326.

Am Tage Allerheiligen, 1. November, und am Tage Allerseelen, 2. November, wird nicht gesäet und kein Land bestellt, es ruht kein Segen darauf (Rastede). »Allerhillgen stiggt de Winter up de Willgen.« – Der 10. November, Martini, ist der Zahltag und war der Wechseltag für Wohnungen und Gesinde, doch ist in letzteren Beziehungen jetzt meist der 1. November an seine Stelle getreten. Gegen Martini ziehen die Kinder singend bei den Häusern herum und bitten um Äpfel u. dgl. Die Martinslieder werden freilich jetzt meist früher gesungen, wenn die Kinder an den kürzer werdenden Abenden mit Laternen von ausgehöhlten Gurken und Kürbissen oder von geöltem Papier oder mit gekauften Lampions umherwandern. Doch ist an einigen Orten der Martinsabend auch für die Laternenträger der Hauptabend.

a.

Sünte Martens, goens Mann,
De us alles giewen kann,
Van Appel un van Bieren,
De Niöte et ick gieren,
Schöne Jungfern, siet so god,
Smiet se us in usen Hot.

(Neuenkirchen).


In der hannoverschen Nachbarschaft von Neuenkirchen sangen die Kinder:

Marten is en gauden Mann,
Dei woll wat vergäwen kann,
Appel un auk Beren,
Nöte ät ik geren.
Eiken noster lilia,
Eipa rosa viola.

b.

Sünte Marten Voegelken
Harr so 'n rot Kokoegelken,
Flög mal aewern Rhien,
Hö Sünte Martien!
Gäwt us enen Koken,
Wie koent nich luder ropen,
Enen Koken sünder Krut,
Tokum Jahr en junge Brut.
Lat wassen, lat wassen,
God Koorn und god Flassen,
[94]
God Koorn un god Liensaat,
Dat is use Fru är Husgerat.
Fru, Fru, mak apen de Daer,
Dar sünd twee wackere Därens vaer,
De wullen woll gärn eis danzen
Woll üm den Wärt, woll üm den Wärt,
Fru, Fru, is dat nich Danzens wärt?
Ick hör de Slaetels klappen,
Ick glöw, se bringt us Appeln;
Ick hör de Slaetels klingen,
Ick glöw, se bringt us Kringeln.
Seweling, Seweling,
Schön is de Frau!
Lat us nich to lange stahn,
Wi möt noch dreer Wege gahn,
To Behren, to Behren (na Gären),
Na usen lewen Heren,
Seweling, Seweling,
Schön is de Frau!

(Vechta.)


(Was Seweling und Behren oder Gären heißt, ist unbekannt.)


Behren heißt vielleicht bäden = bitten, beten. Die letzten Verse heißen nämlich anderswo:

Lat us nich to lange stahn,
Denn wi möt noch föder gahn,
To bäden, to bäden
To usen laiwen Heren.
Schöne Stadt, Rosenblatt,
Schöne Junfer, giv us wat.

Übrigens sind b und c bei der jüngern Welt in Vechta ganz unbekannt, nur ältere Leute kennen noch die Lieder. Ungefähr dasselbe Lied b singt man in Damme, Holdorf und Dinklage auf Neujahr und Dreikönigen:


Rausenblatt, schöne Stadt,
Schöne Juffer gäwt us wat,
Gäwet us einen Kauken,
Wi könt nich länger raupen,
Einen Kauken sünner Krut,
Tauken Johr junge Brut
Mit gäle kruse Hoare.
Achtein Mann an einen Disk,
Dann wait de Brut, wat Sorgen is.
[95]
Lat den Schlötel klappen,
Se schölt us wol wat backen,
Lat den Schlötel klingen,
Se schölt us wol wat bringen.
Wi möt noch säwen Mile Wäges gahn,
Säwen Mile Wäges is so wiet,
Gäwt us wat, dann werd' ji us quiit.

c.

Sünte Martin Voegelken
Hett 'n rodet Krägelken,
Hett 'n rodet Röckschen an,
Is dat nich sünte Martens Mann?
De Appeln und de Bären
De mag ick doch so gären,
Naete smecket ok all god,
Smit se man in minen Hot!
Ick hör de Slaetels klingen,
Se schaelt mi woll wat bringen.

(Vechta.)

d.

Sünte Marten de kummt heran
Mit sine witten Päre,
Se räen woll na dat Naberhus,
Woll na de wackeren Därens,
Woll na de fulen Mägde,
De seten woll achter de Egde.
Fro, Fro, wo lat jo de Titten so witt?
Dat kummt woll van de Leewde, Gast,
Dat kummt woll van de Sorgequast (?)
Grotmoder, gaht na den Fleck,
Snid dumesdicken Speck,
Snid ruum,
Un snid jo nich in 'n Dum,
Snid snell
Un snit jo nich int Fell,
Striekt dar mitn Kamm awer,
Seggt, de leue Katt hett't dahn.
De Katt de is belagen,
De Wärth de is bedragen,
De Speck is är to de Nüsters rutflagen.

(Wiefelstede.)

e.

Martens Martens Göse
Sünd ok all to böse.
Hier en Stohl
Und dar en Stohl,
[96]
Up jeden Stohl en Küssen
Un dar en Pannkok twüschen,
Un harr ick nicks van'n Pannkok krägen,
So weer de Panne bursten.
Holt een Seil,
Holt twee Seil,
Holt dreemal up den witten Weg.
Moder, sitt min Dok och rech?
Ick kam vernabend nich wedder.
Kummst du vernabend nich wedder,
So hal ick Jakob Janssen,
De schall di lären danssen,
De schall di lären Trummel slan,
Darmit will wi nan Bedde gahn.

(Jever, vgl. 307c.)


In Vechta ziehen jetzt, wenn Ende August oder Anfang September die Abende länger werden, mildes Wetter herrscht, und der Mond am Himmel steht, die Kinder mit Lampions über die Straßen (St. Martin ist vergessen) und singen:


Bummela, Bummelaterne,
So gehen wir so gerne,
Wohl auf und wohl ab.
Das Licht ist aus,
Wir gehn nach Haus,
Und kommen morgen wieder
Und singen frohe Lieder.
Sonne, Mond und Sterne
Sind alle meine Laterne.
Lat us nich tau lange stoahn,
Denn wi möt noch wieder goahn
Na Brämen, na Brämen,
In Brämen doar is Market,
Dor köf use Mauder 'n Härink,
Use Voader 'n Stück, use Mauder 'n Stück,
De Kinner kriegt de Brägen,
De könnt se gaud verdrägen.

Auf eine Bettelei ist es bei diesen Gängen nicht abgesehen, nur hin und wieder bleibt wohl eine Gruppe vor einem Hause stehen, das als freigebig bekannt ist. Der obige Gesang findet sich auch in Bremen. Nach einer Zeitungsnachricht sang man dort von 1872 ab:


[97]
Sonne, Mond und Sterne
Erleuchten die Laterne,
Die Laterne ist so schön,
Da kann man mit spazieren gehn,
In den grünen Wald,
Wo die Büchse knallt.
Morgen is Freemarkt,
Dann geiht mine Mudder na'n Markt
Un kofft 'n suren Hering;
Min Vadder 'n Stück, min Mudder 'n Stück,
De Kinder kriegt den Rägen,
Den känt se god verdrägen.
Brenne auf, mein Licht,
Brenne auf, mein Licht,
Nur meine liebe Laterne nicht.

Als es noch in Vechta und Umgegend an Geschäften jeder Art fehlte, war der Verkehr mit Bremen stark, stärker als jetzt in der Zeit der Eisenbahnen. Möglich, das von dorther das Lied eingeführt und dann mit den Jahren etwas umgestaltet ist.

Anklänge an das Jeversche Lied unter e findet man im Osnabrückischen:


Sünte Marten Gäuse,
De Lüe sind so böse,
Willt us nix mehr giewen.
Riet' up de Siegen (Ziegen),
Van de Siegen up den Buk,
Dar sitt de olle Giezhals up.

Anklänge an das Dammesche Lied unter b findet man in dem Liede, das die Kinder in Haselünne (über Löningen hinaus) singen:


Sünner Märtens Vögelken,
Heff so'n rot Kögelken,
Heff so rot Röcksken an.
Heisa Sünner Märtens Mann,
De us woll wat gäwen kann.
Sünner Märten in'n Garen (Garten)
Mit Bielen un mit Baren (Barten),
Mit Gaffeln un mit Stangen,
Da kann man Sünne Märten mit fangen.
Heisa, Sünne Martens Mann.
[98]
Einen Kauken gäwen,
Da kann man nich lange van läwen,
Einen Kauken sünner Krut,
Tauken Jahr 'ne junge Brut!
Lat us nich tau lange stahn,
Wi willt 'n Hüsken wiedergahn,
Allverdan, allverdan,
Tauken Jahr en jungen Mann.

Spottreim, wenn nichts gegeben ist:

Einen Kauken gäwen,
Da kann man nicht lange van läwen,
Einen Kauken sünner Krut
Dar kiek der gitzige Düwel ut.

In Emden und Aurich singen die Kinder:

Sünder Martens Vögel
Kip Kap Kögel
Wull so wiet fleigen
All öwer den Rhin.
Hei ji Sünder Martens Vögel nich siehn?
Sünder Martens Göse
Sünd ok gar to böse.
– – – – – – – – –
Bawen wahnt de rike Mann,
De us woll wat gäwen kann.
Rieke Mann to Perde.
Use lewe Heere
De lett wassen
Good Koorn un good Flassen,
Good Korn un good Liensaat,
Froke, is dat gien good Husgerat?

Unter Martinsvogel ist hier überall die Gans gemeint. St. Martin wird mit der Gans abgebildet, weil er nach der Legende, um sich der Wahl zum Bischofe zu entziehen, flüchtete und dabei in eine Gänseherde geriet, die durch ihr Schnattern sein Versteck verriet. Die Verspeisung der Martinsgans ist im Oldenburgischen wohl kaum üblich, sicherlich nicht allgemeiner Volksgebrauch. In früherer Zeit war auf Martini-Tag die Gans ein Gericht, das nicht fehlen durfte in gut situirten Häusern. Als Vechta noch münstersch war, fuhr alljährlich um Martini ein vierspänniger wohl beladener Gänsewagen nach Münster. Der Vechter Rentmeister schickte mehrere [99] Dutzend wohlbeleibter Gänse dorthin, die mehr oder weniger alle in die Hofküche wanderten. Man war in der Residenz des Lobes voll des Ländchens, das seinen Bewohnern solche Genüsse spendete.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 326. [Am Tage Allerheiligen, 1. November, und am Tage Allerseelen, 2]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-35E0-E