[175] Abschied

An S.

1.

Ich liebte dich, und ach, ich muß entsagen;
Nicht zürn' ich dir, ich zürne dem Geschick;
Wirst du mich je um meine Thränen fragen,
So gieb nur selbst die Antwort dir zurück.
Ich liebte dich, ich will es nicht verhehlen,
War auch nur Schmerz der langen Sehnsucht Ziel;
Ist Liebe nicht ein Antheil schön'rer Seelen,
Und lohnet sich Gefühl nicht durch Gefühl?
Ich liebte dich mit jenem zarten Triebe,
Dem nicht Genuß, dem Liebe nur genügt;
Ach, du begannst und schlossest meine Liebe!
Wer mich besiegt hat ewig mich besiegt.
Ich liebe dich und kann dich nie vergessen;
Doch schweigen will ich mit verhaltnem Schmerz,
Will allen Gram in eine Thräne pressen,
In einen Seufzer mein zerdrücktes Herz.
[176]
Jetzt mag das Schicksal jedes Glück mir rauben;
Der giebt sein Alles, wer sein Bestes giebt;
O laß mir nur den letzten süßen Glauben,
Daß du mich nicht gehaßt, weil ich geliebt.
Laß mir die Lust dich geistig zu verehren,
Im süßen Traum dein Bildniß zu umfahn,
Laß mir den Trost der stillen Wehmuthszähren,
Der Geisternähe wundersüßen Wahn.
Ach, jede Lust wird doppelt mich entzücken,
Denn deine Lust zu fühlen wähnt mein Herz;
Und jeder Schmerz, er wird mich minder drücken,
Denn tröstend ruft's: Sie fühlet deinen Schmerz!
Als Ideal sollst du jetzt vor mir schweben,
Was ich gedacht, gefühlt, dir will ich's weihn,
Du sollst die Gluth der Phantasie beleben,
Du sollst mein Lied und meine Muse seyn.
Empor aus dieses Lebens Dämmerungen
Soll mich dein Bild zum reinern Licht erhöhn,
Und ist mir je ein schönes Werk gelungen,
Es soll nur dir als ew'ges Denkmahl stehn.
In der Madonna seelenvollen Zügen,
Im zarten Bild der jüngsten Huldgöttin,
In jedem Reiz, dem sich die Herzen schmiegen,
Erblick' ich dich und sinke vor dir hin.
[177]
Als Heilige wird dich mein Herz verehren,
Der sich zu nahn der Pilger nicht erkühnt,
Der er von fern nur mit der Inbrunst Zähren,
Nur mit dem Opfer frommer Seufzer dient.
Gieb mir den Kuß der schwesterlichen Treue;
Nur Freundschaft sey der Herzen neues Band.
Gieb mir den Kuß; keusch ist der Freundschaft Weihe,
Entsagung ist der Reinheit Unterpfand.
O lebe wohl! Nie wird dein Bild mich fliehen,
Wenn auch dein Herz das meine bald vergißt;
Ich habe dir und dem Geschick verziehen
Und bin beglückt, wenn du nur glücklich bist.

[178] 2.

Wohlan, du hast den großen Schwur vollbracht!
Hoch schwingt der Geist der Freundschaft sein Gefieder,
Und weinend senkt ins öde Reich der Nacht
Der Genius der Liebe sich hernieder.
Ach, alle seine Blumen sind verblüht;
Der Hoffnung Bild entflieht in dunkle Fernen;
Todt ist der Strahl, der sonst in ihm geglüht,
Und sehnend schaut er auf zu bessern Sternen.
Dort wird die Gluth der heißen Brust gedämpft,
Kein Blick wird dort mehr Sehnsuchtsthränen weinen,
Verbunden ruht, was feindlich hier gekämpft,
Und Liebe wird mit Freundschaft sich vereinen.
Zu einem Punkt steigt jeder Wunsch empor,
In einem Punkt verwebt sich alles Sehnen;
Zerrissen ist der Sinne trüber Flor,
Und frei gesellt das Schöne sich dem Schönen.
Ach, durch der Erde dunkles Schattenthal
Ist Freundschaft wohl ein traulicher Begleiter:
Doch kaum erwacht der schönern Sonne Strahl
Schwebt sie verklärt als Liebe mit uns weiter.
[179]
Triumph! die Erdennebel sind verbannt,
Mit Rosen kränzt sich schon die goldne Schwelle
Die Kette reißt, die trennend uns umwand,
Und jedes Leid entflieht auf Lethes Welle!
Tod ist des Lebens schönster Augenblick,
Und aus der Nacht wird heit'res Licht geboren;
Raubt dir auch oft dein Liebstes das Geschick,
Nicht ewig bleibt, was ewig ist, verloren.

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Abschied. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0646-E