzt sich jetzt an jedem zarten Grün.
So wird das Herz, von bangem Leid umfangen,
Sich kindlicher an jeder Hoffnung freun,
An jeder Lust mit heiß'rer Liebe hangen
Und glücklicher in bittern Schmerzen seyn.
Ein mild'rer Glanz wird um den Geist sich winden,
Der Leidenschaft, des Wahnes luft'ges Reich
[132]
Wird vor dem Schmerz wie Traumgebild entschwinden,
Und weinend wird der Herr dem Knecht verkünden:
In Thränen ist der Mensch dem Menschen gleich.
Der Starke wird des Schwachen sich erbarmen,
Dem Fremdling sich der Fremdling liebend nahn,
Was sich gehaßt wird friedlich sich umarmen
Und heißer sich, was sich geliebt, umfahn.
Hoch über's Reich des Niedern und Gemeinen
Erhebt der Schmerz den Geist, den er durchdringt,
Wer ihm erlag, den läßt er heilig scheinen
Und adelt den, der muthig mit ihm ringt.
Wen das Geschick zum Opfer sich erlesen,
Um welchen stets, gehüllt in finstre Nacht,
Geheimnißvoll ein düstres Schicksal wacht,
Dem nahn wir uns wie einem höhern Wesen,
Und huld'gen scheu in ihm der dunklen Macht.
Der niedre Halm, der, vom Gebüsch umwoben,
Sein kurzes Seyn in sich'rer Nacht verlebt
Und nie zum Licht verlangend sich erhebt,
Der ruht geschützt vor des Orkanes Toben,
Der Fels und Wald mit mächt'gem Flug umschwebt.
An Großen will der Große sich erproben,
Wo ihn der Sieg, wo ihn die Fessel schmückt;
Kühn schwebt der Aar, der niedern Welt enthoben,
Zur Sonn' empor, wenn auch der Gott von oben
Den Strahlenpfeil auf ihn herniederschickt.
O lerne stark daß große Loos ertragen,
Womit der Kampf des Schicksals dich geehrt;
Die düstre Nacht, bald wird sie herrlich tagen,
Und freudig wird, vom hellern Glanz verklärt,
Dein freies Herz mit kühnem Stolz dir sagen:
Du warst des Kampfs, du bist der Palme werth!
[133]
Schon naht der Lenz; auf milderwärmten Lüften
Schwebt im Triumph der heitre Gott heran;
Schon kündet er in zarten Veilchendüften,
Im mildern Strahl des reinern Lichts sich an.
Zwar hüllt noch oft in grauen Nebelschleier
Mit Feindessinn der wilde Sturm ihn ein,
Doch siegen wird der göttliche Befreier,
Vergebens kämpft mit dem lebend'gen Feuer
Die todte Nacht, der Schatten mit dem Seyn.
Bald wird er zart die holde Braut umschließen,
Um die er lang gekämpft in wilder Schlacht;
Schon kleidet sich die Flur in bunte Pracht,
Auf's holde Haupt ihm Blüthen hinzugießen,
Die Quelle wird mit Murmeln ihn begrüßen,
Mit Säuseln ihn des Haines grüne Nacht.
So wird auch dir die Sonne wiederkehren,
Die feindlich jetzt ein dunkler Geist umwand;
Die Freud' entblüht im Leiden und Entbehren;
Nur Jenem, der den größten Schmerz gekannt,
Wird das Geschick die größte Lust gewähren.

[134] 10.

An Cäcilie.

Nil parvum aut humili modo,
Nil mortale loquar.
Horat.

Was still mir längst die tiefste Brust erfüllt,
Mit lichtem Glanz mein sel'ges Herz umwoben,
Was meinen Geist zum schönern Seyn erhoben,
Im Sterblichen die Gottheit mir enthüllt
Und jeden Wunsch und wilder Triebe Toben
Mit zartem Hauch im Innern mir gestillt,
Das soll mein Geist voll heil'ger Kraft entfalten,
Die Träume, die im milden Dämmerlicht
Aetherisch sonst um meine Seele wallten,
Sie sollen hell zu Bildern sich gestalten
Und fröhlich blühn im seligen Gedicht.
Wohl kann die Brust den Schmerz verschlossen halten:
Doch stummes Glück erträgt die Seele nicht.
Du, die mit ew'gem Zauber mich umfangen,
Du, deren Hauch in meinem Herzen weht,
O zürn' ihm nicht dem friedlichen Verlangen,
Das schüchtern dir, was du ihm gabst, gesteht.
Kusch ist mein Lied! Mit ihrem reinen Schleier
Unwebte mich die Gunst der Huldgöttin;
Den Herzen gab der Himmel zarten Sinn,
Die Liebe gab der Brust ein göttlich Feuer,
[135]
Und sterbend sank die ird'sche Gluth dahin.
Ich liebe dich! O senk' ihn nicht so trübe
Den holden Blick! Nie wird den Heil'genschein,
Der dich umwallt, ein nied'rer Wahn entweihn;
Ich liebe dich mit ew'ger, zarter Liebe,
Mit süßem Schmerz, doch ohne Wunsch und Pein.
Siehst du den Thau, der aus den frühen Lüften
Wie Geisterkuß jungfräulich niederbebt,
Wovon beperlt die Blumen süßer düften
Und froher sich der zarte Halm erhebt?
Siehst du das Roth, das durch die Haine gaukelt
Und luftig sich um Thal und Hügel schmiegt,
Wenn, leis' und lau von Westen hergeschaukelt,
Die Dämmrung sich auf Purpurwolken wiegt?
Siehst du den Glanz, worin die Flur sich kleidet,
Wenn hell der Mond, der Sterne zarter Hirt,
Auf stiller Au die goldne Heerde weidet
Und Nacht und Licht sich wunderbar verwirrt?
So muß die Lieb' im reinen Busen walten,
Ein Abglanz nur von jener Herrlichkeit,
Die wandellos den irdischen Gestalten
Der Zauberstrahl des ew'gen Schönen leiht.
Kein Wölkchen darf den lichten Himmel trüben,
Worin das Herz zum Geiste sich verklärt;
Still wünscht das Herz, die Sinnlichkeit begehrt,
Allein der Geist, was kann er mehr als lieben?
Stolz ruft der Thor im eitlen Selbstvertraun:
Dies Herz ist mein! mir hab' ich es gewonnen!
Kein Andrer darf in diesem Blick sich sonnen,
Und diesen Reiz, kein Andrer darf ihn schaun!
Kannst du den Glanz, der jede Sonn' umkränzet,
[136]
Kannst du den Duft der weiten Blumenflur,
Den Farbenschmelz, der Wies' und Hain umglänzet,
Den ew'gen Reiz der wechselnden Natur,
Sprich, kannst du dies in einen Punkt verbinden,
Zum einz'gen Herrn der Schöpfung dich erhöhn
Und ohne Scheu mit stolzem Sinn verkünden,
Das Schöne sey für dich allein nur schön?
Wenn, aus dem Schooß des Meers hervorgetragen,
Der Sonnengott den Strahlenflug erneut
Und wie ein Held von seinem Flammenwagen,
Die finstre Brut des Dunkels zu verjagen,
Mit stiller Kraft der Pfeile Gluth verstreut,
Dann wird die Lust in jedem Busen wallen,
Froh blickt der Mensch zum Glanz der lichten Hallen,
Und ruft entzückt im heiligen Vertraun:
Es ist ein Gott, der glüht und leuchtet Allen,
Ein Schönes ist, und Jeder darf es schaun!
Kein Veilchen wird die Lilie beneiden,
Die neben ihm aus einer Quelle trinkt,
Und wir, um die das Bruderband sich schlingt,
Wir sollten das, was Aller Glück ist, scheiden?
Die Liebe sey dem Wahn der Erde feind,
Frei von Begier, von des Genusses Schmerzen,
Ein süßer Traum, worin dem zarten Herzen
Sein eignes Bild in fremder Form erscheint.
Denn was der Geist in seinen schönsten Stunden,
Wenn vor dem Blick der trübe Flor ihm schwand,
Geglaubt, gehofft, geahnet und empfunden,
Das hat sich still zu einem Kranz gewunden
Und sich umhüllt mit sichtlichem Gewand;
Und wie der Duft, der um die Blume waltet,
Und wie der Glanz, der um den Quell sich hüllt,
[137]
So strahlt verklärt, nur aus sich selbst entfaltet,
Ein göttlich Licht um's irdische Gebild.
Nicht jener Blick, der hold und freundlich glänzet,
Nicht die Gestalt, die reizend dich umfließt,
Nein, jener Strahl, der liebend dich begrüßt,
Die Glorie, womit mein Traum dich kränzet,
Sie sind's, worin der Sehnsucht Blüthe sprießt.
Ich sehe dich, und Scheu und Milde schweben
Wie Genien aus deinem Blick zu mir;
Du hast mir Stolz und Zartgefühl gegeben,
Bescheidenheit und edle Ruhmbegier,
Und jeder Schmuck in meinem innern Leben
Ist nur ein Bild, ein Aushauch nur von dir.
O, du hast ganz mein Wesen eingenommen,
Und eng vermählt dein Seyn sich meinem Seyn,
Die Welt ist rings in Nebel mir verschwommen,
Und nur dein Bild erblick' ich klar und rein.
Du bist mein Glück, mein einziger Gedanke,
Der ew'ge Traum, der nächtlich mich umschwebt,
Bist mein Gesetz, mein Will' und meine Schranke,
Das Ideal, zu dem mein Sehnen strebt.
Den heitern Blick gewandt zum schönen Ziele
Senk' ich mich froh in' s stille Meer der Lust;
Nicht stürmisch schlägt die Wog' an meine Brust;
Mein Herz ist stets, selbst bei der Träume Spiele,
Im höchsten Schwung entkörperter Gefühle,
Wie seines Glücks sich seiner Kraft bewußt.
O zarte Ruh, die heiter mich umwallet,
Du ew'ger Kranz, den das Gefühl mir flicht,
Du Harmonie, die mir im Innern hallet,
Du, das im Geist mir waltet, holdes Licht,
Ihr seyd der Keim, woraus das höh're Leben,
[138]
Wie Blüthenglanz aus seiner Knospe, bricht;
Wer Lieb' entbehrt, dem ward nur Schlaf gegeben;
Wer Liebe sucht, der kennt die Liebe nicht.
Sie ist die Kraft, das selige Verlangen,
Womit wir stets dem Besseren uns nahn;
Sie tilgt ihn fort, den ruhelosen Wahn,
Womit der Kampf um Nied'res uns umfangen,
Läßt unsern Blick nur an dem Reinen hangen
Und unsern Geist nur Ewiges umfahn.
Sie läßt dein Herz, dein Auge sich verklären,
Wenn strahlend dich vom Glanze lichter Sphären
Die heil'ge Kunst in ihren Himmel hebt;
Sie schafft in dir des Mitleids süße Thränen;
Sie ist's, die dich im Zartgefühl umschwebt,
Die dich umwallt im Glauben und im Sehnen
Und mit dem Strahl der Hoffnung dich belebt.
So wie das Licht, aus einem Punkt geflossen,
Zu uns herab in tausend Strahlen quillt,
So hat die Kraft, die unser Inn'res füllt,
Durch jeden Trieb sich segnend ausgenossen,
Und jeder Theil er ist des Ganzen Bild.
Doch Alles strömt in ein Gefühl zusammen,
Das schöpferisch durch alle Welten glüht,
Wovon durchwallt die fernsten Sonnen flammen,
Wovon genährt der zarte Halm entblüht.
Nur eine Lieb' ist in den weiten Räumen,
Nur eine Lieb' in aller Menschen Brust:
Doch unser Herz muß Einzelnes sich träumen;
Nicht faßt des Staubes Sinn die ew'ge Lust.
Sein Sehnen muß an ein Gebild sich schmiegen,
Dem die Natur ein höh'res Seyn gewährt,
Muß, bis der Tag im Glanze sich verklärt,
Am Schimmer sich des schönen Sterns vergnügen,
[139]
Der still in ihm der Ahnung Flamme nährt.
So lieb' ich dich! so zieht ein heil'ges Sehnen
Zu dir mich hin! so bist du ewig mein!
Dein reines Bild soll an den Glanz des Schönen,
Ans hell're Licht der Zukunft mich gewöhnen
Und mein Gestirn auf dunklem Pfade seyn.
Jüngst war mein Geist von trüber Nacht umzogen,
Kalt war das Herz und frei der flücht'ge Sinn,
Begeistrung schien aus meiner Brust entflogen,
Mein Leben wand, stets hoffend, stets betrogen,
Einförmig sich durch ew'gen Wechsel hin.
Ich schien beglückt, doch in der dunklen Ferne
Dort, ahnet' ich, dort wohn' ein schön'res Glück;
Und gläubig sah mit sehnsuchtsvollem Blick
Mein Geist empor zum Glanz der ew'gen Sterne,
Und sank bewölkt zur Erde dann zurück.
Ach, mich umflocht mit buntem Netz das Leben,
Und traurig wand, wie an der Blüthe Saum
Im langen Kampf des Thaues Perlen schweben
Und zögernd nur zur Erde niederbeben,
Mein Herz sich los von seinem schönen Traum.
Doch als ich dich in deinem Reiz erblickte,
Da schwand der Frost, der eisig mein Gefühl
Im starren Hauch der kalten Welt erstickte;
Mein leichtes Herz, der flücht'gen Laune Spiel,
Das sonst der Glanz des Neuen nur entzückte,
Es fand bei dir ein friedliches Asyl.
Und sieh, die Kraft, die lang in mir geschwiegen,
Die zart sich nur an zarte Seelen schmiegen,
Nur in der Brust der Reinen wohnen mag,
Begeistrung stieg noch einmal zu mir nieder,
Und mild umfing mit strahlendem Gefieder
[140]
Den trüben Sinn ein jugendlicher Tag.
Der Dämm'rung Flor, die flücht'gen Luftgebilde,
Die sonst mein Herz mit buntem Spiel ergötzt,
Sie lösten sich in ew'ge, klare Milde,
Und was ich sonst verkannt, das ehrt' ich jetzt.
Im Rausch der Welt, im stürmischen Getümmel
Weilt Poesie, die zarte Göttin, nicht;
Gern wiegt sie sich am stillen, blauen Himmel,
Und taucht sich gern in fleckenloses Licht.
Die linde Ruh, die mit geweihtem Flügel
Leis' athmend nur um unsre Brust sich webt,
Wenn ungetrübt, wie tief im Zauberspiegel
Des stillen Sees das Bild der Sonne schwebt,
Ein heil'ges Bild in unsrer Seele lebt,
Die Liebe nur, die nichts als Liebe fodert,
Das weiche Herz, das sich mit Träumen nährt,
Der Zartsinn, der, vom eignen Glanz verklärt,
In Sehnsucht strahlt, doch nicht in Sehnsucht lodert,
Sie sind allein der schönen Gabe werth.
Du hast die Gluth in meiner Brust entzündet:
Wenn zart und schön und groß mein Geist empfindet,
So dank' ich dir, du hast es mich gelehrt.
Die Bilder, die in ihren Zauberspielen
Die Muse mir mit süßem Lächeln leiht,
Sind Blumen nur, die deinem Kranz entfielen,
Und dein war stets, was jetzt mein Herz dir beut.
Oft bau' ich mir in sel'gen Phantasieen
Ein Laubendach, fern von der Welt Gewühl,
Um dessen Wand sich ewig frisch und kühl
Mit hellem Grün verschwiegne Ranken ziehen,
Wo nimmer welk im Thau die Rosen blühen
Und ewig lebt der Weste laues Spiel.
[141]
Dort träum' ich dann vereint mit dir zu weilen,
Durch deinen Geist den meinen zu erhöhn,
Mit zartem Sinn im dämmernden Entstehn
Das leiseste Gefühl mit dir zu theilen
Und reiner mich in deinem Glanz zu sehn.
Still horch' ich dann den linden Geistertönen,
Die deine Hand aus goldnen Saiten winkt,
Berausche mich mit dir in süßen Thränen
Und folge gern, wenn mit geweihtem Sehnen
Dein Geist sich auf ins Land der Hoffnung schwingt.
Ach, jedes Bild, das dann in deinem Herzen
Sich leise wiegt, wohnt auch in meiner Brust;
Gern bad' ich mich im Quelle deiner Schmerzen,
Und pflücke gern die Blüthe deiner Lust.
O sprich, wer kann mir diese Träume rauben,
Die schuldlos mich mit sel'gem Flug umwehn?
Ein Glücklicher, darf er um Glück noch flehn?
Ein ew'ger Glanz umfließt den zarten Glauben,
Und durch den Traum wird erst die Wahrheit schön.
Wenn du herab von des Gebirges Rücken
Den bunten Reiz der Auen übersiehst
Und süß erstaunt mit ewig regen Blicken
Durch Hain und Flur und Thal und Wiese fliehst,
Ergötzen dann die wechselnden Gebilde,
Der Blüthen Schnee, der Haine sammtnes Grün,
Der klare Bach, die üppigen Gefilde,
Die Blumen dich, die rings im Thauglanz blühn?
O nein, es ist der Täuschung geist'ges Weben,
Das um dein Herz mit süßem Zauber fließt,
Das tiefen Sinn und räthselhaftes Leben
In jedes Bild der weiten Schöpfung gießt.
Gastfreundlich beut der Hain dir seine Kühle,
Und säuselt dir mit Liebesflüstern zu,
[142]
Dich grüßt der Bach mit leisem Wellenspiele,
Und friedlich schützt der Schatten deine Ruh.
Hier möchtest du dir eine Hütte gründen,
Dort im Gebüsch dir eine Laube baun,
In jenem Thal dir bunte Kränze winden,
Von jenem Fels der Sonne Sinken schaun.
So windet stets der Reiz der Phantasieen
Belebend sich um's regungslose Seyn;
Den ernsten Geist kann Warheit wohl erfreun,
Allein das Herz muß zu den Träumen fliehen,
Um dem Geschick die Wahrheit zu verzeihn.
Mag hier auch oft die flücht'ge Laune walten,
Allmächtig herrscht der Schönheit Zauberbann,
Und unser Geist, von ihrer Kraft gehalten,
Zeigt in dem Reich entfliehender Gestalten
Uns seinen Quell und seine Hoffnung an.
Als dich zuerst mein ird'sches Aug' erblickte,
Nicht Staunen war's was da mein Herz empfand,
Du warst mir längst verbunden und bekannt,
Und jeder Traum, der früher mich entzückte,
Er lieh von dir sein gaukelndes Gewand.
Nie ließ mein Herz die süße Hoffnung schwinden,
Einst würd' ich auch auf meines Lebens Pfad
Den Genius des Traumes wiederfinden,
Der freundlich oft vor meine Seele trat.
Viel holde Bilder nahten mir und schwanden
Im raschen Tanz des ird'schen Gaukelspiels,
Umflochten mich mit leicht zerrißnen Banden,
Und wiegten sich, vom Hauch der Laun' entstanden,
Auf Funken nur des geistigen Gefühls.
Doch unentweiht umfloß das heil'ge Feuer
In meiner Brust ein namenloses Bild,
[143]
Kein fremder Reiz zerriß den zarten Schleier,
Worein es still und dämmernd sich gehüllt.
Da sah ich dich, und sieh, der Flor entbebte,
Der höchste Wunsch, der mir im Herzen lebte,
Der schönste Traum der Sehnsucht war erfüllt.
So bebt entflammt sich aus den Rosenhallen
Des Morgenroths die Sonne hehr und schön.
Nicht stürmisch wird, wenn an den fernen Höhn
Der Strahl erscheint, das Herz vor Freude wallen;
Was es erblickt, das hatt' es längst gesehn.
Doch liebend senkt in unser inn'res Leben
Und fesselnd sich des Schönen ew'ge Kraft;
Das Göttliche wird stets den Geist erheben,
Doch ohne Furcht und ohne Leidenschaft.
Befiehlt mir auch mein Schicksal dich zu meiden,
Kein wilder Schmerz soll meine Brust entweihn;
Mit Thränen zwar, doch friedlich werd' ich scheiden.
Was du mir gabst, das bleibt auf ewig mein.
In jedem Reiz, der sich vor mir entfaltet,
Werd' ich verhüllt dein süßes Bildniß sehn,
Und wenn mein Herz im Hauch der Welt erkaltet,
Dann soll dein Hauch, der meinen Geist umwaltet,
Die schwache Gluth zur hellern Flamm' erhöhn.
Der Blüthe Duft, der Welle leises Wallen,
Der zarte Thau, der in den Blumen glänzt,
Des Haines Ruh, das Lied der Nachtigallen,
Das Abendroth, das still die blauen Hallen
Des Horizonts mit Gold und Purpur kränzt,
Was Heiterkeit und Lust in meinem Innern,
Was Wehmuth weckt und leise Träumerein,
Wird zauberisch mein Herz an dich erinnern,
Und duldend zwar werd' ich doch glücklich seyn.
[144]
Mit festerm Muth werd' ich das Gute wählen,
Mit reinerm Sinn mich allem Schönen nahn;
Dir wird mein Herz im Guten sich vermählen
Und liebevoll im Schönen dich umfahn.
Im Strahl der Lust und in des Mitleids Zähren,
Im Selbstgefühl nach einer edlen That,
In Allem, was aus jenen lichten Sphären
Herniedersank, um die verhüllte Saat
Des Ewigen in unsrer Brust zu nähren,
Wird meinem Geist dein Bildniß sich verklären,
Geheimnißvoll, wie uns auf ird'schem Pfad,
Das geist'ge Seyn des Himmels uns zu lehren,
Ein luft'ger Traum mit leisen Schwingen naht.
Und wenn dann einst nach bang durchträumten Tagen
Das Morgenroth der neuen Sonne winkt
Und sehnender der Geist die Flügel schwingt,
Dann wird mein Herz nach keinem Engel fragen,
Der es hinauf zum schönern Daseyn bringt.
Ha, welch ein Glanz ist rings um mich verbreitet!
Zum Schatten wird des ird'schen Tages Licht.
Durch helles Blau, durch Morgenröthen leitet
Die Bahn empor, der trunkne Geist entgleitet,
Was er verläßt, das war das Seine nicht.
Hold schlingt um mich der ew'ge Lenz die Arme,
Hebt mich empor zu seinen goldnen Höhn,
Damit der Geist an seinem Strahl erwarme,
Des Herzens Gluth sich kühl' in seinem Wehn.
Hell quillet dort der stille Born der Liebe,
Und daß kein Sturm den glatten Spiegel trübe,
Umschattet ihn mit duft'gem Grün die Ruh;
In ihm erfrischt die Sehnsucht ihr Gefieder,
Und schüchtern beugt die Schönheit sich hernieder,
[145]
Und lächelt hold dem eignen Bilde zu.
O möcht' ich auf zu jenem Himmel fliehen,
Der Alles, was in süßen Phantasieen
Die Seele sah, als Wahrheit mir verspricht!
Hier wird der Traum der Sehnsucht nur verziehen,
Doch Lieb' ist dort der Tugend schönste Pflicht.

Notes
Erstdruck in: Gedichte, Göttingen (Dieterich) 1813.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Episteln. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-048A-6