521. Großenkneten.

a.

Einst vertrieben Kriegsleute die Einwohner des Dorfes Großenkneten. Eine Frau kam jedoch zu Pferde wieder und sah über das Heck in ihr Haus. Ein Kriegsmann bemerkte und verfolgte sie, konnte sie aber nicht einholen. Von dem Rufe: »Holt! holt!« den er der Fliehenden nachsandte, erhielt das Haus den Namen Hollen; es liegt nordöstlich im Dorfe. – Woher die Kloppstraße ihren Namen hat: 196a. – Hexen in der Wichelnstraße: 265.

b.

Hängelhöhe ist eine Anhöhe, eine Viertelstunde östlich von Großenkneten. Dort aßen einst drei Schäfer zusammen, und einer hatte den Einfall zu sagen: »Wer das größte Stück Speck hat, soll hangen,« d.h. er sollte es zum Spaß einmal probieren. Die andern stimmten zu, man verglich die Speckstücke, und einer gab sich zum Hängen her. Als sie aber grade mit dem Aufknüpfen fertig waren, fiel ein Wolf in ihre Herden, und darüber verließ und vergaß man den Gehängten, der bald tot war. Als die beiden Wolfsjäger zurückkamen und sein verzerrtes Gesicht sahen, riefen sie


»Harm, Harm, grine nich,
Dat Schap dat is jo dine nich!«

Aber Harm antwortete nicht. So wurde Spaß zum Ernste und der Schäfer zur Leiche, und der Hügel heißt seitdem die Hängelhöhe.

c.

In einem Gehölze östlich von Großenkneten steht eine Eiche, welche der Schwedtbaum genannt wird. Vor alters war zu Großenkneten ein Holzwärter namens Schwedtmann, der strenge auf den Dienst hielt und manchen Schäfer, der auf Holzgründen weidete, ertappte und zur Bestrafung brachte. Zwei Schäfer, die er auch mehrmals seine Strenge hatte fühlen lassen, faßten den Entschluß, ihn umzubringen. Eines Tages war einer dieser Schäfer in der Kirche und auch [301] der Holzwärter, der aber unter der Predigt wegging, um zu sehen, ob auch der andere Schäfer in den Fuhren hüte. Dieser war richtig im Forst, sah aber den Holzwart kommen und beschloß, den Mord sofort auszuführen. Er fiel den Holzwärter unversehens an und schnitt ihm die Kehle ab, aber sein Messer war so stumpf, daß er mitten in der Blutarbeit absetzen und das Messer auf seinem Holzschuh schleifen mußte. Nachmittags brachten beide Schäfer den Leichnam nach Amelhausen und warfen ihn in die Hunte, halb unters Eis. Die Tat ward verraten, beide Mörder mußten fliehen und entkamen nach Holland; einer von ihnen soll später mit den Russen wieder hier gewesen sein. Der Baum, unter welchem Schwedtmann ermordet wurde, heißt nach ihm der Schwedtbaum.

d.

In der Ahlhorner Heide, eine kleine halbe Stunde von der Aumühle, finden sich eine Menge Hünensteine bei einander. Vornan stehen vier große Steine, dann folgen in zwei langen Reihen vielleicht siebenzig kleinere. Man nennt sie die Visbeker Braut. Etwa dreiviertel Stunden davon, bei Engelmanns Väke, findet sich eine ähnliche, aber noch größere Steingruppe, welche der Bräutigam genannt wird. Einst, so heißt es, sollte ein Mädchen aus Großenkneten (Heinefeld) von ihren Eltern gezwungen werden, eines reichen Bauern aus Visbek Sohn zu heiraten, da sie ihn doch nicht liebte. Als nun die Braut mit ihrem Brautgefolge zur Hochzeit nach Visbek zog und den Turm der Visbeker Kirche erblickte, da betete sie, daß der liebe Gott sie lieber in Stein verwandeln möge, als daß sie zu der verhaßten Ehe gezwungen werde. Und so geschah es. Sowohl die Braut mit ihrem Gefolge als der Bräutigam, der ihr von Visbek entgegen kam, mit den Seinigen stehen in Stein verwandelt da. – Häufig wird auch erzählt, die Braut habe einen anderen Jüngling geliebt, sei auch wiedergeliebt worden, aber der Vater habe seine Werbung wegen seiner Armut zurückgewiesen. Als der Brautzug nun über die Heide zog, begegnete ihm der abgewiesene Freier und sprach noch mals den Vater an. Aber dieser erwiderte:


»Sie soll nicht werden dein,
Und wenn ihr auch werdet zu Stein!«

Und alsbald verwandelten sich alle Personen in beiden Zügen in Steine. – Eine andere Deutung der Steindenkmale: 529b. – Spuk daselbst: 282c.

[302] e.

In der Nähe des Bräutigams lag ehedem ein sehr großer platter Stein, welcher auf einem Keller zu liegen schien und in alten Buchstaben die Inschrift trug:


O Wunner, o Wunner,
Wat liggt hier woll unter?

Lange hatte der Stein so dagelegen, und niemand hatte gewagt oder die Kraft gehabt, ihn aufzuheben, obwohl es hieß, daß große Schätze darunter lägen. Endlich taten sich alle jungen Bursche der Nachbarschaft zusammen und brachten es mit Hülfe von Stangen, Daumkraften und anderem Geräte fertig, daß sie den Stein umkehrten. Da stand denn auf der anderen Seite des Steines:


Et weer ok doch mal Tied,
Dat ick keem up de annere Sied.
Und weiter fanden sie nichts.

f.

Von Westerstede (Wardenburg) aus beschloß man ein Dorf anzulegen und zwar da, wo ein Hengst, den sie laufen ließen, sich legen würde. Dies geschah dort, wo jetzt Hengstlage liegt, das davon seinen Ursprung und Namen hat. – In Huntlosen residierte einst ein Graf von Wasaburg, der gelobte, an dem Orte ein Schloß zu bauen, wo ein losgelassener Hengst sich lagern würde. Dies wurde ausgeführt, und das jetzige Hengstlage ist der Ort. Noch ist der Burg- oder Schloßplatz deutlich zu erkennen, aus den zugehörigen Gründen aber sind zwei Bauernstellen gemacht. Statt des Grafen von Wasaburg wird auch der Junker von Spaasche bei Wildeshausen genannt (es ist ein und dieselbe Person, denn der Graf von Wasaburg machte Spaasche zu einem adligen Gute). – Noch andere sagen, der Ort habe ursprünglich Hengstschlag geheißen.

g.

Einst im Winter hütete ein Schäfer aus Sage seine Schafe am Sager Meer, und als er eintreiben wollte, kam ihm der Gedanke, er wolle einmal seinen Weg über die Eisdecke des Meeres nehmen, was er denn auch tat. Als er so ziemlich auf der Mitte angekommen war, brach das Eis. Die erschreckten Schafe sprangen auf einen Haufen und versanken so in den Abgrund. Mit Hilfe seiner schnellen Füße erreichte der Schäfer glücklich das Ufer und auch ein Schaf, welches ihm nachgelaufen war. Er trieb dieses in den Kofen und hing seinen Hoiken (Schäfermantel) vor demselben auf; dann verließ er aus Verzweiflung seine Heimat und wanderte aus nach Amerika. Als am andern Morgen die Eigentümer der Herde [303] Nachsuchung hielten, fanden sie das eine Schaf. Die andern aber sind noch auf dem tiefen Grunde, wo sie immerdar grasen, blöcken und mit ihren Glöckchen klingeln.

h.

Das Sager Meer ist entstanden, als ein Ort, der hier sich befand, wegen der Ruchlosigkeit seiner Bewohner in die Tiefe versank. Die Einwohner waren durch ihre vielen Schafe und eine großartige Bienenzucht reich und dann übermütig geworden, vgl. 34b. Eigentlich ist es nicht ein Meer, sondern es sind zwei, ein größeres und ein kleineres, und es wird auch gesagt, daß nicht ein Dorf dort versunken sei, sondern ein Edelhof. Das Haupthaus habe dort gestanden, wo das große Meer sei, an Stelle des kleinen Meeres aber das Viehhaus. Jedenfalls müssen Häuser dort gewesen sein, denn alles Land ringsum ist ehemals bebaut gewesen und liegt noch in Äckern. Auch führt eine alte Wagenspur in das große Meer hinein. Das große Meer friert in der Mitte niemals zu, und beide sind unergründlich. Wenn man um Mitternacht an dem Meere vorbeikommt, kann man oftmals gespenstischen Hahnenruf und Hundegebell aus der Tiefe hervorschallen hören. (Das Sager Meer hat sumpfig-moorige Ufer, nur an einer Stelle ist die Zuwegung fest und hier gehen Wagenspuren ins Wasser, die die Sage vom versunkenen Dorfe veranlaßt haben. Früher waren die Ackerwagen nicht eisenbeschlagen, man brachte sie darum bei anhaltender Dürre in Tümpel oder Gräben oder Bäche, um insbesondere die Räder vor dem Zusammenfallen zu bewahren. In Sage benutzte man zu dem Ende das Meer und zwar an der Stelle, wo es zugänglich war, und so sind dort die Rinnen entstanden. Die Leute sagen auch, Napoleon sei in das Meer gefahren, als er von Rußland gekommen, daher die Wagenspuren. Napoleon I. war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vieler Munde. Hinter Hengstlage lag bislang ein Findling in der Heide mit einem Loch in der oberen Seite. Einige wollten in dem Loch den Hufabdruck des Teufels, andere eines Pferdes, das Napoleon geritten, sehen.)

i.

Das Sager Meer ist reich an Fischen, doch werden diese von den Umwohnern nicht gegessen: man traut ihnen nicht und hält sie für verzaubert. Ein Mann aus Sage, der es doch einmal gewagt hatte, dort zu fischen, zog einen ungewöhnlich großen Hecht heraus. Der Hecht hatte nur ein Auge, das war aber auch so groß wie das Auge eines Kalbes. Der [304] Mann nahm den Fisch auf den Rücken und machte sich auf den Weg nach Hause. Aber unterwegs wurde der Hecht immer größer und schwerer und endlich bückte er sich gar über die Schulter des Mannes herüber und schaute ihm mit seinem einen großen Auge ins Gesicht. Schleunigst warf der Mann ihn fort und lief was er konnte nach Hause. – Ein anderer Bauer, der an die Geschichten vom Sager Meer nicht glaubte, begab sich auch einmal an einem Sonntag unter der Predigt nach dem Meer und fing einen großen Hecht. Als er ihn über die Schulter warf, um ihn nach Hause zu tragen, sprach der Hecht:


»Wat wulltu mit mi maken,
Wulltu mi braden oder kaken?«

Sogleich warf ihn der Bauer wieder ins Wasser und ist auch nie wieder unter der Predigt zum Fischen gegangen. – Im Sager Meer sind auch Seemenschen: 259e.

k.

Südwestlich von der Station Ahlhorn im sogenannten Garter Moor und zwar an der Stelle, wo dieses anfängt, die Scheide zwischen der Ahlhorner und Garter Mark oder dem Münsterlande und dem Amte Wildeshausen zu bilden, lag die Garter Burg. Das Schloß ruhte auf starken, tief in das Moor eingetriebenen Eichenpfählen. Ein tiefer Graben und die morastige Umgebung machten dasselbe ganz unzugänglich. Die Bewohner lebten vom Raube und hatten zu dem Ende über den von Vechta nach Oldenburg führenden Weg, der damals an der Burg vorbeiging, ein starkes Seil gespannt, das bis zur Burg lief und den Bewohnern Kunde gab, wenn Beute in Sicht war. Große abgerichtete Hunde mußten die Reisenden so lange aufhalten, bis die Raubritter herankamen. Der letzte Ritter auf der Burg hieß Rodno. Er verbrannte sich mit seinem Schlosse, als er für seine Räubereien gezüchtigt werden sollte. So die Sage. – Bislang sah man dort, wo die Garter Burg gestanden, drei Gräben mit Wällen, die nach Osten hin geschlossen waren und nach Südwesten hin in das Moor liefen. An der Stelle, wo diese Wälle und Gräben das Moor erreichten, lag die Burg. An einem Punkte, wo ein Weg die Gräben durchschnitt, sah man ein umwalltes Viereck. Daß dort, wohin die Burg verlegt wird, ein Haus gestanden, beweisen die angebrannten Pfahlstümpfe, die sich an dem Platze vorfanden und die so fest im Boden staken, daß man sie mit Mühe und Not kaum herausziehen [305] konnte, sowie die dabei gefundenen Ziegelscherben. Die Geschichte weiß von einer Garter Burg nichts. Die Lage der Burg an der Grenze, die Verbindung der Gräben und Wälle mit dem Moore und dem Lanner (Landwehr) Grenzbach, weshalb die Gräben Lannergräben genannt werden (die Leute sagen, die Burg liege am Landwehrbach) spricht für ein ehemaliges Zoll- oder Wachthaus. – Die Garter Burg soll durch 2 parallele Wälle mit der Arkeburg in Verbindung gestanden haben. Die Besitzer beider Burgen haben zwischen dieselben von einer Feste zur andern reiten können, ohne von Leuten außerhalb der Wälle gesehen zu werden.

l.

Von Bahnhof Ahlhorn bis Lethe oder Baumweg ist früher zu beiden Seiten des Weges oder der Landstraße Wald gewesen. Man nannte das Gebiet »Lether Telgen«. Der alte Heerweg durch die Lether Telgen war berüchtigt wegen vieler dort verübter Raubereien, wovon noch jetzt das Volk zu erzählen weiß. (Klinghamer schreibt in seiner Chronik: »1576 Sonntags Septuagesima um 12 Uhr sind im Stifte Münster auf 'm Baumwege hart by der Kloppenborg elven Kaufleuten von 17 Räubern 8000 Daler genommen.« 1575 haben nach Klinghamer 5 Freibeuter einen Herrn von Köln von Hamburg ab über Cloppenburg hinaus verfolgt (also durch den Baumweg) und ihm bei Lastrup Wagen und Pferde und über 10000 Gulden genommen.) Die Garter Burg lag in derselben Gegend.

Vor J. Behrens Hause zu Sage spukt ein vergrabener Pferdekopf: 186d. – An der Chaussee beiSage liegt ein großer Stein, von dem Sagen gehen: 258d. – In der Sager Heide spukt der Teufel, 204l, ein Mann aus Badbergen, 183n, das schreiend Ding aus Holle, 183s, im Almswege ein Mann aus Sage: 183i.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 521. Großenkneten. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2D85-A