[125] [127]Lieder für Sie

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[Gutherz'ge, fröhliche Vertraute]

Gutherz'ge, fröhliche Vertraute,
Auf die ich meines Herzens Ruh,
Auf die ich ganz mein Leben baute,
Mein letzter, einz'ger Zeuge du,
Komm, Schatz, dass ich dich an mich drücke,
Du küsse lang und innig mich,
So schlägt mein Herz in heiterm Glücke
Und Liebe bis zum Tod für dich!
Liebe mich,
Ohne dich
Ist dahin,
Was ich bin.
Dein Reichtum, Kind, sind deine Hände,
Und ich bin wie 'ne Kirchenmaus;
Mit unserm Tisch sieht's trüb am Ende
In Dachverschlag und Keller aus,
Doch unser Lager, unser weiches,
Fehlt nie, vergnügt und dauerhaft,
Und König ich des Königreiches,
All deiner Heiterkeit und Kraft.
Liebe mich,
Ohne dich
Ist dahin,
Was ich bin.
[129]
Aus der Umarmung unsrer Nächte
Erhebe ich mich neugestählt,
Denn deine Süsse ist das rechte,
Da meinem armen Fleisch gefehlt.
Dein Kuss giesst Mut gleich starkem Weine
In meine Brust mit Lieb und Scherz,
Du kennst die Kunst, ja, du alleine,
Zu schwellen mir ein göttlich Herz.
Liebe mich,
Ohne dich
Ist dahin,
Was ich bin.
Was schadet, Schatz, dein einst'ges Leben?
Was kümmert wohl das meine mich?
Ich bin dir treu in Lieb ergeben,
Nur Gutes tatest du für mich.
Lass im Umarmen uns vergessen,
Dass man uns Armen nicht verzieh,
Lass glühend Herz an Herz uns pressen,
Was schert die Welt uns? – Höhne sie!
Liebe mich,
Ohne dich
Ist dahin,
Was ich bin.

[Des schwarzen Augenpaars Gewalt]

[130]
Des schwarzen Augenpaars Gewalt,
Gleichgültig-kalt,
Bis zu der Hüften weissem Scheine,
Der stolzen Reine
Des Busens, all der Schönheit Pracht,
Die süss mir lacht –
Ach, alles flieht, ach, alles schied, was ich gedacht.
Du tiefe Falschheit so im Bunde
Mit blüh'ndem Munde,
Wie du mich zu umgarnen denkst,
Erkannt ich längst,
Ach, alles, was wir reizend wähnen,
In Wunsch und Sehnen,
Wie es mir winkt, wie es mich zwingt zu künft'gen Tränen.
O sprich doch, Liebste, Flötenklang
Zu meinem Sang,
Wie Schrein der Hirsche soll mein Singen
Zu dir sich ringen.
Sprich, Liebste, dass die Flöte bei
Dem Liede sei,
Und wenn ich schon dein Esel bin, so gib mir Heu!

[Wir haben mehr Geist, als uns frommt]

[131]
Wir haben mehr Geist, als uns frommt,
Geliebte!
Der uns am Ende schlecht bekommt,
Geliebte!
So stets zu kämpfen, Brust an Brust,
Noch immer!
Und ohne Reu und ohne Lust
Noch immer!
O sage nicht mehr dieses Ringen
So lang,
Nicht der Flöten verstimmtes Klingen!
Der Sang,
O, der Sang der zärtlichen Herzen,
Das Lied,
Das die Luft in wehmüt'gen Schmerzen
Durchzieht!
Und drum genug mit allem Licht
Des Geistes,
Denn er bekommt uns wirklich nicht,
Du weisst es.
Lass töricht uns und einfach sein,
Mein Kätzchen,
Und du sei mein, und ich bin dein,
Mein Schätzchen.

[Nein, ich lieb dich nicht im Putze]

[132]
Nein, ich lieb dich nicht im Putze,
Kalt lässt in des Schleiers Schutze
Mich dein Auge, mein Azur,
Und ich hasse all die schönen
Zierlichkeiten, denn sie höhnen
Deine wahren Reize nur.
Feindlich bin ich allen Röcken,
Die vor meinem Blick verstecken,
Was das Schönste doch im Grund,
Deinen Hals, den wundervollen,
Und den sinnverwirrend tollen
Reiz der Waden, schlank und rund.
Pfui den allzu schmucken Frauen,
Schatz, ich will im Hemd dich schauen,
Das am reizendsten dir steht,
Messgewand zu heil'gen Tagen,
Fahne, die im Feld geschlagen,
Spät und frühe, früh und spät.

[Göttlich Naive, wenn es dein Verlangen]

[133]
Göttlich Naive, wenn es dein Verlangen,
So bin ich nur des einen noch bewusst,
Mit kund'ger Hand dich schmeichelnd zu umfangen
In irren Gluten fieberhafter Lust,
Göttlich Naive, wenn es dein Verlangen.
Versinken lass im Rausch uns ohne Scham
Wie Hirsch und Hindin tief in Waldesreichen;
Die Keuschheit, mag sie gehn, woher sie kam,
Und nichts soll unserm dreisten Feuer gleichen,
Versinken lass im Rausch uns ohne Scham.
Vor allem lass uns nichts von Büchern sagen,
Zum Teufel Leser, Dichter und Verlag,
Wir folgen der Natur in jungen Tagen,
Die selig nichts von Fesseln wissen mag.
Und o, lass ja nichts uns von Büchern sagen.
Geniessen, schlafen, Liebste, meinst du nicht?
Soll unsre höchste Seligkeit uns geben,
Nur das allein sei unsre höchste Pflicht,
Gewissen uns und alles Licht im Leben.
Geniessen, schlafen, Liebste, meinst du nicht?

[Es strahlt in mein altes Herz hinein]

[134]
Es strahlt in mein altes Herz hinein
Dein Lachen wie eine Laterne
In einen Keller voll köstlichen Wein
Aï, Grave, Beaune, Sauterne,
Dein Lachen strahlt in mein Herz hinein.
Deine Stimme klingt hell in mein Dunkel
Voller Lust wie ein Kampfsignal,
Wie erglänzt deiner Augen Gefunkel
Ich gehorche! Teufel nochmal!
Deine Stimme klingt hell in mein Dunkel.
Dein Schick, feiner Putz, dein Schneid,
Sie haben mich ganz bezwungen:
Komm! – prodeo, o Studienzeit,
Mit deinen Erinnerungen!
Dein Schick, feiner Putz, dein Schneid,
Deine Glieder und Brust, deine Hüften,
All die Süsse, die meine Glut vermehrt,
Mahnt mich zum Bleiben mit zauberischen Düften ...
Ob ich bleibe im Bett, das mich verzehrt
Deine Glieder und Brust, deine Hüften.

[Du, Kind, glaubst an den Kaffeegrund]

[135]
Du, Kind, glaubst an den Kaffeegrund,
Aufs Lottospiel verlässt du dich:
An deine Augen glaube ich.
An Unglückstage, Märchen und
An Träume glaubst du, die nicht trügen,
Ich glaub allein an deine Lügen.
An Gott glaubst du ganz wesenlos,
Du weisst, dass man zu Heil'gen fleht,
Für jeden Kummer ein Gebet.
Ich glaube an die Stunden bloss,
Die blau und rosig mir erblühen
In unsrer blassen Nächte Glühen.
Und alles dieses glaube ich
So fest und unerschütterlich,
Dass ich nur lebe noch für dich.

[Heut nacht im Traume sah ich dich]

[136]
Heut nacht im Traume sah ich dich,
Du dehntest dich mit leisem Lachen
Und schwätztest gurrend tausend Sachen.
Ich kostete gleich Früchten dich,
Wie ich mit durst'ger Lippe küsste
Berg, Tal und Hügel, Wang' und Brüste.
Ich war von einer Biegsamkeit,
Die wirklich man bewundern musste,
Herrgott, welche Kraft, welche Puste!
Und du, Geliebte, zur selben Zeit,
Welche Puste und Kraft, welche Schnelle
Und Biegsamkeit der Gazelle.
Am Morgen gab's in deinem Arm,
Nur viel vollkomm'ner, im Erwachen
Genau dieselben süssen Sachen.

[Mein Herz war gläubig, das ist nun dahin]

[137]
Mein Herz war gläubig, das ist nun dahin,
Und wiederum erfüllt das Weib mich ganz,
Wenn ich auch noch voll tiefer Ehrfurcht bin
Für des verlor'nen Bildes Zauberglanz,
Jedoch, das Weib erfüllt mich wieder ganz.
Ich betete zum Gott der Kinderzeiten,
Doch heute kniee ich vor dir allein;
Ach gläub'ges Mitleid, lichte Hoffnung weihten
Mir die erglüh'nde Seele zart und rein.
Doch heute kniee ich vor dir allein.
Von neuem wird durch dich das Weib zum Herren,
Der mir allmächtig jede Freiheit raubte,
Der tückisch ins Verderben mich zu zerren
Voll Hinterlist mir jeden Wunsch erlaubte ...
O sel'ge Zeiten, da mein Herz noch glaubte!

Notes
Aus »Chansons pur Elle«, Erstdruck der Sammlung: Paris (L. Vanier) 1891. Hier in der Übers. v. Wolf v. Kalckreuth.
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TextGrid Repository (2012). Verlaine, Paul-Marie. Lieder für Sie. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-73FC-D