512. Bockhorn und Neuenburg.

a.

Unter und bei der Striekenrienbrücke, die im Wege von Bockhorn nach Neuenburg, etwa eine Viertelstunde von letzterem Orte, im Holze liegt, spuken zwei oder drei Jungfern. Einige sagen, es seien zwei Prinzessinen, die jede Nacht um die zwölfte Stunde von dem Neuenburger Schlosse unter die Brücke gehen und sich dort bis zum Hahnenruf aufhalten. Vgl. jedoch 172i. Es ist noch nicht gar lange her, da ritt einmal der Neuenburger Förster in der Nacht von Bockhorn nach Hause, und als er [279] gerade in der Mitternachtsstunde auf die Brücke kam, rief er im Übermut laut aus: »Heraus, ihr Jungfern, euer Waldgott ist hier!« Die Jungfern erschienen wirklich, schwangen sich zu ihm aufs Pferd und drehten ihm das Gesicht in den Nacken. In rasenden Sprüngen eilte das Pferd mit seinem Reiter nach Hause, donnerte an die Tür und die Magd des Försters machte auf. Voll Schrecken über ihren entstellten Herrn, verlor sie doch die Geistesgegenwart nicht, sondern drehte schnell seinen Kopf in die gehörige Lage. In dieser blieb der Kopf, und der Förster kam mit dem Schrecken davon, lebte auch nachher noch viele Jahre.

b.

Nahe bei Neuenburg wohnte eine Wittfrau, die war stark verschuldet, und man wollte sie Schulden halber von ihrer Stelle vertreiben. Da bat sie, man möge ihr noch eine Aussaat und eine Ernte gestatten, und als man ihr die Bitte gewährte, besäete sie ihr ganzes Land mit Eicheln, die so rasch und reichlich wuchsen, daß sie mit der Mast und dem sparsam geschlagenen Holze alle Schulden bezahlen konnte. Dieses Land ist der Busch bei Neuenburg, welcher dasHaferland heißt, aber mit schönen Eichen bestanden ist. Eine andere Darstellung ist folgende: Ein Graf vom Neuenburger Schloß hat einst auf der Jagd ein schönes Weib angetroffen und sich, um dasselbe zum Weibe zu bekommen, dem Teufel verschreiben müssen. Der Pakt lautete auf drei Jahre. Als diese verflossen waren, ließ sich der Teufel bestimmen, dem jungen Paar noch zu einer Aussaat und Ernte Zeit zu geben, nachdem auch die junge Frau sich dem Bösen verschrieben hatte. Nach Jahr und Tag kam der Schwarze wieder und sah, daß die Ländereien des Grafen mit Eicheln besät waren. Erzürnt sauste er durch die Luft davon. Das gräfliche Paar wohnte fortan unbehelligt im Neuenburger Walde, den es gesät hatte, aber nach dem Tode hat es wiedergehen müssen, der Mann als der wilde Jäger, seine Gemahlin als weiße Frau.


Vgl. 172i, 502g.

c.

In dem ehemals Harksenschen Hause zu Neuenburg ist die Pest mit einem Pflocke in einen Hausständer eingeschlossen, und wenn einmal der Pflock herausgezogen würde, käme auch die Pest wieder los und würde in Neuenburg und Umgegend wüten. Sie ist in Gestalt einer blauen Wolke in das Haus gekommen und in das Ständerloch geflogen. Vgl. 505k.

[280] Der Klosterhof Jürden, welcher nach Westerstede zur Kirche, sonst aber zur Gemeinde Bockhorn gehört, ist ein großer und reicher Bauernhof, dessen Eigentümer von jeher großes Ansehen genossen haben. Von diesem Hofe hat man einen Spruch, der heißt:


Jan van Jürden,
De litt sick verführen
Van lüttje Putt-Ann,
Is dat nich en Schann?

Vor vielen, vielen Jahren wohnte nämlich zu Linswege eine nicht mehr gar junge Frauensperson, die nur klein von Wuchs war und allgemein lüttje Putt-Ann genannt wurde. Sie war unverheiratet, und keiner der Jünglinge warb um sie, weil es mit ihr nicht ganz richtig sein sollte; sie konnte, so meinte man, mehr als andere Leute. Nun begab es sich, daß der älteste Sohn des Hausmanns zu Jürden, namens Jan, zufällig mit ihr bekannt wurde, und lüttje Putt-Ann faßte eine große Liebe zu ihm. Jan aber erwiderte diese Liebe mit nichten, und wenn man nicht sagen konnte, daß er gleichgültig gegen Putt-Ann war, so war es ganz allein darum, weil er sie als eine Hexe ansah und nur Schaden und Unglück von ihr befürchtete. So glaubte er wenigstens, wenn er einmal freundlich gegen sie gewesen war, und um recht vorsichtig zu sein und es ja nicht mit ihr zu verderben, ließ er sich sogar herbei, ein- oder zweimal bei ihr in der Wohnung einzusprechen. Das konnte aber vor den Linswegern nicht verborgen bleiben, und bald war es allenthalben bekannt, daß Jan van Jürden bei lüttje Putt-Ann zum Besuch gewesen war. Niemand vermag den Zorn und die Wut zu beschreiben, die nun in der ganzen Verwandtschaft gegen Jan ausbrachen. Jan beschloß auch und gelobte, nie wieder zu lüttje Putt-Ann hinzugehen, noch sonst Umgang mit ihr zu haben. Aber er war nicht mehr frei. Die Hexe hing einen Topf über das Feuer und kochte etwas darin. Und wenn es im Topfe langsam anfing zu kochen, so klang es heraus: »He kummt – he kummt nich – he kummt – he kummt nich.« Dann ging es auch in Jans Herzen hin und her: es regte sich die Lust, zu Putt-Anna zu gehen, aber Scham und Furcht vor Eltern und Geschwistern hielten das Widerspiel. Er kam zu keinem Entschlusse und blieb, wo er war. Wenn Putt-Ann dann aber etwas mehr Feuer unterlegte, so fing es im Topfe stärker an [281] zu kochen, und es klang heraus: »He kummt – he kummt nich – he kummt – he kummt, he kummt hekummt-hekummt« und so immer rascher. Dann wuchs auch in Jan die Lust, zu Putt-Ann zu gehen, und trieb ihn immer ungeduldiger, der Widerstand hörte auf, und Jan mußte zu Putt-Ann, er mochte wollen oder nicht. Und zuletzt hat er sie gar geheiratet, Jan zu Jürden die lüttje Putt-Ann von Linswege, zum großen Ärgernis fürs Ammerland und die Friesische Wede. (Vgl. 133.) – Auf demselben Klosterhof Jürden war einmal eine Frau vom Hause so klein, daß sie auf dem Brandrohre stehen mußte, wenn sie den Topf umrühren wollte. Sie war aber eine tüchtige Wirtschafterin und wußte sich bei Knechten und Mägden wohl in Respekt zu setzen. Sie schalt tüchtig, wenn diese nicht fleißig und treu waren, und pflegte dabei zu sagen:


»Un wenn ick ok so lütjet bün as en Mus,
So bün ick doch Wärdin in minem Hus!«

Ob diese kleine, aber wohlgeachtete Hausfrau etwa lüttje Putt-Ann selbst gewesen ist, vermögen wir nicht zu sagen.

d.

Der Hof zu Jürden liegt recht einsam, von allen Dörfern weit entfernt. Um dieser einsamen Lage willen, hatten die Bewohner des Hofes ehemals viel zu leiden von den Tatern, die hier häufig zu betteln und zu stehlen kamen, und mußten, um nichts Ärgeres zu erfahren, doch suchen, mit ihnen auf gutem Fuße zu bleiben, und verkehrten daher freundlich mit ihnen. Einst wollte der Hausmann zu Jürden nach Westerstede. Wie er in die Nähe von Hüllstede bei den Richbömen ankommt, sieht er am Wege einen Haufen Tatern, die sich ein Feuer angemacht haben und an demselben eine Katze braten. Gern wäre er ausgewichen, aber er merkt, daß er schon gesehen ist, geht unbefangen zu dem Haufen und wird als alter Bekannter mit ausgelassener Fröhlichkeit empfangen. Freundlich bietet er allen die Hand, sagt, daß er so zufällig daher komme, und nun sich doch eine frische Pfeife anzünden wolle. Die Tatern nötigen ihn zu bleiben und mit von ihrem Braten zu essen. Den Jürdener schaudert vor solcher Speise, aber er darf sich nichts merken lassen, kommt aber endlich auf seine dringenden Bitten los, weil er vorgibt, daß er in Westerstede ganz dringende Geschäfte zu verrichten habe. Sobald er fertig sei, wolle er zurückkommen und an ihrer Mahlzeit teilnehmen. Als er nun seinen Tabak aus der Tasche zieht und aufstopfen will, dringen sie ihm von ihrem stinkenden[282] Tabak auf, und er kann nicht anders, er muß davon stopfen, anzünden und wenigstens so lange rauchen, bis er ihnen aus dem Gesichte ist. – Ein andermal, an einem heißen Erntetage, war die Hausfrau allein zu Hause; alle andern waren auf dem Ackerfelde, denn es gab viel zu tun. Auch aus den nächsten Dörfern waren Arbeitsleute geholt, und diese waren mit ihren Kindern gekommen, die nun zusammen mit den Kindern des Hauses im Hause umherspielten. Da kam ein ganzer Haufe Zigeuner auf das Haus zu. Die Frau bemerkte es zeitig. Klug und entschlossen bringt sie die Kinder hinter das Haus nach einem Haufen Bauholz und ermahnt sie, tüchtig mit Hämmern und Holzstücken darauf los zu klopfen und ja nicht einzuhalten. Dann nimmt sie ein ganzes Brot und einen ganzen Käse, geht dem Haufen bis vor das Hoftor entgegen und spricht recht freundlich mit ihnen. Sie erzählt ihnen, daß sie gerade zur verkehrten Zeit kämen, da sie mehrere Zimmerleute in Arbeit und viel zu tun hätten, wie sie an dem Klopfen auch wohl hören könnten. Sie möchten sich doch jetzt wieder entfernen und zu einer gelegeneren Zeit wiederkommen. Während dessen zerschneidet sie das ganze Brot und den ganzen Käse und verteilt dies unter die Zigeuner. Halb durch die Freigebigkeit, halb durch die klugen Worte der Frau lassen sich die Zigeuner zum Abzuge bewegen.

Auf dem Klosterhof Lindern liegt in der Hohenburg ein Schatz: 197h. Auf dem Hofe hat ein Kriegslager vorgespukt: 162c. – In Grabstede auf dem Stockwege sind zwei Linden, zwischen welchen Hexen auf dem Seile tanzen: 219b.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 512. Bockhorn und Neuenburg. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2AAD-C