642. Der Pastor von Markhausen.

In Markhausen, Amt Friesoythe, stand von 1737 bis 1789 der Pastor Theodor Heinrich von Cappeln aus Cloppenburg. Markhausen war damals an Seelenzahl und Einkommen die ärmste Gemeinde des Münsterlandes, ein Pastor war dort nicht auf Rosen gebettet. Mag nun von Cappeln schon von Haus aus eine eigenartig veranlagte Natur gewesen sein, das Ringen um das tägliche Brot, verschiedene Kämpfe mit seinen Pfarrkindern, das Abgeschlossensein von der übrigen Welt und [513] eine dadurch bewirkte Vereinsamung hatten ihn mit der Zeit zu einem Original gemacht, der das Seelsorgeamt anders auffaßte als seine umwohnenden Amtsbrüder, und so die Veranlassung wurde zu allerlei Schwänken, die noch heute im Volke gehen, zum Teil wahr aber übertrieben, zum Teil erfunden sind.

1.

Es ist aktenmäßig festgestellt, daß von Cappeln den Hauptgottesdienst an den Sonn- und Festtagen, welcher vorschriftsmäßig am Vormittage abgehalten werden und bis Mittag beendigt sein soll, im Laufe der Jahre immer weiter hinausschob, auf 2, 3 Uhr nachmittags, ja bis nach Sonnenuntergang, wie eine Meldung an die Behörde besagt. Derartiges durfte der Volkswitz sich nicht entgehen lassen. Man erzählt, von Cappeln habe in der Morgenfrühe an den Sonn-und Festtagen mit dem Schäferheiken bekleidet die Schafe gehütet. Bei dem Bestreben, die Tiere möglichst lange weiden zu lassen, habe er den Anfang des Gottesdienstes immer weiter hinausgeschoben und sei so zuletzt auf den Abend gekommen. Einst haben Leute aus einer Nachbargemeinde, welche in Markhausen dem Gottesdienste beiwohnen wollten, draußen einen Schäfer gefragt, ob es noch früh genug zum Kirchgange sei. »Hebt man kine Ile«, hat der Schäfer geantwortet, »ick bin de Pastor un mot noch na'n Huse driewen, dat kann noch ne Stunne duren.«

2.

Von Cappeln predigte plattdeutsch. Leute aus Cloppenburg sind einst nach Markhausen gekommen, um ihren Landsmann, von dessen Leistungen auf der Kanzel sie verschiedenes gehört hatten, predigen zu hören. Dem Pastor wird dies überbracht. Als die Gemeinde in der Kirche versammelt ist, gibt er dem Küster den Auftrag, die Türen zu schließen. Darauf hält er das Hochamt und steigt danach auf die Kanzel. Die Cloppenburger denken: Nun kommts! Der Pastor beginnt: »Mi is seggt wurden, dat hier Lüd in de Karke sind, de nich ut Andacht, sondern ut Neigier 'n langen Weg na Markhusen maket hefft. Ick glöve, vör de is'n Gebett nödiger as ne Prädige, dorum will wi van Dage den Rausenkranz bäen, dat use Heer us un ehr jümmer de rechte Insicht gäven mag.« Das hören und zur Tür stürzen, ist für die Cloppenburger eins. Aber o weh, die Pforten sind geschlossen, und sie müssen warten, bis der Pastor mit dem Rosenkranzgebet zu Ende ist.

[514] 3.

Von Cappeln hatte Kappus im Garten gezogen und damit gute Resultate erzielt. Eines Nachts werden ihm die besten Köpfe gestohlen. Minderwertiges ist stehen geblieben. Am nächsten Sonntag versteckt er einen Kappuskopf unter seinen Talar und steigt auf die Kanzel. Die Predigt handelt vom Diebstahl. Der Raub im Pfarrgarten wird besprochen, und der Eifer des Predigers steigert sich von Minute zu Minute. Plötzlich zieht er den Kappuskopf unter dem Talar hervor und ruft, wen er jetzt damit treffe, der sei der Dieb, und zugleich holt er aus, als wenn er den Kappuskopf fortschleudern will. In demselben Augenblick duckt sich einer in den Bänken, und von Cappeln hat den Dieb entdeckt. – Nach einer andern Lesart hat der Dieb beim Diebstahl seine Holzschuhe stehen lassen, und der Pastor hat diese mit auf die Kanzel genommen und damit die Bewegung des Werfens gemacht.

4.

Einst bemerkte der Pastor einen Fremden in der Kirche, der eine Spule von einem Spinnrade in der Hand hielt und es an der nötigen Ehrerbietung fehlen ließ. »Haut doch den Fluchtvernöcker, dat hei in de Kneie sacket«, rief er in die Kirche hinein.

5.

Als er einst das Evangelium von der Hochzeit zu Kana erklärte, fragte er in das Publikum hinein, ob auf der Hochzeit auch getanzt worden. Jawohl, antwortete er darauf, aber leise, sachte hätten die Gäste in Kana getanzt, so schlirum, schlarum, schlirum, schlarum, nicht wie man in Markhausen tanze: Hopp, hopp, hopp! Hopp, hopp, hopp! Dabei unterließ er nicht, durch Gesten das Gesagte zu veranschaulichen.

6.

Einst ist von Cappeln bei seiner Behörde dahin verklagt worden, daß er alle Sonntage dasselbe predige. Ein Kommissar erscheint, um die Sache zu untersuchen. Von Cappeln erklärt: »Mine Lüe sind schlecht von Begripp, wat ick van Dage prädige, hebt se morgen vergäten, darum prädige ick datsülvige so lange, bet ick weit, dat et sitt.« Zufällig gehen Leute aus dem Dorfe vorbei; der Pastor öffnet das Fenster, ruft die Dörfler herein und frägt: »Segget eis, wat hebbe ick lesden Sönndag in de Prädigt seggt.« Die ganze Gesellschaft bleibt stumm. »Seihet Se nu, dat ick recht hadde«, triumphiert von Cappeln. – Nach einer andern Version hat von Cappeln seinen Knecht ins Zimmer gerufen und ihn gefragt: »Segg eis Jan, wat hebbe ick lesden Sönndag prädigt?« Jan wird [515] verlegen, denkt nach und schüttelt zuletzt den Kopf: »Här, dat weit ick nich mehr.« »Nun wert et doch tau dull«, eifert der Pastor, »nu mott ick, de Deuker hoale, taukum Sönndag noch einmoal daröver her.«

7.

Mit der Lieferung der einige Male im Jahre fälligen Pröven blieben die Bauern oft im Rückstande. Von Cappeln meinte zuletzt, er müsse mal dazwischen fahren. Eines Sonntags steigt er auf die Kanzel und beginnt: »Mine lewen Markhuser! In düsse Wäke hebbe ick en wunnerliken Drom had. Mi drömde, ick wör storwen und köm vör de Himmelsdöre. Up min Kloppen schlöt Petrus apen, und ick seeg up enmoal de ganze Heerlichkeit van'n Himmel vör mi. Mi schöt et in de Beene. Ick segg to Petrus: ›Kann ick nich en Ogenblick bi Sit träen.‹ ›Goah dar man hen‹, segg Petrus, un wisede in sone Ecke. As ick dar ankam, keek ick so bitau in dat Lock und wat seeg ick? Darunner leeg Markhusen. Ick löp torügge und segge tau Petrus: ›Herr Petrus, dat mag ick nich daun, dat fallt de Markhuser ja up'n Kopp.‹ ›So?‹ segg Petrus, ›hebbt de et dann beter verdeint? Hebbt se di den Pröven nich inhollen, de di ehrlik taukumpt?‹ Ick was ganz baff und kunn dar nix up seggen ....« Den folgenden Teil der Predigt kann der Leser schon erraten.

8.

Bei einer Visitation bemerkt der Kommissar, ihm sei mitgeteilt, daß der Pastor das tägliche Breviergebet vernachlässige. Von Cappeln holt sein Brevier herbei und übergibt es dem Kommissar. Dieser sieht sich das Buch an und bemerkt, es mache ganz den Eindruck des Neuen, Ungebrauchten. Darauf fährt der Pastor in die Höhe und erklärt entrüstet: »Schwine sind Schwine, ick woahre mine Soaken rein.«

9.

Von Cappeln hatte eine Haushälterin Libet. Einst wartet er auf das Abendessen. Er ruft, nachdem eine halbe Stunde über Zeit vergangen, in der Küche bleibt alles still. Schließlich steht er auf, öffnet die Türe und sieht Libet in ihrem Lehnstuhle beim Feuer sitzen und fest eingeschlafen. Der Topf mit der Abendsuppe hängt über dem Feuer. Von Cappeln holt aus einer Ecke die Fleischgaffel, nimmt den Suppentopf vom Feuer und befördert ihn mittels der Fleischgaffel in den Wiemen. Dann verfügt er sich wieder in sein Zimmer und schreit so laut als er kann: »Libet, bring dat Äten man her.« Libet fährt in die Höhe, will nach dem Topfe greifen, greift aber ins Leere, der Topf ist fort. [516] Sie sucht, sie sucht, wo mag der Topf geblieben sein? Der Pastor kommt aus seiner Stube, sieht ihre Verlegenheit, frägt, was los ist, und hilft mit suchen. Zufällig schaut er nach dem Wiemen, schaut länger dahin, bis auch Libet dahin blickt und weiß, was geschehen ist. Voll Unwillen platzt sie heraus: »Hebt Se den Pott in'n Wiemen hangen, dann könnt Se en uk man wedder heruthoalen« und verschwindet in ihre Kammer. Dem Pastor bleibt nichts anderes übrig, als selbst die Hausmagd zu spielen, wenn er nicht hungrig zu Bett gehen will. Libet bleibt für den Abend unsichtbar. Von da an war Libet stumm. Sie ging mit einem wehleidigen Gesicht durch das Haus, der Pastor mochte auf sie einreden im Ernst oder Scherz, sie blieb stumm. Ein paar Tage darauf kommt ihr Herr und Gebieter in die Küche, geht an die Anrichte, öffnet die obersten Türen, schaut einige Augenblicke hinein, um sie dann wieder zu verschließen, und macht die untersten Türen offen. Er blickt hinein, schließt sie wieder und schickt sich an, die Türen zu einem zweiten Schranke aufzuschließen. Da ruft plötzlich Libet: »Pastor, wat söket Se.« »Dine Stimme«, antwortet er, »Gott Dank, dat wi se wär hebbt.«

10.

Auf Kirchweih hatte Pastor von Cappeln einst einige Nachbargeistliche zu Tische geladen. Auf dem Tische fehlt das Salzfaß. »Libet«, schallt's aus dem Zimmer in die Küche hinein. Libet erscheint. »Brink eis de Ledder (Leiter) her!« kommandiert der Pastor. »Wat schall de hier?« frägt sie verwundert. »Einerlei, bring de Ledder.« Libet kommt mit der Leiter anmarschiert, muß sie auf Kommando an die Wand stellen und hinaufklettern. Als sie einige Stufen erklommen hat, kommandiert der Pastor: »Nu drei di um und kiek eis tau, wat der mangelt up'n Disk.« Mit hochrotem Kopf krabbelt Libet herunter, holt das vergessene Salzfaß herbei, stellt es mit einem Knall auf den Tisch und stürzt wutentbrannt hinaus. Für den Rest des Tages blieb sie wieder unsichtbar.

11.

An den Werktagen betrieb von Cappeln als Nebenbeschäftigung das Handwerk eines Stellmachers (andere sagen eines Holzschuhmachers). Jeder Tag mußte ein fertiges Rad bringen (oder ein Paar Holzschuhe). Das waren in der Woche 6 Räder (oder 6 Paar Holzschuhe), die am Samstag abend mit Behagen gezählt wurden. Einst hatten Schäfer, um dem Pastor einen Streich zu spielen, ein Rad (oder ein Paar Holzschuhe) entwendet und versteckt, ohne daß der Verfertiger den [517] Verlust wahrgenommen. Der Samstag kommt, der Pastor zählt am Abende, wie hergebracht, was er geleistet in der Woche, und kommt über die Zahl fünf nicht hinaus. »Ei!« denkt er, »nur fünf. Das ist doch sonderbar, ich glaubte, es wäre Samstag, und nun sehe ich, daß es erst Freitag ist. Ja, irren ist menschlich,« und so findet ihn der Sonntagmorgen wieder in der Werkstatt. Da wird plötzlich die Türe aufgerissen, der Küster stürzt herein und ruft: »Pastor, de Lüe sind all lange in de Karke und Se koamet nich.« Man kann sich das verdutzte Gesicht von Cappelns vorstellen. Er will erst noch Einwendungen machen, besinnt sich aber, reißt seinen Talar vom Nagel und eilt, hinter dem Küster her, in die Kirche.

[518]

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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 642. Der Pastor von Markhausen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2CAE-7