[422] 615. Krähwinkeleien.

a.

Vor langen Jahren kam einmal eine Anzahl Fremder, die sich eine neue Heimat suchen wollten, zu Wagen in das Ammerland. Lange irrten sie auf schlechten Wegen in der waldigen Gegend umher, und es begann dunkel zu werden, ohne daß sie an ein Dorf gelangten. Zum Unglück verloren sie auch noch eine Lünse von einem Wagenrad und konnten sie durchaus nicht wiederfinden. Endlich sprang einer hinzu, steckte den Finger in das Lünsenloch und hieß den Fuhrmann weiterfahren. Eine kurze Strecke waren sie so glücklich weitergekommen, da fragte einer den anderen: »Wo wy nu doch woll sünd?« In demselben Augenblicke fiel der Wagen auf die Seite, wo der Mann den Finger im Lünsenloche hatte, und der Mann schrie: »Ochholt! och holt!« Die andern aber meinten, das sei eine Antwort auf die Frage, sprachen: »Och so, Ocholt heet dat hier«, und nannten die Stelle Ocholt. Eine Weile ging es nun wieder gut, aber endlich ward es dem Radhalter zuviel; er zog den Finger zurück und das Rad lief ab. Da mußte denn Halt gemacht werden. Wieder fragte einer: »Wo mögt wy nu woll wäsen?« »H' wiek, h' wiek« ertönte es in der Nähe, und die Wanderer freuten sich zu wissen, daß sie nun in Hauwiek seien. Auch fragte einer: »Wo lat 't woll is?« und aus dem Busche kam die Antwort: »Olfn, olfn.« Es war aber in dem Busche eine Sau mit ihren Ferkeln, die hatten den Fragern die Antwort gegeben. Am andern Morgen beschloß die Gesellschaft, in Hauwiek ihren Wohnsitz zu nehmen, und führte den Entschluß auch aus. –


Vgl. 190d, 204h, 508.

b.

Als die Hauwieker ihr erstes Haus bauten, konnten sie einen Balken durchaus nicht durch die Haustür bringen, [423] denn sie wollten immer quer damit hinein. Als sie sich lange vergeblich abgemüht hatten, sahen sie, wie ein Sperling einen Strohhalm der Länge nach, das eine Ende voran, in sein Nest brachte. Nun wußten sie, wie sie es anzufangen hatten.

c.

Die Hauwieker wollten einmal Holz sägen, aber da hatten sie den Block, welchen sie zersägen wollten, auf der einen Seite des Hauses und die Sägekuhle auf der anderen, und sie wußten lange keinen Rat, wie sie den Block auf die Kuhle bringen sollten. Daher wurden alle aus dem ganzen Dorfe zusammenberufen und überlegten miteinander, was anzufangen sei, bis endlich ein Zimmergesell, welcher Hock hieß und der klügste war, den Vorschlag machte, sie wollten den Block über das Haus ziehen, so gehe es leicht, denn hernach falle er von selbst auf die Sägekuhle. Alle waren einverstanden. Es wurden Stricke um den Block gebunden, und alle stiegen aufs Dach und zogen ihn hinauf. Aber als sie ihn herunterkollern ließen, fiel er über die Kuhle weg. Sie zogen ihn nochmals auf das Haus, aber es glückte wieder nicht. Sie fingen nun wieder an zu überlegen, und auch diesmal mußte Hock aushelfen; der sprach, sie sollten ihn an den Block festbinden, dann wolle er mit hinuntergleiten und ihn so steuern, daß er recht zu liegen komme. »Das ist doch vernünftig,« riefen die Hauwieker und banden ihn mit dem Rücken fest an den Block. Dann ließen sie los, und nun gings hinunter und grade auf die Kuhle zu. Da lachten die Hauwieker und sagten: »Junge, Junge, dat seeg mal ut, bold was Hock baben, un bold was Block baben!« und noch jetzt heißt es im Ammerlande und weiter sprichwörtlich: »Bold is Hock baben, bold is Block baben.« Hock hatte aber bei der Sache seinen Kopf eingebüßt. Sie machten nun die Stricke los, damit er aufstehen könne. »De is nu god ton Sackdräger«, meinten sie, denn ihm stehe der Kopf nicht im Wege. Als Hock aber ruhig liegen blieb, wunderten sie sich: »He mot doch upstahn könen, denn he is 'r anners gans god bi wegkamen, man blot de Knoop is 'r affgahn«. Aber er sei doch ein starker Mann, daß er ganz allein so geschwind mit dem schweren Block habe herunter laufen können. (Ähnlich im Münsterlande, wo die Geschichte nach Wilsen oder Wilzen verlegt wird. Der Zimmergesell heißt dort Schott.) – Die Wilsener wollten einst einen neuen Stein in ihre Wassermühle bringen. Den Stein hatten sie nahe bei der Mühle, aber da die Mühle sehr niedrig lag, [424] wußten sie nicht, wie sie es machen sollten, daß der Stein, wenn sie ihn hinunterlaufen ließen, nicht an der Tür vorbeilaufe. Endlich kamen sie auf den Gedanken, der stärkste unter ihnen müsse seinen Kopf durch das Loch stecken, dann könne er den Stein leiten. »Well is de stärkste?« riefen sie. Da trat einer vor und sagte: »Dat bün ick«. Der steckte seinen Kopf durch, verlangte aber, sie sollten etwas gegenstecken, damit ihm der Kopf nicht wieder herauskomme. Das taten sie, und als sie nun glaubten, das alles fertig sei, fingen sie an, den Stein zum Rollen zu bringen, und es ging von der Höhe herab an der Mühle vorbei ins Wasser. Als sie nun nichts mehr sahen, meinten sie, der Mann sei mit dem Steine weggelaufen und habe ihn gestohlen. So gingen sie alle aus, ihn zu suchen, aber sie konnten ihn nicht finden. Da ließen sie überall bekannt machen, wenn jemand einen Mann mit einem Mühlensteine um den Hals laufen sehe, möge er ihn anhalten, denn derselbe habe den Stein gestohlen. (Visbek.) – Die Wilsener haben lange geglaubt, sie müßten jeden Morgen die Sonne holen, sonst komme sie nicht. Sie sind deshalb alle Tage in der Frühe mit Heugabeln, Stöcken und Spaten nach Osten hinaufgegangen und haben allerlei Geschrei verübt. Erschien dann die Sonne am Himmel, so sind sie froh des errungenen Sieges nach Hause zurückgekehrt. Einst haben sie ein Fest gefeiert, dabei tüchtig bis in die Nacht hinein getrunken und darüber den Aufgang der Sonne verschlafen. Als sie schließlich aufgewacht sind und die Sonne hoch am Himmel stehen gesehen haben, haben sie geglaubt, die Sonne werde schließlich Angst vor ihnen bekommen haben und haben seitdem das Holen unterlassen. (Langförden.) – Die Wilsener haben einst ein Haus gebaut. Als es fertig gewesen, hat es im Innern an Licht gefehlt, weil man Fenster anzubringen vergessen hatte. Nach langer Beratung ist einer auf den Einfall gekommen, man solle einen Sack nehmen, die Sonnenstrahlen darin auffangen und diese dann im neuen Hause ausschütten. Der Rat fand Beifall. Man holte einen Sack herbei, ließ die Sonne hineinscheinen und brachte ihn ins Haus, aber die Finsternis wollte nicht weichen. Das Haus blieb fortan unbewohnt. Da kommt eines Tages ein Gewitter mit Sturm. Der Wind drückt eine Wand im neuen Hause ein und auf einmal ist es in dessen Innern hell und freundlich. Nun waren die Wilsener froh, daß sie eine helle Wohnung hatten. (Langförden.)

[425] d.

Einst wünschten die Hauwieker eine Wassermühle zu bauen, konnten aber in Oldenburg keine Erlaubnis dazu bekommen. Da sprach Hauwieker Jan, der in allen Bedrängnissen Rat wußte und darum in hohem Ansehen stand: »Laßt uns zusammen nach Oldenburg reisen und den Herren sagen, wir wollten die Wassermühle auf den höchsten Bült (Hügel) bei Hauwiek setzen.« Der Rat gefiel, und die Hauwieker zogen zusammen nach Oldenburg zu den Herren, und Jan trug ihre Bitte vor. Die Herren lachten und gaben die Erlaubnis, auf dem höchsten Bült bei Hauwiek eine Wassermühle anzulegen; aber, das machten sie zur Bedingung, es sollte nur eine Gangspille angebracht werden, und wenn die verschlissen sei, solle die Freiheit aufhören. Mit dem Bescheide gingen die Hauwieker heim. In der Nähe von Hauwiek fießt die Ollenbäke. Das anliegende Wiesenland ist sehr niedrig und pflegt im Winter unter Wasser zu stehen. In dieser Niederung, unmittelbar an der Bäke, befindet sich ein Hügel, welcher den höchsten Punkt bei Hauwiek bildet. Dorthin bauten die Hauwieker ihre Wassermühle, und wenn auch nicht im Sommer, so konnten sie doch den größten Teil des Winters hindurch mahlen. Weil aber die Hauwieker nur eine Gangspille abnutzen durften, ließen sie dieselbe aus Metall anfertigen. Und der größeren Vorsicht halber ließen sie sich gleich zwei machen, in der Absicht, wenn die eine verschlissen, die andere unbemerkt an deren Stelle zu bringen. Bis dahin mußte natürlich die zweite Spille sorgfältig verborgen gehalten werden. Darum schlichen die Hauwieker auf Jans Rat mit dieser zweiten Spille bei Nacht nach Zwischenahn, luden sie in einen Backtrog, und fuhren damit aufs Meer. Ungefähr in der Mitte ließen sie die Spille leise ins Wasser gleiten, und damit sie die Stelle auch wieder finden könnten, schnitt Jan in den Trog dort, wo die Spille hinabgelassen war, eine Kerbe. – Den Oldenburger Herren kam es zu Ohren, daß die Hauwieker ihre Wassermühle wirklich auf dem höchsten Bült angelegt hätten. Da machten sie sich auf den Weg, um das Wunderwerk zu besichtigen. Als die Hauwieker das erfuhren, wollten sie den Herren durch Geläute eine Ehre antun, und weil sie keine Glocken hatten, nahmen sie einen Bienenkorb, hingen einen Fuchsschwanz hinein und läuteten damit. Noch heutigen Tages (1863) steht die alte kleine Wassermühle unverändert da und benutzt ihre erste unverschlissene metallene Gangspille.[426] Eine alte tausendjährige Eiche, an welcher man noch den Zweig zeigte, der die Hauwieker Bienenkorbglocke getragen, ist leider im Herbste 1861 vom Sturme umgeweht.

e.

Einmal machten die Hauwieker einen Brunnen. Als derselbe fertig war, lag ihnen der große herausgebrachte Haufen Erde im Wege. Einer schlug vor, ein großes Loch zu graben und die Erde hinein zu werfen. Sie taten es, aber als sie damit fertig waren, lag nur noch mehr Erde da. Da sagte Jan, sie hätten das Loch zu klein gemacht, es hätte noch einmal so groß sein müssen. – Jetzt wollten sie die Tiefe des Brunnens messen. Es wurde eine Stange quer über den Brunnen gelegt, und ein handfester Kerl hängte sich mit beiden Händen daran. An dessen Füße hängte sich ein zweiter und so fort, bis man die Oberfläche des Wassers erreichte. Aber dem obersten wollten die Hände nicht mehr an der Stange haften. Er rief daher: »Jungens, holt jo fast, ick will man äben in de Hanne speen.« Plumps lagen alle im Brunnen. – Später hatten sie was (einen Schlüssel?) in den Brunnen fallen lassen. Darum banden sie einem ein langes Tau um den Hals und ließen ihn in den Brunnen hinab, damit er das Verlorene auffische. Aber als sie ihn nach kurzer Weile wieder heraufzogen, war er tot, und die Zunge hing ihm aus dem Halse. Als die Hauwieker das sahen, riefen sie erfreut: »he hett 'n oder he wett 'n«. – Einmal hielten die Wilsener Rat, wie sie das Moos vom Turmhelm wegbringen könnten. Sie kamen zu dem Entschluß, einen Ochsen hinaufzuziehen, der das Moos fressen sollte. Gesagt, getan. Ein Ochs wurde herbeigeschafft, man legte ihm ein Tau um den Hals und zog ihn hinauf. Als Öchslein oben beim Moos angelangt war, hing ihm die Zunge aus dem Halse und die Untenstehenden riefen: »Süh, he frett all.« (Löningen.)

f.

Zwischen Hauwiek und Westerstede war früher alles Wald und Sumpf, und es kam selten ein Hauwieker nach Westerstede. Nun war Jan, den alle seiner Klugheit wegen bewunderten, schon zweimal in der Kirche gewesen, und die Hauwieker meinten, daß Jan daher alle seine Weisheit habe. Darum wollten sie auch einmal zur Kirche, und damit sie den Rückweg fänden, banden sie einen Bindfaden in Hauwiek an einen Baum, und als sie in Westerstede angekommen waren, befestigten sie das andere Ende an den Turm. Es spielte ihnen aber jemand den Streich, daß er den Faden über den [427] Ringelmannsdamm und über einen Kolk in die Bäke leitete. Als daher die Hauwieker sich abends an dem Faden nach Hause fühlen wollten, plumps! lagen sie mit einem Male im Wasser. – Die Wilsener wollten am Weihnachtsmorgen zur Kirche, und da der Gottesdienst so früh gehalten wurde, daß es noch dunkel war, und sie fürchteten, im Finstern die Kirche nicht finden zu können, so verabredeten sie sich am Abend vorher, sie wollten Stricke nehmen und an die Kirchtür binden und die ganze Straße entlang führen, an diese sollte ein jeder seinen besonderen Strick von seinem Hause aus anknüpfen, daran könnten sie sich dann anfassen und jeder sich am Stricke hinfühlen, so kämen sie doch gewiß zur Kirche. Als sie das ausgefunden, waren sie voller Freude über ihre Klugheit und gingen samt und sonders ins Wirtshaus und tranken. Nun war im Wirtshause ein Fremder, dem erzählten sie, wie sie es so klug angefangen hätten, und auch er könne, wenn er wolle, am andern Morgen an den Stricken sich leicht nach der Kirche hinfühlen. Der Fremde aber war ein Schalk, und als die Wilsener wieder zu Hause waren, ging er hin, band den Strick von der Kirchtür los und an einen Baum hinter einem Wasserpfuhl. Am andern Morgen nun gingen die Wilsener an den Stricken hin, und wie sie meinten, sie kämen an die Kirchtür, liefen sie alle ins Wasser. (Visbek.)

g.

Die Hauwieker besaßen einen alten Schinkenknochen. Da sie nun sonst nicht viel hatten, um ihre Speisen fett zu machen, so sagten sie einander Bescheid, wenn Besuch zu erwarten war, und wenn sie beisammen waren, holten sie den Schinkenknochen und hängten ihn in den Topf mit Essen. Dieser Knochen hieß der Hauwieker Inhanger.

h.

Einst hatten die Hauwieker einen Sperling gefangen, und da er recht fett schien, beschlossen sie, ihn in einer Bauerversammlung zu verzehren. Damit aber jeder seinen Teil bekomme, sollte er in einem großen Kessel gekocht werden, darin sollte dann jeder Bauerschaftsgenosse reiheum ein Stück Brot tunken und so seinen Anteil am Fette bekommen. Der Kessel wurde auf das Feuer gesetzt, mit Wasser gefüllt und der Sperling hineingetan. Als das Wasser seine Zeit gekocht hatte, setzten sich die Hauwieker um den brodelnden Kessel, tunkten ihr Brot ein und aßen, freuten sich der wohlfeilen und schmackhaften Speise und wunderten sich, daß ein so kleines Tier doch so viel Fett haben könne. Wie sie so in vollster Tätigkeit[428] schafften, hörten sie über sich vom Feuerrahmen her etwas ziepen, und als sie recht zusahen, saß dort der Sperling, der sich gleich anfangs aus dem Bade gerettet hatte, und plusterte sich.

i.

Unter den dummen Bauern in Hauwiek und Ochholt war nur ein kluger Köter. Einst saßen die Bauern um eine Grube und ließen ihre Beine mit den kurzen Hosen und blauen Strümpfen hineinbaumeln. Sie waren in lebhafter Unterhaltung, als plötzlich Streit entstand über ihre Beine, denn da diese alle überein aussahen, wußte keiner die seinigen herauszufinden. Zum Glück kam gerade der kluge Köter vorbei und konnte um Rat gefragt werden. Der nahm einen Stock und schlug dazwischen, alle sprangen auf, und jeder hatte seine Beine wieder.

k.

Einst lebte zu Hauwiek ein Mann, der war weit klüger als die übrigen Hauwieker, aber das Glück war ihm nicht gewogen gewesen, und zuletzt mußte er es erleben, daß ihm seine beiden Kühe abstarben. Da nahm er die beiden Häute, um sie nach Westerstede zu tragen und zu verkaufen. Unterwegs mußte er einmal seine Tracht ablegen, um abseits zu gehen. Als er zurückkam, hatten, von dem Geruche gelockt, die Raben sich an seine Häute gemacht, und einer hatte sich mit den Füßen in den Haaren verwickelt, sodaß er nicht wegfliegen konnte. Da dachte er: »Wat plagst du di mit de Hü', vellicht bringt di de Rawe mehr in,« ließ die Häute den übrigen Raben zur Beute und nahm den gefangenen mit nach Westerstede. Als er da ankam, war es noch früh am Tage, und er kletterte in einen Baum vor des Pastoren Hause, um dort abzuwarten, bis die Leute auskämen. Der Baum stand aber gerade vor dem Kammerfenster, und es dauerte nicht lange, da stand der Pastor auf, und der Mann bekam etwas zu sehen, was gar nicht für seine Augen berechnet war. Als der Pastor aus der Kammer fortgegangen war, stieg der Mann von seinem Baume herunter, trat in die Pastorei und sagte zu dem Pastoren: »Go'n Dach, Herr Pastoor! ick heww hier 'n Rawen, de kann wahrseggen, den wull ick em doch ins wisen.« »Da 's jo 'n Wunner«, antwortete der Pastor, »denn lat 'n is wahrseggen.« »Ja, Herr Pastoor!« sagte der Mann, nahm den Raben auf die Hand und kniff ihn, und der Rabe machte »koax!« »Wat hett he denn nu seggt?« fragte der Pastor. »Ick mag 't nich seggen, Herr Pastoor.« »Och wat, he mot [429] et seggen.« »Na denn man to! He hett seggt: Vermorgen Klock seß het de Pastor sin Fro küßt.« »Dumm Tüch, so wat kann dat Ding doch nich seggt hebben.« »Ick mag 't verkährt verstahn hebben, will 'n noch is wedder fragen.« Er kniff den Raben nochmals, und dieser machte »koax, koax!« »Na wat seggt he nu?« »He seggt: Nahär hett he 't noch tweemal wedder dahn.« Da gab der Pastor dem Mann ein gutes Trinkgeld und ließ ihn laufen. Als der Mann nach Hause kam und mit dem Gelde klingelte, fragten ihn die Nachbarn, woher er das habe. Da sagte er, das habe er in Westerstede für seine Kuhhäute bekommen. Als die Hauwieker das hörten, gingen sie nach Hause, schlachteten alle ihre Kühe und trugen die Häute nach Westerstede. Aber dort wurden sie ausgelacht, als sie soviel Geld forderten, und mußten mit einem Spottpreise nach Hause zurückkehren. Da merkten sie, daß sie betrogen waren. Das wollten sie aber an dem Lügner rächen und beschlossen, ihn im Zwischenahner Meere zu ersäufen. Sie brachten einen hölzernen Käfig, sperrten den Mann hinein und machten ihn so an das Zwischenahner Meer. Dort ward es ihnen doch wunderlich, daß sie einen Menschen so mit kaltem Blute ins Wasser werfen wollten, darum beschlossen sie, erst eins zu trinken, setzten den Käfig aufs Ufer nieder und gingen in den nächsten Krug. Dem Manne war gar nicht wohl zumute in seinem Kasten, aber er wußte sich nicht zu helfen und ergab sich in sein Schicksal. Da kam ein Viehhändler des Weges und trieb eine schöne Herde Ochsen vor sich her. Als der Mann das sah, fing er an, für sich zu sprechen: »Nä, ick kann't nich dohn, un ick doh't ok nich«, und wiederholte dies so lange, bis der Ochsentreiber ihn hörte und herzuging. »Wo kummst du in den Kasten,« fragte er, »un wat hest du dar ümmer de Wörde to seggen?« »Och«, erwiderte der Mann, »ick schall Papst van Rom wären, un heww nich schriwen und läsen lährt, dat doh 'k nich, un dat kann 'k nich dohn, un darum hebbt se mi hier inspeert.« »Wenn 't anners nicks is«, sagte der Ochsentreiber, »dat kann ick god; lat us tusken, driw du de Ossen hen un lat mi der wedder in.« Der Mann war zufrieden und zog mit seinen Ochsen auf einem Umwege nach Hause, der Ochsentreiber aber kroch in den Kasten. Gleich darauf kamen auch die Hauwieker wieder, und da sie nun Mut genug getrunken hatten, merkten sie nichts davon, daß ein Fremder im Kasten war, und warfen ihn ins Wasser. Dann [430] tra ten sie den Rückweg an. Nicht lange waren sie ihn ihrem Dorfe im Kruge, da erschien der Bauer mit seinem Raben auf der Hand und trieb eine schöne Herde Ochsen vor sich her. Als er vor den Krug kam, machte er Halt, um zu trinken. Da wunderten sich die Hauwieker sehr und fragten, wo er mit den schönen Ochsen herkomme. Er antwortete, er habe sie von dem Grunde des Meeres geholt, da gingen sie zu Tausenden; es sei nur schade, daß sie ihn nicht weiter hineingeworfen hätten, denn da hätte er noch viel mehr und viel schönere bekommen können. Da verlangten sie von ihm, er solle seine Ochsen an die Stelle des Ufers, wo er mit ihnen herausgekommen, zurücktreiben, damit dieselben für die im See befindlichen zur Lockung dienten. Er sagte es zu und zog am andern Morgen mit seinen Ochsen und den Hauwiekern an das Zwischenahner Meer, und die Ochsen trieb er so nahe an das Meer, daß ihr Bild sich in dem klaren Wasser widerspiegelte. Da hieß es: »Dar sünd se all, se willt man nich herut!« und die Hauwieker sprangen schleunigst ins Wasser, um sie auf das Land zu treiben. Da sind sie denn auch geblieben. (In einer Erzählung heißt es: Als sie den Kasten mit dem Manne am Zwischenahner Meere hatten, hörten sie die Glocken zur Kirche läuten, und da sie fromme Christen waren, dachten sie, es sei Zeit, in die Kirche zu gehen. Als sie aus der Kirche zurückkommen, hat der Tausch stattgefunden. Das ganze Märchen s. Grimm Nr. 61.)

l.

Ein Bauer in Hauwiek, der übermäßig dick war, wurde von der Kolik befallen und suchte Hilfe bei einem Arzte in Oldenburg. Der sagte: »Du hast ein Füllen im Leibe, aber ich will es schon wegkriegen«, und gab ihm allerlei Tränke, die solle er nur fleißig einnehmen. Der Bauer tat, wie ihm geheißen, aber das Füllen wollte lange Zeit nicht abgehen. Da eines morgens, als er draußen auf dem Felde war, um seinen Roggen zu besehen, fühlte er, daß es Zeit sei, auf die Seite zu gehen. Er tat dies und machte sein Geschäft ab, wobei es nicht ohne Lärm abging. Darob erschreckt sprang ein Hase in der Nähe auf und lief über das Feld. Der Bauer dachte: »Das ist das Füllen, das in meinem Leibe war,« lief hinterher und rief: »Hieß, Hieß!« Aber er konnte es nicht einholen, und auf sein Rufen lief es nur noch schneller. Da wunderte er sich, daß so ein neugeborenes Füllen schon so laufen könne, besonders da es doch nur so klein sei.

[431] m.

Einst fand ein Hauwieker im Felde ein Ding, das er nicht kannte. Es war bunt, fast wie ein Ei gestaltet und größer als ein Menschenkopf. Er nahm das Ding mit sich in den Krug, wo die Hausväter des Dorfes versammelt waren, aber keiner kannte es. Da sprach einer, man solle Jan holen lassen, der müsse das Ding kennen, denn er sei schon zweimal zur Kirche gewesen und auch schon zur Stadt. Jan kam und gab sein Gutachten dahin ab, es sei ein Pferde-Ei. »Is 't 'n Pär-Ei,« riefen alle, »denn wewi 't utbröen laten, use Kröger hett 'n ole Märe, de nich got mehr stahn kann un meist ümmer liggt, de schall 't dohn.« Gesagt, getan. Das alte Tier ließ sich leicht bewegen, ruhig liegen zu bleiben und das Ei zu bebrüten, aber es lag vier, fünf und sechs Wochen, und aus dem Ei kam kein Füllen heraus. Und das war natürlich, denn das Ei war ein Kürbis. Endlich wurde Jan gerufen, und dieser meinte nach einigem Bedenken: »Et is en Pulskei (verdorben) oder et is nich recht darum (behext); ick gäwe den Rat, dat Ei wedder hentobringen, wo ji 't krägen hebbt, denn anners kunn 't 'n Unglück bedüden.« Am nächsten Tage wurde dem Finder das Ei wieder übergeben, und das ganze Dorf folgte ihm bis an den Platz, wo er es aufgehoben. Hier warf er es nieder. Das Ei rollte an einem Hügel hinunter und verlief sich in ein Gesträuch, wo eben ein junges Füllen der Ruhe pflog. Erschreckt sprang das Tier auf und floh feldein. Jetzt klatschten alle Hauwieker vor Freuden in die Hände und riefen: »Dat Ei is sprungen, süh, dar geit de Fahle hen, Hieß, Hieß, kumm Hieß, willt di nan Kroge na din Moder bringen!« Aber Hieß kehrte sich nicht daran.

n.

Einer von Hauwiek war sehr heruntergekommen und wohnte zuletzt in einer Hütte von Rasen, die er sich auf einem wüsten Heidplacken aufgeschlagen hatte. Dieser Placken und eine Kuh mußten ihn und seine Frau ernähren, und beide Eheleute ließen es an Fleiß nicht fehlen, um aus ihrem geringen Eigentum möglichst viel zu machen. Er war des morgens früh auf den Beinen und ging hinaus auf sein Land, um zu graben und zu hacken, und sie besorgte das Haus, kochte den Brei und hütete die Kuh. Aber die Frau hatte mit ihren Geschäften ihre Not. Wenn der Mann zur Frühstückszeit (tor Immenstied) hereinkam, war der Brei entweder nicht fertig, oder er war übergekocht oder angebrannt. Alles Schelten des Mannes änderte daran nichts, bis er sich endlich entschloß, [432] mit der Frau zu tauschen. Sie mußte hinaus und Spaten und Hacke führen, und er blieb zu Hause, um den Brei zu kochen und die Kuh zu besorgen. Der Mann hatte den Brei auch bald auf dem Feuer und zum Kochen gebracht, aber inzwischen wurde die Kuh unruhig und wollte hinaus und drohte alles niederzubrechen. Da fiel ihm ein, daß er eine lange neue Leine im Hause habe und daß auf der Rasendecke der Hütte viel Gras wachse. Rasch warf er der Kuh eine Schlinge über die Hörner, führte das Tier hinaus, kletterte das Dach hinauf, zog die Kuh nach und ließ das Ende der Leine durch den Schornstein fallen. Einen Augenblick nachher saß er schon wieder am Feuerherde, rührte mit der einen Hand den Brei und hielt mit der anderen die Leine fest. Die Kuh draußen ließ sich das Gras auf dem Dache wohlschmecken und stieg langsam dem Futter nach und immer höher, und er drinnen wickelte in Gedanken die Leine, die bei dem Steigen der Kuh immer länger wurde, immer öfter um die Hand. Als die Kuh den First der Hütte erreicht hatte und auf der anderen Seite auch schönes Gras sah, wollte sie hinüberschreiten, aber sie rutschte aus, glitt hinunter und blieb endlich am Stricke hangen, während gleichzeitig drinnen der Mann in den Schornstein hinauffuhr und oben hangen blieb. Zum Glück kam gerade die Frau vom Lande. Voll Erstaunen sah sie das Tier am Dache hangen, aber rasch entschlossen eilte sie herzu, schnitt die Leine ab, und die Kuh glitt unbeschädigt vollends am Dache nieder. Der Mann drinnen stürzte gleichfalls den Schornstein herab, aber er fiel mitten in den Topf hinein, und Topf und Brei waren hin. Auch war dem Manne einige Tage lang das Sitzen recht beschwerlich. Nachher ging der Mann wieder hinaus zu hacken und überließ seiner Frau den Brei und die Kuh.

o.

Ein Auswärtiger entschloß sich, durch das Vermögen angelockt, eine Hauwiekerin, die Erbin eines bedeutenden Hofes, zu heiraten. Aber er hatte seine Not mit der dummen Frau, die kein ordentliches Essen bereiten, nicht einmal einen Topf voll Kohl kochen konnte. Als er eines Sonntags zur Kirche wollte, wies er seine Frau an, wie sie es machen müsse, um einen guten Topf Kohl zu kochen, und gab ihr auch ein Stück Butter, um den Kohl damit zu schmieren. Als er aber mittags nach Hause kam, war dennoch der Kohl ungenießbar, angebrannt und ohne Fett und Würze. »Aber Frau«, fragte er, »wo hast [433] du denn die Butter gelassen?« »Ja, lieber Mann«, antwortete sie, »damit ist mirs erst schlecht gegangen, aber zuletzt ists doch noch gut abgelaufen. Mit der Butter schmierte ich den Kohl, der da draußen steht; aber kaum hatte ich mich weggewandt, da kam unseres Nachbars Hund und leckte die Butter ab. Ich nicht faul, ging hinter den Hund her, fing ihn richtig und nahm ihn mit in den Keller und band ihn an den Hahn des einen Bierfasses. Leider riß er sich wieder los und nahm den Hahn mit, so daß das Bier in den Keller lief. Aber ehe das Faß halb leer gelaufen war, hatte ich schon den Hahn aus dem anderen Fasse genommen und in das erste gesteckt. Das zweite Faß ist denn freilich ganz leer gelaufen. Indessen ist es im Keller nicht mehr so gar naß, denn ich habe die beiden Säcke Mehl, die wir morgen verbacken wollten, hineingestreut« Das war dem Manne zu viel. In Verzweiflung lief er fort, um in seine Heimat zurückzureisen. Als er aber unterwegs an ein altes Haus kam, auf dessen Dache Gras wuchs, sah er, wie mehrere Leute eine Kuh in die Höhe hoben und sich nicht genug darüber wundern konnten, warum das zitternde Tier das Gras nicht fressen wolle. Da dachte er: »Schlimmer ists mit deiner Frau auch nicht, und von Herzen ist sie doch gut« und kehrte zu ihr zurück. – Einer aus Wilsen hatte in der benachbarten Stadt Torf abgeliefert und traf seinen Kunden beim Essen. Er sah, daß dieser die Stücke Fleisch, die er zum Munde führen wollte, in eine winzige graue Masse, die auf dem Rande des Tellers lag, tunkte und dann mit Behagen verzehrte. Immer so 'n Bischen, dachte der Bauer, das muß eine überaus leckere und teure Speise sein. Zuletzt war sein Begehren aufs höchste gestiegen. Er platzte heraus: »Sall ick jo eis wat seggen. Wenn ick van dat, wat dor upp 'n Teller ligt, mi eis mal satt äten kann, dann söllt ji dat Föhr Torf umsüss hebben.« Der Vorschlag ward angenommen und ein Topf mit Senf (dies war die graue Masse) auf den Tisch gestellt. Der Bauer fuhr sofort mit einem Eßlöffel in den Brei hinein und mit dem Eßlöffel zum Munde. Herje, was machte der Wilsener für ein Gesicht. Er fiel rücklings vom Stuhle und schrie Hülfe über Hülfe. Der Appetit nach Mustert war plötzlich verschwunden und hat sich nachher nie wieder eingestellt.

p.

In Nordloh (Ksp. Apen) lebte ein Ehepaar, das war schon ziemlich bejahrt, hatte sich aber noch nichts erspart. [434] Da sprach eines Tages der Mann zu seiner Frau: »Es geht doch nicht länger so, daß wir alles aufbrauchen; wir müssen doch auch was für den alten Tag sparen.« Und von nun an fingen sie an zu sparen. Da kam eines Abends, als der Mann nicht zu Hause war, ein Bettler, ein ganz alter Mann, in die Tür. Die Frau bat ihn, Platz zu nehmen, und wie der Greis dies tat und müde und mit zitternden Beinen sich niederließ, seufzte er: »De olle Dag, de olle Dag!« »Was?« sagte die Frau, »de olle Dag? Seid ihr das? Dafür haben wir schon lange gespart!« Holte die dreihundert Taler, die sie zurückgelegt hatten, herbei, gab sie ihm und freute sich, daß sie jetzt davon ab sei. Der Bettler nahm das Geld mit großen Augen hin. »Ja,« sagte sie, »ihr braucht die Augen nicht so groß zu machen, richtig ist es.« Da hielt sich der Alte auch nicht lange mit Zählen auf, sondern schlich davon. Als nun der Mann nach Hause kam, lief ihm die Frau entgegen und sagte: »Denke dir doch mal, von unserm Gelde sind wie glücklich abgekommen, der alte Tag ist schon dagewesen und hats geholt!« Der Mann schalt zwar entsetzlich, aber was halfs? Sie mußten eben von vorn wieder anfangen zu sparen.

q.

Im Kirchspiel Goldenstedt, da wo jetzt das herrschaftliche Holz Holthusen liegt, stand früher ein Dorf mit Namen Holtwede oder Holwedehusen (der Name spricht für die alte Tradition oder Sage). Die Einwohner von Holtwede hatten einst viele Mäuse und litten durch dieselben großen Schaden. Da kam ein Fremder des Weges, und als der die Einwohner über die Not mit den Mäusen klagen hörte und daß sie nicht dagegen anfangen könnten, sagte er, er wolle ihnen ein Tier verkaufen, welches die Mäuse wegfange. Des waren die Holtweder sehr froh und versprachen ihm einen hohen Kaufpreis. Andern Tages kam der Fremde wieder und hatte eine Katze mitgebracht. Nun liefen alle herzu und besahen sich das Tier, aber sie wußten noch nicht, was sie damit anzufangen hätten. Da sagte ihnen der Fremde, sie hätten nichts damit zu tun, denn die Katze fange die Mäuse von selbst weg. Sie bezahlten nun den Preis, und der Fremde ging mit seinem Gelde weg. Als er aber kaum fort war, fiel ihnen plötzlich ein, sie hätten vergessen zu fragen, womit sie das Tier füttern müßten. Es mußte also einer, der gut laufen konnte, rasch nachlaufen, und als dieser von weitem den Fremden sah, rief [435] er: »He! wat frett dat Ding?« Da antwortete der Mann: »Ji dummen Lü, dat frett all, wat de Lü frätet!« Der Bote hatte es aber verkehrt verstanden; er lief, was er laufen konnte, nach Hause und rief, was er rufen konnte: »Lüe frett et, alle Lüe frett et!« Da stürzten die Leute alle aus dem Hause, in welchem die Katze war, und einer hatte die Katze im Laufen auf den Schwanz getreten und die Katze ihn ins Bein gebissen, der schrie und rief doppelt, denn er glaubte, die Katze wolle schon mit ihm den Anfang machen. Eiligst wurde das Haus dicht zugemacht und das ganze Dorf aufgeboten, und alle stellten sich mit Forken, Flegeln und Knitteln um das Haus herum, aber hinein wagten sie sich nicht. Wie sie so alle in Bereitschaft standen, wurde die eine Tür aufgemacht, damit die Katze herauskomme und dann von ihnen erschlagen werde. Aber die Katze kam nicht. Da riefen sie: »Kumm man herut, kumm man herut!« Aber die Katze kam nicht. Nun wurde beratschlagt, was weiter zu machen sei, bis zuletzt einer den Rat gab, das Haus anzuzünden. Das fand Beifall, rasch wurde Feuer geholt und das Haus in Brand gesteckt. Alle standen um das Haus und warteten, ob das Tier auch wohl herauskomme. Zuletzt sprang die Katze oben aus dem Hause heraus. Da erhoben alle ein Geschrei und liefen aus dem Wege, denn jeder fürchtete, daß er zuerst aufgefressen werde. Als aber die Katze vorbei war, stürzten sie mit großem Lärm hinterher und verfolgten sie. Die Katze in ihrer Angst schlüpfte in das nächste Haus, aber schnell war auch dieses angezündet und so fort, bis das ganze Dorf in Asche lag. Nun war auch die Katze verschwunden, mochte sie nun im letzten Hause verbrannt oder in das Feld gelaufen sein. Da waren die Holtweder sehr froh, denn sie meinten, sie könnten sich doch lieber neue Häuser bauen, als sich allesamt von dem Tiere auffressen lassen.

r.

Als die Einwohner von Holtwede einst in der Ernte beschäftigt waren, kam ein Fremder und gewahrte, daß jene alles Korn mit einem Messer abschnitten. »Ah«, sagte er, »so nehmet doch eine Sichel, dann könnt ihr ja weit mehr und auch besser abschneiden.« Die Holtweder aber wußten nicht, was eine Sichel sei. Da versprach er, ihnen am folgenden Tage eine zu bringen. Als er nun am andern Morgen mit einer Sichel wiederkam, ging das ganze Dorf mit hinaus, und[436] wie er nun anfing zu mähen, staunten alle und meinten, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Als er eine zeitlang gemäht hatte, nahm er einen Streicher und strich die Sichel. »Was soll das?« fragten die Holtweder. »Ja«, erwiderte er, »wenn es nicht mehr will, dann muß man es streichen, dann beißt es wieder.« Die Holtweder waren sehr froh, daß sie die Sichel kennen gelernt hatten, kauften ihm die Sichel ab und gaben ihm so viel Geld dafür, als er nur verlangte. Als nun der Fremde fort war, fing einer, welcher ihm genau zugesehen hatte, an zu mähen, und es ging sehr gut. Aber bald wollte es nicht mehr so recht. Da dachte er: »Nun mußt du streichen«; weil er aber meinte, der Mann habe dies mit der Hand getan, so strich er mit der Hand an der Schneide und schnitt sich tüchtig. Da fing er an zu schreien und rief: »He bitt, he bitt!« warf die Sichel weg und lief davon. Da sagte ein anderer, welcher sich klüger dünkte: »Ich will es euch zeigen«, und strich mit der Hand kräftig vorüber. Aber es ging ihm nicht besser, sondern schlimmer; er hatte sich die ganze Hand zerschnitten. Er warf die Sichel weg, rief: »O Gott, he bitt!« und lief davon, was er nur laufen konnte. Als das die übrigen sahen, liefen sie alle hintereinander weg und schrieen und lärmten, denn jeder meinte, die Sichel werde nachkommen und ihn auch beißen. Der Fremde, welcher das Schreien und Rufen hörte, kam wieder um und wollte sehen, was da los sei; aber auf all sein Fragen erhielt er immer nur zur Antwort: »He bitt, he bitt!« Als er sich wieder umwandte, um seinen Weg fortzusetzen, ermannten sich indes die Holtweder und baten ihn, er möge doch das Ding wieder mitnehmen. Erst wollte der Fremde nicht und sagte: »Ihr habt es gekauft«, bis sie ihm zuletzt noch Geld dazu boten; da nahm er die Sichel und ging fort, mußte aber zuvor noch versprechen, daß er nie wieder mit dem Dinge ins Dorf kommen wolle.

s.

Zu Wilsen war einst ein Pastor, der hatte schlechte Augen und klagte, daß ihm immer Sonntags die Sonne aufs Buch scheine, und das könne er gar nicht vertragen, dann gingen ihm gleich die Augen über. Da glaubten die Wilsener, ihre Kirche stehe verkehrt, deshalb kamen sie an einem Nachmittage alle zusammen und überlegten, was anzufangen sei, aber keiner wußte Rat, denn die Kirche umzubauen, dazu hatten sie kein Geld. So saßen sie denn sehr traurig beisammen. [437] Da kam ein fremder Reisender, der fragte sie, warum sie doch so traurig wären. Sie klagten ihm, daß ihre Kirche verkehrt gebaut sei, denn die Sonne scheine am Sonntage dem Pastoren aufs Buch, und dann könne der nicht lesen. Da sprach der Fremde, was sie geben wollten, wenn er ihnen einen guten Anschlag sage. Die Wilsener antworteten, sie wollten ihm ein neues Kleid geben. Da sprach er, wenn das Kleid fertig sei, sollten sie alle wiederkommen, und auch der Pastor solle mitkommen, damit er bestimmen könne, wie er die Kirche haben wolle; er wolle dann die Kirche darnach stellen. Darüber waren sie sehr froh und gingen vergnügt weg. Das Kleid wurde geschwind fertig gemacht, und so wie sie wiederkamen, zog er das neue Kleid an und sagte, sie sollten alle Stricke, die sie nur hätten, herbeiholen. Das geschah; er band die Stricke um die Kirche und ließ die Leute alle ziehen, der Pastor aber stand vor dem Altar und hatte sein Buch vor sich, damit er sehen könne, wann es genug sei. Wie sie nun tüchtig anzogen, hing der Fremde geschwind seine alten Kleider vor das Fenster. Da rief der Pastor: »Holt still, holt still, anners geit't to wiet!« Der Fremde aber machte, daß er davon kam. (Visbek.)

t.

Ein Bauer aus dem Münsterlande hatte in Oldenburg Roggen verkauft und auf dem Stau abgeliefert. Bei der Rückkehr kam er an ein Stintschiff und wunderte sich sehr über »de lüttken Fisken«. »Wat sünd dat vor lüttke Fisken?« fragte er. »Stint« hieß es. »Kann man de ok äten?« »Versteit sick«. »Hebbet se denn ok väl Fürgen nödig?« »Nä, wenn se man Für rukt«. Der Bauer kaufte sich eine Portion, warf sie über den Leiterbaum und fuhr bald darauf zum Tore hinaus. Als er nun über die Osternburg fuhr und ruhig neben seinem Wagen hinschritt, wurde schon hie und da in einem Hause Licht angezündet. Da fielen ihm seine Stinte ein und daß es für die eine gute Gelegenheit sei, Feuer zu riechen. Er holte einen Stint hervor, hielt ihn dem Lichte entgegen und wollte ihn grade zum Munde führen, da stolperte er und ließ den Fisch zur Erde fallen. Er bückte sich, um den Stint wieder aufzuheben, erhaschte statt seiner aber in der Dunkelheit einen Frosch, den er ruhig in den Mund steckte. Das arme Tier wehrte sich und pfiff vor Angst, aber der Bauer hielt seine Beute fest und schlang sie mit Gewalt hinunter. [438] Dann sagte er: »Magst piepen, wat du piepst, hest Für raken, most'r hennin!« (Wiefelstede.)

u.

Eier in Senfsauce nennt man hie und da in JeverCamper Stör. Als die holländische Stadt Campe einst einen neuen Bürgermeister bekommen sollte, wollten die Eingesessenen der Stadt die Einsetzung desselben mit einem Festmahle feiern. Zu einem Festmahle gehört auch Fisch, und sie veranstalteten einen Fischzug, bei welchem sie denn auch einen großen Stör fingen. Aber ein Fisch ist nur gut, wenn er frisch ist. Darum setzten sie den Stör bis zum Gebrauch wieder in das Wasser, in welchem sie ihn gefangen, und damit sie ihn wieder finden könnten, banden sie ihm eine Glocke um. Als nun der Tag da war, rüsteten sie das Mahl und für den Fisch bereiteten sie eine schmackhafte Senfsauce und gingen dann zum Wasser, um den Stör zu fangen. Aber sie konnten die Glocke nirgends hören, der Stör blieb ungefangen und ungegessen, und damit die schöne Sauce nicht umkomme, taten die Camper harte Eier hinein. Seitdem nennt man dies Gericht, wo man die Geschichte kennt, Camper Stör.

v.

Lohmanns Talke in Höltinghausen geht früh morgens im Sommer in das Emsteker Feld, um Plaggen zu stechen. Als sie an der Arbeitsstelle ankommt, ist die Sonne eben aufgegangen. Sie denkt: Es ist noch so früh am Tage, erst kann ich noch ein Schläfchen machen und legt sich hin. Als sie aufwacht, steht die Sonne im Westen so hoch über dem Horizont, als sie am Morgen, als Talke eingeschlafen war, im Osten über dem Horizont gestanden. Talke glaubt, daß die Sonne noch nicht höher gestiegen, komme daher, weil sie erst einige Minuten eingeschlafen gewesen, es könne also noch ein Stündchen leiden und legt sich auf die andere Seite. Als sie das zweitemal aufwacht, erhebt sich die Sonne wieder im Osten über dem Horizont. Talke froh, daß der glühende Ball erst nur wenig gestiegen und der Tag noch lang sei, reckt sich mit Wonne auf ihrem Lager und schläft zum drittenmal ein, und so hat sie 3 Tage und 3 Nächte geschlafen und sich schließlich an ihre Arbeit gemacht in dem Glauben, nur einige Minuten geruht zu haben. (Emstek.)


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 615. Krähwinkeleien. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-29FF-D