606. Hohenkirchen.

a.

Friederikenvorwerk, früher auch wohl Katermaelen genannt, war vor Zeiten ein Vorwerk der Fürsten von Anhalt-Zerbst, ist nun aber seit langer Zeit in Privatbesitz. Es ist ein großes stattliches Gebäude mit dicken Mauern, hohem Dach und tiefem Keller. Von letzterem ist jedoch ein Teil zugemauert, und man sagt, daß es gefährlich sei, diesen Teil wieder zu öffnen. Als das Vorwerk in Privatbesitz übergegangen war, wurde eines Tages eine Magd in den zugemauerten damals noch offenen Keller geschickt, um einen Auftrag auszuführen. Die Magd ging, kehrte aber nicht wieder. Da ward der Knecht nachgeschickt, um zu sehen, wo die Magd bleibe, kam aber auch nicht zurück. Jetzt getraute man sich nicht mehr, ein menschliches Wesen hinzuschicken, und ließ den Haushund dem Knechte nachgehen, und auch der Hund blieb weg. Da glaubte man, daß ein Drache oder ein anderes Ungetüm in dem Keller sitze, und mauerte den Eingang rasch zu. Noch jetzt vermeiden viele, abends bei dem Hause vorbei zu gehen, denn in dem Keller rasselt es wie mit Ketten, und einige sagen, daß dies Hunde täten.

b.

In einer der großen Sturmfluten waren die Deiche Jeverlands an vielen Stellen durchbrochen, am breitesten und tiefsten in der Nähe des Kirchdorfs Wiarden, das damals noch näher an der See lag als jetzt, seitdem sich das alte Wangerland mit einem breiten Saume fruchtbarer Groden umgürtet hat. Zwar war das Meer schon in seinen alten Stand zurückgewichen, aber täglich rollte die Flut wieder über das Land hin und zerstörte die schwachen Werke, die von den Bewohnern aufgerichtet wurden. Die einzelnen Spaten voll Erde, die eine Menschenhand bewegte, konnten nicht widerstehen; wenn nicht ganze Wagen voll Erde auf einmal in die Lücke gebracht werden konnten, durfte man nicht hoffen, den Deich wieder herzustellen. Aber niemand wagte es, mit einem Wagen in die brausende Flut hineinzufahren, deren Tiefe man nicht kannte, und die nach der Höhe der Wogen zu urteilen unergründlich schien. Da versprach man demjenigen, welcher zuerst mit einer Ladung Erde durch das Wasser fahren würde, alles Land, das in der Nähe des Deichbruchs lag. Lange ging niemand ein auf das lockende Gebot, bis endlich ein junger Bursche auf einen bereit stehenden Wagen sprang und kühn die [408] Pferde in die Flut trieb. Voll Erstaunen rief das Volk: »De rasenden Mähren!« und gab das Leben des Burschen wie der Tiere auf, aber mutig strebte das Gespann vorwärts und erreichte das jenseitige Ufer. Nun war der erste Schritt getan, andere folgten nach, und bald erhob sich der Deich in alter Höhe. Das Land, welches man dem Burschen versprochen hatte, wurde in ein Gut vereinigt und heißt noch in diesem Augenblicke Rasenmeer.

Auf dem Borghamm bei Lindernland zeigen sich mitunter spukhafte Spinnerinnen. Bei Gottels spukt ein Mann ohne Kopf. Wo früher Klinkswarfen gestanden, spuken zwei Fräulein: 173m.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 606. Hohenkirchen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2C55-B