[112] [109]Die Freundinnen

[109]

[110] [113]Auf dem Balkon

Die beiden schauten, wie die Schwalben leicht entflogen,
Die eine rosig blond, bleich und mit schwarzem Haare
Die andre, und das matte Nachtkleid floss dem Paare
Sanft nieder, wolkengleich, in weichen, üpp'gen Wogen.
Und beide schmachtend, gleich dem Asphodelos, sogen,
Da weich der Mond gen Himmel stieg, der runde, klare,
Tief atmend die Erregung ein, die wunderbare,
Der Dämmerung, das Herz von trübem Glück durchzogen.
So träumten Arm in Arm geheimnisvoll durchschauert,
Ein seltsam Paar, das andre Liebende bedauert,
Am Rande des Balkons die beiden jungen Frauen.
Dahinter, tief im Zimmer, das in Nacht sich tauchte,
Erschloss, stolz wie ein Thron im Singspiel anzuschauen,
Sich das zerwühlte Bett, das süssen Duft enthauchte.

[113] Pensionärinnen

Die eine fünfzehn Jahr, die andere sechzehn, rüsten
Blauäugig-schlank, zum Schlafe sich. Beklommen
Und schwül ist die Septembernacht gekommen.
Die Wangen färbt ein zärtliches Gelüsten.
Die feinen Hemden gleiten von den Büsten
Und hauchen holden Duft, süss und verschwommen,
Es dehnt die Jüngre sich, die Freundin lustentglommen
Küsst sie, die Hände auf der andern Brüsten.
Dann sinkt sie in die Knie, vom Wahnsinn fortgezogen,
Und taucht den Mund in der Erregung Wogen
In Schatten unter goldnem Lockenglanze.
Und während der Umarmung regt die Kleine
Die Fingerchen, als spiele sie zum Tanze,
Und rosig lächelt sie in süsser Reine.

[114] Per Amica Silentia

Der reiche Stoff von weichem Musseline,
Wo bleich der Schein der nächt'gen Ampel wachte
Und die opalgleich schimmernde Gardine
Geheimnisvoll im Schatten fliessen machte,
Der reiche Stoff am Bett von Adeline
Vernahm, wie Klaras Silberstimme lachte,
So süss, als ob sie nur der Liebe diene,
Bis sie ein heisser Ton zum Schweigen brachte.
O lieben! lieben! sagten eure Stimmen,
Klara und Adeline, eng umschlungen,
O edle Herzen, die ihr Wunsch bezwungen.
Liebt, liebt, Vereinsamte! Wenn auch in schlimmen
Und trauerreichen, öden Unglückstagen
Ihr das erhabne Brandmal still müsst tragen.

[115] Frühling

Die junge, rothaarige Schöne
Sprach, liebentflammt für die reine
Hellblonde, unschuldige Kleine
Die zärtlich flüsternden Töne:
Dass die Blüte die Pflanze kröne,
Lass in deiner Kindheit Haine
Mich tasten im Moos, dass die schöne
Holdleuchtende Rose erscheine.
Lass im Gras, das schimmernd mich grüsste,
Die Tropfen des Taus mich trinken,
Die zart im Blumenkelch blinken.
Dass die Lust der Liebe, o Süss'ste
Auf der reinen Stirn dir erglühe,
Wie im schüchternen Äther die Frühe.

[116] Sommer

Und mit Wangen, die sich entfärben,
Sprach das Kind von den Liebkosungen
Der trunkenen Freundin bezwungen:
Ach, Liebste, ich fühle mich sterben!
Ich sterbe. O sel'ges Verderben,
Du hältst mich glühend umschlungen,
Dein blühendes Fleisch ist durchdrungen
Von Düften, die süss mich umwerben.
Dein Fleisch birgt die dunklen Gefahren
Der sommergereiften Schöne,
Wo Düfte und Schatten sich paaren.
Sturm sind deiner Stimme Töne,
Und der Locken blutig Gefunkel
Fliesst jäh in das bleierne Dunkel.

[117] Sappho

Mit hohlen Augen, wild, mit starren Brüsten,
Eilt Sappho, die die Gluten ihres Wunschs verzehren,
Gleich einer Wölfin längs der eis'gen Küsten.
Von Phaon träumt sie, nicht von den Altären,
Und da verschmäht sie sieht der Sehnsucht bittre Tränen,
Reisst sie ihr Haar sich aus in langen, üpp'gen Strähnen.
In sehnsuchtsvoller Reue ruft sie schmerzlich jene
Entschwundnen Tage junger Glut, die allzuschnellen,
Die sie in süssen Liedern sang, die sich gesellen
Der Jungfrau reinem Traum, dass sie sich selig wähne.
Ihr tiefumschattet Augenlid verbirgt die Träne,
Und auf der Moira Ruf stürzt sie sich in die Wellen,
Und silbern glänzt, die schwarzen Wasser zu erhellen,
Die bleiche Rächerin der Liebenden, Selene.

[118] Verschiedenes

[119][121]

Casta Piana

Dein schwarzes, rotdurchflimmertes Haar,
Dein kaltes und süsses Augenpaar,
Deine Schönheit, die eigentlich keine,
Deine Brüste, geformt vom Teufel, o du!
Und deine feine Blässe dazu,
Gestohlen dem Mondenscheine,
Sie halten gefangen mich Nacht und Tag,
Du heilige Jungfrau vom Dachverschlag,
Die mit nicht geweihten Kerzen,
Mit heidnischen Aves man ehren muss,
Mit Gebeten dazu nach dem Angelus,
Das uns ruft zu unheiligen Scherzen.
Man riecht den Scheiterhaufen dir an,
Einen Lumpen machst du aus einem Mann,
Einen Schemen, durch deine Süsse,
In der Zeit, wo ein Ja man stammeln mag,
In der Zeit für ein lockendes: Guten Tag,
In der Zeit dir zu küssen die Füsse.
[121]
Deine Dachkammer ist ein Schreckensort,
Stets bist du auf deinem Lager dort
Und stellst manchem Schelm eine Falle,
Und wenn die Liebenden weitergehn
Mit all' deinen Sakramenten versehn,
Dann lachst du über sie alle.
Recht hast du, doch liebst du sicherlich
Mehr als die Alten und Jungen mich,
Die dich nicht traktieren können ....
Mich, der ich in deinen Künsten gewandt,
Mich, der genügend mit dir bekannt,
Um dir jede Feier zu gönnen.
Drum diese Falte fort geschwind,
Und maule nicht mehr länger, Kind!
Lass all deinen Balsam mich trinken,
Ja, lass versüsst, gesalzt und gewürzt,
Versüsst, gepfeffert und unverkürzt,
Deinen heiligen Balsam mich trinken.

[122] Monde

Ich will, o trübe Zeit, die mich zerstört im Innern,
Mich an die blauen Tage reiner Lieb' erinnern,
Einwiegend meine Schmach und meine bittre Lust
Im Kuss auf ihre Hand, nicht auf der andern Brust!
Und ich, Tiberius gleich, in diesen finstern Stunden,
Ob ich nun Freude oder ob ich Schmerz empfunden,
Will ruhn und denken, fern vom Glück, das schlecht uns lohnt,
Der blassen Mädchen, deren Ehre wir geschont,
Wenn auf dem Rasenplatz nach Tanz und frohen Tagen
Im weissen Mondenschein die Kirchuhr zwölf geschlagen.

[123] In der Art von Paul Verlaine

Der Mondschein hat mir gegeben
Die Maske vom nächt'gen Saturne,
Der schweigend neigt seine Urne,
Den blass seine Monde umschweben.
Ohne Worte zittert ein Sang
Mit duftgem, verstimmtem Akkord
In dem müden Herzen fort,
O welch trüber, fröstelnder Klang!
Ihr alle habt gütig verziehen,
Wenn einer euch Wunden geschlagen,
Wie ich den vergangenen Tagen,
Die den Putz ferner Jugend geliehen.
So vergeb ich dem leisen Trug,
Weil ein wenig Lust er gebracht,
Wann ein eitler Wunsch mir gelacht,
Verworren und schmerzlich genug.

[124] Die Toten, die..

Die Toten, die im Grab wir bluten lassen,
Die rächen sich.
Wen sie mit schattenhaften Händen fassen,
Der jammert mich.
O besser ist's, das Leben nie durchwandern,
Ja selbst ein qualvoll Sterben nach dem andern,
So lange ist die Zeit, ihr Schlag so fürchterlich.
Die Menschen, die wir weinen machen, rächen
Sich manches Mal,
Und weh dem Schuld'gen, dessen Herz sie brechen
In Todesqual.
O besser mit dem grimmen Bären ringen,
O besser hundertmal die hanfnen Schlingen,
Das Federbett Othellos hundertmal.
Verfolger, fürchte den Vampir im Herzen,
Der dich verdammt.
Am Tag des Zorns krönt alle deine Schmerzen
Sein Rächeramt.
Halt auf den grossen Tag den Blick gerichtet,
Der wie ein Mord den Mörder einst vernichtet,
Dem Dieb gleich, auf den Diebstahl niederflammt!

Notes
Aus »Parallèlemement«, Erstdruck der Sammlung: Paris (L. Vanier) 1889. Hier in der Übers. v. Wolf v. Kalckreuth.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Verlaine, Paul-Marie. Parallelen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7441-9