[245] Harren der Geliebten

Wandert mein Gedanke aufwärts, abwärts,
Durch den Wald wohl und die weite, weite Fern,
Sieht mein Auge, sieht mein liebend treu Herz
Schönres nichts, als meiner Liebe Stern.
Ueber alle Berge, über Seen,
Flieg' ich herzhaft, wenn ich sonst auch furchtsam bin,
Ach! es haucht mich fort der Liebe Wehen,
Und bezwungen ist mein schwacher Mädchensinn.
Einsam könnt' ich ihn in Wäldern suchen,
Suchen bis zur tiefsten fernsten Dunkelheit,
Fürchten Tannen nicht, nicht finstre Buchen,
Wenn auch aus dem Holz die dumpfe Eule schreit.
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Ach wieder den liebenden Armen
Am Busen froh zu erwarmen,
Kehr' frühlingsgleich der Braut zurück!
Zurück,
Lock' ich mit liebenden Tönen mein Glück.
Aber es hört nicht,
Aber es kehrt nicht.
Denn zwischen uns liegt Berg und Thal,
Berg und Thal
Mir zur Quaal,
Sie trennen Herz von Busen zumahl. –

Notes
Aus »Prinz Zerbino«. Erstdruck: Jena (Frommann) 1797.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Harren der Geliebten. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-54F8-4