[579] Übersetzungen

117. Von der Sammlung des Herzens

1.
Ich muß die Kreaturen fliehen
Und suchen Herzensinnigkeit
Soll ich den Geist zu Gotte ziehen,
Auf daß er bleib' in Reinigkeit.
2.
Ich muß die äußern Sinne zwingen,
Soll ich empfahn das höchste Gut,
Und stetig nach der Tugend ringen,
Soll werden mir der Liebe Glut.
3.
Ich muß die schnelle Zunge binden
Und was sie krümmt', nun machen schlecht,
Soll ich von Gott wahr'n Fried' befinden
Und soll mir immer werden recht.

(Aus dem Lateinischen I. Taulers)

118. Von dem Leben der Vereinigung

1.
Wenn die Seel' versammelt stehet,
Ganz entbunden, ganz allein
In ihr'n Mittelpunkt eingehet,
Von den Sündenflecken rein,
Klar und heiter und im Frieden
Und von allem abgeschieden,
[580] 2.
Dann vergisset sie zu merken,
Wie und wo der Leib mag sein,
Und in dessen Stand und Werken
Läßt der Geist sich dann nicht ein;
Tür und Fenster sich verschließen,
Daß nichts hindre dies Genießen.
3.
Dies Gebot gilt allen Sinnen,
Daß sie feiern in der Ruh,
Daß sie sich versammeln drinnen:
Augen, Ohren, schließt euch zu!
Euer Sehen, euer Hören
Würd' die stille Seele stören.
4.
Der Einbildungskraft Geschäfte
Muß allda ganz stille sein;
Ja, der Seele edle Kräfte
Sinken als in Ohnmacht ein.
Das Geschaffne bleibt indessen
Alles fern und wie vergessen.
5.
Die Vernunft nicht diskurieret,
Weil man hemmet ihren Lauf;
Der Verstand die Ruhe spüret,
Sein Verstehen höret auf,
Daß die Liebe ganz alleine
Wirken möge sanft und reine.
6.
Gleichwie Mose dort geschahe,
Bleibt sie auf dem Berg allein
Ihrem Gott im Geiste nahe,
[581]
Läßt das Volk dort unten sein;
Das Gepöbel fremder Sachen
Darf ihr da nicht Unruh machen.
7.
Daselbst sie ganz abgeschieden
Mit Gott handelt still und stumm,
Voll Vergnügen, Freud' und Frieden;
Dort im dunkeln Heiligtum
Sie genießet ohn' Betrüben
Ihres Schönen, ihres Lieben.
8.
Er in ihr sich süß ergötzet,
Sie in ihn wird transformiert,
Er an seinen Tisch sie setzet,
Sie wird göttlich da traktiert
Mit so manchen Traktamenten
Von des Liebsten milden Händen.
9.
Sie bleibt als verschlungen stehen
Im Bewundern solcher Gnad',
Sie kann ihn in allem sehen,
Was nur immer Wesen hat;
Ja, für alles und in allen
Dankt sie ihm mit Wohlgefallen.
10.
Sie fühlt hier in ihrem Herzen
Wegen Widerwärtigkeit,
Wegen Unlust, Last und Schmerzen
Keinen Schmerz zu solcher Zeit;
Sie will nichts, als was sein Wille,
Sie wirkt nur mit ihm ganz stille.
[582] 11.
Auch kein'n Augenblick noch Stunde
Überläßt der Höchste sie
Ihres eignen Willens Grunde;
Nein, der Bräut'gam will es nie,
Daß sich die von ihm soll trennen,
Die er liebt und Braut will nennen.
12.
Der Braut Wollen ist 'was Reines,
Weil's Gott selbst in ihr gewollt,
Weil's mit seinem Wollen eines;
Eh' sie davon weichen sollt'
Einen Blick, sie gäb' sich lieber
Tausend Töden willig über.

Aus dem Spanischen der Johanna Rodrigues

119. Von dem Kindlein Jesus
Zum neuen Jahr

1.
Ich seh mein Kind, das jetzt schon leidet,
Dein Leben ganz vor lauter Liebe wallt;
Hast du dich gleich so schlecht verkleidet,
So wirst du doch im Kriege sterben bald.
Gar teu'r wirst du bezahlen müssen,
Holdselig's Kind, die neue Kleidertracht;
Mit deinem Blut mußt du es büßen
Jetzt, da du kaum geboren in der Nacht.
[583] 2.
Du lebest unter bittern Feinden,
Sie sind bereit, zu kühlen ihren Mut;
Nur weil sie dich zu treffen meinten,
Vergießen sie so vieler Kinder Blut.
Du, süßes Kindlein, suchst sie alle,
Kommst darum nur, daß du sie lösen willt;
Du warst nicht lang gebor'n im Stalle,
Da du für uns vergießt dein Blut so mild.
3.
Heut willst du wie ein Knecht dich zeigen
Als dem Gesetz mit andern untertan;
Doch darf sich der nicht drunter beugen,
Der's selber ist und selber geben kann.
Du liebes Kindlein auserkoren,
Wie wird es sein, wann du wirst größer sein?
Jetzt, da du kaum ein Kind geboren,
Machst du uns schon dein zartes Blut gemein.
4.
Mein Kind, du wirst ein Bruder heute
Von dem Geschlecht, das so unhöflich tut;
Wie schändlich handeln dich die Leute!
Sie wollen dich verfolgen bis aufs Blut.
Du liebes Kindlein auserkoren,
Wie wird es gehn, wann du wirst größer sein?
Jetzt, da du kaum ein Kind geboren,
Machst du uns schon dein zartes Blut gemein.
5.
Drum bist du mein Geliebter süße;
Nimm mich denn an, daß ich durch Liebe mög'
[584]
Abwischen deine Kinderfüße,
Denn sie bedürfen wohl der Liebespfleg'.
Du liebes Kindlein auserkoren,
Wie wird es gehn, wann du wirst größer sein?
Jetzt, da du kaum ein Kind geboren,
Machst du uns schon dein zartes Blut gemein.

Aus dem Spanischen der Anna Garçias

120. Warnung wider die Leichtsinnigkeit im Christentum

Mel.: Wie schön leuchtet der Morgenstern ...

1.
Das arm', verwirrte Christentum
Dient Gott und weiß selbst nicht warum
Als nur zum eignen Nutze;
Zwar sucht's, doch find't's den Heiland nicht,
Weil's ihn nur sucht, daß im Gericht
Er sei sein Schirm und Schutze.
Doch kam Das Lamm,
Sündenschaden Aufzuladen
Und im Wesen
Durch Verleugnung zu genesen.
2.
Verleugnen man als bitter scheut,
Man träumt von einer Seligkeit,
Durch Jesus dort erworben;
Dich aber lieben, welches, Herr,
In Lust und Kreuz der Himmel wär',
[585]
Die Lehr' ist jetzt gestorben,
Obschon Dein Sohn
Dies mit Worten Allerorten
Angepriesen
Und im Vorbild klar gewiesen.
3.
Daß unser Heil ist, eignen Will'n,
Gemüts- und Sinnentriebe still'n
Und Lustbegierden hassen,
Daß sein-selbst-Heil in sein-selbst-Haß
Und Gotteslieb' bestehet, das
Kann nunmehr keiner fassen.
Man wühlt, Man zielt,
Trieb und Willen Zu erfüllen,
Sucht alleine,
Auch im Gottesdienst, das Seine.

Nach Jodokus v. Lodenstein

121. Die Einsamkeit mit Gott

Mel.: Sieh, hier bin ich, Ehrenkönig ...

1.
Gott der Frommen, Darf ich kommen,
Darf ich nahen ohne Scheu? –
Lass' denn sinken Auf dein Winken
Kreatur und Phantasei.
Heilig einsam, Gott gemeinsam
Wandeln stets, allein und frei!
[586] 2.
All mein Stöhnen, Warten, Sehnen,
Geht nach dir, mein Gott, allein;
Denn die helle Segensquelle
Quillt aus dir ins Herz nur ein.
Selig einsam, Gott gemeinsam!
Wär' ich recht mit dir gemein!
3.
Sel'ge Wüste, Da das Süß'ste
Und das Schönste all's verschwind't,
Da zerrinnen Meine Sinnen,
Ohrn und Augen müßig sind!
Selig einsam, Gott gemeinsam,
Da man nichts als Gottheit find't!
4.
Welt, dein Achten Und Verachten
Wird in dieser Wüste klein;
Vom Ergötzen, Lust und Schätzen
Scheid' ich willig ohne Pein.
Selig einsam, Gott gemeinsam!
Da gibt's Himmelbrot und Wein.
5.
Wie beschwerlich, Wie gefährlich
Wird man's bei der Welt gewahr,
Die mit Worten Uns ermorden
Und mit Gift ersticken gar!
Selig einsam, Gott gemeinsam,
Hätt' ich's hundert-hundert Jahr!
[587] 6.
Was hier gleißet, Herrlich heißet,
Fürstenfreundschaft auch, ist Wind;
Was hier funkelt, Bald verdunkelt,
Pracht und Staat im Hui verschwind't.
Selig einsam, Gott gemeinsam,
Da ich Himmelsfreundschaft find!
7.
Nein, es kommen Nicht Unfrommen
Auch nicht Fromme mit hinzu,
Groß' noch Kleine, Einem Eine,
Ich, dein Kind, und Jesu, Du.
Selig einsam, Gott gemeinsam!
Da ist Wohlsein, da ist Ruh.
8.
Mit dir leb' ich, Mit dir schweb' ich,
Süßer Freund, durch Lieb' und Leid;
Mit dir sterb' ich, Mit dir erb' ich,
Was bei dir für mich bereit.
Selig einsam, Gott gemeinsam,
Da mein Jesus mich begleit't!
9.
Im Gerichte, Da mitnichte
Angesehn wird groß noch klein,
Wo die größten Freund' nicht trösten,
Da bleibt Jesus Freund allein.
Selig einsam, Gott gemeinsam
Ich auch vor Gericht erschein'.

Nach Jodokus v. Lodenstein

[588] 122. Der Wandel in Gottes Gegenwart

Mel.: Sieh, hier bin ich, Ehrenkönig ...

1.
Ich will einsam Und gemeinsam
Mit dem ein'gen Gott umgehn
Und die Sinnen Halten innen,
Was nicht Gott ist, lassen stehn,
Das Getümmel Und Gewimmel
Außer mir nicht mehr ansehn.
2.
O du süße, Stille Wüste,
Da all das Geschöpfe schweigt,
Da das Herze Ohne Schmerze
Sich zum großen Schöpfer neigt
Und der Wille In der Stille
Sich ganz unter ihn hinbeugt.
3.
Mir hier stinket, Was da blinket
Nach der eiteln Herrlichkeit,
Weil ich einsam Und gemeinsam
Handle mit der Ewigkeit.
Mit Gott leb' ich, An Gott kleb' ich
In und außer aller Zeit.
4.
Nach der Stille Ohn' Gewühle
Hat mein Heiland selbst getracht't
Und im Hause Und nicht drauße
Dreißig Jahre zugebracht,
Da er fleißig, Ja, das weiß ich,
Hat vor seinem Gott gewacht.
[589] 5.
Himmlisch Wesen, Laß genesen
Mich in deiner Gegenwart
Und hingegen Ganz ablegen
Esaus weltgesinnte Art,
Die das Brausen Liebet draußen
Und sich nicht vorm Feind bewahrt!

Nach Jodokus v. Lodenstein

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TextGrid Repository (2012). Tersteegen, Gerhard. Übersetzungen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-47E0-0