[181] Kanzone

Den 28sten Jul. 1816.


Liebeslieder, holde Träume,
Blüthen meiner süßen Mühe,
Die ich heimlich auferziehe
Aus dem tiefverborgnen Keime,
Könnt' ich doch in blaue Lüfte
Und in Morgenroth euch tauchen,
Und des Frühlings reinste Düfte
In den zarten Kelch euch hauchen,
Daß für euer buntes Glänzen
Und für eures Athems Süße
Meine Lieb' euch würdig hieße,
Die Geliebte zu bekränzen,
Und sie dann vor allen Frauen
Durch des Freundes holde Gaben
Hocherhaben
Ging' und göttlich anzuschauen!
[182]
Vögelein mit leichten Schwingen,
Die ich sende zu der Schönen,
Meine Freuden, meine Thränen
Und mein Sehnen ihr zu singen,
Möchtet ihr so lieblich flöten
Wie die holden Nachtigallen,
Wenn sich alle Knospen röthen
Von des Lenzes lauem Wallen,
Um mit süßen Liederweisen
Ewig, ewig nur die Eine,
Die ich minne, die ich meine,
Zu ergötzen und zu preisen;
Daß sich weit das Tönen schwänge,
Und im fernesten Gefilde
Ihrer Milde,
Ihrer Schöne Ruhm erklänge!
Denn sie hat mein ganzes Streben
Nur an ihren Wink gebunden,
Und mein Leben ist entschwunden,
Um in ihr allein zu leben.
Alles möcht' ich gern ihr schenken,
Und doch kann ich Nichts ihr bieten,
Denn mein Träumen und mein Denken
Sind nur ihres Reizes Blüthen;
Und wie reich mein treues Lieben
Und ihr Lächeln auch mich machten,
Immer muß ich arm mich achten
Und im Herzen mich betrüben,
Daß ich für die blüh'nden Kronen,
Die durch sie mich hold umranken,
Ihr zu danken
Nur vermag, doch nicht zu lohnen.
[183]
Alle Seufzer, alle Klagen,
Alles Träumen, Hoffen, Wähnen,
Alles glüh'nde Flehn und Sehnen,
Alles heilig stille Zagen,
Alles, was in sel'gen Wonnen,
Was in thränenreichen Schmerzen
Lieb' empfunden und begonnen,
Regt sich wechselnd mir im Herzen,
Alles streb' ich zu ergießen;
Aber Flammen müßt' ich mischen,
Schwüle Gluth durch Thau erfrischen
Und durch Honig Gift versüßen,
Wollt' ich treu in hellen Bildern
Meine Liebe, meiner Leiden,
Meiner Freuden
Ewige Verwandlung schildern.
O ihr unerforschten Quellen,
Die mit wallenden Gefühlen
Flüchtig meine Brust umspielen,
Nie versiegen, immer schwellen,
O wie lacht in euren Spiegeln,
Angethan mit Himmelsgolde
Und mit lichten Engelflügeln,
Meine Reine, meine Holde!
Aber taucht in sel'gem Sinnen
Meine Seel' in euch hernieder,
Fliehn die Wellen hin und wieder,
Farben und Gestalt zerrinnen,
Und noch holder in der Ferne
Seh' ich dann ihr blüh'ndes Leben
Tiefer schweben,
Gleich des Himmels fernstem Sterne.
[184]
Worte, was ist euer Tönen,
Wenn ihr nicht mit Geisterschwingen
Könnt in's innre Leben dringen,
Lösen nicht das Band des Schönen?
Warum wollt ihr, leichte Träume,
Zu dem Heil'gen mich entführen,
Wenn ihr nur die letzten Säume
Seines Schleyers könnt berühren?
Warum strebst du ewig glühend,
Sehnsucht, nach dem sel'gen Ziele,
Das dich täuscht mit luft'gem Spiele,
Immer nahend, immer fliehend?
Herz, was frommt es, zu empfinden,
Kannst du nie das rege Walten
Der Gestalten,
Die du selber schufst, ergründen?
Nun so magst du, Lied der Minne,
Wie ein bleicher Schatten schweben,
Der nur träumt vom hellen Leben,
Fern von seinem heil'gen Sinne;
Kannst du bis zu ihr gelangen,
Wirst du leicht von ihrer Schöne
Alle Töne,
Die ich dir gewünscht, empfangen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Poetisches Tagebuch. Kanzone. Kanzone. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-04FF-2