[16] Verschiedenes

[17][19]

Initium

Ich sah sie auf dem Ball im Wirbeltanz der Paare,
Der Geigen Lachen einte sich dem Flötenklang,
Hold spielten um ihr Ohr die feinen, blonden Haare,
Ihr Ohr, zu dem mein Wunsch gleich einem Kuss sich schwang,
Als spräch' er gern und wäre doch zu reden bang.
Und die Mazurka trug in schwebend-stillem Tanze
Mild tönend wie ein Lied sie weiter durch die Reih'n,
Ein Reim von süssem Klang, ein Bild von lichtem Glanze,
Und ihre Kinderseele strahlte hell und rein
Durch ihrer grauen Augen sinnlich weichen Schein.
Und unbewegt seit diesem Augenblicke bete
Ich ihre Schönheit an, der sich mein Herz geweiht,
So schreitet bang, als ob in Tempels Nacht sie träte,
In die Erinnerung der Liebe Herrlichkeit.
Und hier, ich fühl' es wohl, ach hier beginnt mein Leid.

[19] Serenade

Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,
Aus dem Grabe sänge,
Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied
Seine zitternden Klänge.
O öffne Seele und Ohr, den Klang
Meiner Laute hörend.
Für dich ertönt, für dich mein Gesang,
So hold, so zerstörend.
Ich singe dein Auge voll goldenen Glücks,
Das schattenlos klare,
Dann den Lethe deiner Brust, dann den Styx
Deiner dunklen Haare.
Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,
Aus dem Grabe sänge,
Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied
Seine zitternden Klänge.
Und das Lob meines Sanges preist und erhebt
Den Leib, den geweihten,
Dessen süsser Duft zur Nacht mich umwebt
In schlaflosen Zeiten.
Und ich singe die Küsse von rotem Mund,
Dass dein Preis ohne Mängel,
Deine Süsse, die mich gerichtet zugrund,
Meine Dirne, mein Engel!
[20]
O öffne Seele und Ohr, auf den Klang
Meiner Laute hörend.
Für dich ertönt, für dich mein Gesang,
So hold, so zerstörend.

[21] Nevermore

Voran mein armes Herz, mein alter Kampfgenosse,
Neu baue im Triumph dein buntes Siegestor,
Von falschem Goldaltar steig' Weihrauchduft empor,
Gib, dass an Abgrundshang der Flor der Blumen sprosse,
Voran mein armes Herz, mein alter Kampfgenosse.
Zu Gott hin dringe deines Lieds verjüngter Klang,
Lass, heis're Orgel, das Tedeum mächtig tönen,
Die frühen Runzeln schmink', dein Antlitz zu verschönen,
Häng' rote Teppiche die morsche Wand entlang,
Zu Gott hin dringe deines Lieds verjüngter Klang.
Klingt Schellen, läutet Glöckchen, tönet Glocken!
Mein weltentrückter Traum ward Wahrheit, es umschlingt
Mein froher Arm das Glück, den Fremdling, leicht beschwingt,
Der schüchtern flieht beim Nah'n der Menschen, die ihn locken.
Klingt Schellen, läutet Glöckchen, tönet Glocken!
Lebendig Seit' an Seite ging mit mir das Glück;
Das Leben, mitleidlos, entschreitet ohne Säumen,
Der Wurm ist in der Frucht, Erwachen ist im Träumen,
Die Reu' ist in der Lieb', so zwingt uns das Geschick.
Lebendig Seit' an Seite ging mit mir das Glück.

Notes
Aus »Fêtes Galantes«, entstanden 1866–1868, Erstdruck der Sammlung: Paris (A. Lemerre) 1869. Hier in der Übers. v. Wolf v. Kalckreuth.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Verlaine, Paul-Marie. Verschiedenes. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7465-A