Unnützer Streit.

Fritz erzählte seiner jüngern Schwester Marie, daß die Erde ein Planet sei, und, wie der Mond, ihr Licht von der Sonne empfange, so waren auch die Sterne, die in weiter Ferne so herrlich leuchten, Sonnen. Marie behauptete dagegen, das sei nicht wahr; die alte Kinderfrau habe ihr gesagt: Sonne, Mond und Sterne wären Lichter, welche Gott am Himmelsraum gehängt habe, um den Menschen Licht zu verschaffen. Beide stritten lange und heftig bis der Vater dazu kam und dem Streite ein Ende machte. Die Kinder erzählten worüber sie in Zank gerathen, und der Vater fragte nun Marie: wer von beiden wohl so etwas besser wissen[210] könne; der Herr Professor, Fritzens Lehrer, oder die alte Kinderfrau? Nach einigem Nachsinnen mußte sie gestehen, daß allerdings der Professor besser über dergleichen Dinge urtheilen könne, als die Kinderfrau. Seht, sprach der Vater, wenn euch künftig eine Sache von verschiedenen Personen, auch verschieden vorgetragen wird, so, daß ihr nicht wisset, welche die rechte Meinung hat, so müßt ihr prüfen und überlegen, welche dieser Personen diese Sache am besten wissen und verstehen kann. Hier bleibt kein Zweifel, daß ein Mann, der, wie der Professor, fast seine ganze Lebenszeit mit der Untersuchung und Erkenntniß der wichtigsten Dinge, wie die der Himmelskörper und der Erde, beschäftiget war, einen richtigern Aufschluß darüber geben kann, als die Kinderfrau, welche sich nur mit der Pflege und Wartung der ihr anvertrauten Kleinen beschäftigte. Dagegen aber wird der Professor ihr zugestehen, daß sie die Kinder besser zu baden, anzukleiden und zu warten versteht, als er. Seid ihr also über so etwas in Zweifel, so fragt eure Eltern darum, ohne erst darüber zu streiten. – Nach einigen Tagen erzählte Fritz Marien, die ihn wieder etwas fragte, daß die Erde rund, oder vielmehr zugedrücktrund, wie eine Pomeranze, geformt sei. Die Kinderfrau, welche zugegen war, ärgerte [211] sich über diese Behauptung, und sagte, das wäre unmöglich, denn sonst müßten die Leute, welche nach seiner Meinung unsre Gegenfüßler wären, herab in die Tiefe stürzen. Fritz gab sich alle Mühe sie zu belehren, es half aber nichts. Da rieth ihm der Vater auf ihr Einreden nicht zu achten, und sich die Mühe, sie belehren zu wollen, zu ersparen, weil es bei ihr viel zu spät und also vergeblich wäre, sie von ihren Vorurtheilen zurück zu bringen; denn was Hänschen nicht gelernt, sagt das bekannte Sprichwort, lernt Hans nimmer.

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TextGrid Repository (2012). Stahl, Karoline. Märchen. Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Unnützer Streit. Unnützer Streit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-160F-F