607. Middoge.

a.

Vor Zeiten lebte auf Haus Middoge ein Junker, der wegen seiner Gottlosigkeit und seines wüsten Wesens durch ganz Jeverland berüchtigt war. Auf seiner Meierei hielt er sich zum tiefen Verdrusse seiner Frau eine Beischläferin, die besuchte er, so oft es ihm beliebte und ohne alle Heimlichkeit, sodaß seine Frau, wenn er von der Meierei heimkehrte, durch das Gesinde immer schon wußte, wo er gewesen war. Es war nicht der Frauen Art, ihren gerechten Zorn über des Mannes Untreue in sich zu schlucken, und sie begrüßte den Junker jedesmal, wenn er heim kam, mit einer Flut scharfer und bitterer Worte. Der Junker aber ließ sich das nicht anfechten, und wenn er wieder bei seiner Beischläferin war und von dem letzten Empfange bei seiner Frau sprach, pflegte er nur zu sagen: »All wär Kief,« schon wieder Gekeif. Darum heißt die Meierei, am Wege von Middoge nach Tettens unweit Haus Middoge belegen, noch bis auf den heutigen Tag Kiefhaus.

b.

Middoge war früher nach Tettens eingepfarrt. Das war aber dem Junker von Middoge zuwider; er wollte eine eigene Kirche und eine eigene Pfarre haben. Darum veranlaßte er den Kirchenbau zu Middoge. Als die Kirche fertig und der Pfarrer eingesetzt war, und nun die Kirche eingeweiht werden sollte, befahl der Junker dem Priester, mit der Feier nicht eher anzufangen, als bis er zur Stelle sein werde. Der Priester wartete lange und hatte schon dreimal den Gesang vor der Predigt wiederholen lassen; als aber der Junker immer noch nicht kam, betrat er die Kanzel und wollte die Predigt beginnen. Da trat der Junker, mit Bogen und Bolzen bewaffnet, in die Kirche, und wie er den Prediger auf [409] der Kanzel erblickte, spannte er den Bogen und erschoß den Prediger. Diese Tat beschwerte doch das Gewissen des Junkers, und zur Sühne stiftete er in der Tettenser Kirche ein kunstvoll gemeißeltes Sakramentshäuschen. Dieses steht noch heutigen Tages unweit des Altars auf dem Chor und trägt den Namen des Junkers Ome hoeflink to Middoch wie des erschossenen Priesters Alvericus.

c.

Zu Haus Middoge wohnte früher ein Junker, welcher sehr hart und unmenschlich war und deshalb von seinen eigenen Leuten erschlagen wurde. Sein Blut sitzt noch an der Wand in Form einer Menschengestalt und ist auf keine Art und Weise wegzubringen. – Eine andere Erzählung: 204c.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 607. Middoge. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2EC1-7