151. Fest zu bauen.

In mehreren Sagen kehrt es wieder, daß beim Bau von Kirchen, Schlössern, Deichen usw. Menschen, namentlich Kinder, eingemauert sind, um dem Bau, der vorher nicht gelingen wollte, Festigkeit zu geben. »Mi hebbt se woll vertellt,« äußerte ein Landmann, »wenn se so'n Kind innmurt hebbt, denn hebbt se't in'n lütje holten Tunn leggt un hebbt'r noch'n Kringel oder Twiback oder so wat mit inndahn. Denn hett dat Kind darna langt un hett lacht. Man mi dücht, dat Lachen harr ick nich mit ansehn kunnt.« Es ist kaum anzunehmen, daß dieser Aberglaube im Volke noch lebendig sei. Wie indessen jene Aeußerung des Landmanns noch frische, kräftige Überlieferung anzudeuten scheint, [126] so liegt ein unzweifelhaftes Zeugnis vor, daß man noch vor zwei Jahrhunderten im Volke daran dachte, ihm eine tatsächliche Anwendung zu geben. Als nach den Zerstörungen der Weihnachtsflut von 1717 die Arbeiten zur Wiederherstellung des Mariensiels im Jeverlande nicht recht vonstatten gehen wollten, und das Wasser das Fertige mehr wie einmal wieder vernichtete, namentlich die geschlagenen Holzdämme wegriß, kamen die Leute zum Teil auf den Gedanken, daß das Werk nicht bestehen könne, wenn man nicht ganz andere Mittel als bisher zur Hand nähme, und es kam eine gemeine Rede aus, es würde die Arbeit nimmer zustandekommen, noch das Loch verdichtet werden, wenn man nicht vorher ein lebendiges Kind in das Loch gestürzt hätte und dasselbe darin lebendig begraben und eindeichen ließe. Man müsse demnach und wolle ein armes Kind kaufen und solches lebendig in die Erde begraben und darauf das übrige Werk wieder anfangen. (Nach J.J. Jansen, Historisch-Theologisch Denkmahl der Wasserflut von 1717, Bremen und Jever 1722, S. 326, 327). Hier und in der Mehrzahl der Sagen erscheint das Kind als ein Opfer, wenn auch die Gottheit, welche versöhnt werden soll, nicht mehr genannt wird – nur einmal das Meer. Es kommt übrigens das Eingraben auch als Strafe vor: 558a. 570a.

a.

Als unter Graf Anton Günther der Ellenserdamm fertig gebaut wurde (im Jahre 1615) und der Graf einstens zur Besichtigung des Baues herangeritten kam, fand er die Arbeiter im Begriff, ein kleines Kind mit einzudeichen. Der Graf ließ das Kind wegnehmen und bestrafte die Mutter, die es verkauft hatte. Vielleicht ist es dieselbe Sage, wenn erzählt wird: Bei Steinhausersiel hat ein neuer Deichbau nicht halten wollen. Da hat jemand gesagt, es müsse ein lebendiges Kind darin begraben werden, und man hat einer Mutter ein taubstummes Kind, das dieser lästig gewesen, abgekauft, es in eine Tonne gesteckt und im Deich vergraben. Das Kind hat, als man begonnen hat, Erde auf die Tonne zu werfen, plötzlich die Sprache wieder erlangt und gerufen: »Moders Hart is harter as en Steen« (Zetel).

b.

In der Mauer der Kirche zu Sandel ist eine Stelle, die bis vor wenig Jahren durch dunkle Färbung das Bild zweier Kinder, die einander das Gesicht zuwandten, erkennen ließ. Auch nach der sorgfältigsten Tünchung trat das Bild sogleich wieder hervor. Bei Erbauung der Kirche hatte man, [127] um die Mauern zum feststehen zu bringen, an jener Stelle zwei Kinder mit eingemauert.

c.

Auch die Kirche zu Ganderkesee wollte anfänglich nicht stehen bis man ein Kind einmauerte. Der Erzähler meinte, es komme in der Geschichte ein mit Quecksilber gefüllter Pferdekopf vor, wußte aber nicht wie.

d.

Wie Butjadingen gegen die Fluten der Jade und Nordsee bedeicht worden, hat an einer Stelle der Deich keinen festen Boden gewinnen können, sondern ist stets ausgewichen und gesunken. Da bedeichte man, um das Meer zu versöhnen, einen Knaben namens Hayo in jene Stelle, und seitdem hat der Deich standgehalten. Die benachbarte Gegend aber heißt nach dem geopferten Kinde Hayensloot.

e.

Die Blexer Kirche sollte zuerst auf dem Rading, einem Platze zwischen dem Ohlhamm und der Blexer Mühle, erbaut werden; allein was des Tags aufgerichtet wurde, sank in der Nacht wieder weg. Da beschloß man, zwei Ochsen aneinander zu binden und am Abend auszutreiben; wo die am andern Morgen sein würden, sollte die Kirche stehen. Man fand die Ochsen oben auf dem Deiche, und dort wurde nun der Bau begonnen. Aber auch hier wollte das Werk nicht vorwärts schreiten; wenn die Mauern einige Fuß hoch geworden, wich der Grund, und die Mauern stürzten zusammen. Da fuhren sie über die Weser nach Bremerlehe, kauften ein Kind und mauerten es in den Grund des Baues, der von nun an hielt und zu Ende geführt werden konnte. Schon hatten sie ein gutes Stück in die Höhe gebracht, da kam der heilige Hypolyt des Weges und rief den Fluch des Himmels herab auf die Bremerleher, die ein unschuldiges Kind für Geld geopfert hatten. Die Blexer aber, die fürchteten, es könne durch diesen Fluch auch ihr Kirchenbau gestört werden, ließen in der Mauer, die nach Bremerlehe hingewandt ist, ein Loch frei, kaum so groß, daß ein Mensch darin Platz fand, setzten den Heiligen hinein und mauerten das Loch zu. Nur zwei Öffnungen ließen sie, die eine am Kopfende nach Bremerlehe zu, die andere am Fußende nach der Kirche hinein. Durch die letztere sollte der Eingeschlossene den Gottesdienst in der Kirche mit anhören. Durch die Öffnung am Kopfende aber brachten zwei Tauben dem Heiligen die tägliche Nahrung. Und so oft der Gefangene durch die Öffnung das jenseits der Weser liegende Bremerlehe erblickte, rief er:


[128]
»O weh, o weh
du sündig Leh',
wenn ick di seh,
deit mi dat Hart im Liwe weh!«
Nicht lange hernach soll Bremerlehe abgebrannt sein. –

Vgl. auch 152g.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 151. Fest zu bauen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2D18-D