[137] Am 8ten Februar 1816

1.
Du Rose, die jetzt ohne Farb' und Schein
So traurig steht im öden Garten drüben,
Welch süßer Trost, o Ros', ist dir geblieben,
Wenn auch dein Laub die Winde jetzt verstreun!
An dir wird einst die Reizende sich freun,
Um dich sich einst, wenn du verwelkst, betrüben;
Das Schönste kann ja nur sich selber lieben,
Drum liebt sie dich, ihr schönstes Bild, allein.
O wenn ich doch mit leisen Zauberliedern
Aus deinem Schlaf dich aufzusingen wüßte! –
Hat selbst den Tod doch einst ein Lied erweicht!
Wohl nahte dann, die Gabe zu erwiedern,
Auch mir der Duft, der ihre Lippen küßte,
Und sie zu küssen wähnt' ich dann vielleicht.
[138] 2.
Wie Ros' und Duft ihr Bündniß nimmer trennen,
Sobald der Kelch entblüht dem holden May,
Und, sind auch Ros' und Duft im Namen zwey,
Du denkst den Duft, willst du die Rose nennen;
So lieb' ich zwey; doch kann ich nicht erkennen,
Ob diese dort, und hier die andre sey.
Und bleib' ich stets auch einer Liebe treu,
Zwey Flammen sind's, die mir im Herzen brennen.
Ob auch der Duft den weiten Himmel füllt,
Er schwindet nie aus jenen sel'gen Blüthen,
Die ihm der Lenz zur zarten Wieg' erkohren.
So muß auch mir ein einz'ges lichtes Bild
Ein doppelt Leid, ein doppelt Glück mir bieten,
Das nah mir weilt und das ich längst verloren.

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Am 8ten Februar 1816. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0537-9