[153] Trinklied

Erwacht ihr Melodieen
Und tanzt auf den Saiten dahin!
Ha! meine Augen glühen,
Alle Sorgen erdwärts fliehen,
Himmelwärts entflattert der jauchzende Sinn.
In goldenen Pokalen
Verbirget die Freude sich gern,
Es funkeln in den Schaalen
Ha! des Weines liebe Strahlen,
Es regt sich die Welle ein schimmernder Stern.
In tiefen Bergesklüften,
Wo Gold und der Edelstein keimt,
In Meeres fernen Schlüften,
In Adlers hohen Lüften,
Nirgend Wein wie auf glücklicher Erde schäumt.
[154]
Gern mancher sucht' in Schlünden
Wo selber dem Bergmann graut,
In felsigen Gewinden,
Könnt' er die Wonne finden,
Die so freundlich uns aus dem Becher beschaut. –
Als das Glück von der Erde sich wandte,
Das Geschick alle Götter verbannte,
Da standen die Felsen so kahl,
Es verstummten der Liebenden Lieder,
Sah der Mond auf Betrübte hernieder,
Vergingen die Blumen im Thal.
Sorg' und Angst und Gram ohne Ende,
Nur zur Arbeit bewegten sich Hände,
Trüb' und thränend der feurige Blick,
Sehnsucht selber war nun entschwunden,
Keiner dachte der vorigen Stunden,
Keiner wünschte sie heimlich zurück. –
[155]
Alle Götter ohn' Erbarmen
Sahn hinunter auf die Armen,
Ihr Verderben ihr Entschluß.
O! wer wäre Mensch verblieben,
Ohne Götter, ohne Lieben,
Ohne Sehnsucht, ohne Kuß? –
Bacchus sieht, ein junger Gott,
Lächelnder Wang', mit Blicken munter
Zur verlaßnen Erd' hinunter,
Ihn bewegt der Menschheit Noth.
Und es spricht die Silberstimme:
Meine Freunde sind zu wild,
Ihrem eigensinn'gen Grimme
Unterliegt das Menschenbild.
Dürfen sie die Welt verhöhnen
Weil kein Tod uns Göttern dräut?
Sollen denn nur Angst und Stöhnen
Leben sein, und bittres Leid? –
[156]
Bacchus läßt die Rebe sprießen,
Saft durch ihre Blätter fließen,
Läßt sie weiche Lüfte fächeln,
Sonnet sie mit seinem Lächeln.
Um die Ulme hingeschlungen
Steht die neue Pflanz' im Licht,
Herrlich ist es ihm gelungen,
Denn die Götter merken's nicht.
Läßt die Blüthen röthlich schwellen
Und die Beeren saftig quellen,
Fürchtend die Götter und das Geschick
Kömmt er in Trauben verkleidet zur Welt zurück.
Nun kommen die Menschlein hergegangen
Und kosten mit süßem Verlangen
Die neue Frucht, den glühenden Most,
Und finden den Gott, den himmlischen Trost.
[157]
In der Kelter springt der muthwillige Götterknabe
Der Menschen allerliebste Haabe,
Sie trinken den Wein, sie kosten das Glück,
Es schleicht sich die goldene Zeit zurück.
Der schöne Rausch erheitert ihr Gesicht,
Sie genießen froh das neue Sonnenlicht,
Sie spüren selber Götter- und Zauberkraft,
Die ihnen die neue Gabe schafft.
Die Blicke feurig angeglommen
Zwingen sie die Venus zurück zu kommen,
Die Göttinn ist da und darf nicht fliehn,
Weil sie sie mächtig rückwärts ziehn.
[158]
Da schauen die Götter herab mit staunendem Blick,
Es kommt beschämt die ganze Schaar zurück:
Wir wollen wieder bei euch wohnen,
Ihr Menschen bauet unsre Thronen.
Was brauchen wir euch und euer Geschick?
So tönt von der Erde die Antwort zurück,
Wir können euch ohne Gram entbehren,
Wenn Wein und Liebe bei uns gewähren.

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TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Zweiter Theil. Trinklied. Trinklied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5635-4