Ein besserer Herr

Da laßt mich mal ran. Dieses Buch will besprochen sein.

Dieses Buch ist: ›O. S.‹, verfaßt von Arnolt Bronnen (erschienen bei Ernst Rowohlt zu Berlin); ›O. S.‹ heißt: Oberschlesien. Ausgezeichneter Einband: eine graue Generalstabskarte der Gegend, die Demarkationslinie zwischen Polen und Deutschland blutrot eingezeichnet, der Titel gleichfalls rot, das ist sehr gut gemacht. Die vierhundertzehn Seiten aber sind der Abschied eines Literaten von der Literatur.

Vor der Abstimmung in Oberschlesien versuchten beide Teile, die Entscheidung der Alliierten und die Haltung der Entente-Kommissionen mit Waffengewalt zu beeinflussen. In Polen taten das Patrioten und bezahltes Gesindel, in Deutschland waren es Patrioten und bezahltes Gesindel; die Atmosphäre dort unten roch nicht gut. Es spielten sehr gewichtige Interessen der Großindustrie mit, von denen die Freikorps, die mit unerhörter Brutalität eingriffen, nicht viel ahnten – in dem einzig lichten Augenblick seines Buches nennt Bronnen die Anfänge der Schwarzen Reichswehr rechtens ein »Gemisch aus Arbeitslosigkeit und Patriotismus«. Der Erfolg dieses Bandenkrieges ist negativ gewesen – die endgültige Festsetzung der Grenzlinie ist kaum durch ihn beeinflußt worden. Wesentlich ist dann doch die Abstimmung gewesen. Von beiden Seiten wurden damals große Fonds in den korrumpierten Volkskörper hineingepumpt wie später in die Ruhr – ich selbst habe die Hände in diesem Bottich gehabt, ich hätte es nicht tun dürfen, und ich bereue, was ich getan habe. Auf beiden Seiten ist gemordet und spioniert worden, verraten und gekauft und verkauft; bestialische Untaten sind verübt worden und ungesühnt geblieben . . . und schließlich hat es alles nichts genutzt.

Davon erzählt Bronnen. Kein Zweifel, daß es nicht nur das Recht, sondern beinah die Pflicht des Dichters ist, ein Zeitdichter zu sein – und hier ist sorgfältig zu untersuchen: wird ästhetisch berichtet, gleichmütig, unpolitisch, oder steht der Erzähler auf einer Seite der Linie? Bronnen steht auf einer Seite: nicht auf der polnischen. Auf der deutschen? Nein, er steht nicht auf der deutschen – er steht auf der Seite der Freikorps, und diese Freikorps verfochten zum großen Teil nur ihre Sache, nicht die der Deutschen, von denen sie nicht beauftragt waren, die sie nicht gefragt hatten . . . aus Bayern zogen sie nach Oberschlesien, Landsknechte, die überall waren, wo es etwas zu[105] prügeln gab. Hier gab es Krieg, Divisionsstab, Mord, Geld, Krach, ein freies Leben führen wir . . . !

Das kann man bejahen.

Ich spiele dieses Spiel nicht mit, das darin besteht, jedem Schriftsteller der Gegenseite die Begabung abzusprechen. Unsereiner ist ja für die Rechten ein analphabetischer Botokude; wir aber wissen, wie groß Gottes Tiergarten ist – warum sollte es nicht einen guten, einen achtbaren, einen prägnant schreibenden nationalen Schriftsteller geben?

Jedoch hat jede heroische Bewegung ihre Affen; der Faschismus hat einen neuen Typus in Europa gezüchtet, den faschistischen Kellner. Bitte sehr, bitte gleich . . . es ist eine Tragik dieser Gruppen, daß dort offenbar unsre alten Hosen aufgetragen werden; da gibt es falsche Hamsuns und nachgemachte Kerrs und Epigonen von Epigonen . . . Die Herren irren. Faschisten –? Ein dreckiges Hemd ist noch kein Schwarzhemd.

Echtheit der Gesinnung riecht man. Der verstorbene Friedrich Lienhard ist echt gewesen. Hans Grimm ist ein durchaus ehrlicher Mann. Bronnen ist nicht echt.

Sage mir, wie du schreibst . . . .. da gibt es kein Versteckspiel. Wir alle sind mit unsern Stärken und unsern Unarten in unserm Stil; es ist wie mit dem Gesicht: hier gibt es keine Verstellung. Wie sieht der Stil des Freikorpsbarden aus?

Wenn ihr in den Ecken eurer Bibliothek nachstöbert, wo die alten, ganz alten Reclambändchen stehn, dann werdet ihr sicherlich auch so etwas wie ›Militärhumoresken‹ finden (Theo von Torn . . . ), und da fischt euch einmal eine heraus. Ihr werdet sehen, wie der höchst zweifelhafte Humor dieser kindlichen Albernheiten darin besteht, daß gewöhnliche Hergänge bombastisch beschrieben werden. »Fritz, der treue Bursche, ergriff zu diesem Zwecke das keinem Vaterlandsverteidiger fehlende Schwert und ging mit dieser furchterregenden Waffe der Büchse zu Leibe, die der Aufbewahrung jener mit Recht so geschätzten Erbswurst diente . . . «, also dumm. Diese Technik geht durch alle Bändchen – sie feiert hier bei Bronnen ihre fröhliche Urständ. Dieses Deutsch ist eine Affenschande.

»Herr von Heydenbreck saß eben, es war halb drei Uhr, im Osten flimmerte schon der bekannte Silberstreif . . . « Diesen Satz kann man sich unmöglich anders als genäselt gesprochen denken – »der bekannte Silberstreif« . . . hähä – sehr jeistreich, hat doch der olle Pachulke, der Stresemann, mal jesacht . . . Prösterchen! Und das ist nun nicht etwa eine Ausnahme; das soll keineswegs dazu dienen, eine Figur zu charakterisieren, sondern Bronnen findet das komisch, und in seinen Kreisen wird es das ja wohl auch sein. Wo es ganz besonders komisch hergeht, schreibt der hochgemute Dichter »Neese« statt ›Nase‹, ohne jeden ersichtlichen Zweck . . . wenn da die Leute nicht lachen! Bevor [106] ich berlinere, überlege ich es mir dreimal, und zweimal tue ichs nicht.

Es gibt in diesen deutschen Büchern ein Wort, das nie fehlt, weil es so recht zeigt, wie sich die Verfasser einen deutschen Mann vorstellen. Es ist das Wort ›kurz‹. »Herr Pfarrer Ulitzka gab ihm kurz zur Antwort . . . « Die Fakultäten, die so schöne Preisaufgaben stellen, sollten einmal als Thema geben: »Kurz und Knapp in ihrer Beziehung zum patriotischen Schundroman des zwanzigsten Jahrhunderts.« Denn dies ist ein deutsches Ideal: jemand kurz anzufahren; nehmen Sie herrisch, dergleichen hebt immer. Bronnen spricht auch im ruhigen Prosatext genau so, wie seine uniformierten Jungen gesprochen haben – ich will den Putsch-Killinger, der eines der rohesten Bücher geschrieben hat, nicht beleidigen: aber beinah so schön kann es Bronnen auch. Dies ist sein Deutsch: »Nun stand da, allein in einer offenen, relativ behaglichen Wohnung ein einsames Mädchen . . . « man fühle, wie gewöhnlich, wie aus dem Rinnstein geklaubt dieses ausgespuckte und törichte Fremdwort ›relativ‹ hier ist; man höre so einen Satz, von einem Überfall auf Geschäftsleute durch die Freikorpsverbrecher: »Die ungeladenen Pistolen auf der schwitzenden Stirn gaben die Koofmichs mit Eifer ihr Geld«, und man ermesse daran den Stil.

Die Freikorpsknaben, für die das Buch geschrieben ist, werden diesen Stil loben, es haltend wie Schalom Asch, der ›Jiddisch‹ für die schönste Sprache der Welt erklärte. Und als er gefragt wurde, warum: »Man versteht jedes Wort.« Bei Bronnen versteht man jedes Wort – wissen Se, es is so natürlich jeschriehm – ehm so, wie man ehm spricht. Zum Wohle.

Bronnen beschuldigt ohne den Schimmer einer Ahnung die Reichs-Regierung, nichts für Oberschlesien getan zu haben. Die Regierung aber saß damals im Druck einer Ungeheuern Zange: sie hatte, was der Verfasser übersieht, einen Krieg verloren, sie hatte ein halb verhungertes Volk im Lande, fremde Soldaten auf der heimischen Erde . . . »Na, da hätte man eben . . . man hätte eben . . . also: einfach feste druff . . . «, so ungefähr geht, unausgesprochen, das politische ›Programm‹ durch die hingesudelten Seiten. Die Roheit, die Dummheit, die Blindheit dieses Autors sind beispiellos.

Er schreibt das Eigenschaftswort ›deutsch‹ allemal groß und ›polnisch‹ allemal klein, auch dann, wenn er die Polen etwas von »den Deutschen Schweinen« sagen läßt – wohl, um anzudeuten: waren die Deutschen einmal Schweine, dann sind sie eben recht große gewesen. Und wenn es ganz groß hergeht, dann schreibt Bronnen alles groß – so am Schluß, wenn Banalitäten über einen nebulosen Sieg in den Wind geschmettert werden, wo die Fahnen sich bauschend im Winde . . . wie gehabt. Das Minderwertige wird klein geschrieben? Dann aber wollen wir von arnolt bronnen sprechen, bei dem dieser [107] Deutsche Rechtschreibungssieg nicht nur eine gesuchte Äußerlichkeit ist wie die, alle zusammengesetzten Wörter auseinanderzureißen und die Teile ohne Bindestrich hinzusetzen: welch ein Bock Mist. Nein, seine nationale Orthographie hat ihre tiefere Bedeutung.

Denn tatsächlich gibt es in diesem Buch keinen anständigen Polen. Es sind kleine, verschmierte, tückische, bezahlte Leute; auf der Deutschen Seite aber ragen die trutzigen Helden rank und hehr und sonst noch was in den falben Morgenhimmel. Wo sind die polnischen Schlageters? Wenn die Polen einen Nationalfehler haben, so ist es ihr übergroßer Nationalismus, der sich aus der Geschichte ihres Staates und aus der hundsgemeinen Behandlung herleiten läßt, die sie jahrhundertelang von den Deutschen zu erdulden gehabt haben – glaubt Bronnen, daß nicht auch die Polen aus echter Liebe zu ihrem Vaterland in diesen oberschlesischen Kampf gegangen sind? Er verschweigt es. Bei ihm sind die Polen, was in den Indianerbüchern ›der schurkische Mestize‹. Er delektiert sich an den Gewalttaten, die erzählt werden, in einer beinah peinlichen Weise. Es ist da beim Sturm auf den Annaberg von einem bayerischen Raufbold die Rede, der in fliehende polnische Soldaten hineinschießt, Männer, die genau so viel und so wenig Soldaten sind wie er selber – und das ist mit einem solch viehischen Behagen erzählt, so feige-grinsend . . . Was dem einen seine Anna, ist dem andern sein Annaberg.

Und man wird das Gefühl nicht los: Warum arbeiten denn alle diese feinen Herren nicht? Es gab nichts zu arbeiten? In Deutschland ist ein Ödland, so groß wie der Freistaat Oldenburg – warum betätigen sie an dem nicht ihre brennend heiße Vaterlandsliebe? Mit Ausnahme der Artamanen tut das keiner von denen. Aber das ist freilich nicht so romantisch, auch verschafft es weitaus weniger Lustgefühle. Für die hat der feinsinnige Verfasser drei Elemente parat, die immer ziehen.

»Eine gute Nachricht«, heißt es in einem unsterblichen Wort des Lord Northcliffe, »enthält dreierlei: Blut, Vagina und Nationalflagge.« Zur Stelle, sagt Bronnen.

Blut hat er. Es wird gedroschen und geschossen und gemordet, daß es einem nur so warm über den Rücken säuselt.

Nationalflagge hat er auch. Man entsinnt sich jenes famosen ersten Aktschlusses im ›Cyrano de Bergerac‹ – wenn da die Szene zu verlaufen droht, setzt sich der Zug der Schauspieler in Bewegung, der Hintergrund öffnet sich . . . »und vor uns liegt Paris!« Es gibt kein Publikum der Welt, auf das dergleichen nicht wirkte. Bei Bronnen wird, wenn er Pathos braucht, der Hintergrund aufgezogen, und da liegt: Deutschland.

Und nun muß einmal gesagt werden, daß es nur ganz seltene Fälle gibt, wo diese Zusammenfassung der sechzig Millionen überhaupt [108] noch einen Sinn und eine künstlerische Berechtigung hat. Über den Begriff Rasse wollen wir gar nicht erst reden. Da steht zum Beispiel gegen die englische Politik: »Und so ereignete es sich, daß in diesen schweren Stunden des germanischen Stammlandes plötzlich eine Welle teutonischer Solidarität gegen die Kreide Felsen der Insel schlug . . . « Was! Diese Promenadenmischung wild gewordener Kaschuben wird uns als Block teutonischer Solidarität geschildert. Aber es ist ja nicht wahr, daß die sechzig Millionen immer ein einziges Ding sind; gespalten sind sie, durch den Klassenkampf zerrissen, in ihren Anschauungen, ihrem Herkommen, ihrer Abstammung so weit voneinander unterschieden, daß man schon auf das Heimatgefühl, das ganz und gar unpolitisch ist, zurückgreifen muß, um wirklich sagen zu dürfen: Deutschland. Aber wenn es doch einen so schönen Aktschluß ergibt!

»Wir haben da einige Leute«, sagt einer der Raufbolde, »verstreut, privat, in läppischer Beschäftigung; und plötzlich überfiel uns dies, Nation, wie eine Krankheit. Wir wurden, rätselhaft und beglückend zugleich, Instrumente der Nation . . . « Hier ist der Fehlschluß in nuce: Instrumente der Nation? Gegen den Willen dieser Nation, ja ohne ihr Wissen, unter ihrer gänzlichen Gleichgültigkeit Instrumente der Nation? Das hat man immer gesagt, wenn »ganz große Schweinereien exerziert« wurden, um im Stil des Buches zu bleiben – denn nichts ist so verantwortungslos wie die staatliche Kollektivität.

Einmal, ein einziges Mal, drückt sich der faschistische Pikkolo deutlicher aus, und da ist er zu schlagen. »Die meisten sagen, Vaterland ist Blödsinn. Ich meine, das kann ernsthaft nur jemand glauben, der von seinem eignen, jämmerlichen Leben keine Ahnung hat. Das Leben eines Menschen ist nicht besser, nicht schlechter, nicht tiefer, nicht gescheiter als das Leben eines Hundes, eines Grases. Das Volk kann es besser, schlechter, tiefer, gescheiter machen. Das war in mir, als ich nach Wyssoka ging.« Jeder muß sein eignes Leben am besten kennen. Aber hier ist klar und eindeutig gezeigt, wie an die Stelle des alten Religionsbegriffes, der angeblich den Menschen erst über das Tier hinaushebt, dieser Vaterlandsbegriff getreten ist, der mit seinem falschen Mystizismus auch bessere Gehirne vernebelt hat als das des Herrn Bronnen. Ohne Heroismus ist noch keine Sache auf dieser Erde zu gutem Ende geführt worden – aber dann ist mir die Terminologie des Klassenkampfes lieber. Sie ist ehrlicher.

Soweit das Blut und die Nationalflagge. Was das dritte der Northcliffeschen Postulate, die Frau, anlangt, so werden wir reichlich bedient. Ich muß gestehn, seit langem nichts so Unappetitliches gelesen zu haben wie dies Kapitel, das in gar keiner Beziehung zum sonstigen Inhalt steht – man fühlt förmlich, wie sich der Dichter gesagt hat: Ja, und nun mußt du den Freikorpslesern doch noch was fürs Herz bieten. Fürs Herz . . . ? so hoch gehen seine Aspirationen gar nicht. Es [109] wird da ein trübes Feuerwerk der Schmutzerei abgebrannt, aber was dieser von allen guten Geistern verlassene Patriotenclown nicht weiß: es gehört Kraft dazu, so etwas zu schreiben. Um eine erotische Situation bis in die medizinischen Einzelheiten zu gestalten, muß man die Stärke etwa von James Joyce besitzen, was aber Bronnen gemacht hat, ist blanke Pornographie. Wenn dies Literatur ist, dann ist das ›Tagebuch der Josefine Mutzenbacher‹ ganz ausgezeichnete Literatur.

Aber alles das: die Sauerei, der ungeistige Patriotismus, der schlechte Stil könnten mich nicht bewegen, diese Sorte so leidenschaftlich abzulehnen, wie ich es tue. Da ist noch etwas andres.

Bronnen weiß nichts über die deutsche Wirtschaft – gut, mag hingehn. Drei Sätze von Morus geben uns mehr Aufklärung über Oberschlesien als dieses nationalistische Gerümpel. Bronnens Material ist mehr als kümmerlich; im Vorwort werden einmal die berüchtigten Cossmannschen Monatshefte angeführt, deren Materialforschung und Dokumentenzusammenstellung bekannt sind, und auch die hat der Verfasser noch »aus dem Gedächtnis« zitiert: so, mit der linken Hand, wer hat denn Zeit, alles zu lesen! Dabei spielt Bronnen ›neue Sachlichkeit‹ – der Innenumschlag des Buches enthält die Generalstabskarte noch einmal, mit allen Zeichenerklärungen . . . wir sind ja so nüchtern! und so kalt! und wirklichkeitsnah! und haben auch noch nicht die allereinfachste Statistik über dieses sehr verwickelte Oberschlesien gelesen, wo die größten Industrie- und Ackerbarone leben und wo das Elend der Landarbeiter zum Himmel schreit. Mag alles noch hingehn.

Daß Bronnen von der getarnten Reichswehr sagt: »Unter den Augen und Nasen zahlloser Spitzel, neben den Ohren von hundert Entente Kommissionen gelang es, in den schwierigsten und gefährlichsten Zeiten diese Geheimsoldaten wirklich geheim zu halten« und mit keinem Wort auch nur andeutet, daß noch heute Leute in den Kerkern sitzen, weil sie diese zweite Reichswehr ans Licht zerrten, die Geßler wider besseres Wissen abgeleugnet hat – das ist schon schlimmer.

Daß er aber solche Sätze schreibt wie: » . . . durch soviel Abenteuer gegangen, er hatte unverwundet drei Offensiven und den großen Argonnen Rückzug überstanden, die Revolution hatte ihn auf den Barrikaden vieler großer Städte gesehen, er hatte in München Herrn Toller pensionieren geholfen und in Pest Herrn Khun« – daß in dieser mit einem Syntax-Fehler gezierten Stelle wiederum nichts von den sinnlosen und empörenden Grausamkeiten dieser Ordnungsgardisten und nichts von den Leiden der Revolutionäre ausgesagt ist; daß Arnolt Bronnen sich über die Millionen Deutscher, die keine Arbeit haben, lustig macht: »Krenek konnte Holz und Dachpappe fressen, was sein Magen, durch Arbeitslosen Kost verweichlicht, vorderhand noch ablehnte«; daß Arnolt Bronnen diese Stelle hier (von der als geil und verdorben geschilderten Pornographie-Figur) hinsetzt:

[110] »Ihr Vater hatte ein Album von George Grosz. Sie zeigte es dem Franzosen, sie lachten gemeinsam über diese Gesichter der Deutschen Bürger und der Deutschen Huren, ›Ein schönes Volk, Tinet‹, sagte sie, ›und das ist meine Mutter‹, zeigte sie, Bertin schüttelte den Kopf. ›Ich habe kein Gefühl für sie‹, meinte Toinette, ›für meine Mutter nicht, und nicht für ihr ganzes Volk. Sie sind so ordinär, dumm, gierig, außer fressen und flicken kennen sie nichts, und das kennen sie nur in der gemeinsten und niedrigsten Weise‹« – daß er das geschrieben hat:

das darf denn doch wohl eine Perfidie genannt werden.

Bronnen muß wissen, daß diese Bilder aus tiefstem Schmerz geboren sind; daß Grosz, wie wir alle, unter seinem eignen Volk gelitten hat; daß die Gefahr, solche Bilder könnten derart sinnlos und idiotisch mißbraucht werden, unendlich geringer ist als der moralische Nutzen, den sie gestiftet haben – und Bronnen weiß das. Er hat mit ›Vatermord‹ eine Konjunktur benutzt, wie er das immer getan hat; er weiß, wer George Grosz ist.

Aber George Grosz hat aufs Haar genau das dargestellt, was dieser hier geschrieben hat, nur von der anderen Seite:

Ein Freiwilliger bei Bronnen hockt allein unter den gefallenen Kameraden, er sieht auf die Leichen von polnischen Gefangenen, die die deutschen Helden mit dem Maschinengewehr zusammengeschossen haben, weil sie sie nicht mehr mitführen konnten, »Sie waren bewundernswert getroffen, präzis, wie Ochsen im Schlachthaus. Er betrachtete sie gefühllos, ohne Bedauern; ohne Bedacht auf die Gerechtigkeit, die er nicht anerkannte; es war mehr eine Erwägung, ob dies vereinbar mit den Spielregeln war. Aber konnte diese Frage entschieden werden, hier und von ihm?«

Das hat Grosz gezeichnet. Das Blatt heißt›Angelus‹: der Klotz einer zerhackten Leiche ist an das Isarufer angeschwemmt, davor steht ein Ordnungssoldat, ein sturer, stumpfer Unteroffizier mit einem Bullenkopf, einem gemeinen Nacken, mit versoffenen Augen. Wie ein Tier sieht er auf den Kadaver. Auch dieser erkennt die Gerechtigkeit nicht an. In der Ferne verschwimmen die Türme der Frauenkirche . . .

So sind sie gewesen. Schmach ihrem Andenken. Fluch ihren Auftraggebern.


Daß aber dieser Friseur, von dem sich Mussolini nicht rasieren ließe, eine falsche Grausamkeit plakatiert, zu der er wahrscheinlich nicht einmal fähig ist; eine Tapferkeit, die sich nur bestätigt, wenn die Partie zehn zu eins steht oder der Täter hinter dem Opfer, das zeigt die Verlogenheit dieses Salonfaschismus, des Bruders der amerikanischen und der russischen Snobs, kurz, aller jener, die, zu klein und zu faul, sich ein Weltbild zu machen, in die Garderobe gehen, wo die Großen abgelegt haben. Dieser hat ein schwarzes Hemd erwischt, das ihm [111] vier Nummern zu groß ist: oben guckt der Kopf heraus, und vom Rest wollen wir gar nicht reden. Wenn dieses Buch einen der unsern zum Verfasser hätte –: ich schwiege es tot und schämte mich, daß so einer meiner Meinung wäre.

Ernst Rowohlt glaubt an Bronnen, und Verlegertreue ist selten. Er hat ihm die Treue durch alle Konjunkturmißerfolge gehalten: ›Reparationen‹ und ›Rheinische Rebellen‹ und wie dieses Zeug heißt, wo sich einer atemlos an die Zeit anbiedert, die nichts von ihm wissen will. Aber Ernst Rowohlt hat durch seine Publikationen Verpflichtungen; er ist kein politischer Verlag mit einem Dogma, aber er ist ein anständiger Verlag. Dieses Buch ist eine im Tiefsten gesinnungslose Pfuscherei, und man darf sagen, daß es für alles Grenzen nach unten gibt. Der da hat sie überschritten, mit seinem angelaufenen Monokel.

Was aber die Buchpropaganda angeht, so ist es üblich, auch die ungünstigsten Urteile in sie aufzunehmen, und dafür gibt es ein feststehendes Klischeewort: umstritten. Nun, wenn ein Hundewürstchen auf der Straße umstritten ist, weil es die Hunde zwar fröhlich beriechen, die Menschen aber dem Ding aus dem Wege gehen –: dann ist dies ein umstrittenes Buch.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1929. Ein besserer Herr. Ein besserer Herr. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6C29-4