159.

Gewisse Zeichen weisen hin auf ein gleichzeitiges oder künftiges Ereignis. Der Mensch weiß diese Zeichen nicht immer zu deuten, aber er wird unruhig, er hat das Gefühl, daß für ihn oder andere in den Anzeichen etwas angekündigt ist. In anderen Fällen werden die Anzeichen nicht beachtet, aber bedeutsam, wenn die Erfüllung eingetreten ist. Es handelt sich hier um Vorspuk, der in das Gebiet der Ahnungen fällt.

a.

Ein Jüngling aus Zwischenahn ging in die Fremde. Als er eine Zeit lang draußen gewesen war, empfand er eine große Sehnsucht nach seiner Heimat, machte sich auf und reiste ab. Unterwegs kehrte er bei einem Freunde zum Mittagsessen [155] ein. Da er nun seinen Platz nahe am Fenster hatte, sah er hinaus und erblickte eine weiße Gestalt, die ihm winkte. Sogleich kam ihm ein Schaudern an; er nahm Abschied und eilte weiter. Als er zu Hause angelangt, wurde er gleich mit der Nachricht empfangen, daß seine Mutter sehr krank sei. Er trat in das Zimmer, und nachdem er seine Mutter gesehen, starb dieselbe sogleich.

b.

Ein Mann ging zu Hooksiel an dem Hause eines Schiffers vorbei, der zur See abwesend war, aber seine Frau zurückgelassen hatte. Vor ihm her ging ein Mann in Schiffertracht, trat an das Haus, guckte über die Gardinen und ging dann wieder fort. Jetzt konnte der erstere im Mondenschein deutlich erkennen, daß es der abwesende Schiffer, der Eigentümer des Hauses, war. Kurze Zeit darauf kam Nachricht, daß der Schiffer in eben dieser Nacht verunglückt sei.

c.

Ein Schulknabe, welcher zu Oldenburg hinter dem Kirchhofe wohnte, mußte einst in die Stadt zum Doktor, da seine Mutter plötzlich krank geworden war. Wie er am Kirchhofe vorbei kam, sah er auf dem Grabe seines schon früher verstorbenen Vaters, das nahe an der Mauer war, die Gestalt seiner Mutter im Totenanzuge. Voll Angst lief der Knabe nach Hause zurück und fand seine Mutter – tot.

d.

Der alte Kirchenrat N. schlief einst als Student mit mehreren Gefährten in einem Zimmer. In der Nacht wachte er auf und sah eine weiß gekleidete Dame, mit Blumen in den Haaren, in das Zimmer treten. Die Dame machte die Runde bei den Schläfern und schaute jedem ins Gesicht; bei einem aber verweilte sie, schaute ihn lange an und entfernte sich dann stumm wie sie gekommen war. Am folgenden Morgen bekam derjenige, vor dessen Bette die Erscheinung so lange verweilt hatte, einen Brief, daß seine Mutter gestorben sei. (Ganz ähnliche Geschichten werden in gebildeten Kreisen vielfach erzählt).

e.

Eine Schifferfrau in Hooksiel erzählt: Mein Mann war mit seinem Schiffe abwesend, und da wir lange keine Nachricht von ihm bekommen hatten, wurden wir schon ängstlich. Eines Abends lag ich mit meinem Kinde in der Stube im Bette, als die Tür aufging und jemand hereintrat. Der Mond schien hell, und so konnte ich deutlich meinen Mann erkennen. Er hatte eine schwarze Hose und eine blaue Jacke an und ein schwarzseidenes Tuch mit einer doppelten Schleife um den [156] Hals. Er sagte nichts, sondern zog seine Jacke aus, schlug, wie er zu tun pflegte, die weiten weißen Hemdärmel auf und strich sich das Haar weg. Jetzt setzte er den Hut auf den Tisch und kam zum Bette. Ich schrie laut auf und die Erscheinung verschwand. Wie mein Mann später von der Reise heimkam, erfuhr ich, daß in jener Nacht er sein Schiff verloren und nur mit Mühe sein Leben gerettet hatte.

f.

Ein Steuermann warnte seinen Schiffsjungen, der in den Mast wollte, er möge nicht hineingehen; es komme nichts Gutes daraus. Der Steuermann galt aber auf dem Schiffe für einen wunderlichen Menschen, der allerlei Grappen im Kopfe habe; daher achtete der Junge seiner Warnung nicht und kletterte doch hinauf. Aber es dauerte nicht lange, so kam ein heftiger Windstoß, ein Segel schleuderte den Jungen in die See, und keine Anstrengungen waren vermögend, ihn zu retten. Als man später den Steuermann fragte, wie er das habe voraussehen können, antwortete er: »Ich sah eine weiße Frau auf dem Deck, und immer, wenn ich die sehe, muß einer von der Mannschaft, der eine Mutter hat, sterben.«

g.

Eine Frau in Lohe (Gem. Bakum) wacht nachts erschreckt auf und glaubt, jemand habe sie scharf an der Schulter gefaßt. Später erhielt sie die Nachricht, ihr Mann, ein Schiffer, sei auf der See verunglückt. Das Unglück hatte sich in derselben Nacht und zur selben Stunde zugetragen, als sie so unsanft aus dem Schlafe gerüttelt worden war.

h.

Ein junger kräftiger Mann erzählt: Mich überfiel plötzlich ein Angstgefühl und eine Atemnot, daß ich glaubte, sterben zu müssen. Ich ließ den Doktor holen, und als der kam, war der Anfall schon überstanden. Eine Untersuchung stellte nichts fest. Am andern Morgen erhalte ich ein Telegramm, ich möchte sofort nach Hause kommen. Dort angekommen fand ich meinen Bruder als Leiche vor. Vom Schlage getroffen war er zur selben Zeit gestorben, als bei mir die Angstgefühle oder Herzbeklemmungen aufgetreten waren (Löningen).

i.

Auf dem alten Schlosse Hopen bei Lohne befand sich bislang ein Ahnensaal mit den Bildern früherer Besitzer oder deren Abkömmlinge, darunter das Bildnis einer Nonne in der Tracht der Cisterzienserinnen. Eines Abends erhält der Bewohner des Schlosses Besuch von einem Amtmann von Schüttorf. [157] Dieser bleibt die Nacht über im Schlosse. Mitten in der Nacht öffnet sich plötzlich die Türe seines Schlafzimmers, eine Nonne in weißem Habit tritt herein, kommt an das Bett des Fremden, beugt sich über ihn und ist gleich darauf verschwunden. Am andern Morgen führt der Schloßbewohner seinen Gast durch das Haus und zeigt ihm auch den Ahnensaal. Als der Amtmann das Bild der Nonne erblickt, erstaunt er, tritt einen Schritt zurück und sagt: Diese ist mir in der Nacht erschienen. Ob etwas darauf erfolgt ist, hört man nicht. Nieberding bemerkt am Schlusse seiner Beschreibung des Gutes Hopen (Gesch. des Niederstifts Münster II, 464): »Es war früher die Sage auf diesem Gute von einer weißen Frau, deren Erscheinen in den Gängen des Hauses den baldigen Tod eines Gliedes der Familie ankündigte.«

k.

Vor 20 Jahren stand ich als Lehrer in A. Eines Nachts hatte ich einen Traum; danach befand ich mich in der Schule und unterrichtete. Plötzlich wird an die Türe geklopft und auf das Herein erscheint ein stattlicher Herr im tadellosen Reiseanzuge, stellt sich als Landsmann vor und fängt an, von der Heimat allerlei interessantes zu erzählen. Mitten in seinen Schilderungen wache ich auf und bin überrascht, daß alles nur ein Traum gewesen ist. Einige Stunden später stehe ich in der Schule inmitten der Kinder. Auf einmal machen mich diese darauf aufmerksam, daß geklopft sei, ich gehe hinaus und stehe einem mir unbekannten Herrn aber demselben gegenüber, mit dem ich mich im Traume lebhaft unterhalten hatte. Mein Erstaunen wuchs, als derselbe mir die Hand zum Gruße bot und mich Nachbar nannte. Ich erfuhr dann, daß er aus meinem Heimatsdorf stammte, kurz nach 1870, als ich erst einige Jahre zählte, bereits die Heimat verlassen und in Metz eine einträgliche Stellung beim Hauptzollamte gefunden habe. Da er in all den Jahren die Heimat nicht gesehen, habe ihn eine unwiederstehliche Macht dahin gezogen, und so sei er denn jetzt dahin aufgebrochen und habe bei dieser Gelegenheit von mir und meiner Anstellung in A. erfahren. Da sein Rückweg ihn über A. führte, habe er mir seinen Besuch abstatten wollen. – Wie kam ich nun zu dem Traum? Ich wußte kaum etwas von der Existenz meines Besuchers, der schon, als ich noch Kind war, unser Dorf verlassen hatte. Seine Reise in die Heimat war mir vollständig unbekannt geblieben. Ich weiß auch nicht, daß ich vor meinem Traum an ähnliches gedacht hatte. Freilich [158] war ich zu der Zeit sehr nervös, was die Sache einigermaßen erklärlich machen dürfte. (1907 berichtet).

l.

»Da muß ich Ihnen doch mal etwas merkwürdiges erzählen, was mir passiert ist. Es war am 28. Okt. 1906. Ich hantierte morgens in der Küche, als ich unsern abgeschlossenen Korridor mit einem ganz fremdartigen rötlichen Lichte erleuchtet sah. Wir haben im Hause nur das bleiche elektrische Licht. Ich sah dann im Korridor einen Mann in unsere Schlafstube gehen; sein Gesicht konnte ich nicht erkennen. Ich dachte an meinen Mann, der noch nicht aufgestanden war. Damit war das Licht auch alsbald verschwunden. Ich ging in die Schlafstube zu meinem Mann und fragte: ›Bist du eben auf dem Korridor gewesen?‹ Er verneinte es. ›Hast du gemerkt, daß jemand vom Korridor in unsere Schlafstube gekommen ist?‹ Auch das verneinte er. Ich ging mit eigenartigen Gedanken zurück und sah nach der Uhr; es war etwa 7 Uhr morgens. – Bald nachher erhielten wir die Nachricht von dem Tode meines Schwiegervaters. Er hatte am 28. Okt. morgens die Besinnung verloren, und am selben Tage abends war er gestorben.«

So erzählte mir Frau B. aus Berlin, eine kerngesunde, lebhafte Person, deren Mann aus dem südlichen Oldenburg stammt. »Sie haben derartiges wohl schon mehr erlebt?« fragte ich sie. »Noch niemals.« »Dann haben sie sich in den Tagen vorher in Gedanken wohl viel mit Ihrem Schwiegervater beschäftigt?« »Nein, gar nicht; mein Schwiegervater hielt ein großes Stück auf mich, ober in jener Zeit war mein ganzes Denken und Trachten lebhaft von ganz anderen Dingen in Anspruch genommen« (Essen).


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 159. [Gewisse Zeichen weisen hin auf ein gleichzeitiges oder künftiges]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-231A-A