588. Jever.

a.

Als Edo Wiemken der Jüngere, Häuptling über das ganze Jeverland, im Jahre 1511 verstarb, hinterließ er einen Sohn, Junker Christoph, und drei Töchter: Anna, Maria und Dorothea. Die Kinder standen unter der Vormundschaft ihres Oheims, des Grafen Johann XIV. von Oldenburg, und als Junker Christoph die Regierung selbst übernahm, schloß er sich seinem Oheim in dessen Kämpfen mit Graf Edzard von Ostfriesland, der auch auf Jeverland Anspruch erhob, an und half ihm mehrere Gefechte gewinnen. Aber schon 1517 starb er. Als er vor dem Schlosse zu Jever Ball gespielt hatte und dadurch erhitzt einen Trunk forderte, reichte ihm sein Hausvogt Jobst, ein Anhänger Edzards, eine Flasche mit vergiftetem Getränke. Der Junker erkrankte alsbald und starb kurz nachher, der Hausvogt aber entwich nach der ostfriesischen Festung Friedeburg. Jeverland fiel nun an die drei Schwestern, aber auch Anna und Dorothea starben bald, sodaß Maria allein die Regierung bekam. Diese hat sie lange und mit Ruhm geführt, sodaß ihr Andenken noch heute im Gedächtnisse aller Jeverländer lebt, als der Fürstin, unter welcher Jeverland am glücklichsten und zufriedensten gewesen ist. (Zum Teil nach Hamelmanns Chronik.)

b.

Auf dem Schlosse zu Jever wird noch das Panzerhemd des Fräuleins Maria aufbewahrt; es hängt in einem Glaskasten und kann von jedem Besucher des Schlosses in Augenschein genommen werden. Früher hat mitunter ein Besucher einen Ring von dem Panzer abgelöst und zum Andenken mitgenommen; aber über Nacht ist regelmäßig der Ring wieder an seiner rechten Stelle gewesen.

c.

In das Schloß des Fräulein Marie kam oft eine alte Frau aus Kleverns und verkaufte Butter. Als sie eines Tages weinte, und das Fräulein sie um die Ursache befragte, sagte sie, ihr Sohn habe sie geschlagen. Da ließ Fräulein Maria den Sohn herholen und ihm die Hand, mit welcher er seine Mutter geschlagen, abhauen. Diese Hand befindet sich noch in der Kirche zu Neustadt-Gödens. Andere erzählen die Geschichte anders (35d), aber alle stimmen darin überein, daß der Sohn, welcher Jan hieß, ein gar böser Mensch war, und zum Andenken an ihn singt man noch folgendes Lied:


[396]
Jan van Kleverns lat mi leben,
Ick will di'n mojen Piepvaegel geben,
Piepvaegel schall uns Stroh dragen,
Stroh willt wi de Bukoh geben,
Bukoh schall uns Melk geben,
Melk willt wi den Backer geben,
Backer schall uns Stuten geben,
Stuten willt wi de Brut geben,
Brut schall uns Krut geben,
Krut willt wie den Braegam geben,
Braegam schall uns Bran geben,
Bran willt wie den Babb (Vader) geben,
Babb (Vader) schall uns'n Stüver (Oertken) geben,
Stüver we wi Schoster geben,
Schoster schall uns Tüffels maken,
Tüffels we wi Memm geben,
Memm schall uns Titt geben,
Titt we wi de Puskatt geben,
Puskatt schall uns Müs' fangen,
Müs' we wi in'n Galgn uphangen.

Vgl. 367.

d.

An der Nordseite von Jever scheidet das Garmser oder Tettenser Tief die Anhöhe, auf welcher die Stadt liegt, von einer großen Fläche Weideland, welche derHillersche Hamm heißt. Der liegt für so viel Grase, als das Jahr Tage hat. Der Hamm gehörte bis vor kurzem vielen Leuten. Der eine hatte eine größere, der andere eine geringere Anzahl von Grasen; aber die Grase waren nicht abgeteilt, sondern der Besitz von so und so viel Grasen gab nur das Recht, so und so viel Stück Vieh zur Weide hinauf zu treiben. Noch früher waren diese Grase den Häusern der Stadt eigen, bis sie durch Verkauf nach und nach in andere Hände gelangten. Später hat die Stadt Jever die ganze Fläche an sich gekauft. Die Bürgerhäuser aber waren so dazu gekommen. Beim Flamtor (Flaampoort) wohnte ein reicher Bäcker namens Hillers grade da, wo nachher auch der Hillersche Laden war, dem gehörte jener Hamm zu eigen. Er wohnte in einem kleinen bescheidenen Häuschen und hielt es nicht für Schande, so reich er auch war, das Holz, welches er in seinem Ofen gebrauchte, selbst vor seinem Hause zu zersägen und zu zerhauen. Während er das einmal tat, mit dem Rücken nach dem Burgtor gekehrt, kam Fräulein Maria vom Schlosse her und wollte seinem Hause [397] vorbei in die Stadt gehen. Als sie in seine Nähe kam, bückte er sich grade, und seine Hose strammte sich so, daß sie sichs nicht versagen konnte, einen klatschenden Schlag darauf anzubringen. »Wa's dat färn olle Hor, de dat deit?« rief er in seinem Schreck und Zorn, da er in dem Augenblick die Täterin noch nicht erkannt hatte. Fräulein Maria vermeinte aber, daß sie recht gut erkannt sei, und erwiderte beleidigt: »Töw, dat schall di dinen grönen Rock kösten!« Und so geschah es. Bald hatte sie den Hamm durch allerlei Querelen in ihren Besitz gebracht, und als sie die Stadt zu ihrer Verteidigung hatte in Brand stecken lassen, legte sie nachher beim Aufbau derselben den Hamm in einzelnen Grasen den neuen Bürgerhäusern als Grundeigentum zu. (Nach Oldenb. Gesellschafter 1858, S. 104.)

e.

Von dem Schlosse zu Jever führen mehrere unterirdische Gänge nach Upjever, Marienhausen etc. In einem dieser Gänge, und zwar, wie die meisten sagen, in dem Gange nach Upjever, soll Fräulein Maria verschwunden sein. Ehe sie hineinging, befahl sie, daß man so lange jeden Abend mit den Glocken läuten solle, bis sie wiederkomme, und dies ist auch bis in die neueste Zeit geschehen, des Winters um neun, des Sommers um zehn Uhr. In der französischen Zeit ließ die Obrigkeit das Läuten einstellen, um die Stadt, welche nach Süden zu durch Holzungen versteckt war, den Franzosen nicht dadurch zu verraten; aber da fingen die Glocken von selbst an zu gehen. Und als die Franzosen in der Stadt waren, wollten diese das Läuten abschaffen als unsinnig und die Ruhe störend, aber auch da fingen die Glocken von selbst an zu läuten, sodaß die Franzosen sahen, daß es mit der alten Sitte doch etwas auf sich habe. Man hat später oft in die unterirdischen Gänge einzudringen versucht, um zu sehen, wo Fräulein Maria geblieben sei, aber alle, die es gewagt haben, sind darin erstickt. Nur einer ist an eine Tür gekommen. Als er die öffnet, sieht er einen Tisch von Eisen mit drei (einem) brennenden Lichtern, und unter dem Tische lag ein großer schwarzer Hund, der ihn mit feurigen Augen anglotzte. Um der Gefährlichkeit willen hat man die Eingänge jetzt zugeworfen, aber viele glauben, daß Fräulein Maria doch noch einmal wieder zum Vorschein kommen werde, denn daß sie noch lebe, beweise das brennende Licht auf dem Tische. – – Ein Erzähler meint eine dunkle Erinnerung zu haben, als ob Fräulein Maria in einem gläsernen, mit vier Hähnen bespannten [398] Wagen abgefahren sei. – In einer Mitteilung heißt es: Fräulein Maria hatte eine Schwester, welche zu Marienhausen wohnte. Sie lebte mit derselben immer in Streit, und beide beschossen sich von ihren Wohnsitzen aus mit Kanonen. Noch jetzt sind drei dieser Kanonenkugeln im Turme zu Jever zu sehen. Neben dem Turme war ehedem ein unterirdischer Gang. Durch diesen wollte einst Fräulein Maria fahren, um ihre Schwester zu überfallen. Bei ihrem Weggange etc. – »In Wittmund hat Fräulein Maria auch das Abendläuten gestiftet, sagen die Leute. Ob Ostfriesland ihr auch gehört hat, oder ob sie's hat an sich nehmen wollen, weiß ich nicht. Aber als sie in die Mine gegangen ist, die vom jeverschen Schloß nach Ostfriesland ganz weit hineinführt, hat sie gesagt:


Ick nähm min Swester Frauk Marie bi de Hand
Un bestriek mit är ganz Harlingerland!

So ist das Sprichwort in Wittmund«. (Von einem Dienstmädchen aus Wittmund. Es wäre zu wünschen, daß dies wirre Bruchstück vervollständigt werden könnte.)


Vgl. auch 593b, 595b. Jever im Vorspuk brennend: 158n.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 588. Jever. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-374D-E