506. Zwischenahn.

a.

In dem Kirchturm zu Zwischenahn befindet sich das hölzerne Bild des Evangelisten Johannes. Als einst in der Kirche Reparaturen vorgenommen wurden und die Abenddämmerung hereinbrach, so daß die Arbeiter nicht mehr sehen konnten, zündete ein Kalkstoßer ein Licht an und steckte es dem Bilde in die Hand, indem er sagte: »Da halt das Licht, du hast doch lange nichts getan.« Aber in demselben Augenblicke erhielt er eine tüchtige Ohrfeige, und das Licht erlosch.

[263] b.

In alten Zeiten sollen auf dem Turme zu Zwischenahn drei Glocken gehangen haben. Eine derselben sollte in einer Fehde geraubt werden; aber als die Räuber im Begriffe waren, sie herunter zu lassen, brachen die Taue, und es stürzten die Räuber mit der Glocke hinunter, das Gewölbe schlug durch und zerschmetterte die Räuber. Zum Andenken an diesen Vorfall hat man das Gewölbe bis auf den heutigen Tag nicht wieder hergestellt.

c.

Mitten im Zwischenahner Meer soll ehedem eine Insel gewesen sein, auf welcher ein Schloß gestanden hat. Noch kann man bei stillem Wetter auf dem Grunde des Wassers die Mauern des versunkenen Schlosses erblicken. Es sind in dem Meere sehr viele Fische, und jeder Monat hat seine eigene Art. Von der Entstehung des Meeres: 192a.

d.

Auf der Horst bei Zwischenahn soll der Herzog Wittekind von Sachsen ein Schloß besessen haben.

e.

Zu Specken ist eine Wiese, wo früher des Junkers von Specken Schloß gestanden hat. In der Burgstelle ist ein großer Topf mit Geld vergraben. Der Schatz ist aber verzaubert und schwer zu erlangen, und wer ihn höbe und nach Hause brächte, in dessen Hause würde jede Nacht ein fürchterlicher Lärm sein.

f.

In Zwischenahn steht ein Haus, in dessen Giebel über der Einfahrtstür sich ein offenes Mauerfach befindet, das auch nicht ausgefüllt werden kann: was man an einem Tage hineinmauert, fällt am andern wieder heraus. Früher wohnte in diesem Hause ein Mann, der sehr wohlhabend war, aber auch kein Mittel scheute, seinen Reichtum zu vermehren. Ihm gehörte auch die Mühle zu Edewecht, und er bestahl nicht nur die Mahlgäste, indem er ihnen das Mehl aus den Säcken nahm, sondern entwandte auch auf seinen nächtlichen Fahrten von Zwischenahn nach Edewecht von den Früchten, die in Hocken auf dem Felde standen. Und weil die Garben Körner streuten, so wachsen noch jetzt am Wege nach Edewecht hin und wieder Roggen, Gerste und Hafer. Als der Mann gestorben und begraben war, fand er keine Ruhe, sondern mußte in seinem alten Hause wiedergehen. Da aber das Haus dicht und verschlossen war, mußte er sich ein Loch durch die Mauer brechen, und dies ist jenes offene Mauerfach, das nicht zugemauert werden kann. Die späteren Eigentümer des Hauses haben daher eine Bretterklappe vor das Loch gehängt.

[264] g.

Der Junker von Elmendorf hatte in alten Zeiten so unbedingtes Recht über Leben und Tod seiner Hintersassen, daß er einmal einen Dachdecker, der auf seinem Hause arbeitete und irgend etwas ihm nicht recht gemacht hatte, herunterschoß wie einen Vogel vom Baume, ohne daß jemand gewagt hätte, sich darein zu mischen oder gar den Täter zur Strafe zu ziehen. – Ein Elmendorfer Junker hat seinen Bruder auf der Kreuzwiese am See ermordet: 35g.

h.

Zu Helle war vor Zeiten ein Gesundbrunnen, und alle Preßhaften, die daraus tranken, wurden geheilt. Ein Baum, der neben dem Brunnen stand, hing voll von Krücken, welche die gesund gewordenen Krüppel dort zurückgelassen hatten. Als einstmals im Sommer große Trockenheit herrschte, und der Brunnen fast leer war, waren die Einwohner von Helle so geldgierig, daß sie den Brunnen voll Wasser trugen; aber von der Zeit an hatte der Brunnen seine Heilkraft verloren. (Kollmann, Statist. Gemeindebeschreibung S. 715.)

i.

Einst hatte der Graf Anton Günther von Oldenburg Besuch von dem Häuptling zu Greetsiel, und als dieser abreiste, gab er ihm über Gristede das Geleite. Unterwegs behauptete der Häuptling, daß die Menschen in Ostfriesland ein höheres Lebensalter erreichten, als in der Grafschaft Oldenburg. Der Graf wollte diese Behauptung so allgemein nicht gelten lassen, weil doch Klima, Boden, Menschen und Lebensweise der Menschen hier so wenig verschieden seien. Auch bestätige die Erfahrung sie nicht, indem man auch in seinem Lande recht alte Leute finde. Während dieses Gespräches kamen sie in Helle an, wo ein damals sehr berühmter, jetzt versiegter Heilbrunnen war, und sahen am Wege einen eisgrauen Mann sitzen, der die Schweine hütete. Der Graf fragte ihn um sein Alter, und der Mann antwortete zum Erstaunen der beiden Herren: »Siebenhundert Jahr.« Auf nähere Nachfragen erfuhren sie denn freilich, daß der Alte 700 und 107 verwechselt hatte. Dem Grafen gefiel indes der alte Mann, und als er erfuhr, daß derselbe einen tüchtigen wackeren Sohn habe, gab er diesem die Heilquelle mit vielen umliegenden Ländereien in Erbpacht. Als später die Familie ausstarb, fielen die Güter an die Herrschaft zurück. – Eine Sage von dem Gute Eihausen: 175c.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 506. Zwischenahn. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-324E-1